Evelyn (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Evelyn (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Nein, dies ist keine Fantasy-Geschichte. Ja, dies ist meine zweite grössere Geschichte. Ja, ich freue mich über Kritik. Nein, meine andere Story wird nicht abgesetzt:)
Und ja, so etwas könnte vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft geschehen:). Naja, genug der Andeutungen. Viel Spass beim lesen (und kritisieren):)

Evelyn


Kapitel 1 – Das Erwachen


Brennender Schmerz. Das war das erste, was ich spürte. Er stach in meinen Nacken, in meinen Rücken, in meine Brust, überall hin. Ich hustete krampfhaft und liess meine Glieder allmählich wieder mit Gespür durchströmen. Meine Beine fühlten sich wie Blei an, ich musste lange gelaufen sein. Ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt, konnte kaum mehr einen Finger rühren. Meine Hand berührte den Boden. Er war samtweich, mit Teppich überdeckt.
Wo war ich hier?
Ich versuchte mich zu erinnern, was jedoch sogleich von fürchterlichen Kopfschmerzen bestraft wurde. Mein Herz begann schneller zu pochen und mein Atem ging rasselnd. Langsam überkam mich die Panik und ich riss die Augen auf. Ich starrte direkt an eine weisse, bröckelige Decke. Ich versuchte mich aufzurichten, sackte aber wieder zusammen. Ich hatte keine Kraft mehr. Langsam, vorsichtig, als könnte mich Schlimmes erwarten, liess ich meinen Blick nach links und nach rechts schweifen. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass ich neben einem Bett auf dem Boden lag. Es hatte makellos weisse Laken und leicht zerknitterte Kissen. Ich musste wohl auf diesem Bett gelegen haben. Zitternd sog ich die Luft ein und wurde von einem abgestandenen, modrigen Geruch begrüsst. Meine Nase rümpfte sich und ich liess meinen Blick weiterwandern. Bald wurde mir klar, dass ich in einem kleinen Hotelzimmer gelandet war. Es war einfach eingerichtet, neben dem Bett gab es ausser einem kleinen, rundlichen Tisch und einem verstaubten Fernseher nichts. Doch...da, ein Wandschrank und eine Tür, die wohl zu einem Badezimmer führte. Nur schummriges Dämmerlicht erhellte den Raum, und die Fensterläden, die schon Farbe liessen, waren geschlossen. Erneut versuchte ich mir ins Gedächtnis zu rufen, wie ich eigentlich hierher gekommen war, doch da setzten die Kopfschmerzen wieder ein und ein unangenehmes Schwindelgefühl breitete sich aus. Stöhnend mühte ich mich ab, mich wenigstens aufzurichten, was mir schliesslich unter Schmerzen gelang. Meine Knie winkelte ich an, während ich mich auf die schwach tragenden Arme stützte. Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen. Wohl musste ich Geduld haben, es würde mir sicherlich alles wieder einfallen. Vielleicht hatte ich letzten Abend über den Durst getrunken und jemand hatte mich hierher gebracht. Doch schon begannen sich erste Zweifel daran zu regen. An etwas musste ich mich doch erinnern, wenigstens an meinen Namen...mein Name...er fiel mir nicht ein. Bestürzt schüttelte ich den Kopf und strich mir über die Stirn. Was war nur geschehen? Eine Weile lang verharrte ich noch in dieser sitzenden Position, dann raffte ich mich zusammen und stand auf. Ich musste mich am Bettrand festhalten, um nicht gleich wieder zusammenzubrechen. Meine Lunge brannte und in meinem Kopf drehte sich alles. Es war, als würden tausende von Messerstichen auf mich einprasseln. Ich keuchte und liess mich wieder auf die Knie sinken. Ich verspürte eine befremdende Leere in mir, von der ich nicht einmal wusste, woher sie kam. Mein Blick streifte erneut den kleinen, schmucklosen Tisch. Darauf war eine Blumenvase zu sehen, deren Inhalt jedoch verdorben war. Das Zimmermädchen hätte die Blumen schon längst austauschen sollen. Meine Augen richteten sich daraufhin starr auf den Wandschrank. Vielleicht würde er Antworten preisgeben. Der erneute Versuch, aufzustehen, glückte mir diesmal. Sofort wurde ich wieder von Schwindel erfasst, doch ich begab mich so gut es ging zum hölzernen Gebilde. Mit bebenden Fingern umschloss ich den Griff und riss den Schrank auf.
Darin befand sich ausser ein paar Kleiderbügeln nichts.
Etwas Enttäuscht wandte ich mich ab. Jedoch...was hatte ich schon erwartet? Ich wusste es nicht. In der weiter bestehenden Hoffnung auf irgendeinen Hinweis, auf etwas, das mich erinnern lassen würde, durchquerte ich taumelnd den Raum und trat ins Badezimmer. Auch hier bot sich mir ein ernüchterndes Bild: Bis auf ein paar Handtücher liess sich rein gar nichts entdecken, das persönlich anmuten mochte. Schon wollte ich mich umdrehen, da kroch mir ein neuer, unangenehmer Geruch in die Nase. Vorsichtig lugte ich über den Rand der Badewanne und entdecke auch den Ursprung dieses Geruchs: Es war schmutziges, abgestandenes Wasser. Was ging hier nur vor? Mich beschlich langsam der Eindruck, dieses Hotelzimmer wäre überstürzt verlassen worden und würde nun verwahrlosen. Als ich mich schaudernd von der Badewanne abwandte, zuckte ich erschrocken zusammen.
Eine junge Frau starrte mir mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Sie besass langes, schwarzes, vor Schutz starrendes Haar, dunkle Augen und ein bleiches, abgemagert wirkendes Gesicht. Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, dass ich gerade in einen Spiegel schaute. Die Frau vor mir verzerrte ihre Lippen zu einem Ausdruck, der von Ungemach zeugte und blickte an sich herunter. Ich trug ein weisses, beflecktes Oberteil und zerrissene, löchrige Jeans. Ich machte einen ebenso verwahrlosten Eindruck wie dieses Zimmer, schloss ich mit gerunzelter Stirn. Benommen stütze ich mich auf den Rand des Lavabos und stierte mir selbst in die Augen. Denk nach. Denk nach! Was ist gestern geschehen? Wie bist du hierher gekommen? Der Erfolg blieb aus und machte fast schon hämisch dem Schmerz Platz. Langsam wurde ich von Verzweiflung ergriffen, während ich mit einem Stöhnen die Hand auf die Stirn presste. Ich konnte mich einfach an nichts mehr erinnern! Ein Messerstich, direkt in meinem Kopf. Ich schrie auf und sackte zusammen. Es wurde schwarz vor meinen Augen.

„So, so“, meinte er nur und grinste hämisch.
„Bitte...lassen Sie mich doch gehen!“, flehte ich den älteren Herrn an, der mir gegenüber sass. Ich überspielte meine Angst mit Wut und rüttelte erbost an den Handschellen, die mich an den Metallstuhl fesselten.
„Mr. Carter, wenn Sie gestatten. Sie sollten mich beim Namen nennen“, spottete der Herr und strich sich selbstgefallend über seine ergrauten Stoppelhaare.
„Lassen Sie mich gehen, Mr. Carter!“, zischte ich ihn an, doch er zeigte sich unbeeindruckt. Das Licht einer weissen Neonröhre, das vom ebenfalls metallenen, auf dünnen Beinchen stehenden Tisch reflektiert wurde, stach mir in die Augen. Verbittert bäumte ich mich auf und liess meinen Blick flüchtig durch den Raum schweifen. Er war vollständig betoniert, nur über eine der vier kahlen Wände erstreckte sich ein abgedunkeltes Fenster. Mr. Carter lachte mir sein dröhnendes Lachen direkt in sein Gesicht, worauf zu meinem Abscheu etwas Spucke in mein Gesicht flog.
„Haha, werte Dame, verraten Sie mir, wieso ich das tun sollte? Wieso sollte ich Sie laufen lassen, wo es doch gerade interessant wird?“.
Ich warf den Kopf angewidert zurück, als er sich ganz nah meinem Gesicht zuneigte und mir zuflüsterte: „Und das wird es, das wissen Sie“.


Suchend tastete ich über den Rand des Lavabos und krallte mich schliesslich erneut daran fest. Mit einem Ruck zog ich mich keuchend unter Anstrengung hoch und drohte dabei sogleich wieder das Bewusstsein zu verlieren. Ich sah Funken vor meinen Augen sprühen und mein Kopf drohte zu zerbersten. Ein leises Wimmern kam über meine Lippen. Ich brauchte sofortige Hilfe. Irgendein Medikament...ohne Rücksicht riss ich die nächstbeste Schublade unter dem Spülbecken auf und wühlte darin umher. Zu meiner bitteren Enttäuschung jedoch war alles, was meine Hand zu fassen bekam, ein zerfranster, weisser Waschlappen. Erbost ob meiner Erfolglosigkeit schmetterte ich ihn gegen die Wand und sah ausdruckslos zu, wie er zu Boden glitt. Dieser war bestückt mit schwarzen, unliebsam kalten Platten und feucht dazu. Kälte kroch meine Zehen hoch und liess mich frösteln. Stumm öffnete ich den Wasserhahn, der meiner Hand beinahe abrutschte, doch es floss kein Wasser. Sowie mir klar wurde, dass ich nicht einmal mehr auf frisches Wasser hoffen konnte, fühlte sich meine Kehle gleich um einiges trockener an. Ich schluckte schwer und sah mich gezwungen, Hilfe von aussen zu holen.
@RPGamer: Da haben sich aber einige Fehler eingeschlichen, wie ich sehe.

Mr. Carter lachte mir sein dröhnendes Lachen direkt in mein Gesicht sollte es heissten, nicht sein. Ausserdem kommt das Wort "Gesicht" in diesem Abschnitt zu häufig vor, finde ich.

PS: Kritik nicht persönlich nehmen:)
(test)
TEST.
Musst ich kurz ausprobieren! (sry!)
Ein paar Fehler sind mir aufgefallen (kleine aber trotzdem...)

Meine Beine fühlten sich wie Blei an. (....) Ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt.
Is zwar ne persönliche Meinung, aber irgendwie hört sich das unschön an, wenn du zwei mal "fühlten" schreibst.


Ich starrte (....) Ich versuchte (...) Ich hatte (...)

Vielleicht solltest du für "ich ersatweise etwas anderes einsetzen,
sowie: Ich riss die Augen auf, starrte.....
Is zwar auch nich so gut gelungen, aber schon mal ein "Ich" weniger

Schmerz

Jo... das wars erst mal. Die Geschichte gefällt mir übrigens auch so gut, wie die andere, an der du im moment schreibst.

Ach ja, ich hätte da noch zwei Fragen:
1. wasmeinst du mit: ...und ließ meine Glieder allmählich wieder mit Gespür durchströmen
2. Was ist ein Lavabos?
Ich starrte (....) Ich versuchte (...) Ich hatte (...)
Es mag zwar dem Lesefluss schaden, doch ich wollte bei diesem Teil bewusst alles in abgehackte Sätze verpacken. So als ruckartige Abfolge von befremdenden neuen Dingen, die auf die Hauptperson einwirken. Naja, aber ich weiss, es hat so an dieser Stelle zu viel "Ich"s^^. Nun...*achselzuck*

1. Ich wollte damit das Gefühl beschreiben, wie die Glieder wieder aus einer...Taubheit erwachen, irgendwie^^. Also dieses Kribbeln, das man verspürt, wenn ein Körperteil "eingeschlafen" war^^. Ich weiss, es hört sich wirr an^^.
2. Es sollte Lavabo heissen, und in der Schweiz bezeichnet man damit dieses kleine Becken im Badezimmer, das meist unter dem Spiegel ist. Hmmm...wie sagt man dem auf Hochdeutsch? Spülbecken? Oder ist das nur das Ding in der Küche? Ich weiss es nicht, kann mir das jemand sagen? XD. Ich glaube, mein Begriff stammt aus dem Französischen und man schreibts auch noch anders, sorry, habe gerade den Durchblick nicht^^.
Das Spühlbecken ist glaub ich nur auf der Toilette. XD Und ja Lavabo kommt ursprünglich vom französischen. XD
okay.
zu 1: hab ich kapiert und mir gemerkt, wer weiß, wann man das mal verwenden kann :)
zu 2: du meinst nen Waschbecken glaub ich, das ist zumindest unter dem Spiegel im Badezimmer! XD

Na denn, danke für die Info (ach... und schön weiterschreiben...;) )
Ach soooo^^. Danke, hehe, jetzt fällts mir wie Schuppen vor die Augen. Danke für die Tipps, jetzt konnte ich schon alles korrigieren:). Weiter gehts:

Ohne Umschweife drückte öffnete ich die Tür, die mich aus dem Zimmer führen würde. Meine Hand hinterliess an der Klinke schweissige Spuren, was mich jedoch herzlich wenig kümmerte. Ich fühlte mich, als müsste ich mich gleich übergeben, als ich mich voller Zweifel nach vorne lehnte und argwöhnisch nach rechts und nach links blickte. Ich fand mich in einem schmucklosen Gang wieder, der in Zwielicht getaucht war. An der Decke hingen von Spinnen heimgesuchte, dürftige Lampen, und der teppichbedeckte Boden wies ein kariertes Muster auf. Mühselig zwang ich meinen schwachen Körper, der jede Sekunde den Geist aufzugeben drohte, schliesslich ganz aus dem Zimmer und schloss die Tür wieder. Ein helles Klirren verriet mir, dass der Schlüssel von aussen im Schloss steckte. Ohne richtig zu wissen, ob es überhaupt notwendig war, schloss ich die Tür ab und steckte den Schlüssel in meine Tasche. Meine sehnige Hand fuhr dabei an der von einer klebrigen Flüssigkeit durchtränkten Innenseite des Stoffs entlang, weshalb ich sie so schnell wie möglich wieder zurückzog. Wo hatte ich mich gestern nur rumgetrieben? Eine Frage, die ich lieber unbeantwortet liess. Die Stiche im Kopf liessen mir keine Ruhe und mein Magen rebellierte, als ich wieder meiner Umgebung gewahr wurde. An der Wand neben der Tür entdeckte ich einen Lichtschalter. Ich drückte ihn, doch das erhoffte Ergebnis blieb aus. Die Lichter blieben erloschen, auch, als ich energisch mehrmals auf den Schalter einhämmerte. Er war schmutzig und schien fettig zu sein, weshalb ich schnell aufgab. Das einzige, was mir jetzt noch Licht spendete, waren diese kleinen, entlang der Decke angrenzenden, trüb abgeschirmten Fenster. Ich bemerkte, wie sich etwas im unteren Winkel meines Blickfeldes bewegte. Rasch huschten meine Augen auf den Boden, doch da erblickten sie nichts weiter als eine kleine, behaarte Spinne direkt vor meinen Füssen. Als hätte sie meinen Blick bemerkt, flitzte sie augenblicklich davon, und ich sah gelassen, uninteressiert zu, wie sie im nächsten Loch in der Wand verschwand. Kein anderes Lebewesen teilte den Gang mit mir, und alles schien wie ausgestorben. Trotzdem hielt ich es für Notwendig, auf mich aufmerksam zu machen.
„Hallo?“, wollte ich rufen, doch meiner Kehle entwich nur ein trockenes Krächzen. Ich hustete und räusperte mich, wobei ich spürte, wie sich der Schleim in meinem Hals nur noch hartnäckiger festsetzte. Ich hustete erneut, wobei sich Speichel in meinem Mund sammelte. Mein Zustand verschlechterte sich zunehmend, musste ich voller Unruhe feststellen. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass ich nicht einmal richtig wahrnahm, dass mir gar niemand geantwortet hatte. Nach einer Weile in bedrückender, schwerer Stille tätigte ich einen weiteren Versuch.
„Ist da jemand?“, krächzte ich, doch die Antwort blieb auch dieses Mal aus. So blieb mir nichts übrig, als mich in Bewegung zu setzen. Die ungewöhnliche, langatmige Ruhe wollte nicht abbrechen, und an meine Ohren drang nur das Geräusch meiner schwankend vorwärts tapsenden Schritte auf dem Teppichboden. Er war im Gegensatz zu jenem im Zimmer rauer und war bespickt mit widerspenstigen Borsten, die in diesem dunkelblauen Meer kaum zu erkennen waren. Vor der nächsten Tür, an der ich vorbeiging, blieb ich kurz stehen und fragte mich, ob ich wohl anklopfen sollte. Nein, ich verwarf ich die Idee wieder, es hatte keinen Sinn, irgendwelche schlafenden Privatpersonen zu belästigen. Es war besser, wenn ich mich zur Rezeption aufmachte. In Anbetracht dessen glaubte ich am Ende des Ganges verschwommen ein weisses Schild zu entdecken, das sehrwahrscheinlich darauf hinweisen musste. Die Schrift, deren einzelnen Lettern ich nicht genau zu erkennen vermochte, war rot. Ich wusste nicht, weshalb mir gerade dieser Gedanke durch den schweren Kopf ging, doch dieses Rot hatte fast schon etwas Warnendes an sich. Ohne weitere Aufmerksamkeit darauf zu verschwenden, setzte ich langsam schleichend meinen Weg fort. Meine Schritte wirken von Mal zu Mal immer müder und schleiften dann nur noch über den Boden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich erneut zusammenbrechen würde. Nun gut, hier auf dem Teppichboden würde sich dies ein wenig angenehmer ereignen als im Badezimmer. Sowie ich an diesen Sturz dachte, glaubte ich kurz vor meinen Augen ein Bild aufblitzen zu sehen. Ein Gesicht, mir ganz nah...Es verschwand wieder, bevor ich es richtig einordnen konnte. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und schleppte mich weiter. Der gang schien mir endlos lang vorzukommen, und als ich schon darüber nachdachte, mich vor Erschöpfung an die Wand sinken zu lassen, ertönte gedämpft ein helles, durchdringendes Geräusch. Es hatte den Anschein einer Art...Sirene, die von draussen zu kommen schien. Polizei? Feuerwehr? Auf jeden Fall nichts, worüber ich mir im Moment Sorgen machen musste. Oder doch...? In einer unbewussten Bewegung rieb ich mir die aufgeschürfte Hüfte.
Schliesslich kam ich in einer Art Lobby an. Zu meiner Linken befand sich tatsächlich die Rezeption, und auf dem Schild, das ich von Weitem gesehen hatte prangte tatsächlicher der entsprechende Hinweis. Doch etwas an dem Schild war ungewöhnlich. Als ich es nämlich genauer betrachtete, fiel mir auf, dass zwischen dem „R“ und dem „E“ ein roter, verschmierter Farbfleck befand. Innerlich ärgerte ich mich schon über diese Unachtsamkeit dieses schmuddeligen Hotels. Als mein Blick hinter die Theke fiel, entdeckte ich mit Missgefallen wiederum niemanden. Ein Wunder, dass alle Zimmer dieser Institution auch noch besetzt waren. Es befand sich kein einziger Schlüssel mehr an der Holztafel, an der diese normalerweise aufgehängt hätten sein müssen.
„Hallo! Hört mich jemand!“, rief ich und wurde langsam sichtlich nervös. Wieso kam hier nur keiner? Aufgebracht trat ich an die Theke und hielt Ausschau nach irgendeinem Rufknopf, da traf mein Blick etwas Ungewöhnliches. Alle ausgehändigt geglaubten Schlüssel lagen hinter der Theke, wild verstreut, auf dem Boden. Es schien, als hätte sie jemand mit grosser Hast niedergerissen. Was war hier nur geschehen?
„Hallo?“, rief ich erneut, doch meine Stimme verblasste schnell, als sie lediglich von Schweigen empfangen wurde.
Etwas...etwas Ungutes musste hier vonstatten gegangen sein. Ich atmete tief durch, um nicht von Angst übermannt zu werden. Bleib ruhig, es besteht kein Grund zur Sorge, redete ich mir gut zu. Doch gleichzeitig beäugte ich aus den Augenwinkeln das Schild...
Der Entschluss war schnell gefasst. Ich musste mir schleunigst ein Bild von der Lage machen, irgendjemanden finden, der mir helfen konnte! Obwohl die Kopfschmerzen mich dabei wieder in die Knie zwingen wollten, drehte ich mich um und lief raschen Schrittes zum Ausgang. Hastig öffnete ich die Ausgangstür...und fuhr schreckartig zusammen.

Kapitel 2 ist im Anmarsch, die Frage ist nur wann^^.
hihi....
bin schon wieder da! :)

Diesmal is mir doch tatsächlich nichts aufgefallen, aber im ersten Satz: Ohne Umschweife drückte öffnete ich die Tür, die.....
Is das mit den zwei Wörtern Absicht oder nur nen Zufall?
Das war nur Zufall/Schreibfehler/Denkfehler/ kurzzeitiges Aussetzen meiner Konzentration^^. Ist mir wohl passiert, als ich den Satz zuerst mit "drückte" beginnen wollte, dann anders weiterfuhr und vergass, das Wort zu löschen^^. Passiert mir übrigens öfters, ebenso wie die Wiederholungen Wiederholungen XD. Naja, daran lässt sich arbeiten^^.

Ich hätte da noch eine Frage an alle Kritiker. Diese Geschichte sollte eine eher düstere (Horror)Story werden, und nun frage ich mich, ob ich hier dafür gute Atmosphäre aufgebaut habe, oder ob diese überhaupt vorhanden ist^^. Und wenn ja/nein, wie kann ich sie verstärken/aufbauen? Damit möchte ich hier nämlich ein wenig experimentieren, und ich erachte es für wichtig^^.
Kapitel 2 – Die verlorene Stadt


Der Schlüssel, um den ich meine Hand nur schwach gewunden hatte, fiel mir aus der Hand. Mit einem kaum hörbaren Geräusch landete er auf dem Boden und kullerte die kurze, dreistufige Treppe hinab, an dessen obersten Stufe ich stand. Als ich Angesicht in Angesicht mit dem erschreckenden Bild, das sich mir offenbarte, zurückwich, stiessen meine Fersen an die Schwelle, über die ich getreten war.
Ich stand am Rande einer grossen Kreuzung inmitten einer Grossstadt. In dessen Mitte hatte sich ein fürchterlicher Unfall ereignet. Zwei Autos waren, wie es schien, voller Wucht frontal ineinandergeprallt und kaum mehr als solche zu erkennen. Zerkratztes, gestauchtes Metall. Zerborstene Glasscheiben. Scherben, die den gesamten Boden wie ein bedrohlicher Teppich bedeckten. Ampeln, die rastlos ihre Farbe von Rot auf Grün wechselten. Schillernde, verlorene Ölflecken auf der Strasse. Ein beissender Geruch nach verbranntem Gummi. Verlassene, völlig ausgestorbene Strassen. Kühler Wind, der an den Fenstern von riesigen Wolkenkratzern rüttelte. Dort ein von Rost zerfressenes Fahrrad. Am Strassenrand verteilt mehrere quer stehende Autos, die nicht mehr funktionstüchtig wirkten. Zerstörung, wohin das Auge blickte. Geschäfte, in die eingebrochen sein musste. Abgerissene, zerbeulte Strassenschilder. Ein vorbeiwehender Plastiksack eines Einkaufszentrums. Irgendwo in der Ferne schwarzer Rauch, der aufstieg. In einem fast schon surreal wirkenden Ton erstrahlte das Licht der frühen Morgensonne die unwirkliche Szenerie. Die Strahlen trafen auf Asphalt, auf Beton, auf verbrannte, spärliche Grasflächen, auf mein Gesicht.
Wo war ich hier nur hineingeraten?
Wie in Trance trat ich Stufe für Stufe die Treppe hinunter. Sie war rissig und bröckelte. Mein Blick schweifte wie in einem dunklen Albraum gefangen durch die Strassen, bis mich ein Geräusch aufschrecken liess. Es war ein Knirschen unter meinen Füssen. Augenblicklich richtete ich meine Augen auf den Boden und atmete erleichtert auf. Es war nur eine Glasscherbe. Halt...etwas daran war ungewöhnlich. Ich bückte mich und hob sie hoch, wobei ich mir mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Finger stach. Mit einem Aufschrei liess ich sie augenblicklich wieder fallen, als meine Hand etwas Klebriges auf dessen Oberfläche streifte. Blut!
Die Nerven aufs Äusserste angespannt wischte ich es sofort an meiner dreckigen Hose ab.
Verdammt, kreischte mein Inneres erstickt auf. Wohin zum Teufel noch mal hat es dich verschlagen?
Verzweifelt begann ich mich um meine eigene Achse zu drehen. Ich hatte keine Ahnung, wer ich war, geschweige denn, wo ich war. Alles, was mir geblieben war, waren wirre Fetzen irgendwelcher Eindrücke...wieder dieses Gesicht. Eine verzerrte Fratze. Emotionen...Freude, Trauer? Doch bevor ich weiter nachgrübeln konnte, schlugen wieder die Kopfschmerzen zu. Resigniert gab ich auf und wollte mich schon auf die unterste Treppenstufe sinken lassen, da erreichte mich das Geräusch von stapfenden Schritten. Ruckartig wandte ich meinen Kopf in alle Richtungen, da entdeckte ich den Verursacher jener Schritte, die in dieser Geräuschlosigkeit ungewöhnlich laut erklangen.
Es war ein alter, müde wirkender Mann mit wilden, zerzausten Haaren und zerlumpter Kleidung. Er hatte sich einen löchrigen Sack, der zu zerreissen drohte, über die Schulter geworfen. Sein Gesicht war schmutzig und von tiefen Falten durchzogen, und seine Füsse steckten in üblen, abgetragenen Schuhen. Den Blick starr, ausdruckslos zu Boden gerichtet, lief er der anderen Strassenseite entlang. Seltsamerweise schien er von all dem Chaos rund um ihn gar keine Notiz zu nehmen, ja, es schien ihm sogar gleichgültig zu sein.
„He! Sie da!“, rief ich und hetzte über die Strasse. Meine Beine knickten beinahe unter mir ein, doch in jenem Moment war mir dies egal.
Scheinbar erschrocken wandte der Mann mir sein Gesicht zu, als er mich erblickte, riss er zu meiner Verblüffung die Hände über den Kopf und rannte wie von der Tarantel gestochen davon.
„Ein Opfer! Ein Opfer!“, hallten seine halb wahnsinnigen Schreie durch die verlassene, zerstörte Umwelt, bis sie verklangen und mich verwirrter denn je zuvor alleine liessen.
„Warten Sie! Bitte!“, rief ich dem Unglücklichen hinterher, doch er hörte mich schon gar nicht mehr. Ich wollte ihm nachrennen, doch schon nach wenigen Metern erlag ich der Erschöpfung und blieb schwer atmend stehen. Meine Beine gaben unter mir nach und ich musste mich sofort an einem Anfalleimer festhalten, um nicht zusammen zu klappen.
„Warten...Sie...“, keuchte ich nur noch in einem schwachen Hauch über die Lippen, auch wenn es keinen Sinn hatte. Überhaupt erkannte ich den Sinn dieser ganzen Geschehnisse nicht! Glasigen Blickes betrachtete ich den Inhalt des Abfalleimers. Papier, faulige Essensreste. Opfer. Meine Hand schmerzte und meine Lunge brannte...Opfer? Ein mulmiges Gefühl, das ich nicht abzustreifen vermochte, kroch in mir hoch. Dennoch löste ich mich aus der Erstarrung und quälte mich weiter. Irgendwie musste ich herausfinden, was hier geschehen war, um jeden Preis.
Ohne Unterbrechung huschten meine Augen musternd hin und her, während ich die Strasse entlang lief. Keine einzige Menschenseele war mehr zu entdecken, die Morgensonne war meine einzige Begleiterin in diesem befremdenden Sumpf der Vernichtung. Wieso nur war dieser Ort so schlimm zugerichtet? Bomben? Krieg? Nein, sonst hätten die Fassaden auch zerstört sein müssen. Mehr sah es danach aus, als ob es einen Strassenkampf gegeben hätte. Ob jene in dieser Umgebung des Öfteren stattfanden, konnte ich freilich nicht sagen. In wirklich praktisch allen Geschäften, an denen ich vorbeilief, waren offensichtlich Waren entwendet worden. Vielleicht war dies ganze Chaos lediglich eine Folge von Plünderungen. Nein, so grossflächig konnte sich das auch nicht ereignet haben. Doch was war es dann? Ich konnte es nicht einmal richtig erahnen.
du hattest nach Spannungsaufbau gefragt, im Grunde kann ich da wenig zu sagen, bei mir funktioniert das eigentlich automatisch und das ist bei jedem auch anders, aber wenn ich deine Geschichte lese, finde ich schon, dass die Spannung gut aufgebaut wird. Außerdem kann ichs nie erwarten wann es endlich weitergeht, gerade weil es immer spannend ist.

