21.06.04
Die E3 ist vorbei. Das reimt sich, ist ansonsten aber keine große Neuigkeit. Jetzt, einen Monat später, hat sich der aufgewirbelte Medienstaub gelegt, und das erleichtert den Durchblick erheblich. Nein, ich selbst war nicht vor Ort in Los Angeles. Mogel-Power wollte mir einfach keinen Flug nach Kalifornien samt Übernachtung im 5-Sterne-Hotel spendieren. (Warum eigentlich nicht?) Dennoch ließ sich die Messe dank großzügiger Berichterstattung per Text und Video wunderbar mitverfolgen. Also wie war sie nun, die diesjährige E3? Da stellen wir uns mal ganz dumm...Die E3, das ist die Electronic Entertainment Expo, jedenfalls behauptet sie das. Gefragt hat sie danach noch niemand, denn für Interviews ist sie entschieden zu laut. Bahnbrechende Neuheiten, atemberaubende Spiele und fantastische Multimedia-Präsentationen stürzen sich auf die Besucher, vernebeln wohlig die Sinne und erzeugen euphorische Rauschzustände. Zumindest theoretisch.
Die E3, die bestand dieses Jahr hauptsächlich aus halbnackten Hasen mit Atombrüsten und aus waffenstrotzenden Soldaten in kompletter Irakfeldzug-Kampfmontur. Echte Weiber und ganze Kerle eben. Für die einen pures Entertainment, für die anderen die größte Dumpfbackenparade der Welt. Elektronisch waren weder die Busen noch die Stahlhelme, sodass wir ein E der E3 schon mal abziehen können. Während Messebabes mit ihren Silikon-Zwischenlagern seit Jahren zum Standard bei männlich dominierten Ausstellungen gehören, sind kampfbereite Special Forces doch eher eine neue Erscheinung. Diese seilten sich authentisch aus einem Kampfhubschrauber auf ein Dach ab und sicherten danach den Infostand der US-Armee vor dem Messeeingang. Wer das nicht glaubt, möge im deutschen Forum von America's Army vorbeischauen, nämlich hier und dort. Cool sah sie aus, die Hubschrauberaktion. Und das war bestimmt auch ihr Sinn. Der Sinn des Infostands war es wohl, Jugendliche um die 19 Jahre davon zu überzeugen, dass Einsätze im Wüstensand genauso cool seien wie Einsätze auf Spielemessen. Aber ich war nicht dabei – was weiß ich denn schon.
Einen Einsatz ganz anderer Art präsentierte Ubi Soft in Zusammenarbeit mit Playboy-Erfinder Hugh Hefner: sehr viele Mädels im Bunnykostüm lächelten sehr nett in die Kameras und zeigten sehr viel Haut für ihren sehr reichen Boss. Auf einer Modenschau durften viele sabbernde Zuschauer dann Mode begutachten, die in Paris wohl kaum beachtet werden wird. Nun bin ich leider keine 15 mehr und auch kein Printmagazin-Redakteur, um mich an pubertären Späßchen dieser Art noch sonderlich aufgeilen zu können, aber wen der Trieb oder die reine Neugierde treibt, der kann sich bei den Kollegen Erleichterung verschaffen. Ach ja, vorgestellt werden sollte dort eigentlich ein Spiel. Aber ich war nicht dabei – was weiß ich denn schon.
Schön, ich gebe es zu: Elektronisches konnten die Besucher doch noch erblicken. Als Glanzlichter wurden zum Beispiel Demos von Half-Life 2, Doom 3, World of Warcraft oder S.T.A.L.K.E.R. präsentiert. Wau! Das sind ja brandneue Titel, was? Von diesen Previews kann ich einfach nicht genug bekommen! Überaus spannend und überraschend sind die auch in der hundertsten Wiederholung immer wieder. Warten wir auf all diese Titel nicht schon etwas länger als erst seit der E3? Also gähn. Viele Titel wurden mit bombastischen Trailern oder überdimensionierten Messeständen angekündigt, aber spielen konnte man sie nicht. Wozu auch? Ist ja nur eine Spielemesse. Im Bereich der PC-Spiele waren echte Neuheiten mehr oder weniger Fehlanzeige. Wo waren die echten Knaller, die Delikatessen, die Überraschungen?
Die gab es. Nämlich bei den kleinen Tragbaren. Die meisten Besucher waren sich einig, dass Nintendos Präsentation ein echter Höhepunkt der diesjährigen E3 war. Das neue »Nintendo DS« als Nachfolger des Gameboy lässt hoffen, wenn auch die technischen Daten nicht unbedingt vom Hocker reißen. Da Nintendos neuer Handheld aber auch mit alten GBA-Modulen gefüttert werden kann, haben es direkte Konkurrenten wie die brandneue »Sony PlayStation Portable« (PSP) schwer, gegen die Flut von Mario- und Zelda-Titeln zu bestehen. Ja, liebe Entwickler, so macht man das. Die eigenen Wurzeln nicht vergessen, Kunden und Spieler ernst nehmen und lieber mal im stillen Kämmerlein tüfteln, anstatt jedes simple Grafikengine-Update protzig an die PR-Glocke zu hängen.
Ein Monat ist seit der letzten E3 vergangen, doch bewegt hat sich weder bei den Herstellern noch bei den Medien sonderlich viel. Endlose Lizensierungen, Fortsetzungen und altbekannte Spielekonzepte auf technisch hohem Niveau übersättigen selbst die hungrigsten Spieler. Vielleicht muss die inzwischen recht aufgeblähte Branche erst auf die Nase fallen, um das Verhältnis zwischen Prahlerei und Innovation wieder zurechtzurücken. Wie auch immer. Ich freue mich jedenfalls auf die Games Convention in Leipzig: da stehen noch Spiele im Mittelpunkt und nicht der audio-visuelle Overkill, die Bundeswehr wird bestimmt keine Dächer besetzen, die Anreise bleibt bezahlbar, und Mogel-Power ist da ja auch zuhause. Na dann: wir sehen uns!
Weitere Verweise zur E3:
Die üblichen Bildchen I
Die üblichen Bildchen II
Bildchen von Robin Hunicke, etwas abseits vom Geplärre
Berichte und Reportagen
Resümee bei Gamesweb
Matthias »Mo« Oborski spielt Computerspiele seit 20 Jahren.
Er schreibt, lebt und arbeitet auf ntropie.de.
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