Spiele verändern uns. Aber wie?

Spiele verändern uns. Aber wie?

22.02.04

MOment Wie sich Spiele im Laufe der Zeit verändern, sieht man nicht nur an den jeweils aktuellen Hardware-Anforderungen. Weitaus interessanter aber ist die Frage »Wie verändern die Spiele uns

Nein, wir werden durch Spiele weder zu Massenmördern noch zu Pazifisten, wie realitätsferne Hetzer oder Chefideologen uns gerne glauben machen wollen. Dennoch haben Videospiele einen gewissen Einfluss auf unser Denken und Handeln. Sicher ist, dass der spielerische Umgang mit »der Technik« dazu beiträgt, die bei vielen Menschen vorhandenen Berührungsängste zu mildern. Und sicher ist auch, dass viele Programmierer oder Informatiker ohne ihre Spielerfahrungen nicht den Berufsweg gegangen wären, den sie gegangen sind: zahlreiche Spiele laden geradezu dazu ein, auch mal hinter die Kulissen zu schauen. Das macht neugierig. Und Neugierde ist nicht der schlechteste Lehrmeister.

Doch was ist mit den kleinen Dingen des Alltags? Wir kennen das alle: Filmszenen können die Art, wie wir Nachrichten und Informationen aufnehmen, verändern. (Der wohl meistgehörte Satz am 11. September 2001: »Das ist ja wie im Film!«) Bücher können uns auf einer ganz persönlichen Ebene neue Perspektiven eröffnen, neue Ideen geben. Bei interaktiven Medien wie Computer- und Videospielen müssten diese Einflüsse noch stärker zu spüren sein. Es ist nur nicht so einfach, genau diese Einflüsse aufzudecken und Allgemeingültiges zu verkünden. Gerade durch die Interaktivität wird jede Spielerfahrung, jeder mögliche Einfluss noch viel subjektiver, als dies bei anderen Medien ohnehin schon der Fall ist. Und deswegen plaudere ich nun mal aus dem ganz privaten Nähkästchen. Wir sind ja unter uns.

Kürzlich bat mich meine Mutter telefonisch um einen Kinotipp. Ich empfahl ihr zielgruppenorientiert »Fluch der Karibik« und fasste kurz den Inhalt zusammen. Nun hat meine Mutter von Computerspielen ungefähr soviel Ahnung wie ein kaschubischer Kleinbauer von der Quantenphysik, nämlich gar keine. Daher war meine Überraschung – ja, mein Schock! – umso größer, als sie plötzlich antwortete: »Ach, das klingt doch nach diesem Spiel, das du damals nächtelang gespielt hast. Wie hieß das noch gleich?« – »Äh ... meinst du etwa Monkey Island?« – »Ja genau, das mit diesem kleinen Piraten und der netten Musik.« – Sprachlosigkeit. Sollte meine damals kindlich-fanatische Begeisterung für »The Secret of Monkey Island« einen so großen Eindruck hinterlassen haben, dass selbst meine Mutter als völlig Spielunkundige eine Geschichte aus einem Computerspiel in ihr kulturelles Gedächtnis aufgenommen hat? Kein Zweifel, Computerspiele graben sich langsam in das kollektive Bewusstsein der Menschen, selbst wenn nur ein Bruchteil sie aktiv spielt. Mit Musik, Büchern oder Filmen ist es ja nicht anders.