FAZIT: Meiner Meinung nach, ist dir der aufbau gelungen, jetzt musst du sehn, was daraus wird. :)
@ RPGamer

Schreib das doch in den Schreiberlings-Allerlei-Thread

Und ich werde mich erstmal sehr ausführlich mit dem Thema befassen. Ich brauch zuerst immer etwas Wissen aufstocken, um mir eine Meinung bilden zu können.

Was diese Geschichte betrifft... Ich hab sie noch nicht gelesen, aber ich nehms mir vor, fürs we.
@Kualquappe: Hmmm...also, in diesem Schreiberlings-Thread habe ich schon deinen Post entdeckt, der eigentlich alle Fragen klärt^^. Dort wird die Atmosphäre ja auch erwähnt. Oder meinst du die Atmosphäre spezifisch für eine Horror-Story?
Ja, dachte Ich eigentlich. Ich hab, glaub ich, nur von Landschaftsbeschreibungen gesprochen. Spannungsaufbau hab ich noch nie wirklich behandelt. Ausserdem haben Horrorstories ein eigenes Schema...
Ok, dann stell ich die Frage mal rein:)

@ira: Ich weiss ja schon, was daraus wird, hehe^^. Ich hab mir alle Ideen schön handschriftlich auf 3 A4-Seiten aufgeschrieben. Es kommt aber wohl noch mehr dazu...
Nach einiger Zeit des gedankenverlorenen Voranschreitens fand ich mich am ersten Pfeiler einer breiten Autobahnbrücke wieder, worunter sich ein Fluss durchschlängelte. Da kein einziges Auto über die Brücke fuhr, liess ich es mir nicht nehmen, der Mitte der Strasse entlang zu wandern. Je weiter ich die Brücke überquerte, desto freier erstreckte sich die Sicht auf das Häusermeer, in das es mich verschlagen hatte. Glasige, moderne Gebäude, die das Licht der Wärme spendenden, immer höher steigenden Sonne spiegelten, ragten empor. In der Ferne liess sich sogar ein Riesenrad entdecken, das aber aussah, als würde es in nächster Zeit nicht mehr so schnell anlaufen. Alle Bemühungen, mich an ein spezifisches Gebäude oder an einen Anblick in meiner Umgebung zu erinnern, scheiterten kläglich. Nichts gab es, das mir bekannt vorkommen könnte, nichts, das ich auf eine Weise wiedererkannt hätte. Mit einem Seufzer begab ich mich letztlich doch an den Rand der Brücke, um ins Wasser zu starren. Der Fluss war trüb und floss regelrecht zähflüssig dahin. Ein Ufer gab es nicht, der natürliche Lauf war schonungslos kanalisiert worden. Schwärze bergende, schlundartige Abwasserröhren ergossen ihren bräunlichen Inhalt unverdriesslich in das Gewässer und liessen es in Schmutz und Schlamm erfüllen. Nach munterem Geplätscher lauschte man vergebens, und den Grund des Flusses hätten auch die schärfsten Augen nicht erhaschen können.
Entsetzt schrie ich auf.
Unter der Brücke tauchte träge schwimmend eine Menschenleiche auf.
Obwohl mein Herz zunächst sprunghaft tobte und schliesslich ganz aussetzte, konnte ich den Blick von diesem grauenhaften Anblick nicht abwenden. Der Körper, mit dem Gesicht nach unten, war von einer mit Blut durchtünchten Jacke umhüllt. In den nassen Haaren hatten sich Algen und Geäst verfangen. Die Arme waren in unnatürlich verrenkter Haltung weit vom Körper abgespreizt und die Beine seltsam verdreht.
Erst nach einigen Sekunden konnte ich mich aus der Lähmung reissen, die mich erfasst hatte. Mein Magen begann sich wieder heftig zu drehen, als ich herumwirbelte und mich wie ein Stein kraftlos vor Schrecken gegen das Brückengeländer sinken liess. Mein Atem stockte und ich vergass beinahe, Luft zu holen. War hier auch noch gemordet worden? Angesichts dieses Unheils plagten mich wieder die immer heftiger werdenden Kopfschmerzen, die ich verfluchte. Schwarze Flecken vor meinen Augen...in einer fahrigen Bewegung liess ich die Hand unwillkürlich in die Hosentasche sinken und staunte nicht schlecht, als meine Finger auf einmal etwas Dünnes zu fassen bekamen. Die Pein war plötzlich wie weggeblasen und ich nestelte dieses Etwas voller Neugierde hervor. Wie sich herausstellte, war es ein kleines, verwaschenes Stück Papier. Nichts liess sich darauf erkennen, worauf ich es enttäuscht zu Boden rieseln liess. Es landete auf der Rückseite...doch...da war doch etwas! Begierig beugte ich mich darüber und starrte mit Verzücken auf die schwarzen Lettern, um gleich darauf wieder enttäuscht zu werden. Meine Augen erhaschten lediglich eine sinnlose Aneinanderreihung von drei Buchstaben.
GFL.
Ärgerlich stöhnte ich auf. Damit konnte ich beileibe nicht viel anfangen. Aus Frust liess ich es achtlos in den Fluss fallen und stierte trübselig vor mich hin.

„Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen, Mr. Carter!“, drängte ich energisch.
„Alles hat seine Zeit“, entgegnete er spöttisch abwinkend und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Sagen Sie es mir, oder sie werden nichts mehr von mir erfahren!“, presste ich einen Ausweg suchend hervor. Da wurde er wütend und donnerte mit der Faust auf den Tisch.
„Sie wollen mich wohl erpressen?!“, brüllte er lauthals und fuhr auf. „Wachen!“, rief er, während ich meine Haut an den Handschellen aufschürfte. Sofort stürmten zwei kräftig gebaute Männer in den Verhörraum und ich wand mich mit einem erbosten Aufschrei, als einer der Wachen mit der Hand schon meine zerbrechliche Schulter zu zerquetschen drohte. Mr. Carters Lippen verzogen sich zu einem schadenfreudigen Ausdruck und er sagte sachlich, in erstaunlich schnell wieder gewonnenen Ruhe: „Keine Sorge, ihr könnt sie lassen“. Mit Erleichterung spürte ich, wie sich die Hand fast schon widerwillig von meiner Schulter löste. Ich brauchte jedoch keinen Blick über die Schulter zu werfen, um zu wissen, dass die Wachen immer noch Unheil heischend hinter mir lauerten. Unangekündigt stand Mr. Carter auf einmal auf und begann imponierenden Schrittes im Raum auf- und abzulaufen. Mit ärgerlich, aber zugleich angstvoll verzogenem Gesicht beobachtete ich jede seiner Bewegungen.
„Was...wollen Sie von mir?“, stiess ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, doch weitaus nicht mehr so selbstsicher wie vorhin. Als er mir nicht antwortete, rüttelte ich abermals nun mehr mit Verzweiflung als Wut an den Handschellen, doch sie wollten nicht nachgeben. Ich musste hier raus!
Cool ^^
(nur damir du nich denkst, keiner liest!)
Ein Geräusch ertönte. Ich blickte auf und lauschte, konnte es aber zunächst nicht richtig einordnen. Da erkannte ich, dass es ein fahrendes Auto sein musste. Seltsam...es hörte sich so...unwirklich, meinen Ohren fremd an, und doch fuhr tatsächlich ein Wagen über die Brücke, an dessen Rand ich sass. Es war ein dreckbespritzter, schwarzer Geländewagen mit einer Frontscheibe, die Risse und mehrere Löcher aufwies. Ein immerwährendes Quietschen und rohes Rattern verrieten ebenfalls, dass dieses Gefährt die besten Tage hinter sich hatte. Es fuhr langsam und vorsichtig zu mir heran, als würde den Insassen jeden Moment Unglück widerfahren. Ich versuchte, einen Blick auf den Fahrer zu erhaschen, doch die Sonne verhinderte dieses Unterfangen. Je näher das Auto kam, desto zögernder, langsamer fuhr es, bis es schliesslich genau vor mir stehen blieb. Eine Weile lang geschah nichts. Dann, mit einem Ruck, wurde die Scheibe auf der Seite hinuntergekurbelt. Entgegen blickte mir ein ausdrucksloses, schmales Gesicht.
„Sind Sie verletzt?“, schwang eine tiefe, raue Stimme zu mir. Der Mann, dem ich mich gegenübersah, sprach mit tiefstem Ernst. Mit der Hand strich er sich über die drahtigen, braunschwarzen Haare, wobei ich sah, wie ein unscheinbarer, fleckiger Verband um einen Finger gewickelt war.
„Nun...ja...“, erwiderte ich ungewiss und spürte wie auf ein Zeichen meine schmerzenden Glieder. Ich bemerkte, wie er mit gerunzelter Stirn meine Arme musterte, bevor er anbot:
„Wieso steigen Sie nicht ein? Hier sind Sie nicht sicher“.
„Einsteigen?“, wiederholte ich unsicher und rappelte mich mühsam auf. Schutz suchend hielt ich mich am Geländer fest und beäugte den Mann misstrauisch. Er schien etwa vierzig Jahre alt zu sein und trug eine braune, zerknitterte Jacke. Eine dicke Goldkette hing um seinen Hals, die über einem weissen T-Shirt ruhte.
„Ja, kommen Sie, ich bringe Sie aufs Land“, gab er mir knapp Antwort, winkte zu sich heran und stiess schon die Beifahrertür auf. Ich rührte mich nicht vom Fleck und zweifelte. Konnte ich diesem Mann wirklich vertrauen? Doch...was hatte ich schon für eine andere Wahl? Alleine würde ich hier früher oder später zu erliegen kommen. Mit einem Röcheln schleppte ich mich zum Auto und liess mich erschöpft in den Sitz fallen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie sich ein leichtes, seltsam triumphierendes Lächeln auf dem Gesicht des Mannes breitmachte, bevor er mit einem lauten Knall die Tür zuschlug. Auf irgendeine Weise liess mich dieses Geräusch mit Reue durchströmen. So schnell wie möglich verdrängte ich dieses Gefühl und wandte mich stattdessen dem Mann zu, der bereits wieder zu fahren begonnen hatte. Seine Finger krallten sich übertrieben fest ans Lenkrad, als könnte es ihm jeden Augenblick aus den Händen rutschen. Auf seinem Gesicht sah ich Schweissperlen, und doch...da war immerzu dieses leichte Grinsen.
„Geht...geht es Ihnen gut?“, fragte ich vorsichtig. Der Mann würdigte mich nur kurz eines flüchtigen Blickes, bevor er sich wieder scheinbar schwer konzentriert, mit gerunzelter Stirn, der Strasse zuwandte. Er liess seine bleichen Knöchel in einer plötzlichen Bewegung über das Lenkrad tanzen, als er murmelte:
„Ja...ja. Mich müssen sie nicht fragen“.
Er liess ein gekünsteltes Husten vernehmen und schürzte die Lippen.
„Sie wirken angespannt“, bemerkte ich, doch anstatt mir zu antworten, fragte er:
„Wollen sie Wasser?“. Er wühlte, ohne seinen Blick von der Strasse abzuwenden, unter seinem Sitz herum und brachte eine Wasserflasche zu Tage, die er mir in den Schoss warf. Nachdem ich erschrocken nach Luft geschnappt hatte, nahm ich sie mit zitterigen Fingern in die Hand, öffnete sie und wollte schon von Durst geplagt bedenkenlos zu trinken anfangen, da stupste mich der Herr an. Ich liess die Flasche sinken und starrte direkt auf seine dargebotene Hand. Darauf befand sich eine kleine, unscheinbare Kapsel.
„Nehmen Sie“, riet er mir und nickte wohlwollend. Ohne nachzudenken griff ich zu und spülte sie mit dem Wasser die Kehle hinab. Vielleicht war es nur mein subjektives Empfinden, doch es schien mir sogleich um einiges besser zu gehen. Ich richtete meinen Blick aus dem Fenster. Was ich vorbeirauschen sah, unterscheid sich nicht von Vorherigem. Während ich mit Unverständnis all die Zerstörung betrachtete, verfiel ich in eine angespannte Starrheit und konnte meine Augen einfach nicht mehr von der Umgebung lenken. Flackernde Brände, Chaos auf den Strassen. Gähnende Leere in meinem Kopf...da, kurz ein Blitzlicht aus dunklen Abgründen meiner Vergangenheit...schon war es wieder verschwunden. Alles war so fremd, so neu...als wäre es von einem anderen Stern. Mein Kopf fühlte sich benommen leicht an, erfüllt von frischen, wenn auch schrecklichen Eindrücken, die ich noch nie gesehen hatte. Ich wollte wissen, was hier geschehen war. Ich wollte wissen, wer ich war. Ich musste es wissen. Emotionslosen Blickes liess ich die Landschaft an mir vorbeischweifen. Farben verwischten sich, rostiges Braun, zwiespältiges Grau, tiefdunkles Schwarz...ferne Schreie, die in meinen Gedanken widerhallten. Ich konnte sie nicht einordnen und ärgerte mich darüber. Doch mein Gesichtsausdruck blieb gefühllos. Es war, als würde dieser Ort den letzten Rest aus meinem nahezu unexistierenden Lebenslauf saugen. Ja, ich lebte erst seit ein paar Minuten...so kam es mir zumindest vor. Als ich mein eigenes Antlitz in der Autoscheibe widerspiegeln sah, fragte ich mich, wie alt ich wohl war. Zwanzig? Dreissig? Runzeln liessen sich auf jeden Fall keine entdecken. Nebenbei...der Mann hatte mich nicht einmal nach meinem Namen gefragt. Zum Glück nicht. Trotzdem, dies verstärkte dieses unbehagliche Gefühl, das ich ihm gegenüber hegte. Möglichst unauffällig schielte ich auf sein Spiegelbild und bemerkte, dass sein Blick peinlichst genau an meinem Körper entlang wanderte. Er heftete sich auf meine Hüfte, riss sich nach einigen Augenblicken davon los und huschte nervös zu meinem Gesicht. Ich blinzelte, nicht wissend, wie ich reagieren sollte. Es lag etwas...Gieriges in seinen Augen.
^^

Du wartest bestimmt auf Kritik, oder?
Ich geb mir auch wirklich Mühe, aber bis jetzt hab ich einfach noch nichts gefunden.
obwohl ich sagen muss, dass mir der Teil richtig gut gefällt. Ich mag es, wie sie ihren Gedanken nachhängt, überlegt, den Mann an ihrer Seite beobachtet. Hoffentlich kannst du das Niveau der Story auch halten! ^^ Obwohl da bestimmt keine Probleme auftauchen dürften!
Mach nur weiter so und ich les immmer mit......
(oh,oh.... war das nicht wohl ein Fehler so viel zu verraten?? Vielleicht wär es doch besser mich loszuwerden.... :))
Ich möchte solch eine treue Leserin doch nicht loswerden:)
Als ich mich dem Unbekannten wieder zuwandte, richtete er seinen Blick sofort wieder auf die Strasse. Ein leises, verwundertes „Hm“ kam über meine Lippen, doch er hörte es nicht. Zumindest tat er so, als hörte er es nicht.
„Wie ist Ihr Name?“, wollte ich schliesslich scheu wissen. Zunächst machte es den Eindruck, als hätte er mich wiederum nicht gehört. Als ich den Mund schon ein zweites Mal öffnen wollte, erwiderte er abgehakt:
„Ist nicht wichtig“.
Ist...nicht wichtig? Was soll das heissen?! Das war es, was ich innerlich mit einem verständnislosen Kopfschütteln hervorpresste. Äusserlich zeigte ich wie in einer versteinerten Maske gefangen keine Regung.
„Und...weshalb...“, wollte ich nachfragen, doch die Worte blieben mir im trockenen Halse stecken, als der Mann schweigend in seinen Taschen herumwühlte, einen Kaugummi hervorkramte und in seinen Mund steckte. Wie wild begann er zu kauen, wobei ich ihm mit offenem Mund zuschaute. Ich wollte mich tief durchatmend in meinen Sitz zurücksinken lassen, doch das Leder fühlte sich auf einmal kratzig und ungemütlich an. Langsam, aber sicher begann sich Angst in mir breitzumachen. Etwas stimmte mit meiner Begleitung nicht, das spürte ich intuitiv. Etwas stimmte mit ihm nicht, etwas stimmte mit der Umgebung nicht, es stimmte einfach nichts!
„Hören sie...“, brach ich hervor, um gleich wieder von seinem Blick erstickt zu werden. Doch ich durfte auf keinen Fall locker lassen, das wusste ich.
„Was ist hier geschehen?“, fragte ich schon fast in forschem Ton, als müsste ich mich durchsetzen.
Keine Antwort.
„Können Sie nicht...?“, begann ich, verstummte jedoch abermals. Scheinbar ohne mich zu beachten schaltete der Mann das Autoradio an. Das einzige, was erklang, war ein fernes Rauschen. Wie wild drückte er alle möglichen Knöpfe und Tasten, blieb aber erfolglos. Wie in einer letzten Verzweiflungstat wirkend schob er den Regler für die Frequenz hin und her, doch auch dies brachte nicht den gewünschten Effekt. Wir waren abgeschnitten.
„Verdammt!“, rief er in Rage und verwarf erbost seine Hände. Er trat roh gegen das Radio, sodass das ganze Armaturenbrett erzitterte, was das Rauschen nur noch verstärkte.
„Bitte...beruhigen Sie sich doch“, flehte ich verstört, doch er warf mir nur einen bösen Ausdruck zu.
„Seien Sie still“, knurrte er unfreundlich, worauf ich so weit zurückwich, dass mein Rücken die Wagentür berührte
„Was ist hier...“, wollte ich fragen, und es sollte mein letzter Versuch sein.
„Ich habe gesagt, seien Sie still!“, schrie er in mein Gesicht und ich zuckte völlig verschüchtert zusammen. Worte blieben mir keine mehr, und der Wissensdurst verliess mich zu meinem eigenen Schutze zugleich. Scheinbar konzentrierter denn je huschten seine Augen wieder über die Strasse, die vor uns lag, und seine Kiefermuskeln bewegten sich energisch schnell, während er den Kaugummi kaute, als wäre es eine Nikotintablette. Unverhofft murmelte er nach einiger Zeit ein einziges Wort:
„Autounfall“.
Draussen, hinter seinem Kopf, rauschte ein schwarzes, bis auf das stützende Skelett abgebranntes Haus vorbei.
oh... treue Leserin! Jaja.... wenn ich was mache, dann richtig. Wobei ich eig. viel zu oft hier bin. Ich müsste an meiner eigenen Geschichte arbeiten, aber das hier ist soooo viel besser und spannender.
Und ich muss sagen, wenn du so weitermachst gefällt mir das sogar noch besser als deine
andere(n) Geschichte(n).
Meiné Herren, was schreib ich hier eig. für dämliches Zeug rein? Ich sollte mich wirklich mal auf das Wesentliche konzentrieren.
Aber Fehler hab ich wieder mal keine gefunden, du scheinst überhaupt keine mehr zu machen, was an sich natürlich gut ist, aber doch irgendwie auch nicht weil dann muss ich hier immer so leeres Gelaber reinschreiben, sonst sieht das ja nach nix aus.....
(Zu mir selbst: Oh mein Gott! Mädchen hör auf zu labern und schick das einfach ab! Meine Herren! Ich bin wirklich verrückt!! *seufz*)
Verrückt sind wir doch alle XD.
muss wohl.....^^
Über sonstige Kritik wäre ich übrigens erfreut *auf Quappe, gufo etc. schiel*
Tut mir leid. Du bist zu schnell, ich komm nicht nach. Wenn ich mich aber erst richtig überwunden habe, werde ich natürlich meinen Kommentar dazu abgeben. Aber eben, ich und meine eigene Geschichte sind im Moment im Krieg, und den will ich nunmal nicht verlieren :/
Ich bin zu schnell? XD Ups, naja, dann werde ich wohl mal eine Pause mit posten machen und einfach im Word weiterschreiben.

PS: Ach, und ich hoffe, du gewinnst den Krieg *daumen heb*^^
Ui das ist spannend!!!! Fehler hab ich keine gefunden oder vielleicht schon aber ich hab nicht drauf geachtet, das war einfach zu spannend! Du beschreibst echt toll von deinem Schreibstil könnt ich mir mal ne Scheibe abschneiden ;) weiter so!

PS: Was is eigentlich mit Drachenmond los ich hör gar nichts mehr von ihr!
Es wird noch spannender (und überraschender)^^.
Die Story ist echt der Hammer.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich deine andere Geschichte nicht gelesen habe, doch jetzt werde ich mich auf jeden Fall gleich ransetzen.
Ich wäre froh, wenn ich so toll schreiben könnte, wie du.
Du hast wirklich großes Talent.
Ich hoffe, dass es bald weitergeht.
Boah ey danke für das Lob:)
Sorry ich war diese Woche gerade in den Ferien und konnte deshalb nicht weiterposten, aber in Zukunft werde ich das sicherlich wieder tun, wenn ich so positive Rückmeldungen bekomme.
So...nach langer Zeit des Wartens kommt wieder einmal etwas Neues (und Längeres). Ich hoffe, das Interesse an meiner Story hat sich noch nicht im Sande verlaufen. Eins gerade vorweg: Dieser Teil wird ziemlich ungemütlich...ich brauchte selbst etwas Überwindung, um ihn niederzuschreiben. Aber lest selbst:

