Cheat-Praxis: Grundlagen

Cheat-Praxis: Grundlagen

Blut-Cheats

Die restriktiven Jugendschutzbestimmungen in Deutschland rücken manches Spiel schneller ins Aus, als dem Hersteller lieb wäre: Eine Indizierung bringt so viele Einschränkungen mit sich, daß beinahe von einem Verkaufsverbot gesprochen werden kann. Früher scherzten die Entwickler über die Praktiken, priesen den Eintrag in der Indexliste als Werbung für den Titel an. Doch mittlerweile geht es um viel Geld: Im zweitgrößten Markt für PC-Spiele kann ein beliebter Titel mehrere hunderttausend Mal abgesetzt werden. Eine Indizierung verhindert den Erfolg nachhaltig. Ein vermeintlicher Ausweg war rasch gefunden: Gewalttätige Spiele werden für den deutschen Markt zensiert. Rotes Blut wird blau, Leichenteile lösen sich in Luft auf.

Daß die Todesschreie der virtuellen Krieger unter den Tisch fallen, empört die Käufer. Ihnen mangelt es an Verständnis, wenn Lara Croft in der US-Version rot und in der deutschen Fassung "nur" violett blutet. Oft genug trifft es auch unsere Nachbarn in Österreich und in der Schweiz. Sie kennen keine Indizierung, aber ihr Markt ist zu klein für eine eigenständige Spielfassung.

Doch anders als bei Videokassetten, bei denen Schnitte ertragen werden müssen, es sei, man weicht auf die Originalfassung aus, lassen sich die Einschränkungen von deutschen Spielversionen fast immer rückgängig machen. Meist wird ein Titel nur einmal entwickelt und der Kern um Sprachdateien ergänzt. Vielfach zensieren die Entwickler ein Spiel nicht vollständig, sondern bauen einen Schalter ein, der zwischen beiden Varianten wählt: Bei der in Deutschland verkauften Version ist der Hebel nach links, in allen anderen Ländern ist er nach rechts gelegt. So genügt es oft, den elektronischen Knopf ausfindig zu machen, um die Entschärfungen aufzuheben. Nicht selten verbirgt er sich in einer Einstellungsdatei in Zeilen wie VIOLENCE=0 oder GORE=0, die mit Hilfe eines Texteditors einfach auf 1 gesetzt werden. Beliebt sind außerdem ähnliche Einträge in der Registrierungsdatenbank.

Die billigste Lösung, der Test, in welcher Sprache die verwendete Windows-Version eingestellt ist, läßt sich ebenso wohlfeil umgehen: Man trägt in den Ländereinstellungen der Systemsteuerung einen anderen Wert als "Deutsch (Standard)" ein. Den Eintrag dauerhaft zu ändern, verhindert so manchen Frust: So unterschlägt uns das Ballerspiel "Ed Hunter" ganze zwei seiner sieben Kapitel, die Testfassung des 3D-Shooters "Daikatana" läßt sich gar nicht installieren, solange die Software davon ausgeht, eine deutsche Windows-Version vor sich zu haben. Nicht selten wird dieses Wissen von den Entwicklern selber nach außen getragen: Dem Jugendschutz trägt man durch eine harmlose Fassung Geltung; die Kunden stellt man mit einem Splatter-Trick zufrieden.

Tauschen die Entwickler für die deutsche Fassung ganze Datenkomplexe aus, werden härtere Geschütze aufgefahren. Fehlende Blutgrafiken besorgt man sich anhand der Demofassung, für die in der Regel der Aufwand einer Zensur gespart wird; fehlende Programmteile bügeln Patches aus, die der Hersteller zum Fehlerbereinigen der US-Version im Internet anbietet. Manchmal zaubern Tüftler Blut an Stellen, wo zuvor gar keins war: So kursiert ein Patch, der Treffer in der beliebten Moorhuhn-Jagd durch knallrote Spritzer markiert.

Manipulationen dieser Art beseitigen zugleich die zweite Eigenart deutscher Versionen: Während in Spielfilmen über den Nationalsozialismus das Zeigen von Hakenkreuzen kein Problem darstellt, sind die Hohheitszeichen in Computerspielen ein Tabu. Hinter dem Drang, bei einer Flugsimulation, die im Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist, den Originalzustand herzustellen, steckt bei vielen keine braune Denkweise, sondern der Wunsch nach Authentizität.

Bereits vor einigen Jahren hat Oliver Kirchner mit seiner Spalte "ZensurEx" (zu finden auf den Seiten des Onlinemagazins www.gamesmania.de) begonnen, auf Einschränkungen deutscher Versionen hinzuweisen und mögliche Lösungen anzubieten. Heute werden solche Blut-Patches gleich von einem ganzen Dutzend Internet-Adressen angeboten, deren Repertoire sich allerdings kaum voneinander unterscheidet. Eine Ausnahme ist die private Initiative "Blood is red!" (www.blood-is-red.de) um Björn Kohlmeyer, die das Übel an der Wurzel anpackt.

Denn der Sinn der Selbstzensur ist fragwürdig: Nur 1-2mal rettete die Verstümmelung vor dem Index, dank einer aufwendigen Anpassung, die weit über das Einfärben von Körperflüssigkeiten hinausging. Bei den meisten Titeln, vor allem den Strategiespielen, bei denen fingerkuppengroße Soldaten rangiert werden, ist eine Entschärfung überflüssig und verärgert allein den Kunden: Eine Schlacht verliert an Glaubwürdigkeit, wenn sie von Roboter-Armeen ausgetragen wird.

Lösungen sind freilich nicht in Sicht. Für wen ungeschnittene Importversionen aufgrund der Sprachbarriere nicht in Frage kommen, für den bleibt auf absehbare Zeit das Ertragen von Entschärfungen oder mehr oder aufwendige Bastelarbeit.
von René Meyer