Spieleklassiker wie zum Beispiel das erwähnte »Monkey Island« sind zumindest unter Spielern längst zu einer Art »Casablanca« oder »Pulp Fiction« geworden: selbst, wer das betreffende Spiel nicht gespielt hat, kennt einige Zitate oder Anspielungen und hat eine ungefähre Vorstellung davon, warum dieses oder jenes Spiel seinerzeit so beliebt war. Noch sind Charaktere – Lara Croft oder Mario ausgenommen –, Dialogzitate und Musik aus Spielen längst nicht so populär wie Romanfiguren oder Filmszenen. Vielleicht werden sie es auch nie sein. Für diejenigen aber, die mit Spielen aufwachsen oder aufgewachsen sind, gibt es auch heute schon genug Stoff für Dialoge à la »Hey, das ist ja wie in Max Payne.« – »Wollt' ich auch gerade sagen.«

Außerdem habe ich durch Spiele verstanden, wie man große Aufgaben oder Projekte in viele kleine, einfacher zu handhabende Teilaufgaben zerlegt. Das klingt zwar hochgestochen, aber wer schon einmal am Anfang eines Mammutwerkes wie etwa »Baldur's Gate« stand und es schließlich doch beendete, kann das vielleicht nachvollziehen. Überhaupt ähnelt die Levelabfolge vieler Action- und Plattformspiele auf einer abstrakten Ebene den durchaus langweiligen Aufgaben, die man im täglichen Schul- oder Berufsleben so bewältigen muss: erst einmal schön kleine Babyschritte machen, um dann nach dem Motto »Höher, schneller, weiter« bis zum Endgegner (Hausaufgabe, Facharbeit, Magisterarbeit) immer besser zu werden.

Gelernt habe ich durch Spiele eine Menge. Englisch durch Textadventures, Geschichte durch »Age of Empires«, mexikanische Folklore durch »Grim Fandango«, karibische Geografie durch »Pirates!«, Waffenkunde durch diverse Ego-Shooter. Und man weiß ja nie, welchen dieser kleinen Wissenshappen man später mal brauchen kann. Sicher, dies alles hätte ich mir auch auf konventionellem Wege einpauken können. Aber die Motivation und der Spaß wären dabei auf der Strecke geblieben. Spielen bedeutet fast immer auch: Lernen. Selbst, wenn es nur um das nicht im Alltag zu verwendende Wissen geht, welche Wumme das größere Loch reißt.

Von der Feinmotorik ganz zu schweigen. Für die Verbesserung der Koordination zwischen Hand und Auge sind gerade Konsolen-Prügelspiele wie geschaffen. Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber ohne diverse Jump'n'Run- oder Ballerspiele meiner Jugend wäre ich heute wohl eher eine Art Elefant im Porzellanbüro. Und natürlich helfen Spiele auch in privaten Beziehungen, da lasse ich mir nichts anderes einreden. Beim Zocken den anderen gewinnen lassen, um schlechte Laune zu vermeiden und danach aus einem völlig enttäuschten Siegergesicht zu hören: »Ich wollte doch verlieren, um schlechte Laune zu vermeiden« – das ist eine Erinnerung auch für schlechte Zeiten.

Anlass für das Thema dieser Kolumne war übrigens ein kurzer Artikel auf GameGirlAdvance. In einem anderen Beitrag dort schildern Jane und Justin eine kleine Geschichte aus besagten schlechten Zeiten: »Breaking Up is Hard to Do«. Wer gut Englisch kann, sollte unbedingt lesen, vor welchen Problemen man steht, wenn man sich trennt, die gemeinsamen Xbox-Spielstände von »Knights of the Old Republic« aber nicht kopieren kann. Der eben erwähnte Justin erzählt an anderer Stelle auch davon, dass der Umgang mit typischen Rollenspiel-Inventaren seine Art, Koffer zu packen, beeinflusst habe. Wie, das könne er auch nicht genau sagen; er wisse nur, dass es so ist.

So. Jetzt bin ich gespannt, welche guten oder auch schlechten Einflüsse Spiele auf den Alltag der geneigten Leserinnen und Leser von Mogel-Power haben. Denn die Spiele sind schon längst in unseren Träumen angekommen.
Matthias »Mo« Oborski spielt Computerspiele seit 20 Jahren.
Er schreibt, lebt und arbeitet auf ntropie.de.

MOment - Auch Spiele brauchen Liebe.