Kapitel 3 – Das Virus


Fortan herrschte während der Fahrt bedrücktes Schweigen. Einzig und allein das gedämpfte Rattern und Heulen des alten Motors war zu hören. Durch die Löcher in der Frontscheibe wehte heulend der Wind, und es klang wie ein bedrohliches, anprangerndes Klagen, das stieg und sank. Ich betrachtete die Löcher genauer. Es waren keine gewöhnliche Löcher...sie waren in erstaunlich regelmässiger, peinlichst genauer Form rund, und sie alle waren gleich gross. Von den Rändern breiteten sich jeweils viele kleine, feine Risse aus, die wie jeden Moment zerreissende Spinnweben aussahen. Sie hätten von Pistolenschüssen stammen können...ich strich mir eine Haarsträhne aus dem nassen Gesicht und fragte mich, wie ich solche Dinge vermuten konnte. Alles, das spürte ich irgendwie, alles Wissen über solch weltliche Dinge war noch vorhanden. Nur Erinnerungen fehlten. Vielleicht...vielleicht litt ich nur unter Amnesie. Innerlich lachte ich auf. Nur. Doch die kurze Welle der bitteren Vergnüglichkeit verebbte rasch und wich wiederkehrender Anspannung, als ich den Mann an meiner Seite musterte. Jeder seiner Bewegungen folgte ich mit Argusaugen. Wie es schien, hatte er sich inzwischen wieder beruhigt, zumal ihm ein befreites Seufzen entwich, als er die glücklicherweise funktionierende Klimaanlage anschaltete. Seltsam...es war nicht einmal heiss.
So schnell wie möglich verdrängte ich ihn aus meinem Sichtfeld und meinen Gedanken und nahm die Umgebung in Augenschein. Die Landschaft veränderte sich zunehmend. Waren vorhin noch mächtige Wolkenkratzer vorherrschend gewesen, so traf ich nun lediglich noch reihenweise gegliederte Familienhäuser an. Wir mussten durch ein Vorstadtquartier fahren. Bald schon aber wich auch diese trügerische Idylle und die Häuser huschten immer wie mehr vereinzelt und alleine dastehend vorbei. Saftiges, ein wenig trostreicheres Grün nahm zu und glänzte in der Sonne. Hie und da zierten sogar Bäume meinen Blick. Letztendlich waren wir wohl „aufs Land“ gekommen. Da blieb nur die Frage, was er hier wollte...
Obwohl meine Augen nur zufällig zum Rückspiegel wanderten, blieben sie sofort daran haften. Von hinten näherte sich etwas. Es war gross und gräulich angehaucht...ein Lastwagen. Es gab also doch noch jemanden!
„Sehen Sie!“, rief ich unverhindert aus und wies mit ausgestrecktem Finger auf meine Entdeckung im Spiegel. Auf der holprigen Landstrasse, auf der wir nun fuhren, wirbelte der Lastwagen trockenen, in lichten Wolken verwehenden Staub auf. Nur schemenhaft konnte ich ihn ausmachen, und die Scheibe war abgedunkelt. Die Plane bauschte im Wind auf und die Räder waren mit Schmutzflecken übersät. Er näherte sich uns erstaunlich schnell.
Zu meinem Verblüffen sah ich mit an, wie der Mann neben mir in seinem Sitz unruhig hin- und herzurutschen begann. Er stiess einige Fluchwörter aus und seine Hände krallten sich kräftiger denn je am Lenkrad fest.
„Bitte...könnten Sie nicht anhalten?“, fragte ich ihn argwöhnisch. Ich musste ihn so schnell wie möglich loswerden und alles in Erfahrung bringen, dachte ich grimmig.
„RUHE!“, brüllte mich der Mann und ich schrie auf, als er mit seiner schmierigen Hand meine Haare packte und mich hernieder zog. Die Angst peitschte mir förmlich ins Gesicht. Mit erschrockenem Wimmern lauschte ich seinem immer panischer wirkenden Atem und starrte auf den zerrissenen Teppich, der mir zu Füssen lag. Meine Augen weiteten sich.
Dort lag eine Pistole.
Erneut schrie ich auf, doch der Mann presste mich nur noch fester in den Sitz. Meinen Nacken durchzuckte ein rasender Schmerz. Verzweifelt versuchte ich mich aufzubäumen, was mir auch für eine kurze Weile gelang, nur um wieder gewaltsam niedergedrückt zu werden. Doch jener Augenblick hatte mir gereicht, um zu erkennen, was in den Mann gefahren war: Er starrte gebannt mit verzerrtem Gesicht immerwährend auf den Rückspiegel. Der Lastwagen war uns bereits rasant näher gekommen und würde nach wenigen Metern die hintere Stossstange berühren. Ein mehrmaliges, tief in meinen Ohren dröhnendes Hupen erklang. Er würde uns erbarmungslos überrollen!
Am Rande des mir Ersichtlichen nahm ich wahr, wie der Mann das Gaspedal bis zur Grenze des Möglichen strapazierte, doch der Lastwagen kam unausweichlich immer näher. Ein Knall ertönte und der ganze Wagen erbebte. Unser Verfolger hatte uns mit gerammt. Durch die Wucht des Aufpralls verlor der Mann für einen Augenblick die Kontrolle über mich, was ich schonungslos ausnützte. Mit einem schrillen Schrei riss ich mich los und versuchte die Pistole zu ergreifen, doch er war schneller und schnappte sie unter meinen zitternden Händen weg. Ehe ich es mir versah, berührte das Ende des kalten Laufs meine Schläfe. Schreckliche Schauer liessen meinen ganzen Körper in Todesangst krümmen.
„Bleib unten oder ich töte dich!“, brüllte er. Ich bückte mich widerstandslos, worauf er halb in Angst, halb in Wut wieder in den Rückspiegel starrte.
Verdammt!“, fluchte er, als der Lastwagen uns erneut rammte.
Da geschah es.
Der Wagen geriet ins Schlenkern und kam von der Strasse ab. Der Lastwagen raste an uns vorbei und wir steuerten direkt auf einen Baum zu. Instinktiv riss ich die Tür auf und stürzte mich hinaus. Farben verwischten, Schmerz, Boden. Ich war auf dem Gras gelandet. Mein Kopf begann wieder fürchterlich zu schmerzen und meinen Knöchel durchfuhr ein brennender Pfeil. Ich stützte mich auf die Arme und wurde dabei fast ohnmächtig. Dennoch warf ich instinktiv einen Blick über den geschundenen Rücken. Entgegen meiner Befürchtungen war der Wagen nicht in den Baum geprallt, sondern war einige Meter daneben quer und dreckbespritzt zu stehen gekommen. Vom Mann war keine Spur zu sehen. Meine Chance war gekommen. Ich konnte fliehen! Doch dieses Unterfangen erwies sich schwieriger als erwartet. Zum einen, da ich meinen Knöchel verstaucht hatte und kaum mehr laufen konnte. Zum andern, da ich in diesem Moment gerade auf eine auf mich gerichtete, schwarz glänzende Waffe starrte.
„Oh nein, du entkommst mir nicht, Mädchen!“, drohte er und grinste hämisch. Von seiner Nase tropfte Blut und über sein Gesicht zogen sich zahlreiche Schürfwunden, doch daran schien er sich nicht zu stören.
„Sie...“, wollte ich beginnen, doch ein in meinen Ohren schmerzendes Klicken ertönte.
„Noch ein Wort, und ich erschiesse dich!“, rief er, und auf seinem Gesicht erschien ein wahnsinniges, schadenfrohes Grinsen. Die Hand, mit der er die Waffe umschlungen hatte, war angeschwollen und aufgeschürft, und über seine abgewetzten Hosen zog sich eine Dreckspur. Die Haare waren wild zerzaust und in seinem Blick lag kein kleinster Hauch von Freundlichkeit mehr, sollte sie überhaupt je dagewesen sein. Machtlos stand ich ihm gegenüber und konnte keinen Finger mehr rühren. Ich wollte ihn fragen, was er von mir wollte und weshalb er mich hierhin schleppte, doch ein Kloss war in meinem Hals stecken geblieben. Meine Hände ballten sich in zittriger Erwartung. Was hatte dieser Kerl vor? Dass es nichts Gutes war, daran hatte ich schon längst keine Zweifel mehr. Um weiter nachzudenken blieb mir keine Zeit.
„Umdrehen!“, bellte er barsch und ich tat wie geheissen.
Erstaunt wollte ich innehalten, als ich mich einem neuen Anblick gegenübersah, doch dies wurde mir verwehrt.
„Laufen!“, befahl er mir, und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich dem Bauernhof zu nähern, zu dem er mich dirigierte. Ich spürte, wie er die Pistole in meinen Rücken stiess und mit seiner Hand über meine schwarzen Haare fuhr. In Abscheu wollte ich sie von meinem Kopf streifen, doch ich konnte nicht. Was für ein ekliges...
„Na mach schon!“, knurrte er und stiess mich vorwärts, sodass ich stolperte und mich auf den verletzten Fuss stützen musste, um nicht umzufallen. Tränen des Schmerzes stiegen in meine Augen, doch ich er zwang mich unbarmherzig weiterzuhumpeln. Verstört richtete ich meine Augen auf die Gebäude, die mitten auf dem Feld standen. Ein alt wirkendes, zerfallenes Wohnhaus und daneben ein vollständig aus Holz gezimmerter Schuppen. Das weit ausladende, tief stehende Dach des Wohnhauses war aus Stroh und sah teilweise wild zerrupft aus. Vor dem Haus war ein kleiner Garten zu finden, der allerdings wohl schon lange nicht mehr gepflegt worden war. Neben dem Schuppen befand sich ein kleiner, schlichter Parkplatz, auf dem ein Auto stand. Im Gegensatz zu den anderen Autos schien es noch einigermassen intakt zu sein, und Rost liess sich auch nicht entdecken. Das einzige, was mir daran seltsam erschien, war, dass jemand das Nummernschild abgerissen hatte. An dessen Stelle prangte nur noch ein schwarzes Metallgebilde. Vielleicht wohnte hier noch jemand? Meine Hoffnung schwand jedoch wieder, als ich eine achtlos liegen gelassene Heugabel entdeckte, vor der Eingangstür des Hauses weilte. Auch hier sah es aus, als ob eine überstürzte Abreise stattgefunden hätte. Oder doch nicht? Das Auto stand ja noch da...
Wie sich herausstellte, machte sich mein Peiniger darüber herzlich wenige Gedanken. Stattdessen liess er mich zielstrebig auf den Schuppen zusteuern, und ich ersparte mir zu fragen warum. Resigniert leistete ich seinem Drängen Folge und ergab mich der völligen Machtlosigkeit. Was hätte ich schon tun können, ich, die nicht einmal wusste, wer sie selbst war? Mein Kopf schwirrte und ich taumelte, als mich der Mann mit einem Stoss anwies, die Tür des Schuppens zu öffnen. Schweren Herzens legte ich die Hand um den hölzernen Türknauf und fing mir dabei Spriessen ein. Mit schmerzverzerrtem Gesicht liess ich die Tür aufschwingen und sah mich zunächst vollkommener Dunkelheit gegenüber. Dann, allmählich, gewöhnten sich meine Augen an den spärlich belichteten Schuppen. Erhellt wurde er nur von Ritzen in den Wänden und vom unsorgfältig gezimmerten, lückenhaften Dach. Im Dunkel konnte ich mehrere kleinere Heuhaufen ausmachen, die von den einfallenden, zwielichtigen Lichtflecken beleuchtet wurden. Es herrschte Stille. Niemand war da und nichts war zu hören. Abgestandener Geruch nach fauligem Stroh ergab sich mir in der stickigen Luft. Eine mit unvollständigen Sprossen besetzte, krumme Leiter führte hinauf zu einer halben, oberen Etage, auf der wohl noch mehr Heu lag.
Völlig unerwartet versetzte mir der Mann einen heftigen Tritt in den Rücken und ich stürzte mit einem gequälten Aufschrei zu Boden. Stroh stach mir in die Hand, als ich sie zu Boden presste um mich aufzurappeln. Immer noch wagte ich es nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Jähzornig, wie dieser Kerl war, würde er nicht zögern, mich zu töten.
Du mieses Schwein, schrie mein Inneres, doch es kam nur ein schwaches Stöhnen über meine Lippen, als ich mich aufrappeln wollte. Ich wandte mich auf dem Boden windend um und zuckte erschrocken zusammen, als der Mann bereits über mir stand. Im Zwielicht war nur noch seine Silhouette zu sehen, die noch bedrohlicher wirkte als er selbst. Wie gelähmt musste ich mit ansehen, wie sich sein stiefelbesetzter Schuh hob und direkt über meiner Hand niederfuhr. Ich konnte sie gerade noch im letzten Moment zurückziehen, bevor er mit einem lauten Knall auf den Schuppenboden donnerte. Nun bekam ich es mit der Panik zu tun. Was hatte er vor? Mein Atem ging flach und ich kroch von ihm weg, auf die Wand des Schuppens zu. Ich hechtete regelrecht darauf zu und schaffte es schliesslich, mich daran aufzurichten. Mit schmerzenden Gliedern stand ich auf die Füsse und drohte gleich wieder zusammenzusacken, doch ich hielt mich mit zusammengebissenen Zähnen.
„Dreh dich um!“, blaffte er, und seine Stimme klang furchteinflössend. In einer Grimasse der Angst verzerrte ich das Gesicht und begann am ganzen Körper zu zittern. Ich wusste, wenn ich jetzt keinen Ausweg fand, würde etwas Schreckliches geschehen. Doch...es gab keinen Ausweg. Ich war gefangen. Mein Herz drohte zu zerspringen und ich stöhnte vor Schrecken leise auf.
Ich wirbelte herum und starrte ihm direkt ins hässliche Gesicht.
Sein Blick schweifte eingehend an meinem ganzen Körper entlang.
„Und jetzt, mein Mädchen...wirst du dich ausziehen“.
„NEIN!“, heulte ich schmachvoll auf.
„Tu was ich sage!“, schrie er beherrschend und schritt mit hoch erhobener Pistole auf mich zu. Er richtete sie direkt auf meine Stirn. Ich regte mich nicht. Seine Augen blitzten gierig auf. Ich atmete hysterisch. Ein dreckiges Lachen sprang über seine Lippen, als er mir seine Waffe gegen die bleiche Stirn presste.
„Lassen Sie mich gehen...bitte...“, bettelte ich und Tränen flossen über mein Gesicht. Ich verstand es nicht...ich verstand es einfach nicht! Ich kniff die Augen zusammen, wollte es nicht sehen. Seine Hand krallte sich an meinem Oberteil fest. Ein schreckliches, schmutziges Gefühl durchdrang mich. Ich verzerrte qualvoll das Gesicht. Abstossung, ekelhafte Abstossung gegen ihn und gegen diese ganze Welt ergriff mich. Ich spürte das Metall, spürte, wie es sich in meine Stirn bohrte. Ich wollte schreien, wollte mich wehren, doch ich konnte es nicht. Wie erstarrt wähnte ich mich in diesem schrecklichen Augenblick, der mir jeglichen Verstand raubte. Es war, als würden kalte Wellen über mir zusammenbrechen, mich vernichtend niederdrücken. Warum nur? Warum? Sein Griff verstärkte sich und ich röchelte ringend nach Luft...ich fühlte mich, als würde ich ob dieser entwertenden Abscheulichkeit ersticken. Meine Lungen blieben leer, so panisch ich sie auch zu füllen versuchte.
Urplötzlich zeriss ein ohrenbetäubender Schuss die Luft.
Ich kreischte auf.
Etwas Warmes spritzte auf mein Gesicht.
Ich wartete...wartete auf den Schmerz, auf den Tod. Doch er kam nicht. Ich war nicht tot. Langsam öffnete ich die Augen und sah das fratzenhafte Gesicht meines Peinigers direkt vor mir. Die Augen...seine Augen wirkten seltsam verändert, auf bizarre Weise...ausdruckslos. Gräulich. Trüb. Sein Griff um mein dünnes Kleidungsstück lockerte sich, bis die Hand schliesslich vollkommen niedersank, erschlaffte. Sein ganzer Körper brach vor meinen Füssen zusammen und blieb auf dem Boden liegen. Da sah ich, was ihn zu Fall gebracht hatte:
In seinem Hinterkopf klaffte ein Schussloch, aus dem rinnsalartig Blut floss.
Er war tot.
Alles vor meinen Augen drohte zu verschwimmen und ich formte die Lippen zu einem stummen Schrei. Ich strich mir über das Gesicht und starrte auf meine Hände. Blut. Ich brachte kein Wort über die Lippen und konnte mich vor Angst kaum mehr halten. Ich sank auf die Knie und schüttelte vor Schrecknis verstummt den Kopf. Eine Stimme...zunächst erreichte sie mich nur schwach. Erst allmählich klärte sich mein vernebelter Zustand und das Geräusch drang in voller Lautstärke in meine Ohren.
„Alles klar bei Ihnen?“, erklang sie sicher und gefestigt, „Keine Angst, ich habe alles unter Kontrolle“.
Ich blickte auf. Auf der Türschwelle stand ein gross gewachsener Herr, ebenfalls mit einer Pistole in der Hand. Er hatte blonde, kurz geschorene Haare und eine lichte Sonnenbrille auf, welche die Augen getrübt durchscheinen liess. Er trug ein ihm eng über den breiten Schultern ruhendes T-Shirt und wirkte ziemlich muskulös. Weite Jeans umhüllten seine Beine und auf seinem Gesicht stand ein breites, selbstsicheres Lächeln geschrieben. Im Gegensatz zum anderen sah er noch einigermassen gepflegt aus, stellte ich fest. Doch das war noch längst kein Grund, ihm zu vertrauen. Als er einen Schritt auf mich zu machte, wich ich instinktiv in die hinterste Ecke des düsteren Schuppens.
„Gehen Sie weg von mir!“, schrie ich angsterfüllt und hielt in einer fahrigen Bewegung die Hände schützend vor mich hin. Der Mann jedoch liess sich nicht aus der Ruhe bringen. Stumm breitete er die Arme aus und liess die Pistole unschädlich erscheinend von seinem Zeigefinger baumeln.
„Ich tue Ihnen schon nichts, versprochen“, versuchte er mich zu beruhigen, gleichzeitig bemerkte ich, wie sein Blick, genau wie bei seinem Vorgänger, flüchtig über meine Arme huschte. Da blieb er auf der Stelle stehen.
„Was...was wollen Sie von mir?“, stotterte ich bitter.
„Bleiben Sie wo sie sind. Ich kann nichts erkennen“, erwiderte er völlig zusammenhanglos. Und begann wieder, sich mir zu nähern, diesmal jedoch um einiges vorsichtiger. Dabei starrte er mit zusammengekniffenen Augen immerwährend auf meine Arme, die unruhig an meinem Körper entlang fuhren. Er näherte sich mir bis auf wenige Meter. Ich rührte mich nicht. Ohne den Blick von mir abzuwenden stiess er mit dem Fuss grob die Leiche zu meinen Füssen an, die daraufhin auf den Rücken rollte. Schnell wandte ich meinen Blick von dem bleichen Gesicht ab, sah aber, wie der Mann vor mir die Hand des Verstorbenen musterte.
„Hatten sie irgendwelchen Kontakt mit Infizierten?“, fragte er forsch.
„Was? Wovon...wovon reden Sie?“.
„Ob Sie Kontakt mit irgendeinem Kranken hatten“, erklärte er ungeduldig.
„Wie? Ich...nein...ich weiss nicht, was sie meinen“, erwiderte ich verständnislos.
„Hmmmm“, machte er und stierte erneut auf meine Arme. Kaum merklich nickte er dann schliesslich mit dem Kopf und der argwöhnische Ausdruck schwand.
„Gut. Sie scheinen in Ordnung zu sein. Wie heissen Sie?“, fragte er freundlicher. Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
„Ich...weiss nicht“, antwortete ich schamvoll und wurde wieder von leichtem Schwindel ergriffen.
„Was soll das heissen, sie wissen es nicht?“, knurrte er, „Hören Sie, das ist ein äusserst schlechter Zeitpunkt, Spässe zu treiben. Nun sagen Sie!“.
„Tut mir leid, aber ich...kann mich einfach nicht erinnern!“, presste ich hervor.
„Sie können sich nicht erinnern?“, fragte er zweifelnd nach.
Als Bestätigung liess ich ihm nur ein Nicken zukommen. Zu mehr war ich nicht fähig, da der Schreck immer noch in meinen Knochen sass.
„Und Sie lügen nicht?“, wollte er mit drohendem Unterton wissen. Ich verneinte stumm und presste mich enger gegen die Wand, und diesmal stiegen Tränen in meine Augen. Mein Gegenüber liess ein Seufzen ertönen, und ich konnte nicht unterscheiden, ob es erleichtert oder verzweifelt klang.
„An was können Sie sich dann erinnern?“, fragte er, diesmal möglichst sanftmütig. Die Worte begannen über meine Lippen zu sprudeln.
„Nur daran...dass ich...dass ich in einem Hotelzimmer aufgewacht bin...ich...ich ging hinaus...und...sah all dieses unglaubliche Chaos...dann traf ich auf diesen Mann und...“. Meine Stimme versagte.
Mit steinerner Miene meinte er: „So. Kommen Sie, wir sollten das draussen besprechen“. Er wollte nach meinem Arm greifen, doch ich schrie auf und riss ihn weg, sodass er an der hölzernen Wand aufschlug. Während ich versuchte, meinen Atem zu beruhigen, sah ich, wie der Mann fragend die Augenbrauen hob. Seinem Unverständnis konnte ich nur selbiges entgegenbringen.
„Bitte...lassen Sie mich“, keuchte ich, und meine Stimme klang schwach und ausgelaugt. Achselzuckend drehte er sich um, ging zur Tür hinaus und ermahnte mich: „Kommen Sie aber nach draussen. Die frische Luft wird Ihnen gut tun. Ach, übrigens, ich heisse John. John Baker“. Schon war er aus meinem Blickfeld verschwunden.
Einige Zeit lang stand ich verlassen in der Dunkelheit. Ich lauschte meinem pochenden Herzen und fragte mich, was ich tun sollte. Keinesfalls konnte ich es riskieren, den gleichen Fehler ein weiteres Mal zu begehen. Sollte ich jenem Mann vertrauen? Er hatte mich gerettet und schien nicht bösartig zu sein, doch der erste Eindruck konnte täuschen. Ich krümmte meine geplagten Finger. Er hatte von Infizierten gesprochen. Was ging hier vor? Ohne es zu wollen, fiel mein Blick beinahe automatisch auf meine Arme. Es liess sich nichts Ungewöhnliches entdecken. Eine schreiende Stimme in meinem Kopf. Opfer. Ich erschauderte kalt.
„Kommen Sie, Namenlose“, riss mich Johns spöttische Stimme aus den Gedanken.
Unsicher löste ich mich von der schützenden Wand und stellte mich auf beide Beine. In einem inneren Kampf scharrte ich über den mit Stroh bedeckten Boden. Ich musste mich entscheiden. Doch...konnte ich das überhaupt? Zerrüttet strich ich mir über die Haare.
„Was ist mit Ihnen los?“, ertönte die Stimme von John, diesmal lauter. Er streckte den Kopf zur Schuppentür herein.
„Ich...komme“, erwiderte ich, und meine Stimme schwankte unsicher. Letztlich überwand ich mich und setzte meine Beine in Bewegung. Zögernd folgte ich ihm zur Tür hinaus und wurde von hellem Tageslicht geblendet. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete ich ihn, wie er beschäftigt zum Auto auf dem kleinen Parkplatz schritt und die Tür aufriss.
„Steigen Sie ein“, meinte er und meine Nackenhaare stellten sich zu Berge.
„Ist...das Ihr Wagen?“, fragte ich argwöhnisch und nahm sein Nicken höchst skeptisch entgegen. Immer noch nicht wusste ich, ob ich ihm wirklich vertrauen konnte.
„Weshalb sind Sie ausgerechnet hierher gekommen?“, wollte ich wissen, in der Hoffnung, ihn irgendwie entlarven zu können. John zuckte gelassen mit den Achsen und erklärte: „Ach, ich musste nur meine Vorräte aufstocken“. Auf seinem Gesicht erschien ein unschuldiges, fast schon kindlich anmutendes Lächeln.
„Welche Vorräte?“, fragte ich schnell nach.
Kopfschüttelnd ging John um den Wagen herum und stiess den Kofferraum auf. Ich starrte auf den Inhalt und konnte lediglich ein paar Kisten voller gefüllter Plastiksäcke ausmachen. Er folgte meinem Blick, griff in einen der Säcke und holte einen Brotlaib hervor.
„Zufrieden, Miss Namenlos?“, fragte er leicht genervt und schwenkte den Laib vor meinen Augen energisch hin und her, bevor er ihn wieder einsteckte. Kaum hatte ich auch nur andeutungsweise genickt, schlug er den Kofferraum wieder zu und schnitt eine Grimasse, welche ich nur noch aus den Augenwinkeln wahrnahm, da mein Blick schon zur liegen gelassenen Heugabel huschte.
„Sie wohnen aber nicht hier?“, fragte ich mit Unbehagen.
„Nein. Und wehe, Sie gehen dort rein. Drinnen liegt einer von denen“.
„Von...denen?“, wiederholte ich und ein unangenehmes Kribbeln erfasste meinen Körper.
„Na, einer von denen eben. Sagen Sie bloss, sie wissen davon nichts?“, gab John grimmig zur Antwort.
„Ich habe es Ihnen doch bereits gesagt! Ich weiss von gar nichts!“, erwiderte ich verzweifelt aufgebracht.
„Ja ja, schon gut, nun reissen Sie sich zusammen!“, gab er energisch zurück. Ich verstummte. „Pah, und nun verlangen Sie wohl von mir, dass ich Ihnen alles erzähle, oder was?“. Ich erwiderte nichts, sondern starrte ihn nur voll Ungewissheit an. John seufzte, fasste sich an den Kopf und räusperte sich, bevor er schilderte:
„Nun...wenn Sie wünschen. Wo soll ich anfangen? Alles begann damit, dass vor einiger Zeit eine unbekannte Krankheit in unseren Gefilden ausbrach. Sie hat Ähnlichkeiten mit der Pest. Die Symptome sind neben schwarzen Flecken auf den Armen und Händen auch starke Gelenkschmerzen, Übelkeit und Müdigkeit. Die Krankheit wird vermutlich durch ein aggressives Virus übertragen und kann schon nach einer Woche zum Tod führen. So habe ich es zumindest erlebt. Die Inkubationszeit beträgt vielleicht zwei bis drei Stunden. Glücklicherweise scheinen Sie aber nicht betroffen zu sein. Im Gegensatz zu den anderen unzähligen Menschen. Irgendwo in einem verfluchten Dreckloch fand das alles einen Anfang und breitet sich von nun an unaufhaltsam aus. Das, was wir hier haben, ist keine Epidemie mehr. Es ist eine verdammte, grossflächige Pandemie. Niemand weiss, woher es kam und wie es entstanden ist, aber es fordert täglich neue Opfer. Nur noch wenige leben. Es ist hochinfektiös und kann schon nur durch Berührungen übertragen werden. Wenn ich Sie wäre, würde ich also höllisch aufpassen!“.
Mein Atem stockte angesichts dieser ungeheuerlichen, neuen Nachrichten und ich strich mir erneut über das Haar. Mir war, als spürte ich brennend immer noch jene schmutzige Hand, die sich auf mich gelegt hatte.
„Und...dieser Mann im Schuppen...er war...infiziert?“, fragte ich voller Furcht.
„Nein“, gab John knapp zurück, was mir ausreichte, um erleichtert aufatmen zu können. Doch da drängte sich eine neue Frage auf.
„Und was hat es mit all dieser Zerstörung in der Stadt auf sich?“.
„Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass Sie nur noch eine Woche zu leben hätten?“, stellte er eine Gegenfrage, die mich sprachlos liess.
„Ach ja...und da sind noch diese Roboter“, erwähnte er fast schon beiläufig.
„Was?“, presste ich irritiert hervor.
„Wie auch immer, genug der Märchen. Na, was ist, steigen Sie jetzt endlich ein?“, drängte er mich ungeduldig und stieg selbst in das Auto. Ich dachte jedoch noch lange nicht daran, ihm Folge zu leisten.
„Weshalb haben Sie kein Nummernschild?“, wollte ich skeptisch wissen und rührte mich nicht vom Fleck.
„Hab’s abgerissen. Ist eine reine Sicherheitsmassnahme“, gab er mit den Augen rollend Antwort, „Sonst noch irgendwelche Fragen, Miss Namenlos?“.
„Ja. Wohin wollen Sie mich bringen?“, fragte ich leise.
„Das ist doch klar, verdammt! Egal wohin, Hauptsache so weit wie möglich weg von hier! Oder wollen sie etwa hier bleiben?“.
Ich schwieg.
Er stöhnte ärgerlich auf und fügte hinzu: „Hören Sie, meine Geduld hat langsam ein Ende“.
„Können...Sie mir auch sagen, weshalb Sie mich mitnehmen wollen?“, stiess ich hervor.
„Weil ich Ihnen helfen will, was denn sonst? Aber hallo, wir sind hier nicht in irgendeiner dämlichen Quizshow!“.
„Und weshalb wollen Sie mir helfen?“, fuhr ich unbeirrt fort und musterte seine Gesichtszüge. Zunächst machte er den Eindruck, als wollte er mich anschreien, dann jedoch schienen ihm die Worte im Hals stecken zu bleiben. Als er mit der Hand auf das Steuerrad trommelte, wirkte er, als würde er um eine Antwort ringen. Er öffnete und schloss kopfschüttelnd den Mund und liess einige abgehakte, unverständliche Laute vernehmen, bis er schliesslich trocken auflachte.
„Mein Gott, diese Fragen können auch nur Frauen stellen. Na gut, von mir aus. Sie müssen sich nicht helfen lassen. Wie wär’s, wenn ich jetzt einfach davonfahren und Sie Ihrem Schicksal überlassen würde, hm? So, wie Sie aussehen, würden Sie schon nach wenigen Tagen alleine hier draufgehen. Wollen sie das?“.
„Ich...nein...ich wollte doch nur...“, stammelte ich.
„Nein? Na eben. Und nun steigen Sie endlich ein, bevor ich Sie wirklich im Stich lasse!“.
Resigniert gab ich mich geschlagen und begab mich mit einem kaum hörbaren, unsicheren Seufzer zum Wagen. Nein, alleine wollte ich hier sicherlich nicht bleiben. Ich liess mich auf den weichen Ledersessel des dunkelgrünen Jeeps fallen und sank förmlich darin ein. Diesmal schloss ich die Tür eigenhändig und fuhr mit den Händen über meine Hose. Das Auto wies eine stattliche, wenn nicht sogar protzige Inneneinrichtung auf. Ausladende Armaturen und ein mit Fell überspanntes Lenkrad. Es war angenehm warm und am Rückspiegel war ein Duftspender angebracht, der die Form eines Tannenbäumchens hatte. Neben mir war John gerade dabei, sich eine Zigarette anzuzünden.
„Könnten Sie das bitte unterlassen?“, bat ich ihn.
„Haha, ich wusste, es würde Ihnen gefallen, Miss Namenlos“, überhörte er mich und patschte grinsend seine grobschlächtige Hand auf meine schmerzende Schulter. Imponierfreudig schob er in einer lässigen Bewegung eine CD in die Musikanlage des Autos, schaltete sie an und nahm einen tiefen Zug. Schon wurde ich von lauter Musik, blauem Dunst und unangenehm kribbelnden Stichen in der Schulter überrumpelt und er betätigte das Gaspedal. Unsere Fahrt ins Ungewisse begann mit einem Satz nach vorne.
also, habs auch wieder gelesen und mir ist abgesehen von der genialität dieses abschnitts nur aufgefallen, dass du einmal geschrieben hast, dass der lastwagenfahrer das Auto gerammt hätte, aber nicht geschrieben hast womit ich mein, da feld ein nomen. Da steht er hatte uns mit gerammt.
naja.... das wars auch schon. hoffentlich gehts bald weiter
danke...werd ich gleich mal nachschauen:)
"genialität dieses abschnitts" ist sehr gut getroffen, ira!
habs auch wieder gelesen und wie immer alle Fehler überlesen^^
bin gespannt auf den nächsten Teil!!
Tadaa:) Ich hab hier wieder was. Ist auch ein bisschen länger geworden, dafür wieder ein ganzes Kapitel an einem Stück. Sorry, wenn der eine oder andere mit Lesen nicht mehr nachkommt, aber ich kann einfach nicht anders, als ab und zu doch weiterzuposten.

Kapitel 4 – Schreckliche Gewissheit


Auf einmal hielt Mr. Carter Inne und drehte sich langsam zu mir um.
„Sie wollen also wissen, was ich von Ihnen will“, murmelte er monoton und seine Mundwinkel verzogen sich nach unten. Er tätigte einen Schritt auf mich zu und ballte die Hände zu Fäusten. Seine Augen blitzten auf, als er sich direkt vor mir aufbaute und sich von oben zu mir niederbeugte. Ich blickte zu ihm auf, sah dieses breite, fiese Gesicht und den Hals, der von einem gepflegten Kragen eines dunklen Geschäftsanzugs mitsamt roter Krawatte umgeben war. Sein Mund öffnete sich und es entblössten sich weisse, saubere Zähne und eine Zunge, die suchend darüber fuhr. Ein kaum merkliches, herablassendes Kopfschütteln zeigte er mir, bevor er endlich antwortete:
„Ich will dasselbe, was Sie wollen, junge Frau“.
Er holte tief Luft und sagte mit entschlossen klingender Stimme nur ein einziges Wort:
„Gerechtigkeit“.
Ich spuckte ihm geradewegs in das Gesicht.


„Wollen Sie was essen?“.
John stupste mich mit seinem massigen Ellbogen an und ich schreckte aus meinen Gedanken auf.
„Wie? Nein...danke“, erwiderte ich wie aus einem Traum erwacht.
„Sie müssen doch Hunger haben?“, bohrte er zweifelnd nach.
„Nein, nein, es geht schon“, erwiderte ich abwinkend. Daraufhin zuckte er mit den Achseln und bemerkte: „Ja, ja, geben Sie sich ruhig zäher als Sie sind. Falls Ihnen dann doch einmal der Magen knurren sollte, wissen sie ja: Ich bin immer für Sie da“. Er grinste und ich seufzte.
Die Landschaft, durch die wir fuhren, blieb weitgehend unverändert. Eine einzige, mittlerweile zum Glück asphaltierte Strasse führte durch das trockene Grün ohne jegliche Kurven ins Unbekannte. Sie wurde zunehmend breiter und mehrspurig und entpuppte sich als eine Art Autobahn, die jedoch genauso verlassen erschien wie die Landstrasse. Wir waren die einzigen, die durch diese Gegend fuhren, geprägt von stiller Weite. Die Felder reichten teilweise bis zum Horizont, nur manchmal liessen sich kleinere Wälder und schroffe Gebirge in der Ferne ausmachen, ihre grauen Zacken klagend in den Himmel gerichtet. Hie und da erblickte ich einige Bauernhäuser und Wassertürme, die im aufkommenden Nebel bis zur Unkenntlichkeit verblassten. Das Wetter veränderte sich alsbald und wurde trüber. Graue Wolken hingen in Fetzen am Himmel und verdeckten die immer schwächer scheinende Sonne. Kornfelder wogten im Wind und ein Donnergrollen war zu hören. Ein Windrad traf meinen Blick, und ich sah zu, wie es einsam quietschend immer schneller drehte. Schon trommelten die ersten Regentropfen auf das Dach des Wagens. Ich lauschte dem Wasser, wie es am Metall aufspritze, beobachtete, wie es sich in Strömen einen Weg über die Frontscheibe hinab bahnte. Ohne dass ich es beabsichtigt hätte, blickte ich für einen kurzen Moment in unguter Vorahnung in den Rückspiegel. Zu meiner Erleichterung blieb diese Vorahnung unbestätigt, niemand folgte uns.
„Ist was?“, fragte John plötzlich. Er war meinem Blick wohl gefolgt und sah nun interessiert über seine Schulter.
„Ach, nein. Es ist nur...als ich mit diesem anderen Mann zusammen war, da hätte uns ein Lastwagen beinahe ohne Rücksicht überrollt“.
„Hehe, keine Sorge, Miss, meine Karre ist bestimmt schneller als einer von diesen Benzinfressern“, gab er zurück. Scheinbar litt er unter dem stetigen Zwang, mich beruhigen zu wollen.
„Ja, aber...ich frage mich, wieso jemand uns feindlich gesinnt hätte sein sollen“, wandte ich ein.
„Ach was, der wollte Ihnen sicher nicht schaden. Sie denken viel zu weit. Der hatte wahrscheinlich das gleiche im Sinn wie wir, nämlich möglichst schnell von hier zu verschwinden. Die wollen doch alle auch abhauen, diese panischen Heulsusen“.
Sein Blick glitt auf das Armaturenbrett.
„Ach, und da wir gerade von Benzin sprechen...das geht uns bald einmal aus“.
„Ich habe gedacht, sie haben alles unter Kontrolle?“, fragte ich und runzelte die Stirn.
Fast alles“, korrigierte John, „Und das ist besser als gar nichts“.
„Ich verstehe“, erwiderte ich knapp und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
„Was ist denn so amüsant?“, wollte er sogleich argwöhnisch wissen, „Finden Sie es denn lustig, in dieser gottverlassenen Umgebung auf eine Tankstelle zu hoffen?“.
Ich schüttelte nur stumm den Kopf und er wandte sich wieder der Strasse zu. Gedankenverloren sah ich einem herabfliessenden Wassertropfen zu. Ich versuchte, die umherschwirrenden Gedanken in meinem Kopf zu ordnen, die Erlebnisse zu verarbeiten. Da sass ich nun, neben einem Grossmaul, das nichts Besseres zu tun hatte, als mir gut zuzureden, nein, mir einzureden, seine Anwesenheit verwandle jeden Ort in den sichersten der Welt. Und da waren diese seltsamen Erinnerungen...eine Landschaft, Häuser...aus grosser Höhe...dann ein schmuckloses Gebilde...es sah wie eine Fabrik aus. Und da...Autos...viele Autos, zerstört...ein Schrottplatz. Alles verwirbelte und der Tropfen, den ich die ganze Zeit über beobachtet hatte, war am Rande der Scheibe angelangt. Scheibenwischer...hin und her, hin und her...ich schloss die Augen. Schwärze. Unerschlossener Raum, riesige Lücken, die nur darauf warteten, gefüllt zu werden. Unbeantwortete Fragen, verschiedenste Teile eines zersplitterten Puzzles. Mein Ziel war es, diese Teile früher oder später zusammenzufügen zu können. Die Frage war nur...wie?
Ein Schlagloch im nassen Asphalt liess mich aus dem tranceartigen Zustand erwachen. Johns Fahrtempo hatte sich verlangsamt. Scheinbar versuchte er so, möglichst viel Benzin einzusparen. Es war noch stürmischer geworden und der Regen peitschte nunmehr auf das Dach als dass er trommelte. Nur noch verschwommen konnte ich die Strasse vor meinen Augen erkennen, und ich bemerkte, wie John sich angestrengten Blickes im Sitz nach vorne lehnte, um sich mehr Sicht zu verschaffen. Ich beäugte die Benzinanzeige. Der Zeiger neigte sich bereits gefährlich nahe dem Nullpunkt zu, der Motor gab schon verdächtige Geräusche von sich und noch immer war keine Tankstelle in Sicht. Wir hofften wohl vergebens, dachte ich mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen.
Da glaubte ich, mitten auf der Strasse eine schattenhafte Gestalt zu erkennen.
„John! Dort, auf der Strasse!“, meldete ich mich. Sogleich erhöhte er das Tempo und der Wagen ächzte vermehrt. Auch ich lehnte mich nach vorne und presste meine Handfläche gegen die wasserüberströmte Scheibe. Durch die Ströme hindurch betrachtete ich die Erscheinung genauer. Tatsächlich, wenige Meter vor uns lief eine menschliche Gestalt des Weges. Sie hatte vollkommen durchnässte Haare und hinkte mit einem Bein. Als wir näher kamen und sie uns ihr Gesicht zuwandte, bemerkte ich, dass es eine Frau war. Ihr Gesicht war unheimlich bleich und eingefallen, und ihre Augen traten fast aus den Höhlen, als sie uns überrascht entgegenstarrte. Das einzige, was sie anhatte, war ein dunkler Pullover, und auf dem Arm trug sie etwas, das wie ein kleines Tuchbündel aussah. Das musste ein...
„Halten Sie an!“, rief ich John zu, doch er hörte mir nicht zu. Stattdessen fuhr er noch schneller und raste auf die Frau zu. Sein Gesicht hatte sich in einer angespannten Grimasse verzerrt.
„Was tun Sie da? Halten Sie sofort an!“, bedrängte ich ihn erneut. Ohne mir Antwort zu geben hätte er die Frau beinahe überrollt, wäre sie nicht im letzten Moment zur Seite gestürzt. Verständnislos sah ich durch den Rückspiegel zu, die sie mit schmerzverzerrtem Gesicht, das Bündel eng gegen sich gepresst, auf dem Asphalt zu liegen kam und nicht mehr aufstand.
„Sind Sie wahnsinnig?!“, schrie ich ausser mir, worauf John meine Schulter packte.
„Beruhigen Sie sich!“, befahl er mir, doch ich überhörte ihn.
„Weshalb haben Sie das getan? Die Frau hatte ein Kind!“, warf ich ihm erbost vor und wollte mich von ihm befreien, doch er packte nur noch fester zu.
„Nun hören sie mir zu. Kind hin oder her, die Frau war sicher eine Infizierte“, versuchte er möglichst sachlich zu erwidern, doch hörte ich ein wütendes Zittern in seiner Stimme.
„Woher wollen Sie das wissen?!“, kreischte ich erbost, da hielt er mir die Hand vor den Mund. Ich schnappte in überraschter Wut bebend nach Luft. Johns Blick huschte grimmig zwischen der Strasse und mir hin und her, während er mir erklärte:
„Jetzt seien Sie vernünftig. Wir müssen selbst das kleinste Risiko vermeiden. Was die Frau auf der Strasse machte, das geht uns nichts an. Es ist zudem kein Platz mehr hier im Auto für eine weitere Person mitsamt schreiendem Säugling. Sie würden uns bei unserem Vorhaben nur behindern. Und zum anderen ist das letzte, was ich will, infiziert zu werden und elendig zu verrecken! Verstehen Sie denn nicht? In dieser verdammten Welt ist kein Platz mehr für Nächstenliebe und Mitleid. Hier geht es nur darum, seine eigene Haut zu retten!“.
Ich wollte protestieren, doch er fuhr mit schneidender Stimme fort:
„Und wenn Ihnen meine Grundsätze nicht gefallen: Bitte, Sie wissen ja, wo die Tür ist!“.
Obwohl er mir nun die Hand vom Mund nahm, machte ich keine Anstalten mehr, ihm zu widersprechen. Mehr war ich damit beschäftigt, meine innere, brennende Wut zu zügeln. Welch rationalen Irrsinn er mir da vormachte! Es kochte förmlich in meiner Seele. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich vielleicht wirklich die Tür aufreissen und hinausspringen sollte. Bald schon jedoch verwarf ich den Gedanken wieder. Es hatte keinen Sinn, zumal er mich sowieso daran hindern würde, auch wenn er ständig das Gegenteil behauptete. Angespanntes Schweigen herrschte fortan, nur durchbrochen von den gelegentlichen, dumpf klingenden Geräuschen des langsam schwach werdenden Antriebs und der Musik. Ich verschwendete keinen Blick mehr auf ihn, wollte ihn meine Abneigung spüren lassen. Allem Anschein nach störte sich John jedoch herzlich wenig daran, wie ich aus seinem fröhlichen Pfeifen schloss. Vielleicht freute er sich ja daran, mir seine Macht unter Beweis gestellt zu haben. Vielleicht war er aber auch einfach nur dumm. Zu gerne hätte ich ihm in diesem Moment ins Gesicht gesagt, was ich von ihm hielt, diesem...seufzend brach ich meinen gedanklichen Wutausbruch ab. Auch dies hatte keinen Sinn. Was jetzt wichtig war, das war zweifelsohne...ha, da steckte doch wirklich ein Körnchen Wahrheit hinter Johns Worten, stellte ich missmutig fest. Es war zwar schwer zuzugeben, aber irgendwie mussten wir für den Moment tatsächlich unser Überleben sichern, sichern von einer Bedrohung, die ich nicht richtig kannte, und vor der ich nicht einmal wusste, woher sie kam. Aber war sie überhaupt da? Es konnte ja sein, dass John die ganze Zeit über ein hinterhältiges Spiel mit mir spielte und ich ihm blindlings vertraute. Vielleicht gab es ja gar keine „Infizierten“. Doch als ich wieder an die Stadt dachte...
„Sie machen aber eine düstere Miene. Haben Sie schlecht geträumt, Miss Namenlos?“, neckte er mich plötzlich und klopfte mir unerwartet auf die Schulter.
Ich verzog das Gesicht.
„Ah, ich verstehe. Ist doch kein Problem, Süsse“.
„Süsse?!“, rief ich empört und fuhr hoch. Enthaltend warf er den Arm in die Luft und fügte rasch beschwichtigend hinzu: „Schon gut, schon gut, Sie müssen sich deswegen nicht gleich aufregen“. Mit nun spöttischem Unterton fuhr er fort: „Belassen wir es also bei dieser dämlichen Förmlichkeit. Als ob wir uns nicht schon genug gut kennen würden. Dabei wollte ich mich bei Ihnen nur entschuldigen“.
„Sie? Entschuldigen? Wofür?“, fragte ich, als würde mir jemand weismachen wollen, der Himmel sei rot.
„Na, wegen vorhin. Ich weiss, ich habe ein bisschen grob reagiert. Aber ich will nun mal nicht krepieren“.
„War ja klar“, gab ich bissig zurück, worauf er nur den Kopf schüttelte.
„Haha, Sie sind ja erstaunlich wild“, murmelte er, grinste und imitierte dabei das Geräusch einer fauchenden Katze. Ich ersparte es mir, diese Geste zu deuten und hielt stattdessen nach einem Anhaltspunkt am Strassenrand Ausschau. Diesmal war uns Glück beschert, denn unerwartet tauchte ein Gebäude mit schwerem, rechteckig flachem Dach auf, auf dessen Rand erloschene Leuchtreklame prangte. Gerade, als ich die grünliche Schrift entziffern wollte, unterbrach mich John mit einem triumphierenden Ausruf dabei.
„Na endlich!“, stiess er erleichtert aus und liess einen freudigen Pfiff ertönen. Ohne Umschweife lenkte er das mit letzter Kraft stöhnende Fahrzeug zu einer Tanksäule hin, stieg aus und liess mich alleine im Auto zurück.
„John!“, rief ich, doch meine Stimme wurde schon vom kräftigen Zuschlagen der Tür erstickt. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stieg ich ebenfalls aus und wurde von kühlem Wind begrüsst, der mein trockenes Gesicht umwehte. Ich drehte mich um meine eigene Achse, damit ich mir ein besseres Bild von diesem Ort machen konnte.
Rund um uns fiel der Regen wie ein Vorhang um das Dach der Tankstelle. Keine weiteren Autos weilten hier, wir waren die einzigen Gäste. Der untrügliche Geruch nach Benzin ergab sich mir, und es herrschte beinahe vollkommene Stille. Mein Blick traf einen kleinen Laden. Durch die Fenster hindurch konnte ich nichts erkennen, da es darin stockdunkel war. Das einzige, was die Düsterheit durchbrach, war eine schwach leuchtende, flackernde Neonlampe an der hohen Decke. Das Prasseln des Regens und das energische Hantieren von John an eine der vier rostigen Zapfsäulen waren die wenigen Geräusche, die mir zu Ohren drangen. Und da war dieses stetige Klicken der Lampe, wenn sie jeweils an und aus ging. Ein von Abfall überquellender Container stand an der Ecke des scheinbar verlassenen Ladens und wirkte wie ein Mahnmal. Ein viereckiger, zusammen gefalteter Karton befand sich an der mit rissigen, trostlos grauen Backsteinen besetzten Wand, und daneben eine achtlos zu Boden geworfene Getränkedose, die wohl Teil irgendeiner Fastfood-Kette sein musste. Auch hier sah es so aus, als würde hier niemand mehr sein Unwesen treiben. Da...mir war, als hätte ich ein leises, rumpelndes Geräusch gehört.
Verdammt!“, lenkte John mit seinem Fluchen meine Aufmerksamkeit auf ihn, „Wieso haben die bloss keinen Saft mehr?“. Als mein Blick zu ihm huschte, sah ich gerade, wie er hinter dem Auto mit ölverschmierten Händen auftauchte. Mit einem wütenden Aufschrei trat er gegen die Zapfsäule und marschierte zur nächsten. Seiner Reaktion nach fand er nach einem schnaubenden Starren auf die wohl kaputte Anzeige wiederum nicht, was er sich erhoffte. Er fuhr herum und inspizierte die zwei verbliebenen Ölspender, wie es schien, wiederum ohne Erfolg. Zunächst sah er so aus, als wollte er sich geschlagen gegen eine Säule, die das Dach trug, lehnen, dann jedoch raffte er sich zusammen und blaffte mich an:
„Ich untersuche mal diesen Schuppen. Bleiben Sie da, wo Sie sind!“.
Ehe ich antworten konnte, war er schon hinter dem Laden verschwunden und hatte mich alleine gelassen.
„John!“, rief ich ihm nach, doch er hörte mich bereits nicht mehr. Was hoffte er dort zu finden?
Da...wieder dieses rumpelnde Geräusch. Es schien aus dem Laden zu kommen.
„Hallo?“, rief ich.
Niemand antwortete.
„Hallo?“, rief ich erneut, diesmal mit einem Zittern in der Stimme.
Wiederum niemand. Doch etwas...etwas musste dort sein. Ich beschloss, mich John zu widersetzen und mich vom Fleck zu bewegen. Zögernden Schrittes ging ich auf den Laden zu und presste beide Handflächen gegen die kalte Scheibe. Ich spähte hinein, konnte jedoch nichts erkennen. Es war einfach zu dunkel.
Wieder dieses Geräusch. Es hörte sich an, als würde etwas im Laden zu Boden fallen.
„Ist da jemand?“. Meine Stimme wurde zunehmend unsicherer und ich zwang mich, tief durchzuatmen. Auch, als ich gegen das Glas hämmerte, bekam ich keine Reaktion. Was sollte ich tun? Eine Gänsehaut überkam mich und mein Herz begann schneller zu pochen. Vielleicht war dort drin jemand, der meine Hilfe benötigte. Ohne gross zu überlegen begab ich mich kurzum zur Ladentür und öffnete sie. Mit einem unheilvollen Quietschen schwang sie auf, und ich trat in die Dunkelheit. Vergebens suchte ich nach einem Lichtschalter, als ich beim Geräusch der wieder ins Schloss fallenden Tür erschrak. Das Licht der Neonlampe fiel von draussen in trüben Strahlen in den Laden und erhellte ihn nur schattenhaft. Ich konnte die scharfkantigen Formen eines länglichen, niederen Regals ausmachen, das sich über die ungefähre Mitte des einzigen Raumes erstreckte. An den Wänden entlang waren ebenfalls Regale gleicher Höhe ausgestellt, und eines verströmte den Duft von verfallenen Esswaren. Ein leises, immerwährendes Summen war zu hören. Es kam wohl von einer in der Dunkelheit verborgenen Tiefkühltruhe. An der gegenüberliegenden Wand entdeckte ich gespenstische Leuchtziffern, die mir stechend ins Auge sprangen.
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Sie stammten von einer Kasse, die auf der mir gegenüberliegenden Theke stand. Der Boden war mit Fliesen bedeckt und vermittelte ein seltsam kaltes Gefühl in meinen Gliedern. Die weisse Decke wies zahlreiche Risse und Löcher auf. Auch hier traf ich nur Zeichen der Verwahrlosung an. Verschiedene Dosen, Flaschen und Verpackungen reihten sich in der Regalen auf, deren Inhalt ich nur erahnen konnte. Unwillkürlich griff ich nach einer Plastikflasche, der ein Sprühkopf aufgesetzt war, und untersuchte sie genauer. Der Inhalt war ein Mittel gegen Insekten.
Ein gequältes Stöhnen erklang.
Nach Luft schnappend liess ich die Flasche fallen. Es war zweifellos von der Theke gekommen.
„Hallo?“, rief ich und meine Stimme zitterte Mehr denn je.
Keine Antwort.
Dort musste jemand sein. Langsamen Schrittes bewegte ich mich auf die Theke zu. In der Furcht drohten meine Beine unter mir nachzugeben, doch ich hielt mich verbissen. Ich kam näher...meine Hände fuhren unruhig an den Regalen entlang und streiften die vielen Unebenheiten der dunklen, unerkannten Produkte. Der Schweiss brach aus und lief über meine Stirn. Ich atmete nur noch abgehakt, stossweise, nicht wissend, was mich erwarten würde. Ich kam noch näher...meine Füsse bewegten sich stockend über die Fliesen. Letztlich kam ich direkt vor der Theke zu stehen.
Ich wollte etwas rufen, doch da geschah etwas Erschreckendes.
Ohne jegliche Vorwarnung umschloss eine Hand die meinige.
Sie war von schwarzen Flecken übersät.
Ich wirbelte herum und starrte direkt in das Gesicht eines älteren Herrn. Seine Miene war zu einer schrecklichen, gequält verzerrten Grimasse verändert. Zerrissene Kleidung hing von seinen schlaff hängenden Schultern, und seine Arme waren spindeldürr. Seine Haare erschienen wild und zerzaust, und er trug darüber eine zerbeulte Kappe, wie sie einem Tankwart hätte gehören können.
„Helfen...Sie...mir...“, hustete er schwach, kaum hörbar hervor, und ich schrie panisch auf. In letzter Verzweiflung klammerte er sich wie in Todesangst wirkend an meine Kleidung, bevor er zusammenbrach und mit lautem Poltern auf dem Boden aufschlug. Ein brennendes Gefühl raste über meine Arme und ich wich zurück, nicht richtig erfassend, was gerade geschehen war. Ich prallte mit einem angstvollen Schluchzer gegen das Regal hinter meinem Rücken, woraufhin zahlreiche Waren zu Boden fielen. Verstört krallte ich mich daran fest und mein Atem ging immer schneller und immer lauter. Ich stöhnte auf und riss meine Hand hoch vor mein Gesicht. Wie von Sinnen stierte ich auf sie und krampfte sie zusammen. Das war ein Infizierter gewesen. Und er hatte mich berührt.
Zeitgleich mit einem erneuten Aufschrei, der meiner Kehle entwich, wurde die Tür des Ladens gewaltvoll aufgestossen und John stürmte herein.
„Was ist geschehen?“, donnerte er, doch als sein Blick auf den tot daliegenden Tankwart fiel, verstummte er sogleich. Er verzerrte sein Gesicht alarmiert, holte die Pistole hervor und richtete sie auf mich.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen bleiben, wo Sind! Weshalb haben Sie meine Warnung missachtet?“, brüllte er und ich zuckte zusammen. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
„Bitte...tun Sie mir nichts“, flehte ich, doch John beachtete meine Worte nicht.
„Hat er Sie berührt?“, wollte er stattdessen forsch wissen.
Ich antwortete nicht.
„Hat er Sie berührt?!“, schrie er und seine Augen funkelten vor Zorn. Ein Nerven zerfetzendes Klicken der Waffe ertönte. Er würde mich ohne zu zögern erschiessen, wenn ich ihm die Wahrheit sagte.
„Nein...er...ich...“, stotterte ich und meine Stimme erstickte. John machte keine Anstalten, mir seine Waffe vom Leibe zu halten. Ich versuchte einen Neuanfang.
„Nein...der Mann ist vor mir zusammengebrochen...ich habe ihn nicht berührt, ich schwöre es! Bitte, glauben Sie mir!“, bettelte ich, doch John hielt die Pistole immer noch auf mich gerichtet.
„Sagen Sie mir einen Grund, weshalb ich Ihnen vertrauen sollte“, befahl er, und seine Lippen umspielte ein grimmiges Lächeln.
„Weil ich...weil ich Ihnen vertraut habe“, nannte ich zitternd.
Sein Lächeln verschwand.
„Sie elendes Weib!“, fluchte er und atmete tief durch. „Na gut. Kommen Sie da weg. Und denken sie nicht einmal daran, mir nahe zu kommen, verstanden? Na los jetzt, Bewegung!“. Ich nickte verzweifelt und er vollführte einen Wink mit der Pistole zur Tür hinaus. Unsicheren Schrittes stapfte ich durch den Laden auf ihn zu und bemerkte, wie er ein Stück zurückwich und mich voller Argwohn musterte, als ich an ihm vorbei zur Tür hinaus ging. Mit einem Tritt verabschiedete er zornig die Sprühflasche, die ich fallen gelassen hatte und folgte mir. Als ich mich zum Auto begeben wollte, meinte John herrisch:
„Oh nein, Sie steigen mir nicht mehr da ein!“.
„Aber...“, wollte ich protestieren, doch er schnitt mir das Wort ab.
„Kein Aber. Jetzt hören Sie mir mal gut zu. Das Auto können Sie vergessen. Ich setze mich nicht mehr neben Sie hin. Und da Sie sowieso eine Frau sind und nicht fahren können, lassen Sie das schön bleiben“.
„Ich..“
„Jetzt hören Sie mir verdammt noch mal zu!“, herrschte mich John an, „Das Auto ist ersatzlos gestrichen. Zudem haben wir sowieso kein Benzin mehr, also können sie’s vergessen! Kapiert? Wir werden zu Fuss weitergehen“.
„Zu...Fuss?“, flüsterte ich zweifelnd und er stöhnte ärgerlich auf.
„Ja, Sie Püppchen. Ihre Stöckelschuhe werden Ihnen also nicht helfen“.
Flüchtig blickte ich an mir herunter. Ich trug schlichte Turnschuhe.
„Und jetzt konzentrieren Sie sich, denn das, was ich Ihnen jetzt sage, gilt für die nächste Zeit. Sie werden zukünftig Ihre Finger von mir lassen, ist das klar? Keine einzige Berührung, oder ich blase ihnen das Gehirn weg!“.
„Aber...aber der Mann hat...“, stammelte ich.
„Verschonen Sie mich mit Ihrem Gejammer. Ich vertraue Ihnen nicht. Frauen wie Sie verstehen es nämlich, ihr Gegenüber ohne Schamesröte anzulügen. Ich jedoch lasse mich von Ihnen sicher nicht hinters Licht führen. Und wie schon gesagt: Kein Risiko!“.
Völlig erschlagen konnte ich nichts mehr erwidern. In meinem Kopf drehte sich alles, ich warf meinen Rücken kraftlos gegen die Säule und wurde von Angst überwältigt. Mein Magen begann sich wieder zu kehren und ich fühlte mich, als würde meine ganze Welt in sich zusammenstürzen. Eine Welt, die ich erst seit einigen Stunden kannte. Oder waren es lediglich Minuten? Selbst mein Zeitgefühl hatte mich verlassen. Ein bitterer Geschmack legte sich auf meine Zunge und ich schloss die Augen. Ja, so schied mein vor kurzem gewonnenes Leben wieder dahin. In spätestens einer Woche würde ich sterben. Sterben! Ich sank gen Boden, in den Sumpf der Hoffnungslosigkeit hinein. Meine Haut scheuerte sich an dem rauen Beton auf, doch ich hatte keine Kraft mehr, mich daran zu stören. Meine Hände berührten bereits den Boden, und ein kriechendes Gefühl beschlich mich, als ob sie in Brand stehen würden. War das nur die schreckliche Ausgeburt meiner Gedanken oder ein erstes Anzeichen der Krankheit? Die Welt...ich sah die Zerstörung vor mir. Sah sie, wie sie kein Ende zu nehmen schien, in brennender Wut. Wollte ich überhaupt leben, in dieser Welt...in der kein Platz mehr für Nächstenliebe und Mitleid war? Ja...vielleicht war wirklich kein Platz für solche Dinge in diesem irrealen, apokalyptischen Umfeld, in das ich hineingeworfen worden war, und dem ich nicht entfliehen konnte. Es war wie ein Gefängnis ohne Grenzen, ein Gefängnis, das nichts einschloss. Letztlich blieb mir nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden. Doch...wollte ich das? Konnte ich das überhaupt? Fragen...Fragen nach meiner Vergangenheit, nach meinem Selbst. Ob ich diese Fragen in einer Woche beantworten könnte?
Das werden wir sehen.
Überrascht von mir selbst öffnete ich die Augen. Ein plötzliches, neues Gefühl durchfuhr meinen Körper, wie ein Blitz durchzuckte mich dieser Gedanke. Ein Kribbeln erfasste mich bis zu den abgebrochenen Haarspitzen. Immer wieder durchhuschte jener Gedanke meinen Kopf und liess mir keine Ruhe, spornte mich an und gab mir neue Kraft. Es war doch nicht alles verloren. Selbst in einer kurzen Zeitspanne liess sich noch vieles erreichen, vieles erfahren und vieles kennenlernen, ob gut oder schlecht. Nein, ich würde jetzt nicht aufgeben. Alle Hoffnungslosigkeit fiel mit einem Schlage von mir ab und wusch sich im Regen, in den ich nun hinaustrat, hinfort.
„Ich habe ja gar nicht gewusst, dass Sie nicht wasserscheu sind?“, erreichte mich die Stimme von John. Ich schenkte ihm ein vielsagendes Lächeln. Ohne es zu beachten machte sich John am Kofferraum seines Jeeps zu schaffen und wühlte in den Vorräten herum. Wortlos grimmig riss er einen Plastiksack hervor und füllte ihn mit allen möglichen Ess- und Trinkwaren, bevor er wie so häufig fluchend den Kofferraum wieder schloss.
„Verdammt. Wir können nicht alles mitnehmen“. Da fuhr er jähzornig zu mir herum und grunzte: „Und glauben Sie ja nicht, dass Sie etwas von mir bekommen!“.
„Schon gut, ich habe ja immer noch keinen Hunger“, erwiderte ich trocken.
„Habe ich Sie danach gefragt?!“, giftete er mich ohne ersichtlichen Sinn an und ich wich fragenden Blickes zurück. Was hatte er nun auf einmal gegen mich? Ach, stimmt, ich war von nun an eine höchst gefährliche Bedrohung für ihn. Obwohl ich eine Frau war. Wieder ein Lächeln auf meinen Lippen, diesmal leicht schadenfreudig. Eine Art inneres Ringen schien sich in John abzuspielen, denn plötzlich war er derjenige, der sich nicht vom Fleck rührte, obwohl er das eigentlich sollte – zumindest meiner Ansicht nach.
„Kommen Sie?“, fragte ich ihn spitzzüngig und stand unruhig von einem Bein auf das andere. Unwillkürlich strich ich mir dabei über die Handfläche sinnierte darüber nach, ob ich meine Hoffnung wohl lange halten konnte. Je länger ich nämlich den Regen meine Kleidung durchnässen liess, desto mehr unterbreitete sich mir dieses Gefühl als voreiliges Ergebnis eines emotionalen Rausches, der nur von kurzer Dauer sein würde. Ich versuchte, das langsam, aber stetig durchsickernde Wasser der Zweifel einzudämmen, indem ich mit aller Kraft meine Aufmerksamkeit wieder auf John und die Umgebung lenkte.
Kommen Sie?“, äffte er mich nach. „Was fällt Ihnen ein, mich so herum zu kommandieren? Ich war es, der sie gerettet hat, also werden Sie auch nach meiner Pfeife tanzen, ist das klar? Und warum haben Sie es plötzlich so eilig?“.
„Ich habe gedacht, Sie wollen so schnell wie möglich von hier verschwinden?“, gab ich achselzuckend Antwort.
John öffnete empört wirkend den Mund, um etwas zu sagen, das einzige, was dann jedoch ausstiess, war ein undefinierbares Geräusch, das wie ein Gurgeln klang. Seine Arme hoben sich halbherzig, als wollte er mich jeden Moment packen, doch da liess er sie frustrierten Blickes wieder sinken. Er stöhnte auf und richtete seine Augen an die schwere, graue Wolkendecke am Himmel und schwenkte den Kopf leicht hin und her, fast schon so, als wäre er unentschlossen.
„Dieser verfluchte Regen!“, verwünschte er das Wetter und löste sich endlich doch vom Schutz des Daches. Sowie der nicht enden wollende Schwall des Wassers auf ihn niederprasselte, fuhr er sich sträubend über die blonden Haare und grummelte etwas, dessen genauen Wortlaut ich nicht verstand. Völlig unerwartet verspürte er wieder das Bedürfnis, mir seine Waffe vor die Nase zu halten. Sie lag unruhig in seiner Hand und machte deren zitternden Bewegungen gnadenlos mit.
„Sie. Gehen Sie auf die andere Strassenseite. Sofort“, befahl er mir abgehakt. In seinen Augen blitzte kurz etwas auf, was ich nicht so recht einzuordnen vermochte. Es wurde mir erst klar, als er in jenem Moment die mittlerweile nutzlose Sonnenbrille vom Gesicht riss und achtlos zu Boden warf, und seine Augen nicht mehr betrübt wurden. Es war eine Mischung aus Wut und Furcht. Furcht, vor mir? Ohne weiter darüber nachzugrübeln tat ich wie geheissen und brachte somit mehrere Meter Abstand zwischen ihm und mir. Ein knappes Nicken seinerseits verriet mir, dass ich stehen bleiben sollte. Widerwillig liess er die Pistole wieder sinken und drängte sich auf die andere Seite der Strasse, so weit weg von mir wie nur möglich war.
„Von nun an bleiben Sie dort auf Ihrer Linie, ist das klar? Sie laufen auf Ihrer Seite der Strasse, ich auf meiner. Und sollten Sie auch nur einen Schritt näher kommen, dann...“.
„Ich weiss“, unterbrach ich ihn genervt.
„Seien Sie still. Sie wissen gar nichts, nicht einmal Ihren Namen“, konterte er bitter. Dann machte sich ein hässliches Grinsen auf seinem Gesicht breit und er schlug mir vor: „Wenn Sie möchten, kann ich Sie auch jetzt gleich erschiessen. Oder wollen Sie wirklich solange leben, bis Sie vor Schmerz zusammenbrechen? Kugel oder Krankheit? Es ist Ihre Entscheidung“. Ich wusste, hätte ich in diesem Moment auch nur die kleinste Andeutung, die für die Kugel sprach, ausgesprochen, hätte er sofort den Abzug gedrückt.
„Ich sage Ihnen doch, ich habe ihn nicht berührt!“, startete ich einen letzten Versuch, mich herauszuwinden, der aber kläglich scheiterte.
„Berührt hin oder her, auch wenn Sie es nicht getan haben, könnten Sie ja trotzdem angesteckt worden sein. Wer weiss, wie sich dieses verfluchte Virus sonst noch übertragen lässt“.
Plötzlich überkam wieder dieses brennende Gefühl meine Hände und ich zuckte zusammen, was von John nicht unbemerkt blieb. Er lachte kalt und begann, die Autostrasse entlang zu wandern, ohne sich vergewissert zu haben, dass ich ihm folgte. Zitternd vor Wut blieb ich im Regen stehen. Jeder Zentimeter meines Körpers sträubte sich, ihm zu folgen und mich seiner wieder gewonnenen Macht hinzugeben. Nun hatte er mich wieder vollkommen unter Kontrolle und jegliche Unsicherheit war von ihm gefallen, stellte ich bitter fest. Doch...was zählte das alles schon? Du bist in wenigen Tagen tot! Ich versuchte, die schreiende Stimme in meinem Kopf zu verdrängen, sie zum ersticken zu bringen. Sie hallte wider, nistete sich ein und liess mir kein Entkommen. Es war verzweifelt...aber nicht aussichtslos. Mit aller Gewalt riss ich mich aus der Lethargie. Was dachte ich hier eigentlich noch so lange über schwankende Machtverhältnisse und den Tod nach?
„Kommen Sie endlich?“, drang Johns harsche Stimme zu mir, und dieses Mal war ich sogar irgendwie froh darüber.
Mit einem Ruck, den ich mir selber gab, setzte ich mich in Bewegung.
die stirbt doch nich wirklich, oder? Die findet bestimmt einen Ausweg?? Man, die Abschnitte werden immer besser. Hat der Typ die jetzt 100% angesteckt? Ich wär garantiert nich da rein gegangen. Bin mehr so " Nach mir die Sintflut- Typ". Es war ja sicherlich dein Ziel, aber lass sie nie wieder so etwas tun. Ich dachte die ganze Zeit, dass der Typ da gleich reinkommt und sie zurückreisst oder sie von selbst merkt, wie dämlich das ist, was sie tun will. Aber nein...... ich mein mach ruhig weiter, nur............. streben tut die doch nich, oder???

P.S. Hab nich auf fehler geachtet, war zu gebannt^^. Obwohl ich inzwischen ohnehin davon überzeugt bin, dass du fast überhaupt keine Fehler machst- oder überhauptkeine. Deprimierend. Was soll's: hoffentlich geht's bald weiter. (ich weiß, ich drängel, aber ich kann's nich lassen ^^)
Nein, sie stirbt nicht:). Und einen Ausweg gibt es...auch wenn man ihn zunächst nicht erfährt. Aber lass dich überraschen:)
PS: Es freut mich, dass jemand so um sie bangen kann^^
Hurra^^ Wieder ein neues Kapitel. Aber aufgepasst, jetzt wirds doch glatt ein wenig futuristisch. Na ja, ich hoffe, ich verliere damit keine Leser XD. Oh mann *kopfschüttel*, ist das wieder lang geworden. Sagt ruhig, wenn ich es in Zukunft kürzer machen soll oder ihr nicht mehr lesen wollt.

Kapitel 5 – Die Maschine


Ich hätte nicht sagen können, wie lange wir so die Strasse entlang liefen. Doch eins wusste ich. Das Gefühl, das ich dabei die ganze Zeit über hatte, war verloren...einsam. Der Regen war nach einigen starken Schauern schwächer geworden und nieselte nur noch auf unsere Köpfe. Meine Kleidung war durchnässt und klebte an meiner feuchten Haut. Meine Haare waren ebenfalls nass, und kalt auf meinem Gesicht weilende Strähnen fielen mir vor die Augen. Sie kräuselten sich und verloren sich im Schmutz, der langsam ausgewaschen wurde. Ab und an streckte ich meine Glieder und straffte meinen Rücken, um mich von der lähmenden Taubheit zu befreien, die sie befallen hatte. Die Fransen der Jeans waren schon längst von Pfützenwasser durchtränkt und streiften an meiner Haut entlang. Meine Schuhe waren durchlässig und die Nässe erreichte selbst die nackten Zehen. Auch, als ich sie bewegte, wurde mir kein bisschen der Wärme zuteil, die ich mir erhoffte. Meine Augen hefteten sich ausdruckslos, träge auf den Asphalt vor meinen Füssen und schweiften über dessen Unebenheiten und Risse, aus denen manchmal Grashalme hervorlugten. Überall ergab sich das gleiche Bild: Ausgestorbenheit. Kälte...Kälte in mir. Ich streckte den Arm nach der Leitplanke auf meiner Seite aus. Weshalb ich das tat, wusste ich in meiner abstumpfenden, vernebelnden Wahrnehmung nicht. Meine Finger glitten über das raue Metall. Ich krümmte sie, spürte, wie meine Fingernägel die Handfläche berührten. Gedankenlos liess ich sie darüber streichen und labte mich still an dem Gefühl, das ich dadurch erfuhr. Gefühl...ja...das war es, wonach ich suchte, und was ich nicht fand. Auch nur ein kleiner Hauch von Wärme...es erschien mir seltsam. Mir war vollkommen bewusst, wie sich eine solche Wärme anfühlte, obwohl ich sie bis jetzt noch nie erfahren hatte. Ich wiegte den Kopf hin und her. Alte und neue Eindrücke vermischten sich fortlaufend und sorgten in mir für Verwirrung. Hatte ich tatsächlich solch eine Art „altes“ Leben geführt? Ja, das musste so sein, schon allein mein Alter sprach dafür. Doch davon waren jetzt nur noch Fetzen übrig...zerfetzt. Ich erschauderte bei diesem Gedanken...es fühlte sich schrecklich an und wurde in dieser Stille nur noch unerträglicher. Ich beschloss, sie zu durchbrechen, egal wie.
„John?“, erklang meine Stimme und hörte sich meinen eigenen Ohren fremd an. Er antwortete nicht.
„Haben Sie...haben Sie eine Familie?“.
Ich hielt an meiner eigenen Überraschung Inne. Wie kam ich auf eine solche Frage? Schon wollte ich wieder in meinen Überlegungen versinken, da meinte er grimmig:
„Nein“.
Ich wollte den Mund aufmachen, um nachzufragen, da fügte er hinzu:
„Ich hatte da ein paar Freundinnen. Aber Kinder? Können Sie vergessen“.
„Weshalb denn?“, wollte ich wissen, während ich mich fragte, wie viele Freundinnen John wohl schon gehabt hatte. Wie seltsam, sagte ich zu mir selbst, wieso dachte ich darüber überhaupt nach?
„Kinder nerven“, erwiderte er nur und wandte sich wieder dem unalltäglichen Trott zu. Diesmal ersparte ich es mir, zu reagieren, obwohl mir durchaus dazu zumute gewesen wäre. Stattdessen tat ich es John gleich und verfiel wieder dieser Starrheit, die ich allmählich verabscheute. Das Gefühl, ihm widersprechen zu wollen, erstarkte. Wozu? Ich zerbrach an mir selbst. Wusste ich etwa besser? Mein Herz begann schneller zu pochen angesichts dieser...Erkenntnis. War es denn eine? War es denn nicht eher eine Vermutung, dass ich in meinem alten Leben...vielleicht in so etwas wie einer Familie gelebt hatte? Möglich war es. Und vielleicht...vielleicht gab es ja jemanden da draussen, der meiner Familie angehörte? Vielleicht...Wärme. Mein Atem stockte und ich musste mich zur Ruhe beinahe zwingen. Alles war sehr vage und nicht richtig präsent, geschweige denn, dass es falsche Hoffnung verdient hätte. Ich presste mich selbst in die Ernüchterung und versuchte, fortan nicht mehr daran zu denken. Es gab genügend andere Dinge, die im Moment wichtiger waren als die Sorgen, Ängste und Wünsche meiner Seele. Als hätte Umwelt meinen inneren Aufruf gehört, begann sie wieder, an mir zu zehren. Schneidender Wind, der mir ins Gesicht peitschte, liess mich erwachen. Ich blinzelte aufgeschreckt, als ich dem fröstelnden Gefühl gewahr wurde, das bis in meine Knochen vorgedrungen war. Meine Finger liessen sich kaum noch bewegen, so kalt gepeinigt waren sie. Meine Handfläche strich ich über die Stirn und meine Lippen bebten, als ich plötzlich einen Schatten wahrnahm, der am Horizont emporragte.

Wie sich herausstellte, war es nicht nur ein Gebilde, sondern mehrere, die diesen Schatten bildeten. Es waren Häuser einer Stadt. Auch John hatte die Erscheinung wohl mittlerweile bemerkt, denn er zeigte sich unruhig und kaute skeptischen Blickes auf seiner Unterlippe herum.
„Sehen Sie nur“, warf ich in das Schweigen hinein.
„Ich sehe es“, antwortete er, und in der Stimme schwang schon wieder aufwallende Wut mit, welche mir nur noch ein müdes Lächeln entlockte.
„Diese Stadt...“, murmelte er hörbar in sich selbst hinein, „...da war ich schon mal“.
Das Licht der Sonne durchbrach für einen kurzen Moment die Wolkendecke. Langsam liess es die hoch in die Lüfte reichenden Fassaden erglänzen.
Ich stöhnte entsetzt auf.
Alles, was von den Hochhäusern noch übriggeblieben war, waren Stahlskelette, gefüllt von nacktem Beton, einer Baustelle gleichend.
„Was zum...“, stiess John hervor, brachte den Satz jedoch nicht zu Ende. Auch hier hatte ein Unsichtbarer Schrecken seinen Tribut gefordert.
„Wer ist zu so etwas fähig?“, hauchte ich geschockt und verlangsamte meine Schritte. Wider Erwarten gab John zurück:
„Nein. Nicht wer“. Seine Stimme verdüsterte sich. „Sondern was“.
Ich strich mir, wie so oft, wenn ich nervös war, über das Haar.
„Wie...wie meinen Sie das?“, fragte ich vorsichtig und betrachtete ihn aus den Augenwinkeln. Wassertropfen rannen ihm über die Stirn...oder waren es Schweissperlen? Dass selbst er sich nun plötzlich in einer Unsicherheit wähnte, beunruhigte mich noch mehr. Zunächst antwortete er nicht, sondern stierte gebannt zwischen die Schemen der zerstörten Wolkenkratzer, als würde er etwas suchen. Dann, in langsamem Ton, sagte er:
„Das waren keine Menschen. Zu so etwas sind sie nicht fähig. Das waren diese...diese Roboter...diese Killermaschinen“. Das letzte Wort hatte Mühe, über seine Lippen zu wandern, und nachdem er es ausgesprochen hatte, sog er die Luft scharf ein und liess mich fragend dastehen.
„Killermaschinen?“, wiederholte ich, und ein unheilvolles Gefühl kroch in mir hoch, als ich jenes Wort aussprach. Für einen kurzen Moment kam ich in Versuchung, angesichts dieser Vorstellung und dieses unerklärlichen, wenngleich auch unnötigen, lächerlichen Gefühls leise aufzulachen, doch das Unausgestossene blieb mir im Halse stecken. Es war wohl doch nicht so lächerlich, wie es den Anschein hatte.
„Ja“, beschrieb John ausführlicher, „Ich selbst habe sie noch nie gesehen. Doch einige Überlebende haben mir erzählt, dass sie solche seltsamen Maschinen gesehen hätten. Mit Maschinengewehren seien sie bewaffnet und sie würden auf zwei Beinen gehen, hat man mir gesagt“.
„Überlebende?“, bohrte ich mit geweckter Neugierde nach. John wies sich über die breite Schulter und erklärte abweisend:
„Die sind vermutlich schon mehrere Meilen entfernt. Und wer weiss, ob sie noch leben“. Er sprach mit befremdender Ruhe davon, als wäre es ihm vollkommen egal, was mit jenen Menschen geschehen wäre, stellte ich mit einem Anflug von Ärger fest. Er hatte sich wohl bedenkenlos der Abstumpfung hingegeben, oder noch schlimmer: Er war einfach egoistisch. Ich zügelte mich, gedanklich je länger je mehr auf ihm herumzuhacken und begnügte mich stattdessen mit den überlegend murmelnden Worten:
„Vielleicht gibt es dort ja auch noch...Überlebende“. Ich hatte mich wieder dem toten Häusermeer zugewandt und beobachtete den Dunst, der sich zwischen den Fassaden schwer niederlegte. Staub flimmerte in den immer wieder hervorbrechenden, matten Strahlen der Sonne und erweckte den falschen Eindruck von Hitze. Rauchsäulen auch hier, und an einem Ort glaubte ich das Licht eines Brandes zu sehen. Da erblickte ich eine seltsame Erscheinung. Über den Häusern, hoch in der Luft, schwebte der Schatten eines grossen Raubvogels. Elegant schwebend drehte er Runden, als würde er den Boden nach Beute absuchen. Tatsächlich schien er kurze Zeit später etwas gefunden zu haben, denn ich sah mit an, wie er niederstürzte, zwischen den Hochhäusern verschwand und nicht wieder auftauchte. Erstaunt riss ich die Augen auf und musste mich bemühen, John nicht zu verlieren, der damit kämpfte, weiterzugehen. Zu meiner Überraschung jedoch steuerte er nicht auf die Stadt zu, sondern schwang sich in einer stummen, bitteren Kraftanstrengung über die Leitplanke auf seiner Seite und schlug den Weg ins offene Feld ein.
„Was tun Sie da?“, rief ich empört aus und wollte ihm instinktiv nach hetzen, da besann ich mich und blieb auf der Stelle stehen.
„Na was denn schon? Weg von diesem verfluchten Ort!“, grunzte er.
„Aber...die Stadt...was ist, wenn es noch Überlebende gibt?“.
„Die können mir gestohlen bleiben“.
Der wütende, sträubende Aufschrei gegen ihn, den ich schon die ganze Zeit in mir getragen hatte, brach nun mit aller Gewalt hervor.
„Sie können doch nicht einfach...!“, schrie ich, doch er unterbrach mich mit unverblümtem Hohn.
„Ach, wie süss, das Püppchen will wohl nach dem Rechten sehen?“.
„Ich bin kein Püppchen!“, wehrte ich mit und hätte mich am liebsten auf ihn gestürzt, wäre ich dazu in der Lage gewesen. Seine Lippen verzerrten sich, als er abschätzend über seine Schulter blickte und verächtlich meinte:
„Wie sie wünschen, Miss Namenlos“, die beiden letzten Ausdrücke spuckte er regelrecht aus, „Sie sind mir langsam eh zuwider. Na los, gehen sie doch zu Ihren Überlebenden, die Sie ja ach so dringend brauchen. Leisten Sie denen doch beim verrecken Gesellschaft. Ich lasse mich auf so eine Tour nicht ein. Dass ich in das Zentrum dieser verdammten Stadt gehe, können Sie vergessen. Was wollen Sie dort schon unternehmen? Helfen? Die grosse Heldin spielen? Nicht mit mir. Ich enttäusche Sie ja nur ungern, aber ab hier trennen sich unsere Wege. Auf Wiedersehen!“.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte sich John ab und liess mich alleine zurück. Ich konnte ihm nicht einmal mehr nachrufen, so erglüht voll Wut war ich. Da ging er dahin! Einfach so, als wäre es das natürlichste auf der Welt, jemanden im Stich zu lassen! Er lief zielsicheren Schrittes auf einen Wald zu, der in nächster Nähe lag.
„Was glauben Sie dort zu finden?!“, brüllte ich, so laut es meine Stimmbänder zuliessen.
„Meine Ruhe“, erwiderte er bissig und seine Stimme ging schon beinahe in meinem eigenen, erbosten Schnauben unter. Ich konnte es einfach nicht glauben! Da liess er mich einfach zurück und war wohl sogar auch noch froh darüber, eine „Infizierte“ vom Leib zu haben! Kein Wort entwich mehr meiner Kehle, während ich fassungslos zusah, wie sich John immer weiter von mir entfernte. Er würdigte mich keinen Blickes mehr, sondern schulterte sich den schweren Plastiksack wieder zurecht und liess seine Stiefel über das flache Gras wandern. Für einen kurzen Moment glaubte ich, im Feuer der Wut die Kälte eines Schauers zu verspüren, als sich dieses Bild, wie er sich davonmachte, meinen Augen schmerzlich erbot. Diese plötzliche Empfindung konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären, und doch war sie da und raubte mir den Atem. Etwas in mir, ich wusste nicht was, versetzte mir einen betäubenden Schlag in die Magengegend. Er ging weg. Weg von mir, liess mich alleine. Ich wollte seinen Namen rufen, doch dazu hatte ich keine Kraft mehr. Es war fast schon ein Ergötzen an mir selbst, ein betäubendes Gemurmel in meinem Kopf in diesem Gefühlschaos. Zunehmend wurde ich von Verzweiflung überrannt. Ich wollte mich von ihr retten, mich an der Planke festhalten. Doch es gelang mir nicht. Sie wurde immer stärker. In einem zerberstenden Schmerz sah ich wieder etwas vor meinem inneren Auge aufleuchten...etwas aus meiner Vergangenheit. Etwas, das mich an diese Situation hier erinnerte...was es jedoch genau war, das wurde mir nicht klar, wurde mir verwehrt. Wieder aufquellende Wut. Diesmal jedoch nicht auf John, sondern auf mich selbst. Was war mit mir los? Tränen in meinen Augen. Geballte Fäuste. Wut. Trauer. Erboste, eingeredete Gleichgültigkeit. Was kümmerte ich mich eigentlich um John? Sollte er doch alleine seinen Weg finden. Wieder ein beinahe ausbrechender Trauerschwall, den ich mit aller Kraft erstickte. John war mir egal. Egal. Er war nicht dieser Schatten, den ich vor mir verschwinden sah. Er war bereits verschwunden. Er war bereits weg, weg aus meinem Leben. Aus meinem kurzen Leben. Er war eine kurze, letztlich unangenehme Bekanntschaft gewesen, nichts weiter. Er hatte mir nichts gegeben, nichts, was ich erhoffte, wonach ich suchte und was mich verwirrte. Weshalb suchte ich, was ich suchte? Was suchte ich wirklich? Antworten? Nein, es war mehr. Da war es wieder, dieses undefinierbare Wort...Wärme. Ja...undefinierbar. Es hätte nicht mehr als ein Wort für mich sein müssen, dachte ich...doch das war es nicht...es war etwas anderes...etwas, das in meinem alten Leben gewesen war. Genau deshalb konnte ich es nicht definieren, so schmerzlich ich es auch versuchte. Der Wunsch, die Sehnsucht nach diesem alten Leben wurde in mir erweckt. Doch so sehr ich es mir auch zurück wünschte, in Gewissheit, dass es schön gewesen war, es liess sich nicht finden.
Aber es liess sich suchen.
Ich verscheuchte John, der nur noch als kleine, verschwommene Gestalt durch die Regenwand hindurch zu sehen war, endgültig aus meinem Blickfeld und wandte mich stattdessen wieder dem zu, was vor mir lag. Meine Bestimmung lag dort, an jenem Ort, das spürte ich auf irgendeine Weise. Ich musste dorthin. Ohne, dass ich dessen vollkommen bewusst geworden war, hatte sich meine Beine intuitiv bereits in Bewegung gesetzt. Sie zitterten, hielten mich schwach, meine Glieder brannten und meine Kehle war trocken, doch all das kümmerte mich jetzt nicht mehr. Es war das Geschehen, das Unmittelbare, das mich fortan beschäftigte, nicht mehr ich selbst. Bedächtig schritt ich dieser Szenerie des Untergangs, des menschlichen Verderbens entgegen und lauschte dem Klang meiner eigenen, aufsetzenden Füsse. Der Regen rieselte weiter, unaufhörlich, unbarmherzig und kalt, zerfloss auf meiner Haut, durchdrang meine bescheidene Kleidung und alle Poren. Der Wind riss an meinen Haaren, liess sie unermüdlich wehen, tanzen in jenem heulenden Geräusch, der mir das Blut in den Adern gefrieren liess. Schwarz verloren sich meine Strähnen und strichen über meinen Nacken, nie endend, als wollten sie mich mahnen, mahnen vor der Undurchdringlichkeit meiner Zukunft, die verborgen im Dunkeln lag. Irgendwann, wenn ich weit genug, blind in diese Dunkelheit hinein geschritten war, würde mich ein unsichtbarer Abgrund erwarten, das wusste ich. Ich würde fallen, ich würde sterben, daran lag kein Zweifel. Doch nicht, bevor ich kein Licht in die Schwärze meiner Seele gebracht hatte. Nicht, bevor kein Licht von aussen mir erleuchtete. Nicht, bevor ich nicht alle Steine umgedreht hatte, den es noch umzudrehen galt. Nicht, bevor mich all meine Willenskraft verlassen hatte.

Schon drohten zwei Hände meine Schultern erneut zu zerquetschen, als Mr. Carter die Hand hob, um den Wachen Einhalt zu gebieten.
„Nein, nein, lasst sie nur“, befahl er mit kalter Stimme und wischte sich die Spucke energisch mit einem fahrig hervorgezogenen Taschentuch weg, ohne sich dabei die Demütigung, die er dadurch zweifellos erfahren hatte, anmerken zu lassen. Doch merkte ich, wie er eine Weile brauchte, bevor er wieder etwas sagen konnte, wohl, um sich zu sammeln.
„Sie sind ganz schön wild“, murmelte er zerknirscht und warf mir einen bösen Blick zu. Ein leichtes, kaum merkliches Lächeln auf meinen Lippen, als ich die Haare mit einer ruckartigen Kopfbewegung zurückwarf.
„Trotzdem werden Sie mir nicht ewig Widerstand leisten können. Sie sind zerbrechlich, das wissen Sie, denn Sie haben einen grossen Schwachpunkt: Ihre Angst“.
„Woher...woher wollen Sie das wissen?“, erwiderte ich mit dem abfallenden Rausch wieder in vermehrter Unsicherheit.
„Ah, ich sehe schon, Sie werden schwach“, antwortete er in schadenfreudiger Genüsslichkeit, „Ihr Wesen lässt sich im Grunde genommen mit nichts weiter als einem schwankenden, tödlich verletzten Tier vergleichen, das sich noch wehrt, obwohl es weiss, dass es keine Chance hat“.
„Was...“.
„Oh ja...“, meinte er und lachte boshaft, „In Ihnen steckt ein schwerwiegender Fehler. Sie haben eine wichtige Lektion noch nicht gelernt. Darum prägen Sie sich gut ein: Macht lässt sich nicht mit Angst vereinbaren“.
„Als ob Sie mich kennen würden!“, rief ich aus. Mr. Carter strich korrigierend über seinen Anzug und setzte sich, bevor er mir wieder in seiner altüblichen, monotonen und sachlichen Art darlegte:
„Ich kenne Sie besser, als Sie je vermuten würden“.


Als ich die ersten Häuser der Stadt erreichte, war es bereits dämmrig geworden. Der Mond prangte bleich und still am düsteren Himmelsfirmament und verströmte sein Licht am Horizont, zu dem ich gerade blickte. Die ersten Sterne waren zu sehen, und sie erfüllten mich mit Hoffnung, doch zugleich Angst vor dem Bedrohlichen. Wie grimmige, erstarrte Giganten türmten sich die hohen Gebäude vor mir auf und warfen ihre Schatten auf mich. Mir war, als würde ich geradewegs in einen Schlund laufen, in einen Schlund, aus dem es kein Zurück mehr gab. Meine Beine waren vom langen Marsch schwer geworden, und die Kälte nahm unerbittlich zu, zehrte an mir und liess den Schmerz, den ich die ganze Zeit in den Armen und Händen spürte, immer mehr entfachen. Das letzte Licht der Sonne bildete lediglich noch einen schmalen Streifen, der langsam mit meinem Mut gen ferne, zackige Bergkette niedersank. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis jegliche Helle gänzlich verschwand und mich einsam zurückliess. Ja, einsam. Einsamkeit war es, die auf mir mehr denn je lastete und mir keine Ruhe gewährte. Sie zu vertreiben war ein Ding der Unmöglichkeit, zumal ich keinen Hauch Leben entdeckte, der wohl verborgen zwischen den Fassaden weilte und sich mir erst preisgeben würde, wenn ich weiter vordrang. Angesichts der Undurchdringlichkeit dieser vielen Strassen und Gassen, die im Mondlicht schimmerten, erschauerte ich und zögerte. Sollte ich es wirklich wagen, einen Fuss hierhin zu setzen? Ich lauschte angestrengt, doch alles, was ich hörte, war das Wispern des Windes, der klagend um die Ecken wehte. Es war mir klar, dass ich jetzt unmöglich umkehren konnte, so sehr sich auch das flaue Gefühl in meinem Magen verstärkte. Hinter mir lauerte die trügerische Einöde, gierig auf mein Zurückfallen, meine Angst wartend, während vor mir...ich führte den Gedanken nicht zu Ende, aus Furcht vor meiner offensichtlichen Unwissenheit.
Ich seufzte leise in die Stille hinein. Es klang so verloren wie meine schattenhafte Umgebung, der ich ohne Erbarmen ausgesetzt war. Doch...hatte ich mich ihr nicht selbst ausgesetzt? Schnell verscheuchte ich den Gedanken und richtete meinen Blick starr nach vorne. Meine Augen fingen an zu tränen, vielleicht vor Anstrengung, vielleicht auch vor Trauer, ich wusste es beileibe nicht. Keine einzige Strassenlampe schenkte mir Licht, und so musste ich mich vorsichtiger denn je vorantasten. Selbst die Hand vor meinen Augen zu sehen bereitete mir Mühe, und während ich gedankenverloren voran ging, stolperte ich immer wieder über Unebenheiten, manchmal auch Gegenstände, die Mitten auf der Strasse lagen. Immer tiefer wagte ich mich in dieses Labyrinth vor und wusste nach zweifelnden Blicken über die schmächtige Schulter bald nicht mehr, wo ich eigentlich hergekommen war. Sowie ich mich dieser Erkenntnis annahm, drohte sich ein Kloss in meinem Hals festzusetzen. Zunächst versuchte ich mich dagegen zu wehren, bald jedoch wurde ich kraftlos überrumpelt und von blanker Angst ergriffen. Die Geräusche, die mir zu Ohren drangen, waren sie noch so gewöhnlich, liessen mich alsbald hastiger voranschreiten. Hatte ich gerade den Wind oder eine leise, flüsternde Stimme in meinem Kopf gehört? Mein Puls erhöhte sich allmählich und mein Atem ging schneller. Meine Brust hob sich und sank in unregelmässigen Abständen, und meine Hände verkrampften sich. Jede Bewegung, die ich aus den Augenwinkeln wahrnahm, sei es nur ein streunendes Tier gewesen, liess mich schockartig mit Adrenalin durchströmen. Da...schon wieder diese seltsamen Geräusche in meinem Kopf...es klang wie ein fernes Rauschen. Ohne recht zu wissen, weshalb ich das tat, begann ich mich um meine eigene Achse zu drehen. Ein Kribbeln überkam meinen Körper. Meine Nackenhaare stellten sich zu Berge. Ich spürte es. Etwas kam auf mich zu.
Ein gellender Schrei durchriss die Luft.
Ich wirbelte herum und sah mehrere Schatten auf mich zu rennen. Mir blieb nicht einmal mehr genügend Zeit, zur Seite zu hechten, da hatten sie mich erreicht. Vor Schreck sog ich die Luft ein, als einer der Schatten direkt an mir vorbeiraste und mich streifte. Bevor ich wusste, wie mir geschah, wurde ich bereits von einer Wucht zurückgeworfen, und etwas kaltes, wie der Stoff eines Regenmantels, strich für einen kurzen Moment an meinen Beinen entlang. Erst, als der Wind, der das Vorbeirauschen nach sich zog, mir ins Gesicht wehte, wurde mir bewusst: Das waren Menschen gewesen. Panische, kreischende Menschen, die an mir vorbei gerannt waren, ohne mich zu beachten. Ich wollte mich umdrehen und etwas rufen, um, wenn auch nur verständnislos, Einhalt zu gebieten, da erschütterte ein dumpf klingender Aufprall den Boden.
Da, wieder.
Eine Erschütterung. Der ganze Boden erzitterte. Ferne Schreie. Das Blut gefror mir in den Adern.
Wieder derselbe Aufprall, diesmal lauter...und näher.
Ich blieb auf der Stelle erstarrt stehen und riss die Augen auf.
Wieder ein Aufprall...nein, das war es nicht. Stampfen. Es war ein Stampfen.
Ich hielt den Atem an.
Stampfen.
Ich öffnete den Mund zu einem stummen Schrei.
Stampfen.
Die Luft wich mir aus den Lungen. Dieses...Etwas kam immer näher.
Stampfen.
Ich konnte es nicht sehen. Ich konnte es nicht erkennen. Doch ich konnte es hören. Es stand nun direkt vor mir, und ich hörte die Geräusche, die es verursachte. Es war eine Art...Schnauben, unsäglich laut und dröhnend in meinen Ohren.
Urplötzlich wurde ich von einem gleissenden Licht geblendet.
Ich kniff die Augen mit einem Schrei zusammen und prallte zurück. Ein Nerven zerfetzendes Knirschen erklang, das mich schlagartig aus der Erstarrung riss. Immer noch nicht konnte ich erkennen, was es war. Alles, was sich meinen Augen darbot, war dieser rundliche Schein einer Art...riesigen Lampe. Staub und schwebende Schmutzpartikel flimmerten im weissen Strahl, und eine regelrechte Hitzewelle sprang mir in das Gesicht.
Ohne einen weiteren Augenblick zu verschwenden, drehte ich mich um und begann zu rennen. Ich rannte so schnell ich konnte, weg von diesem Ungetüm. Erneut erklang ein Knirschen, und vor meinen Augen huschte der Lichtkegel wie wild hin und her. Er beleuchtete gespenstisch grell den nassen Asphalt und prallte schliesslich heiss auf meinen Nacken. Mein Atem ging rasselnd und meine Beine trugen mich kaum mehr, während ich von Panik ergriffen flüchtete. Nie warf ich auch nur einen Blick über die Schulter, doch ich wusste, dass es immer noch an Ort und Stelle stand. Es schien so, als würde es mich lediglich beobachten. Weshalb folgte es mir nicht? Für einen kurzen Moment wollte ich zögern, dann jedoch zwang ich mich weiter, immer weiter weg von diesem Ding. Der nie ablassende Schein brannte sich regelrecht in meinen Nacken, sodass ich reflexartig den Kopf einzog und hoffte, es würde mich nicht angreifen. Doch meine Hoffnung wurde zerstört. Ein ohrenbetäubender Schuss und Geschrei erklang, woraufhin rasender Schmerz meine Glieder durchschoss. Mit einem wehleidigen Aufschrei stürzte ich zu Boden. Ich war getroffen worden! Der Klang meines eigenen Schmerzensschreis durchfuhr mich mit Qual und ich stöhnte auf. Meine Hände schürften über die raue Strasse und wurden von Scherben zerschnitten. Blut quoll aus den Wunden. Ich wand mich halb im Wahnsinn und schrie aus Leibeskräften, und mein Herz drohte zu zerbersten. Da...wieder dieses Knirschen. Der stechende Geruch nach Öl. Über meine Beine und Arme strömte dunkles Blut, das im huschenden Licht verderbend aufleuchtete. Mein Blick verschwamm, als ich mich auf den Rücken drehte, um dem Schrecken ins Auge zu sehen. Es erklangen mehrere schnelle Schüsse, wie aus einem Maschinengewehr. Plötzlich waren da nicht nur ein grosses Licht, sondern zusätzlich noch viele andere kleinere Lichter, die vor meinen Augen tanzten. Wieder Schüsse. Knirschen. Da konnte ich es plötzlich erkennen.
Nicht ich war getroffen worden, sondern dieses...Ding, das sich nun auf einmal von mehreren bewaffneten Gestalten umringt sah. Es waren Menschen, wie ich an den Maschinengewehren, die sie trugen, erkennen konnte. Wieder ertönte Geschrei, als eine der vermummten Gestalten von dem seltsamen Wesen, das sie bekämpfte, mit einem Schuss getroffen wurde und zu Boden sank. Mit weit aufgerissenen Augen schweifte mein Blick an mir selbst entlang. Erleichtert stellte ich fest, dass ich tatsächlich, abgesehen von den Schürfwunden des Sturzes, unversehrt war. Doch weshalb hatte ich diesen rasenden Schmerz verspürt? Innerlich von der selbstgegebenen Antwort geleitet wanderte mein Blick zu meinen Armen. Das Virus. Eine eiskalte Hand umklammerte mein Herz. Mit einem Ruck rappelte ich mich zitternd auf und konnte mich vom Kampf, der direkt vor mir tobte, nicht mehr abwenden. In den zuckenden, rastlosen Lichtern der Lampen und demjenigen der Schüsse erschien mir das Unfassbare nur noch beängstigender.
Die Menschen kämpfen gegen eine Maschine.
Sie war mindestens doppelt so gross wie dieselben und bestand aus einem furchterregenden Gewirr von Kabeln, Metall und Schläuchen. Es stand auf zwei stählernen Beinen, bestückt mit gefährlich aussehenden Haken, welche die quietschenden Geräusche von sich gaben, wenn sie sich träge wirkend bewegte. Der Körper, bestehend aus zahlreichen Gelenken, hatte eine eigentümliche Form. Einen Kopf gab es nicht, stattdessen stellte der Brustbereich eine schroffe Ausbuchtung dar, die wie ein plattenbedeckter, beschraubter Schnabel aussah. Auf der Ausbuchtung sassen zwei bewegliche Gebilde, die Ähnlichkeiten mit menschlichen Armen hatten. Hände fehlten ebenfalls, an deren möglichen Stellen waren riesige Maschinengewehre angebracht, die ununterbrochen auf die sich verzweifelt wehrenden Opfer feuerten. Die Schmerzensschreie wurden immer lauter. Zischendes Dröhnen. Weisses Blitzlicht des Schnellfeuers, das verrenkte Körper erhellte. Fallende Menschen. Gesichter, die hinter trüb durchsichtigen Kunststoffgläsern von bizarren, gräulichen Schutzanzügen verborgen waren. Beissender Rauch in der Luft. Ich wurde wieder von Schwindel heimgesucht, während ich verständnislos dieses unerklärbare Grauen bezeugte. Es war ein Massaker. Bald lebten nur noch weniger der bitter unterlegenen Angreifer. Selbst, als diese das Heil in der Flucht suchten, wurden sie hinterrücks niedergeschossen. Ohne Gnade. Killermaschine.
Ich rappelte mich vollends auf und lief um mein Leben. Bald waren die letzten Schreie verstummt, zurück blieb grausam, fast schon hämisch triumphierend nur noch jenes verdammende Knirschen der Maschinengelenke. Ein kleiner, von plötzlicher, sinnloser Rachsucht zerrissener Teil von mir wollte sich umdrehen und sich diesem Monstrum entgegenstellen, doch ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Ich musste fliehen. Weg. Ich sah nicht, wo meine Beine hinstolperten, geschweige denn, dass ich mich darum kümmerte. Tränen rannen mir über das Gesicht. Ich wischte sie nicht ab. Alles, was ich in meiner Verzweiflung tat, war rennen. Renne, schrie ich mir immer wieder zu, nichts anderes erfüllte mein Denken mehr. Ich wusste nicht, wieso das alles geschah. Ich wusste nicht, wie das alles geschah. Warum? Warum!? Ich hörte ein klagendes Geräusch. Mein eigenes Aufschluchzen? Renne!

Erst, als ich nichts mehr ausser meinem eigenen Atem hörte, blieb ich stehen. Das Blut in meinen Adern pulsierte und meine Lungen standen in Flammen. Der Schmerz in meinen Gliedern war beinahe unerträglich geworden. Schleppend schlurfte ich noch einige Schritte voran und liess mich dann auf den Bordstein sinken. Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter, um mich zu vergewissern, ob die Maschine auch wirklich nicht mehr auftauchte. Nichts war zu sehen. Um erleichtert aufzuatmen blieb mir allerdings keine Zeit. Ich musste weiter. Hier war ich nicht sicher. Einen kurzen Augenblick hielt ich Inne und bemerkte überrascht, wie abgehakt, atemlos meine eigenen Gedanken auf einmal klangen, bevor ich mich wieder aufrappelte und auf die Bauruinen eines Hochhauses zusteuerte. Dort würde ich mich vielleicht verstecken können.
Keuchend trat ich in den Staub und Schutt des Eingangs. Nichts liess sich erkennen, lediglich ein Luftzug liess mich ahnen, dass ich am Fusse eines Treppenhauses stand. Unbewusst, als suchte ich Schutz, strich ich mit den Fingern an den Wänden entlang. Sie waren rau und bestanden aus grauem, löchrig nacktem Beton. Jeder meiner Schritte verursachte Scheppern, das von losen Platten und Verputz stammte. Mit jedem Atemzug füllten sich meine Lungen mit Staub, und ich nieste. Es klang beinahe unerträglich laut in meinen Ohren. Suchend tastete ich mich weiter und stiess mit dem Fuss an die erste Stufe der Treppe.
In diesem Moment erleuchtete ein Lichtschein den Raum.
Grell sprang mir eine Treppe ins Auge und wurde kurz darauf wieder in Dunkelheit gehüllt. Wie erstarrt blieb ich stehen, als ich von draussen gedämpft wieder dieses Knirschen vernahm. Meine Nerven spannten sich aufs Äusserste und ich versuchte verbissen, mich nicht zu bewegen.
Da draussen lauerte sie.
Ich hielt den Atem an. Wieder Licht. Es huschte an mir vorbei. Knirschen. Die Maschine. Eiskalt lief es mir den Rücken hinab. Kaum liess es mein Verstand zu, warf ich mich zu Boden und drückte mich flach gegen die Treppenstufe. Immer noch nicht wagte ich es, meinen Atem auszustossen, in der Angst, entdeckt zu werden. Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen und dem Gesicht zur Stufe gewandt gegen den nackten Beton, presste meine Wange auf den Grund. Jeden Moment würde es mich entdecken. Doch...es wurde still. Nichts ausser meinem eigenen Atem war mehr zu hören. War es weg? Wortlos lag ich noch einige Zeit eng an den Boden gepresst da und lauschte, bevor ich mich vorsichtig auf die Knie rappelte und mich mit den Händen klammernd abstützte. Ich lehnte mich stöhnend mit dem Rücken zur Wand, indem ich die verletzten Beine kraftlos durch den Staub schleifte. Der Schmutz gelangte in die Schnittwunden und brannte, doch darum kümmerte ich mich nicht. Ich liess den Kopf zurück fallen und schmiegte mich eng an die Wand. Es blieb unheimlich still. Ich hustete und wischte mir das Nass der Tränen vom dreckigen Gesicht. Allmählich beruhigte ich mich wieder, mein Puls ging gemächlicher und ich schöpfte wieder vollen Atem. Ich legte die Hand auf meine Brust und holte tief Luft. Ich lebte noch. Langsam liess ich meinen Blick durch die Umgebung wandern. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und ich stellte fest, dass ich tatsächlich in einem Treppenhaus gelandet war. In einem sehr grossen Treppenhaus, wie ich mit einem Blick nach oben schloss. Das teilweise verbogene, manchmal gänzlich fehlende Geländer führte in unerkannte, finstere Höhen. Für einen Moment glaubte ich, eine huschende Bewegung gesehen zu haben, schloss dann jedoch die Augen und gab mich mit dem Glauben zufrieden, dass es eine Ratte gewesen sein musste. Es war unwahrscheinlich, nein, unmöglich, dass hier jemand noch lebte. Wäre ich imstande gewesen, hätte ich fragend gerufen, wenn auch nur als reflexartige Reaktion. Doch all meine Kraft hatte mich verlassen.
Während ich so verloren und haltlos in der Dunkelheit sass, begannen mich ein weiteres Mal die ewig gleichen Fragen zu quälen. Wie hatte dies alles nur geschehen können? Und überhaupt...welches Jahr hatten wir? Nicht, dass die Antwort jener Frage in meiner Lage überhaupt von Belang gewesen wäre, verwarf ich mit einem bitteren Verziehen der spröden Lippen. In diesen Gedanken strich ich mir über das Haar. Es war noch schmutziger geworden und fühlte sich wie Draht an. Hunger plagte mich aber immer noch nicht, Durst verspürte ich glücklicherweise auch nicht. Das einzige, was mich begleitete, waren diese stetigen Schmerzen. Ich strich mir über die Arme und stierte glasigen Blickes auf sie hernieder. Da...ein kleiner, schwarzer Fleck war sichtbar geworden. Die Krankheit hatte nun endgültig seinen Lauf genommen. Oder war dies lediglich ein Schmutzfleck? Ich rieb, bis der ganze Arm rot war. Er prangte immer noch auf meiner Haut. Seltsamerweise war nichts in mir, was sich gegen diese Erkenntnis gesträubt hätte. Ich war fast schon einer Gleichgültigkeit verfallen, einer Gleichgültigkeit meinem Tod gegenüber. Zu verlieren hatte ich ja nichts, ausser meinem Leben. Dass es besonders schön war, konnte ich nicht freilich nicht behaupten. Ich hatte nichts und niemanden, und das, was ich gehabt hatte, war schon längst vergessen. Irgendwie jedoch wollte ich doch nicht einfach so sterben. Ich musste einfach etwas gegen meinen Zustand tun.
Da erzitterte die gesamte Wand.
Mit einem Ruck fuhr ich hoch. Dieses Monstrum war immer noch hier! Erneut erbebte die Wand hinter mir und bröckelte gefährlich. Wieder ein gewaltiger Stoss, und ich musste mit Entsetzen beobachten, wie sich ein spinnenartiges Netzwerk von Rissen in Sekundenschnelle über die ganze Mauer ausbreitete.
Beim nächsten Schlag würde sie wie Karton zerbrechen.
Im letzten Moment gelang es mir, auf die Treppenstufen zu hechten. Schon, während ich mit dem Rücken hart auf den Kanten aufschlug, zerbarst das ganze Mauerwerk und der kurze Eingangsflur verwandelte sich in einen unpassierbaren, zerstückelten Haufen Beton. Staub wirbelte mir in die krampfhaft zusammengekniffenen Augen und ein Brocken zerquetschte meinen Fuss. Ich schrie vor Qual auf und sah voller Angst zu, wie eine stählerne, hakenbesetzte Klaue begann, sich tastend durch den Schutthaufen zu wühlen. Ziellos wütete sie umher und schob Brocken für Brocken beiseite, wohl in der Hoffnung, meinen leblos begrabenen Körper zu finden. Mit lautem Aufstöhnen gelang es mir, meinen Fuss endlich zu befreien. Panisch arbeitete ich mich kriechend die Treppe hoch. Dieses Biest durfte mich nicht entdecken! Die Bewegungen der Gelenke hörten sich wie grauenvolles Kreischen an, das in meinen Ohren schmerzte. Mit all meiner verbliebenen Kraft rappelte ich mich auf und warf meinen Körper gegen das Treppengeländer, als das Kreischen plötzlich verklang. Ich blickte über die Schulter.
Nichts. Es war wie vom Erdboden verschluckt.
War es...verschwunden?
Mit pochendem Herzen lauschte ich in die Dunkelheit. Es herrschte auf einmal gespenstische Stille, nur mein eigener, zitternder Atem war zu hören. Nichts mehr rührte sich, nur ein kleiner, herabrollender Schuttbrocken liess noch vom abrupt beendeten, plötzlich vergangenen Gewaltakt ahnen. War es wirklich fort? Sekunden vergingen. Minuten. Ich regte mich nicht. Erwartete jeden Moment eine neue Welle des Schreckens. Doch sie kam nicht. Kein Geräusch drang mehr zu mir. Ich wartete länger. Krampfte die Finger zu Fäusten zusammen. Hielt meinen Arm um das Geländer und strich mir fahrig über die Haare. Ich wartete...wartete...es blieb still und verlassen, als hätte diesen Ort seit langem niemand mehr betreten. Und doch lag sie genau vor mir, die vor kurzem zerstörte Wand. Mehr und mehr verkam sie, so bizarr es auch schien, zu einer längst vergessenen Ruine. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, bis es mir endlich gelang, mich aus der angespannten Haltung zu lösen, die ich instinktiv angenommen hatte. Ja...es war verschwunden...aus welchem Grund auch immer.
Ich wollte schon erleichtert aufatmen, da strich mit etwas Raues an den Beinen entlang. Die Maschine! Ich schrie auf, stolperte rückwärts auf die Tür des ersten Stockwerks zu und schloss die Augen. Jeden Moment erwartete ich eine stechende Pein, dass ich aufgeschlitzt oder erschossen wurde, doch nichts dergleichen geschah. Ungläubig öffnete ich die Augen wieder und sah gerade noch, wie der Schwanz einer aufgeschreckten Ratte in einer schwarzen Lücke des blockierenden Schutthaufens verschwand. Ich schüttelte halb in Verzweiflung, halb in ängstlicher Verblüffung den Kopf und wischte mir den Schmutz von der Stirn. Ich nahm mir keine weitere Zeit mehr, mich hier aufzuhalten. Ich konnte nicht mehr hinaus, war gefangen. Der einzige noch verbleibende Weg führte...ich blickte in die Dunkelheit über mir. Nach oben. Ich musste mich so weit wie möglich von der Strasse entfernen. Mein Rücken berührte die Tür. In einer fast schon unbewussten Bewegung, auf einen möglichen anderen Ausweg hoffend, drückte ich die Klinke nieder. Enttäuscht liess ich nach kurzer Zeit davon ab. Es war verschlossen.

Der Weg über die vielen Treppen war lang und beschwerlich. Immer wieder sah ich mich gezwungen, Pausen einzulegen, um meinen rechten Fuss zu entlasten. Er war mittlerweile stark angeschwollen und wies einen unschönen, blauen Fleck auf.
Wenigstens keinen schwarzen, dachte ich bitter auflachend in mich hinein, während ich mich stöhnend vor Anstrengung hinaufschleppte. Der Weg nach oben schien mir endlos lang vorzukommen. Hin und wieder war von tief unten eine Art Grollen zu hören, das mich mit Schauern überschüttete. Vielleicht lauerte dieser...Roboter immer noch in der Nähe des Hauses, oder noch schlimmer, er plante seinen nächsten Angriff. Roboter. Selbst dieses Wort erfüllte mich mit Befremdung, einer Abneigung, die ich mir selbst nicht erklären konnte. Und doch war mir, als hätte ich diese künstliche Wesen schon immer gekannt. Ich wiegte den Kopf hin und her. Welch seltsame Gedanken ich doch hegte. Niemand begegnete mir auf meinem Weg, und auf irgendeine Weise war ich sogar froh darüber. Ich kroch vollkommen in mich selbst, in meine wirre Gedankenwelt des Schmerzes und der zerschnittenen Erinnerungen. Zerschnitten wie Papier. Ein leichtes Kribbeln im Kopf, als wollte er mich vor etwas mahnen. Was hatte all das für einen Sinn? Weshalb zerstörte dieses Ding alles Leben? War es wütend? Nein, Roboter hatten keine Gefühle. Niemals. Das war eine Killermaschine gewesen, nichts weiter. Doch...wer würde so etwas erschaffen wollen? Und wer waren diese Männer in den Anzügen gewesen? Wild wirbelten jene Fragen durch meine Gedanken, rastlos und nagend. Ich wollte sie verdrängen, doch sie kehrten immer wieder und dies immer eindringlicher. Doch so sehr ich mich ihrer auch wehrlos annahm, ich konnte sie nicht beantworten. Nicht jetzt.
Meine Aufmerksamkeit lenkte sich wieder auf die Umgebung. Ein leichter, kühler Luftzug durchstrich mein Haar. Irgendwo musste sich eine offene Tür oder Ähnliches befinden. Ich wagte einen kurzen Blick nach unten, was mir nicht sehr viel erbrachte, da mich die Finsternis die momentane Höhe nicht erkennen liess. Als ich das nächste Stockwerk erklomm, entdeckte ich eine offene Lifttür. Der Lift selbst allerdings gab durch seine Abwesenheit lediglich den Blick auf dessen gefährlich schwankende Drahtseile frei. Als ich mich vorsichtig dem Abgrund bergenden Schacht näherte, verstärkte sich der vorhin verspürte Luftzug und ich wich nach einem Blick nach unten schwankend zurück. Ich hatte den Grund wie erwartet nicht erkennen können. Ein Glück, dass ich mich vor meinem Aufstieg mit der Hast blinder Augen unfreiwillig entschieden hatte, den Lift nicht zu nehmen. Er wäre wohl sowieso nicht mehr funktionstüchtig gewesen. Als ich dem Schacht den Rücken kehrte, um mich weiter nach oben zu quälen, erklang ein leises Geräusch hinter mir. Es klang wie ein dumpf hallendes Klopfen auf Metall, das sich von unten zu mir hoch klang. Ich spürte schon, wie sich mein Puls erhöhte, zwang mich aber, ruhig zu bleiben. Es war höchst unwahrscheinlich, dass mich die Maschine mit ihrer Grösse bis hierhin verfolgen konnte. Insgeheim jedoch betete ich, dass sie dachte, ich sei tot. Ein mulmiges Gefühl überkam mich. Dachte. Schnell verbannte ich die Maschine aus meinen Gedanken und setzte meinen Weg fort.
Jede Stufe erschien mir höher und beschwerlicher als die vorherige, und mein Tempo, falls man es noch so nennen konnte, verlangsamte sich bei jedem humpelnden Schritt. Immerhin konnte ich mich glücklich schätzen, dass nicht mein linkes Bein betroffen war. Für einen kuren Moment huschten meine Gedanken zu dem übel aussehenden, schwarzen Fleck an meinem rechten Arm, doch ich ersparte es mir, ihn in Augenschein zu nehmen. Stattdessen sah ich zu, dass ich möglichst unbeschadet hier hoch kam. Ich wusste selbst nicht, was ich tun würde, wenn ich am obersten Stock angelangt war. Warten?

Schliesslich erreichte ich mein sehnlich erwartetes Ziel, sehnlich aufgrund des herbei gewünschten, aber unausweichlich trügerischen Gefühls der Sicherheit. Da stand ich nun, vor einer kleinen, unscheinbaren Tür aus hartem, abweisendem Metall. Sie würde mich auf das Dach führen.
Als ich in die Nacht hinaustrat, erleuchteten zahlreiche Sterne den tiefschwarzen Himmel. Ihr frostiges, mattes Leuchten war von Kälte erfüllt. Es wehten heftige Windböen, welche Tränen in meine Augen trieben. Der Mond schenkte mir sein stummes Antlitz, tadelnd und Unheil heischend. Zitternd fand ich mich auf einem unwirtlichen, kiesbedeckten Flachdach wieder. Es wies eine streng rechteckige Form auf und liess nicht den kleinsten Hauch einer Ungereimtheit zu. Viele kleine Kiesel lagen mir zu Füssen, die vom spärlichen Mondlicht erhellt wurden. Ich brauchte eine Weile, bis ich wieder imstande war, mich zu rühren. Gedankenverloren schleppte ich mich auf den Rand des Daches zu und liess mich dort mehr fallend als stützend hernieder. Der Boden gab ein erwartetes, leises Knirschen von sich, was einen leichten, aber dennoch angstvollen Schauer hervor rief. Es plagte mich also schon der Verfolgungswahn, dachte ich mit einem Verziehen der Mundwinkel. Ich vergrub meinen Kopf zwischen die Knie und spürte, wie kaum merklich eine Träne über mein Gesicht lief. Schnell wischte ich sie ab und konzentrierte mich darauf, meinen Körper zu untersuchen. Aus vielen Wunden an meinen Beinen flossen immer noch kleine Blutrinnsale, welche aber bald versiegen würden. Seltsam...das Blut war in diesem Licht beinahe vollkommen schwarz, wie Trauer, die aus mir mit steigender Abstumpfung floss. Erstickt versuchte ich sie zu bekämpfen und wusste nicht, ob ich sie jemals wieder verdrängen konnte. John. Wieso dachte ich gerade jetzt an ihn? Ich schüttelte energisch den Kopf und fuhr mit den Händen an meinen Beinen entlang, bis hin zu den Fussknöcheln. Fast schon unbewusst zog ich die Schuhe aus, warf sie weg, in die Dunkelheit, wo ich sie aus den Augen verlor. Ich krümmte jeden Zeh, während ich mir vorsichtig auf die gequetschte Stelle fasste. Es schmerzte immer noch, wenn auch weniger heftig als beim Aufstieg. Ich musste mich wohl oder übel daran gewöhnen, die Zähne zusammen zu beissen, dachte ich grimmig. Diese wüst entstellte Welt lehrte mich nämlich ausser eigennütziger Selbsterhaltung kaum etwas anderes. Mit äusserster Vorsicht setzte ich den nackten, verletzten Fuss auf und liess ihn den scharfkantigen Boden spüren. Es fühlte sich gut an. Ich atmete tief durch und hob den Kopf, verfiel einer düsteren, hoffnungslosen Stimmung, als ich das schwarze Häusermeer unter mir betrachtete.
Nur Rauch und verlassene Schatten. Vereinzelte, einsame Lichter, die in der Dunkelheit leuchteten, als wären sie letzte Anzeichen von Leben. Doch es waren keine Lichter von Häusern, sondern nur flackernde Feuer, Verdeutlichungen des stillen, lauernden Chaos. Und doch gaben mir diese Lichter irgendwie Hoffnung. Es gab hier noch Leben, ganz bestimmt. Irgendwo gab es vielleicht sogar einen Zufluchtsort...irgendwo in dieser toten Stadt. Das Leben hatte ich gesucht...und um mein eigenes hatte ich kämpfen müssen. Ich spürte, dass es nicht das letzte Mal sein würde. Ohne weitere Gedanken, nüchtern nahm ich dieses Gefühl an und entledigte mich desselben nach einem kurzen Stich im Herzen, wortlos und unangetastet. Mehr beschäftige ich mich fortwährend damit, meinen Blick schweifen zu lassen. Bald schon glitt er über die Stadt hinaus und legte sich auf die Ebene. Einige wenige, in die sanft milchige Graslandschaft eingebettete, breite Strassen führten geradlinig zur Stadt hin, versanken darin und schienen nicht wieder weg zu führen. Es war wie ein drohendes, dennoch untrüglich anziehendes Zentrum in meinen Augen, und ich war gerade davon verschluckt worden. In der Ferne konnte ich schemenhaft eine Art schwarze, niedere Mauer ausmachen, die mitten in der Graslandschaft weilte. Es war wahrscheinlich ein Wald. Am Horizont erstreckten sich Hügel, hie und da der Gipfel eines gräulich schimmernden, schneebedeckten Berges. Auf einem der Hügel war ein kleines, in regelmässigen Abständen rot aufleuchtendes Licht zu sehen. Es gehörte wohl zum Turm einer Fernsehstation. Da, vor meinen Augen, war ein schnell fliegender Schatten vorbeigehuscht. Eine Fledermaus. Mein Blick wanderte weiter und fiel auf die Strasse direkt unter mir. Sie war ausgestorben und alles darin sank in die Unkenntlichkeit, bis auf zwei verworrene, leuchtende Buchstaben eines Aushängeschilds. Seltsam...in diesem Geschäft dort unten verweilte demnach vielleicht noch jemand. Ich suchte die verwinkelten Gassen weiter ab, gab aber schon bald enttäuscht auf. Es war zu dunkel, als dass ich etwas Weiteres hätte erkennen können. Meine Gedanken umkreisten einmal mehr vergangenes Erlebnis. Die Schreie der panischen Menschen, die an mir vorbei gerannt waren, hallten in meinen gepeinigten Ohren wider. Opfer waren es gewesen, Opfer dieser unerklärlichen Katastrophe. Opfer wie ich? Nein...ich war anders. Ohne Erinnerungen, ohne Anhaltspunkte und ohne Hilfe war ich direkt in einem fortgeschrittenen Stadium dieser Wirren gelandet, deren Ausmass bereits erschütternd war. Wie fortgeschritten? Wie weit war diese Welt bereits dem Abgrund entgegen geschlittert? War es denn eine Welt oder nur ein Land, eine Region, an dessen Grenzen ich sinnigerweise nicht blicken konnte? Ich seufzte. Wie weit es sich auch immer erstreckte, es konnte scheinbar nicht aufgehalten werden. Auch dieser Ort verwahrloste durch die Klaue des Todes. Still hoffte ich, dass die Verlassenheit zum Grossteil durch Evakuierung oder Flucht zu Stande gekommen war. Unumgänglich steuerten meine Gedanken dabei wieder auf mein eigenes Schicksal zu. Was würde wohl aus mir werden? Was konnte ich gegen meinen Tod unternehmen? Und...war es überhaupt möglich, dagegen etwas zu unternehmen? Gab es vielleicht ein Gegenmittel? Ich lachte leise auf. Lächerlich, überhaupt auf solch ein Wunder zu hoffen. Mehr und mehr liess ich mich in die lasche Gedankenlosigkeit fallen. Ja...was kümmerte mich all das eigentlich noch? Helfen hatte ich wollen und war nun selbst zu einer Gejagten geworden. Ich würde wohl nie erfahren, was es mit mir auf sich hatte, geschweige denn, was das Virus ausgelöst hatte und was diese Maschine bedeutete. Mein absehbarer Weg war der Tod.
Ich stöhnte leise verzweifelt auf und beugte den Rücken. Achtlos sank ich gen Boden und legte mich hin. Die spitzen Kieselsteine stachen mir in den Arm. Egal. Sollten sie mich doch stechen. Schliesslich war ich doch nur eine namenlose Frau, nie gekannt und vergessen von sich selbst. Ich schloss die Augen und gab mich dem Vergessen noch mehr hin. Sowie ich nichts mehr sah von meiner unverstandenen Umwelt, die mehr Fragen aufwarf als sie beantwortete, machte sich ein beruhigtes Gefühl in mir breit.
Mein erster Tag endete mit einem traumlosen Schlaf.
Wusste ich etwa besser?
Wusste ich WAS etwa besser???? Da fehlt doch was...

Ohne, dass ich dessen vollkommen bewusst geworden war, hatte sich meine Beine intuitiv bereits in Bewegung gesetzt.
hatteN sich meine Beine

Nicht, bevor kein Licht von aussen mir erleuchtete.
mich erleuchtete

bevor ich nicht alle Steine umgedreht hatte, den es noch umzudrehen galt.
alle Steine..., DIE es umzudrehen galt

drohte sich ein Kloss in meinem Hals festzusetzen.
ein Kloß (neue Rechtschreibung?)

hm, mehr Fehler hab ich nicht entdeckt..
Warte sehnsüchtig auf mehr!
ps: ist schon komisch, wie lang sich so ein Tag ziehen kann...
@Lamproly: Danke für die Fehlersuche. Beim Kloss bin ich mir nicht so sicher^^. Bei uns in der Schweiz gibt es das Doppel-s nämlich gar nicht, wenn ich mich nicht täusche. Bei den sonstigen Fehlern kann ich mich nur über mich selber ärgern XD. 4 Fehler auf 10 Seiten...eine ernüchternde Bilanz^^.
PS: War das etwa sarkastisch gemeint? XD. Aber stimmt, der Tag ist schon extrem lang, textmässig betrachtet^^. Aber ich hoffe doch, es ist trotzdem realistisch? Ich meine, wenn sie etwa, sagen wir mal, um 7 Uhr erwachte, ergeben sich aus den mehreren Stunden Autofahrt und dem ziellosen Umherirren schon so einige Stunden. Es war ja auch in tiefster Nacht, sagen wir mal 2 Uhr, als sie sich schlafen legte.
Ich habs nicht sarkastisch gemeint^^
Oben hast du geschrieben, dass das keine Fantasy-Geschichte ist. Also für mich kling das immer noch sehr fantastisch^^ Aber mal sehen, was daraus wird
Es ist keine Fantasygeschichte in dem Sinne, dass keine Elfen, Trolle & Zwerge usw. vorkommen. Es spielt auch nicht in einer erfundenen Welt. Es ist, sagen wir mal, eine Art Science Fiction, auch wenn keine Raumschiffe umherfliegen. Keine Ahnung, wie man dem hier sagt. Endzeit-Roman?^^
Apokalypse^^ keine Ahnung ;-)
weiterschreiben!!!
Huch^^. Äh...ja ja, ich schreib ja schon *vertieft murmel*
hmmm sry für den Doppelpost aber ich warte lieber wieder ein bisschen mit posten^^. Sonst kommt ja niemand mehr nach.
Na ja, ich konnte trotzdem nicht mehr warten *schäm*. Dafür stelle ich diesmal nur einen kleinen Abschnitt rein.
Hm, und irgendwie habe ich Mühe mit der Ästhetik. Ich kann nicht wirklich beurteilen, ob man beim Lesen wirklich das Gefühl bekommt, hilflos einer "untergehenden Welt" ausgesetzt zu sein. Ich meine, es ist ja alles in der Ich-Perspektive geschrieben, und auf diese Weise ist es schwer, zu beleuchten, was mit der ganzen Welt passiert *seufz*. Da müsste schon fast was Auktoriales her...na ja.

Kapitel 6 – Tina


Als ich erwachte und die Augen öffnete, schien mir die Sonne direkt ins Gesicht. Verwundert setzte ich mich auf und strich mir über die gewärmte Wange. Erstaunlich...nach dem Sonnenstand musste es bereits gegen Mittag zu gehen. Hatte ich so lange geschlafen? Andererseits, dachte ich mit einem leichten Lächeln, hatte ich auch keine Ahnung, wie spät es gestern geworden war. Mein Kopf fühlte sich erfreulicherweise frisch an, und für eine Weile verspürte ich sogar keinen grossen Schmerz. Doch dieser kehrte zurück, als ich den schwarzen Fleck auf meiner Haut betrachtete. Er war bereits auf über das Doppelte angewachsen. Dieser unerfreuliche Anblick vermochte es sogar, mich mit aufkommender Übelkeit kämpfen zu lassen. Es war also doch nicht so ein ruhiger Morgen wie anfänglich erhofft. Ja, das Wort Hoffnung musste ich langsam sowieso von meinem aktiven Gebrauch streichen, sinnierte ich trüb. Die Schulter, auf der ich gelegen hatte, wies lauter kleine Löcher auf, die von den Kieselsteinen stammten. Mein Rücken litt ebenfalls unter Qualen, so hart, wie ich gelegen hatte. Ein Hustenkrampf schüttelte mich und Schwindel erfasste mich dabei. Ich rappelte mich möglichst ungeachtet dessen schliesslich ganz auf und realisierte erst, als mir der heftige Wind ins Gesicht blies, dass ich in fast schon belustigender Weise auf dem Dach eines Hochhauses geschlafen hatte. Trübwachen Blickes sah ich auf die kläglich erscheinenden Strassen hinab und stellte fest, dass genauso wenig geschah wie in vergangener Nacht. Doch etwas hatte sich verändert, und das war die Geräuschekulisse. Ich hörte...Zwitschern. Vögel? Mit einem Ruck fixierte ich den simsartigen Rand des Daches. Tatsächlich: Einige braun-grau gefiederte Spatzen hatten sich darauf niedergelassen. Unruhig hüpfend beobachteten sie mich interessiert aus ihren kleinen Knopfaugen, als wollten sie den seltsamen Neuankömmling, der sich nur mühsam auf den Beinen hielt, kennenlernen. Ich wusste auch nicht, weshalb ich überlegte, ob ich mit ihnen ein paar Worte wechseln sollte. War wohl nur ein übler Streich, der mir die nach Gesellschaft sehnenden Sinne spielten.
„Hallo, ihr“, rutschte mir über die Kehle.
Die Spatzen erstarrten sofort. In einer Geste, die ich in anderen Zeiten vielleicht als „niedlich“ bezeichnet hätte, legte einer der Vögel den Kopf schief und blickte mich fragend an. Ich erwiderte den Blick mit einem unbewussten Lächeln. Es lag etwas Treuherziges darin. Ja...die Natur. Jetzt, wo Meinesgleichen fort waren, würde sie ihren lang umkämpften Tribut einfordern.
Plötzlich erklang ein fernes Geräusch.
Ehe ich es mir sah, flogen die Spatzen aufgeschreckt davon und hinterliessen nichts weiter als feine, winzige Fussabdrücke im Staub. Selbst aus der Ruhe gerissen suchte ich nach dem Ursprung des Geräusches. Erst, als ich meinen Kopf in alle Richtungen wandte, entdeckte ich ihn. Es war ein niedrig über dem Boden fliegender Hubschrauber. Er befand sich weit entfernt am Rande der Stadt, weshalb ich das Drehen der Rotoren nur leise hörte. Ich wollte, auch wenn es mir nichts erbringen würde, laut rufen, doch meine Drang erstickte sich schon beim Luftholen, als ich sah, was sich unter dem Hubschrauber befand: Es war ein gigantisches, mit Stacheldraht besetztes Absperrgitter. Ohne Mühe flog er darüber hinweg, in die weite Ebene hinein. Ich konnte meinen Augen nicht trauen und runzelte von Verständnislosigkeit überwältigt die Stirn.
Das ganze Gebiet wurde abgesperrt!
Eine Schwindelattacke überkam mich und ich stützte mich auf den Rand des Daches. Die Spuren der kleinen Tiere wurden von meinen Fingern verwischt, als ich sie stark pressend in Verblüffung darüber fahren liess. Wieso wurde das getan? Ich konnte mir immer weniger erklären, was hier vonstatten ging. Ohne recht zu wissen, was ich tat, sprang ich auf und hetzte auf die Tür zu, wobei ich nicht einmal genug Zeit fand, mich zu wundern, wie gut ich meinen zerquetschten Fuss wieder benutzen konnte. Flüchtig warf ich einen Blick auf die nackte Haut und sah in der Hast verschwommen, wie der Bluterguss geringeres Ausmass angenommen hatte. Ohne mich weiter darum zu kümmern, riss ich die vom prallen Sonnenschein heiss gewordene Klinke hinunter und stürzte ins Treppenhaus. Meine Füsse trafen mit hörbaren, klatschenden Geräuschen auf glatten, aber kalten und dreckigen Betoboden auf. Ohne zu zögern raste ich das Treppenhaus hinunter, über zahlreiche Stufen und an der offenen Lifttür vorbei. Noch einige Stockwerke, dann war ich unten angekommen und starrte auf den Schutthaufen, der meinen Weg versperrte. Irgendwie musste ich hier raus!
Verzweifelt suchend drehte ich mich um die eigene Achse, da sprang mir die Tür des ersten Stocks ins Auge.
Sie war offen.
Weiterschreiben! Bitteeeeeee
PS: Ist perfekt aber unbedingt weiterposten! hab doch Mitleid mit mir :'-(
PPS: Ich find das gut mit den Spatzen, das sind so richtige Hoffnungsschimmer! Es wird doch noch alles gut. glaub ich.
PPPS: Weiterweiterwillnochmehrlesen!!
Noch ein wenig Nachschub, damit auch unsere Lamproly wieder beruhigt schlafen kann:)

Für einen kurzen Moment hielt ich den Atem an. Dann, mit einem Blitzschlag, begann mein Herz zu rasen. Was hatte das zu bedeuten?
„Ist da jemand?“, rief ich instinktiv.
Niemand antwortete. Die Tür knarrte, als sie leicht zurück schwang. Vielleicht entschied ich mich in diesem Moment zu einer Dummheit, überlegte ich nervös. Doch ich konnte nicht anders, als mich der Tür zu nähern. Die Neugier war einfach stärker als die Angst.
Die Beschriftung unter der Türklingel lautete: Smith.
Sachte strich ich mit den Händen über das glatte Holz, während ich mit einem langsamen, zaudernden Schritt über die Schwelle trat. Das erste, was mir auffiel, war der Teppichboden, den ich unter meinen Sohlen spürte. Er war wohl einst strahlend hell gewesen, jetzt zierten ihn aber nur noch dunkle Flecken. Ein modriger, abgestandener Geruch stieg in meine Nase und Schummerlicht beleuchtete dürftig den Raum. Es war eine Art Wohnzimmer, das sich hinter einem kurzen Eingangsflur samt Garderobe erstreckte. In der Garderobe waren einige schwere Jacken aufgehängt, und ich sah mehrere Schuhpaare wild durcheinander gewürfelt daliegen. Ein alter, bräunlicher Staubsauger stand inmitten dieses Haufens und machte den Eindruck, als wäre er erst kürzlich gebraucht worden. Daneben erblickte ich an der Wand einen hölzernen, sperrigen Schrank, in dessen Flügeltür ein mannshoher, schmuckloser Spiegel eingelassen war. Mitten im Wohnzimmer hatte ein kleiner, ovaler Tisch seinen Platz gefunden. Er war überdeckt mit einem billigen, löchrigen Plastiktischtuch, auf dem sich zwei Teller, eine Schöpfkelle, vom Kalk trüb gewordene Gläser und ein Kochtopf befanden. Eine Fenstertür, die wohl auf einen Balkon führte, war mit geschlossenen Läden bedacht. Die einzige Lampe, die sich an der Decke in der Mitte der Stube befand, wies einen Sprung auf, weshalb ich es sogleich unterliess, meine Aufmerksamkeit auf den unscheinbaren Lichtschalter, den ich neben mir mit flüchtig huschenden Augen entdeckte, zu verschwenden. Stattdessen fiel mein Blick wieder auf den Spiegel. Darin entdeckte ich eine bisher unbemerkte Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Sie war leicht angelehnt. Durch den offenen Spalt sah ich etwas in der Düsterheit glänzen. Was mochte das sein?
Da...mir war, als hätte ich eine Bewegung gesehen.
Ein Schauer ergriff mich, als ich mich Schritt für Schritt auf die Tür zu bewegte. Und obwohl ich wissen wollte, was dahinter lag, sah ich mich einer plötzlichen Angst entgegengestellt, die schleichend in mir hoch kroch.
„Hallo?“, rief ich, und meine Stimme wurde zwischen den abschirmenden Wänden hin- und hergeworfen. Ein Gefühl der Surrealität begann sich auszubreiten, erstreckte sich in alle Ecken dieser düsteren Wohnung. Mit jedem Blinzeln wurde es stärker, ein Stechen in meinen Augen. Es wurde alles mehr und mehr verzerrt, als Ergebnis meines von Furcht erfüllten Blickes. Oder war es die Krankheit? Ich atmete mit einem energischen Stoss tief durch und streckte die flache Hand nach der Tür aus. Sehnen und dünne Knochen traten in den Bewegungen hervor. Dieses glänzende Etwas...es war mir schon ganz nah. Ich stiess die Tür auf.
Und blickte auf eine silberne Kaffeemaschine.
Ich stützte befreit den Arm auf den Türrahmen und lachte beschämt leise in die Stille hinein. Was hatte ich schon erwartet? Einen Mörder? Langsam, über mich selbst spottend, schüttelte ich den Kopf. Wenn hier jemand als solchen gehalten werden konnte, so war dies ich. Schliesslich spazierte ich in einer fremden Wohnung umher. Mein Blick fiel auf diverse Küchengeräte. Besteck, Teller, Töpfe, Tassen, Pfannen, Gläser, ein Toaster, eine Mikrowelle und ein Mixer. Allesamt standen sie auf der Ablagefläche, die sich rund um drei Wände und über den Backofen erbreitete. Sie bestand aus schwarzem, flach geschliffenem Gestein, das wie Marmor aussah. Auf einer der vier Herdplatten ruhte ein...Teddybär. Ich schmunzelte. Wer würde so etwas auf einer Herdplatte liegen lassen? Ich betrachtete ihn genauer. Es war eigentlich ein ganz gewöhnlicher Teddybär, förmlich einer, wie er im Buche stand. Er hatte ein samtweich aussehendes, braunes Fell, kleine, rundliche Ohren und eine schwarze Knollennase. Nachdem ich das Interesse in ihn weitgehend verloren hatte, wanderte mein Blick weiter. Zu meiner rechten Seite befand sich ein kleiner, niedriger Tisch mit zwei einfachen Schemeln. Auf dem Tisch lagen mehrere Scheiben Brot, deren Krümel wild verstreut waren. Ich nahm das Brot kurz in die immer noch leicht zitternde Hand und legte es wieder ab, nachdem ich dessen verschimmelte Unterseite beäugt hatte. Zu meiner linken Seite nahm ein kleiner, kaum bis an die Hüfte reichender Kühlschrank, wie er in einem Hotelzimmer hätte stehen können, seinen kümmerlichen Platz ein. Es ging ein unangenehmer Geruch von ihm aus, weshalb ich es unterliess, ihn zu öffnen. Stattdessen machte ich einen der Schränke neben dem Dampfabzug auf und starrte auf weitere, unberührt aussehende Tassen und Teller. Schon wollte ich mich aus der Küche begeben, da fiel mein Blick unmutwillig wieder auf den Teddybär. Schlaff lag er an die hintere Wand gelehnt da, und irgendwie ging in meinem Blick ein seltsamer Ausdruck der Körpersprache von ihm aus. Nicht, dass ein Teddybär dies aus der nüchternen Sicht eines vernünftigen, erwachsenen Menschen tun würde, aber dennoch...er übte eine unerklärliche Anziehungskraft auf mich aus. Und wer sagte eigentlich, dass ich erwachsen war? Wer weiss, vielleicht lag es auch am Zwielicht. Was auch immer es war, schlussendlich wurde ich dazu getrieben, ihn in die Hand zu nehmen. Sanft, fast schon zärtlich strich ich ihm mit den Fingern über das weiche Fell und fühlte mich gar wohl dabei. Ich machte mir in diesem Moment für einmal keine Gedanken darüber, weshalb ich das tat. Ich tat es einfach.
„Wer sind Sie?“
Eine hörbar überraschte Stimme erklang hinter mir.
Damit ich wieder beruhigt schlafen kann? Wenn ich unbedingt wissen will wer da grade reinkommt??
meeensch


löl also weiterschreiben perfekt und das mit dem Teddybär und vorher die Spatzen, das bringt so eine Lockerung rein, sowas... beruhigendes irgendwie.
Etwas, das jemandem wie mir vielleicht nicht einfallen würde, zu schreiben^^
Es bringt einfach Abwechslung und gerade das finde ich so toll
Weiter so!!
Der Zeit nach wäre das ein schönes Gutenacht-Abschnittchen. Allerdings hoffe ich nicht, dass sich diese Stelle zum Einschlafen eignet XD. Die neu auftauchende Figur ist ein wenig...merkwürdig.

Ich drehte mich um und blickte erschrocken direkt in das schmale Gesicht eines schmächtigen Jungen, das von braunen, etwas zerzausten Haarsträhnen umsäumt wurde. Seine ebenfalls braunen Augen starrten mir argwöhnisch entgegen und fielen dann auf den Teddybär, den ich in der Hand hielt.
„Lassen Sie ihn“, wies er nervös an und ich legte das Stofftier wortlos wieder an den rechtmässigen Platz.
„Ist das deiner?“, fragte ich vorsichtig und wies mit der Hand auf den Bären. Er antwortete mir nicht, sondern hastete stattdessen zum Küchentisch und griff nach einem Messer, dass er ausgestreckt auf mich richtete.
„Wer sind Sie?“, fragte er noch einmal, und diesmal lag ein ängstliches Zittern in seiner Stimme.
„Ich...ich habe keinen Namen“, stiess ich abgehakt hervor, wich zurück und kämpfte damit, es wenigstens halbwegs glaubwürdig klingen zu lassen. Ich stiess an meiner eigenen inexistenten Identität auf, doch mir bleib jetzt keine Zeit, mich darüber zu ärgern. Mit verzerrtem Gesicht blickte in seiniges und erwartete jeden Moment eine harsche Reaktion. Doch sie kam nicht. Er blieb immer noch an gleicher Stelle stehen und rührte sich nicht. Da ich nicht darauf vorbereitet gewesen war, brauchte ich selbst eine Weile, mich wieder zu sammeln. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, während ich auf ihn zutrat, doch er rief sofort schrill:
„Bleiben Sie stehen! Kommen...kommen Sie nicht näher!“
Demonstrativ warf ich die Hände nach oben und beschwichtigte ihn: „Keine Angst, ich tue dir doch nichts“.
„Angst?“, wiederholte er, „Angst? Ich habe keine Angst. Sie haben Angst!“. Immer noch bedrohte er mich mit dem Messer. Scharf beäugte ich es. Wenn ich es doch nur...
„Was suchen Sie hier?“, stellte er mir eine neue Frage. Möglichst ruhig versuchte ich sie zu beantworten.
„Nichts...ich habe nur die offene Tür gesehen, da dachte ich...“.
In einer blitzschnellen Bewegung stürzte ich auf ihn zu und entriss ihm das Messer. Er schrie auf, stolperte und fiel hin. Sofort warf ich es weg. Trotzdem versuchte er, panisch vor mir wegzukriechen und legte schützend den Arm über sein Gesicht.
„Nein! Tun Sie mir nichts!“, rief er schluchzend und krümmte sich auf dem Boden zusammen.
„Ich...ich will dir doch nichts tun“, erwiderte ich perplex und schüttelte den Kopf, doch meine Stimme ging in seinem verzweifelten Schluchzen unter.
„Hör zu, ich will dir nichts Böses!“, rief ich ihm zu.
„Gehen Sie weg! Verschwinden Sie!“, ignorierte er mich und kroch noch weiter von mir weg, bis er an den Türrahmen stiess. Völlig verängstigt lehnte er sich daran sitzend an und strich mit den Händen krampfhaft in Angst über den gekachelten Küchenboden. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er zu mir hoch und atmete flach. In einer plötzlichen Eingebung hockte ich mich vorsichtig langsam zu ihm hin. Er wich nicht mehr zurück, stattdessen sah er mich an, als blickte er seinem Tod entgegen. Ich verzog meine Mundwinkel ungewollt zu einem leichten Lächeln angesichts der ungewöhnlichen Situation.
„Ich tue dir wirklich nichts, versprochen“, redete ich ihm fast schon im Flüsterton zu und entdeckte an seinem Arm mehrere schwarze Flecken. Ein kalter Schauer überkam mich und ich wollte schon hastig aufstehen, da erinnerte ich mich an mein eigenes Verhängnis. Er hatte aufgehört zu schluchzen, doch er sagte noch immer kein Wort. Ich musterte ihn behutsam etwas eingehender und stellte fest, dass auf seinem Hals ebenfalls ein schwarzer Fleck prangte. Seine Augen waren von tief einfallenden Augenringen umrahmt und zeugten von unzähligen schlaflosen Nächten. Seine Lippen waren spröde und seine Kleidung schmutzig. Die abgenutzten Hosen, ebenso wie sein gestreiftes Hemd waren voll von Löchern. Es schien, als ob er niemanden hatte, der auf ihn Acht gab. Da hob er auf einmal den Kopf und fragte mich matt:
„Waren Sie die, die gestern Nacht geschrien hat?“.
Überrascht von dieser Frage blinzelte ich zunächst bevor ich knapp antwortete:
„Ja“.
Dann, nach einer Weile, fügte ich hinzu: „Du kannst mir du sagen“.
„Woher kommen Sie?“, fuhr er fort, und ich räusperte mich erstaunt.
„Aus einem Hotelzimmer in einer Stadt in der Nähe von hier“, gab ich Antwort.
„Hotelzimmer“, wiederholte er ausdruckslos.
„Ja“, meinte ich nur. Ein bedrücktes Schweigen legte sich auf uns hernieder und hielt uns gefangen. Niemand vermochte mehr etwas zu sagen, sei es aufgrund der Angst oder der seltsamen Situation. Ich beobachtete ihn weiter. Was mir auffiel, war, dass er ständig darin versucht war, mir nicht in die Augen zu schauen. Als ich seinen Blick bemüht suchte, verschloss er sich nur noch mehr vor mir. Zugegebenermassen konnte ich dies auch verstehen. Niemand gab sich gerne einer wildfremden Frau hin, die in die eigene Wohnung eingebrochen war, nicht einmal einen Namen hatte und einem das Messer aus der Hand entwendete. Wie hatte ich überhaupt so schnell reagieren können? Ein kleiner Funken Überraschung erglühte in meinem Unwissen, wurde aber schon bald vergessen und erstickt von dem klagenden Anblick, der sich mir zeigte. Der Jung warf seinen Kopf gegen den Türrahmen und schloss resigniert wirkend die Augen. Ich beschloss, weiter auf ihn einzugehen.
„Wie alt bist du?“, wollte ich zunächst wissen.
„Siebzehn“, erwiderte er kurzum und ich schnappte erstaunt nach Luft. Zu meiner Befremdung reagierte er sofort darauf.
„Den Teddy hat mir meine Mutter geschenkt, als sie meinen Vater verlassen hat. Damals war ich erst drei Jahre alt. Sie ist jetzt wahrscheinlich schon lange tot. Und mein Vater auch“, erzählte er trocken und wirkte, als würde er jegliche Emotionen unterdrücken wollen.
„Das...das tut mir leid“, murmelte ich betreten, wandte mich beschämt von ihm ab und starrte auf den Plattenboden, nicht wissend, wohin ich meinen Blick sonst richten sollte. Ich liess ein unsicheres Seufzen erklingen und versuchte durch meine Gesten, mich ihm möglichst nicht aufzudrängen.
„Es braucht Ihnen nicht Leid zu tun. Schliesslich werden Sie auch bald sterben“, stellte er ungehemmt direkt in den von Düsterheit durchdrungenen Raum. Es folgte eine stille Pause, als ich empört den Mund öffnete, aber keinen Ton hervorbrachte. Was in aller Welt dachte sich dieser Junge eigentlich?
„Na hör mal, ich...“, brach ich mit verzogenem Gesicht hervor, verstummte dann jedoch kläglich. Was er mir erzählte, war nämlich nichts als die Wahrheit.
„Sie haben eine beunruhigende Stimme“, murmelte er.
„Wie?!“, rief ich fragend aus.
Ohne mir zu antworten liess er den Kopf zwischen die Knie sinken und schniefte. Langsam begann ich mich wirklich zu fragen...
„Bitte...gehen Sie“. Es war fast schon ein Flüstern, das ihm von den Lippen wich. Ich bewegte mich nicht.
„Lassen Sie mich alleine“, drängte er bestimmter, aber dennoch immer noch flüsternd.
„Aber was...ist mit dir?“, presste ich zögerlich hervor. Ich hatte auf einmal Mühe, in sein Gewissen zu sprechen. Hinter seinem trüben Blick gingen scheinbar Dinge vor, die ich nicht verstand, und ich wollte mich auf irgendeine Weise nicht gerne anmassen, jene Dinge zu durchforsten. Schweigen trat ein und ich wurde durch meine nunmehr als vorlaut betrachtete Fragerei mit einem unangenehmen Kribbeln im Magen bestraft. Doch ich konnte nicht anders. Ich musste einfach auf ihn eingehen.
„Wie ist dein Name?“, wollte ich wissen, als nach einiger Zeit des Wartens noch immer keine Antwort gekommen war.
Keine Reaktion.
Unentschlossen stand ich auf und strich mir über die Haare. Was sollte ich tun? Ich konnte ihn nicht einfach so alleine lassen. Unwillkürlich streckte ich die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Als ich mir bewusst wurde, was ich tat, wollte ich sie zunächst zurückziehen, doch dafür war es nun zu spät. Zitternd hing sie in der stickigen Luft, stumm auf sein Entgegenkommen wartend. Unverhofft hob er seinen Kopf und warf ihr einen Blick zu. Zwar war dieser höchst argwöhnisch, aber immer noch besser als keiner. Wie aus Protest nahm er meine Hilfe nicht an, sondern rappelte sich eigenständig auf und drängte sich dabei noch mehr gegen den Türrahmen. Ich bemerkte, wie seine Hände hinter dem Rücken daran entlang fuhren, als suchten sie Schutz. Fortwährend auf meine Hand blickend sagte er dann mit schwerer Stimme:
„Ich heisse Jonathan“.
Hmmm das wird interessant!
Der arme Junge... Hoffentlich wird er auch irgendwie gerettet!
Fehler habe ich nicht gefunden.
Weiter gehts:

Daraufhin wandte er sich um und schritt aus der Küche. Ich folgte ihm. Sein Weg führte ihn quer durch das Wohnzimmer in einen anderen, bisher von mir unbemerkt gebliebenen Raum. Er war sehr klein und noch spärlicher erhellt als die anderen Räume. Dafür aber stach mir ein auffälliger Gegenstand ins Auge, der neben dem Bett und dem Fernseher einen Grossteil des Raumes einnahm: Ein Klavier.
Die freigelegten Tasten waren vor Schmutz gelblich geworden, doch es liess sich kein Staub darauf entdecken, auch nicht auf dem schwarzen Deckel. Vor dem Klavier stand auf vier Beinen ein entsprechender Stuhl, worauf sich gestapelte, eingedrückte Kissen befanden. Ohne zu zögern setzte er sich auf den Stuhl und hob die Finger griffbereit über die Tasten. Ich betrachtete ihn von der Seite und sah, wie er in einer langsamen, fast schon genüsslich wirkenden Geste die Augen schloss. Seine Finger sanken auf die Tasten nieder, und ein erster, hoher Akkord erklang.
„Jonathan?“, hauchte ich ungewollt.
Er öffnete die Augen wieder und das Klavier verklang.
„Ah, Sie sind immer noch hier“, stellte er tonlos fest und betrachtete mich aus den Augenwinkeln. Ich nickte mit gerunzelter Stirn, was er jedoch nicht bemerkte, da er sich schon wieder auf die Tasten konzentrierte.
„Du...spielst Klavier?“, fragte ich.
„Ja“, gab er mit einem knappen Nicken zurück und begann, behutsam mit den Fingern über den Deckel zu streichen.
„Und deine Eltern...sie sind...“, wollte ich murmeln, doch ich wurde von einer plötzlichen Frage unterbrochen.
„Mögen Sie Musik?“, wollte Jonathan wissen.
„Nun...ich...“, stammelte ich, doch schon stellte er die nächste Frage.
„Welche Art von Musik mögen Sie?“.
„Wie?“, sagte ich und lachte nervös auf, „Jonathan...also ich glaube nicht, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um über...“.
„Welche Art von Musik?“, repetierte er unbeirrt. Ich antwortete mit einem unbeholfenen Schulterzucken.
„Na ja...ich weiss es ehrlich gesagt nicht“, versuchte ich zu erklären und liess meinen Blick ziellos durch das Zimmer schweifen, um mich aus der plötzlich peinlich erscheinenden Situation zu winden. Der Fernsehbildschirm hatte einen Riss. Daneben lagen einige leere Pizzaschachteln und eine Tafel Schokolade. In der Zimmerecke stand ein kleiner Stuhl mit einer schwarzen, hölzernen Lehne. Auf dem Bett lagen ein Buch, dessen Titel ich nicht entziffern konnte, und eine Tüte Chips.
„Sie klingen nervös“, drang mir seine Stimme zu Ohren und ich richtete meine Augen wieder auf ihn. Er hatte seine Finger auf die Tasten gelegt und starrte wie in Trance darauf. „Wieso?“. Ich antwortete nicht, sondern fasste stattdessen einen Beschluss. Als einige Zeit lang keine Worte mehr folgten, ergriff ich die Chance und schlug vor:
„Jonathan...wie wäre es, wenn du mit mir kommen würdest?“.
„Ich kenne Sie nicht“, ertönte sogleich darauf die widerständige Antwort.
„Ja...aber willst du denn nicht weg von hier?“.
„Wieso sollte ich? Sehen Sie mich doch nur einmal an. Auch ich werde bald sterben, wie mein Vater. Und ausserdem können wir gar nicht weg. Der Ausgang ist blockiert“.
„Aber du kannst doch nicht einfach so hier bleiben. Du...du wirst einfach so......“, warf ich ihm mit einem kurzen Blick auf die Pizzaschachteln vor. Es folgte ein gleichgültiges Schulterzucken, woraufhin ich ihm den Arm auf die Schulter legte.
„Hey! Lassen Sie mich!“, schrie er energisch und entriss sich meiner Berührung, sodass ich leicht zusammenzuckte. Da wandte er mir wieder den Blick zu, allerdings nur, um mich böse anzufunkeln. Ich wich betroffen zurück, als er harsch hervorstiess: „Was wollen Sie überhaupt von mir?“.
„Ich...ich wollte doch nur...“, stotterte ich und brach ab. Seltsam. Ich wusste es selbst nicht. Wieso hatte ich das getan?
Völlig verwirrt wich ich noch einen Schritt zurück.
„Bitte lassen Sie mich alleine“, bat er, und ich sah keine andere Möglichkeit, als ihm Folge zu leisten. Ich kehrte ihm den Rücken und bewegte mich, ohne mich noch einmal umzudrehen, aus dem Zimmer. Noch während ich die ersten Schritte tätigte, überlegte ich mir, ob ich vielleicht gerade wieder eine Fehlentscheidung getroffen hatte...ach was. Der will ja, dass ich ihn seinem Schicksal überlasse.
„Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen“, liess ich eine letzte, grimmige Bemerkung fallen, bevor ich das Wohnzimmer durchquerte und auf die Ausgangstür zu steuerte. Bereits erklangen die ersten Töne eines schwermütigen Stückes, das ich jedoch genauso wie Jonathan nicht länger beachtete. Erst, als ich über die Schwelle in das hallende Treppenhaus trat, wurde mir bewusst, dass sich ein Kloss in meinem Hals festgesetzt hatte. Ich versuchte ihn möglichst zu verdrängen, zumal ich ihn mir nicht erklären konnte, und stierte angestrengt auf die Schuttwand, als könnte ich sie mit meinem Blick zum Einstürzen bringen. Lächerlich, zu hoffen, dass dadurch etwas geschah. Ohne grosse Hoffnung auf Erfolg versuchte ich, einen der schweren Brocken, die zu meinen Füssen lagen, zu bewegen. Wie erwartet rührte er sich nicht vom Fleck. Ich versuchte eine neue Strategie, indem ich nach oben kletterte und die kleineren Betonstücke beiseite schob. Tatsächlich, sie gaben nach, rollten geräuschvoll auf den Boden und liessen ein kleines Loch erscheinen, durch das mir frische Luft entgegenwehte. Von entflammtem Willen getrieben machte ich mich daran, das Loch zu vergrössern. Bald hatte ich eine Öffnung geschaffen, durch die ich mich nach den eigenen Schätzungen knapp hindurchzwängen konnte, wenn ich kroch. Ohne weitere Zeit zu verlieren, tat ich ebendies.
Die Enge des kleinen Durchgangs nahm mir die Luft zum Atmen, und bald waren meine Arme von Schürfwunden übersät und meine Fingernägel abgebrochen. Doch davon liess ich mich nicht abhalten, auch wenn ich mich zunehmend unwohl fühlte, während ich mich voran arbeitete. Doch die Bedrängnis hatte bald ein Ende und ich zog mich schliesslich aufatmend aus dem Loch. Froh, die Wärme der Sonne wieder in meinem Nacken zu spüren, rappelte ich mich auf und blickte schaudernd zurück. Es war ein Wunder, dass bei jener Zerstörung nicht das gesamte Gebäude eingestürzt war. Die blossgelegten, rostig braunen Stahlträger waren es, die das Hochhaus glücklicherweise zu halten vermocht hatten. Von den einst erhaltenen Mauern waren nur noch Ruinen übrig, und die Spalte unter der Decke, durch die ich gekrochen war, klaffte darin wie ein zahnloses Maul. Ich blinzelte und strich mir über die Haare. Jonathan war immer noch dort drin und schloss sich selbst ein. Schuldgefühle und Zweifel krochen in mir hoch. Vielleicht hätte ich ihn nicht alleine zurücklassen sollen, auch wenn er es so gewollt hatte. Doch nun...nun liess ich ihn einfach so sterben. Ich seufzte tief und schloss die Augen. Nein, mahnte ich mich, nun ist nicht die Zeit für Mitleid.
sie lässt den jungen zurück?!
Das ist doch richtig traurig... Leidensgenossen und dennoch muss jeder seinen eigenen Weg gehen oder es scheint zumindest bisher so. Das kann man sich richtig vorstellen, wie sie aus dieser Wohnung herausgeht (herauskämpft) und dieses traurige Lied sie die ganze Zeit begleitet... wie hat ´sie nur die Kraft, den Jungen allein zu lassen?!
@ira: Sie ist nun mal eine starke Frau:P
Nun ja, psychologisch versuchte ich es so zu gestalten, dass sie von aussen her zwar manchmal forsch erscheint, dass sie aber innerlich zerbricht. Sie soll nun mal keine makellose Superheldin sein, und ich hoffe, das wird auch im Verlauf der Geschichte klar...
Ich stell dann wieder was rein, sobald ich Zeit habe^^.
Ohje, und dazu noch diese traurige Musik... Ich fang gleich selber des heulen an...
du versuchst es nicht nur @RPGamer, du schaffst es auch! Und ich finde das super so!
Weiter so!

PS: Fehler habe ich keine gefunden.
Interessant, dass ihr die Musik so erwähnenswert findet, während ich schrieb, hatte ich sie gar nicht so recht im Kopf:).
Passend wäre übrigens die Mondscheinsonate von Beethoven, habe ich mir gedacht.
Obwohl mir die Mehrfachposts langsam peinlich werden, kommt hier noch der letzte Rest des Kapitels:

Endgültig wandte ich mich vom Gebäude ab und liess meinen Blick die Strasse entlang wandern. Diesmal war ich froh, dass nichts und niemand auf ihr verweilte. Ich war froh, dass mir keine Geräusche zu Ohren drangen. Ich war froh...dass ich alleine war. Es war fast schon zu etwas Gewöhnlichem geworden, das ich nicht missen wollte, stellte ich mit Beunruhigung fest. All diese Dinge...sie veränderten mich, ohne dass ich es bemerkte. Ein unangenehmes Kribbeln überkam mich, doch ich zwang mich zur Ruhe. Es blieb mir nichts anderes übrig, als es in Kauf zu nehmen. Vielleicht wurde ich eines Tages zu einer kalten, gefühllosen...ich unterbrach den Gedanken. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt darüber Sorgen zu machen. Mit diesen Worten im Kopf tätigte ich neue, unschlüssige Schritte. Wohin sollte ich gehen? Was sollte ich tun? Das Bild des Absperrgitters blitze vor mir wieder auf. Ja...ich musste versuchen, die Stadt zu verlassen, solange es noch möglich war. Bitter, die drohende Reue erstickend, focht ich Schritt für Schritt vorwärts und zur gleichen Zeit einen Kampf in mir selbst. Für äusserlichen Schmerz war ich in dieser Lage schon gar nicht mehr empfänglich. Er prallte an mir auf wie Regen, wie verwehender Staub, doch er erreichte meine Seele nicht, die mit meinem Körper langsam zu sterben drohte. Eine überschäumende Flut der Verzweiflung und Resignation schlug gegen eine Mauer der stummen Verschliessung, die immer dicker wurde. Ich liess es geschehen, sah mich je länger je mehr nur noch als einfache Marionette in diesem Schauspiel, das sich mir bot, wenn ich meine Augen nach innen wandte. Vielleicht geschah dies nur als Folge eines Art Selbstschutzes, vielleicht aber auch, da ich nichts mehr hatte, woran ich mich hätte klammern können. Falls ich dies überhaupt je einmal gehabt haben sollte. Wer weiss, vielleicht waren es auch nur meine Sinne, die verrückt spielten.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich mich endlich von mir lösen konnte und wieder in der Lage war, mich der Realität zuzuwenden.
Das Hochhaus, in das ich geflüchtet war, lag schon erstaunlich weit hinter mir, und vor mir lag nichts als unzählige, unüberschaubare Kilometer Asphalt.
Da...zu meiner Rechten entdeckte ich den Laden, den ich gestern Nacht aus weiter Entfernung gesehen hatte. Die Leuchtschrift des Aushängeschildes war nun erloschen, und doch hegte ich das Gefühl, dass ich hier auf etwas stossen würde. Und so steuerte ich auf diesen Laden zu, obwohl es nicht meinem eigentlichen Ziel entsprach.
Als ich in das kleine Lebensmittelgeschäft trat, ertönte eine klingelnde Glocke. Ich starrte etwas enttäuscht auf mehrere Regale, auf denen sauber aufgereiht diverse Konservendosen, Getränkeflaschen und dürftig eingepackte Esswaren standen. Doch was hatte ich schon erwartet? Erfreuen durfte ich mich allerdings an der Erleichterung, die ich erfuhr, als ich von der Hitze der Strasse auf den kühlen Boden des Ladens trat. Ich hatte mir keine Mühe gemacht, die Schuhe vom Dach zu holen. Sie würden mich sowieso nur behindern. Und so streckte und krümmte ich nun jeden Zeh und schielte auf die gequetschte Stelle. Ich sog überrascht die Luft ein, als ich sah, was vom blauen Fleck noch übrig geblieben war: nämlich nichts. Er war einfach verschwunden. Nun gut...nicht, dass ich ihn vermisst hätte, meinte ich mit einem innerlichen Auflachen zu mir selbst. Mein Blick richtete sich wieder auf die Regale, und während ich ihn schweifen liess, fragte ich mich immer mehr, was ich hier eigentlich wollte. Ein Achselzucken, wovon niemand ausser mir selbst Zeuge wurde, unterstrich meine Verwirrung, als ich mich tiefer in den Laden vor wagte. Meine eigenen Schritte hallten erschreckend laut in der stillen Regungslosigkeit, die mich umgab, sodass ich beschloss, stehen zu bleiben. Ohne mir viel davon zu versprechen, lauschte ich. Es erklang nichts.
Natürlich. Was hätte ich schon hören sollen? Ich schüttelte den Kopf. Und so etwas nannte sich weibliche Intuition.
Helles Glockengeläut.
„Was suchst du denn hier?“.
Ich zuckte zusammen und wirbelte herum.
Du?“, stiess ich in massloser Verblüffung hervor. Vor mir stand Jonathan. Der leicht lächelnde Ausdruck in seinem Gesicht schwand und wich Bestürzung.
„Aber...ich habe gedacht...ich darf dir du sagen?“, fragte er verunsichert. Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, was er meinte. Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, während er die Augenbrauen hob. Mein Lächeln ging in ein leises Lachen über und seine Miene hellte sich auf.
„Natürlich darfst du das“, antwortete ich. Nach einer Weile fügte ich hinzu: „Ich wollte eigentlich einfach nur von hier weg. Wieso bist du mir gefolgt?“.
„Weil...ich mich entschuldigen wollte“, gab er zurück und setzte einen schuldbewussten Blick auf.
„Entschuldigen?“, wiederholte ich überrascht. Er nickte und senkte den Blick, fast schon so, als hätte er etwas Schlimmes getan. Verwundert schwieg ich und wusste nicht auf Anhieb, was ich sagen sollte. Zunächst lag mir die Frage auf der Zunge, wofür er sich denn genau entschuldigen wollte, dann jedoch liess ich sie sein und meinte stattdessen abgehackt:
„Ist...schon gut“.
Seltsam...es war ein komisches Gefühl, eine Entschuldigung anzunehmen, zumal ich dies bis jetzt noch nie getan hatte. Jonathan hob den Blick wieder und ich sah darin so etwas wie...Erleichterung widerspiegeln. Ein verwunderter, murmelnder Laut entwich meiner Kehle, bevor wieder einige Zeit lang Schweigen herrschte. Da fing Jonathan auf einmal an, nervös auf seiner Unterlippe herumzukauen und mit den Füssen über den Boden zu fahren. Bevor ich mir überlegen konnte, was es nun damit auf sich hatte, fragte er scheu:
„Wo willst du denn hin?“.
„Nun...aus der Stadt“, stand ich ihm Antwort. Er seufzte leise und öffnete den Mund, wohl, um etwas zu sagen, doch er schloss ihn wieder. Dann setzte er von neuem an, noch verhaltener.
„Darf ich...“, kam über seine Lippen, und für einen Moment sah es aus, als würde er wieder abbrechen wollen, doch dann stiess er mit einem hauchenden Atemzug hervor: „...mit dir mitkommen?“.
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, presste er die Lippen zusammen und atmete tief durch. Und obwohl ich immer noch ganz befremdet von seinem zweifellos seltsamen Verhalten war, sagte ich schon beinahe instinktiv:
„Ja“.
Es folgte eine Atempause. Dann, in einem stillen Erfolg, riss Jonathan die Arme über den Kopf und grinste. Ich konnte mir nicht helfen, ich musste einfach lachen. Gleichzeitig jedoch war ich mir in tiefstem Ernst bewusst darüber, dass ich gerade einen neuen Gefährten gewonnen hatte. Und das stimmte ich glücklich. Ein weiteres Mal tätigte Jonathan im nächsten Moment eine Aktion, die ich so nicht von ihm erwartet hätte. Er machte einen zögerlichen, etwas unbeholfen wirkenden Schritt auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen. Sie wies schwarze Flecken auf. Ohne darauf zu achten, nahm ich sie an, und er fragte:
„Du hast keinen Namen, nicht wahr?“.
Ich nickte.
Dann sagte er nur ein einziges Wort: „Tina“.
„Wie bitte?“, hauchte ich.
„Tina“, sagte er erneut und nickte.
„Wie...“, begann ich, verstummte jedoch, als er mir erklärte:
„Du hast keinen Namen, also habe ich dir einen gegeben. Ich kann dich ja nicht immer mit ‚du’ anreden. Na, was hältst du davon?“. Ein fröhliches Grinsen erschien in seinem Gesicht und ich schwieg verlegen.
„Nun...ich...“, murmelte ich dann und lachte auf. Er schloss die Augen, als würde er lauschen, öffnete sie wieder und nickte dann ein weiteres Mal bestätigend.
„Ja, das ist es. Tina. Der Name klingt wie süsse Glocken“.
Da drehte er sich einfach um und lief aus dem Laden. Glocken.
Für eine Weile blieb ich wie erstarrt stehen, schliesslich vermochte ich mich jedoch zu lösen und lief ihm hinterher, hinaus auf die Strasse. Glocken.
„Jonathan!“, rief ich verwirrt und er drehte sich um.
„Ja?“, wollte er neugierig wissen.
„Ich...ich...“, stammelte ich und wandte meinen Blick unsicher von ihm ab. Ein eigentümliches Gefühl durchströmte mich. Ich konnte es nicht bezeichnen, doch es liess meinen ganzen Körper erzittern.
„Es...ist nichts...“, beendete ich und wurde von diesem Gefühl noch mehr eingehüllt. Mein Herz...es begann plötzlich schneller zu pochen, wie in einer Angst. Doch es war keine Angst...was dann? Ich blinzelte und stellte fest, dass meine Augen leicht wässerig geworden waren. Schnell rieb ich mir die Feuchtigkeit aus den Augen und fragte mich energisch, was mit mir eigentlich los war. Kaum waren meine Gedanken im Begriffe, wieder auf Jonathan zu fallen, meldete er sich auch schon zu Wort.
„Wollen wir gehen, Tina?“, drängte er ungeduldig.

Und während ich Schritt für Schritt vorwärts ging, hallte mir nur ein einziges Wort durch den Kopf.
Tina...
Noch ein Stück:
(Ist der Text mit den kursiven Wiederholungen wenigstens halbwegs ertragbar? Wollte nur mal so wissen, da niemand mehr gelesen hat...)

Kapitel 7 – Der Unterschlupf


Das Licht der Sonne. Wie zwiespältig dessen Rolle doch war, überlegte ich in ziellosen Gedanken, als ich an der Seite von Jonathan über die nächste, leere Strassenkreuzung unter vielen wanderte, die wir mittlerweile passiert haben mussten. Einerseits war da der wärmende Schein, der sich auf mich niederlegte wie ein einschläfernder, wohltuender Schleier. Andererseits...da war all dieses Schreckliche, Unwirkliche, das es erleuchtete, unwirklich durch den Schein selbst, der die Verlassenheit glänzen liess. Sternengleich funkelten die Steine der Strasse zu mir herauf, und ich wandte mich davon ab, wissend, dass in jenen Dingen nicht die Wirklichkeit lag. Sie lag vor mir, auch wenn ich sie nicht verstehen oder gänzlich erkennen konnte. Ich sah den tiefblauen Himmel über mir, sah, wie die Wolken ihn schleierhaft wandernd schmückten. Ein Anblick der Ruhe in der Ungewissheit. Ich sah auf die Häuser, die sich rechts und links von mir darboten. Ihre mahnenden Masken hatten sie verloren, fungierten nur noch als Bilder der Trauer, des Verlustes.
Ich sah auf Jonathan.
Er richtete sich starr nach vorne und hatte kein Wort mehr gesagt, seit wir abmarschiert waren. Ich wusste, die Zeit drängte, und doch beschleunigte ich meine Schritte nicht. Wieso, das konnte ich mir selbst nicht richtig erklären. Vielleicht, weil ich so versunken in seinen Anblick war...meine Augen trafen seine, und doch hatte ich nicht das Gefühl, dass er mich ansehen würde. Mehr schien es mir, als schaute er durch mich hindurch. Sein Blick schweifte wieder ab, doch ich liess nicht ab. Ich kam nicht umhin, ihn einfach immerwährend zu beobachten. Nach einiger so verstrichener Zeit fiel mir auf, dass Jonathan eine seltsame Eigenheit besass. Es schien nämlich so, als verliesse er sich mehr auf seine Ohren als seine Augen. Ab und zu ertappte ich ihn dabei, wie er einfach so stehen blieb, die Augen kurz zusammenkniff und auf der Stelle verharrte, als würde er lauschen. Im nächsten Moment marschierte er dann jeweils wieder seelenruhig weiter, als wäre nichts geschehen. Auf Fragen, was er denn gehört hätte, antwortete er meistens mit: „Nichts“, oder zuweilen auch mit „Vogel.“ Und das in Momenten, in denen ich weit und breit keine Vögel entdecken konnte. Mehr und mehr liess mich diese Eigenschaft mit stiller Bewunderung durchstreifen, und ich stellte fest, dass Jonathan über ein sehr ausgeprägtes Gehör verfügte. Selbst die leisesten Geräusche schienen ihm nichts zu entgehen, und wenn, waren sie wohl unwichtig. Tja...da hatte ich zweifellos eine spezielle Begleitung erwischt. Tina. Ich lächelte. Ja...Tina klang wirklich gut. Es mochte zwar seltsam erscheinen, aber durch diesen Namen, das spürte ich, ergab sich so etwas wie ein Teil meiner Identität, meines Selbstgefühls. Ich war nun nicht mehr einfach nur eine namenlose Frau mit langen, schwarzen Haaren und bleichem, verschmutztem Gesicht. Innerlich war ich ihm auch dankbar dafür, und so beschloss ich, dies ihn durch mein Interesse spüren zu lassen. So kam es, dass ich versuchte, ein Gespräch zu beginnen.
„Jonathan...“, begann ich vorsichtig, „erinnerst du dich noch an deine Mutter?“
Ohne sich mir zuzuwenden meinte er bedrückt: „Nein...“
Er machte den Eindruck, als ob er nicht darüber sprechen wollte. So ging ich, etwas beschämt, lieber nicht weiter darauf ein und suchte nach etwas Anderem. Wütend über mich selbst tadelte ich mich, wiederum so direkt auf sein Leben eingegangen zu sein. Ja...ich sollte wohl lieber nicht alte Erinnerungen aufleben lassen, wie ich es selbst so schmerzlich zu erquälen versuchte. Ich beschloss, wenn auch unsicher, auf ein Thema einzugehen, dass ihm hoffentlich nahe lag.
„Magst du Musik?“, fragte ich mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Ja“, schoss er sofort wie aus einer Pistole geschossen hervor.
„Und welche...“, doch er antwortete mir, bevor ich zu Ende sprechen konnte.
„Klassik. Tchaikovsky, Mendelssohn und Beethoven.“
„So...“, murmelte ich leicht überrumpelt und lachte leise auf.
„Weshalb lachst du, Tina?“, warf er mir verletzt wirkend entgegen und strafte mich mit einem misstrauischen Blick. Beschwichtigend vollführte ich ein enthaltendes Achselzucken und schüttelte den Kopf.
„Es ist nichts“, gab ich zurück.
„Doch, ist es“, konterte er vorwurfsvoll, „du fragst dich bestimmt, weshalb ich mit siebzehn Jahren solche Musik höre.“
„Was? Nein!“, verteidigte ich mich aus Verblüffung, doch er fuhr fort:
„Du fragst dich jetzt sicher, was für ein komischer Kauz ich bin, nicht wahr?“
„Ich frage mich überhaupt nicht“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Dies gelang mir zumindest teilweise, da er zwar verstummte, mich aber immer noch höchst misstrauischen Ausdrucks mass. Auf weitere Worte verzichtete ich, zumal mir sowieso keine einfielen und mir dieser Streitpunkt so überraschend fremd wie unsinnig erschien. Doch ich konnte es Jonathan nicht wirklich übel nehmen, in der Hinsicht, dass ich wohl auf einen wunden Punkt bei ihm gestossen war, aus welchem Grund auch immer. Nach einiger Zeit des Schweigens meinte er plötzlich:
„Das haben sie in der Schule auch immer gesagt. Aber...bei dir klingt es irgendwie anders.“ Ich öffnete zunächst den Mund, um ihm zu antworten, schloss ihn dann aber wieder, da ich mir nicht sicher war, ob er lediglich ein Selbstgespräch führte. Denn er sah mich wiederum nicht an, während er sprach. Das war wohl eine weitere seiner Gewohnheiten, an die ich mich erst noch gewöhnen musste. Ein Lächeln umspielte meine Mundwinkel. Irgendwie begann ich ihn doch zu mögen...

Und so verlief unsere Wanderschaft fortan schweigend, obwohl in der Zweisamkeit. Still genoss ich das angenehme, irgendwodurch vertraute Gefühl, das in mir je länger je mehr aufkam. Den Umständen entsprechend hätte man sagen können, dass ich mich in erstaunlich guter Verfassung befand. Die Wunden, die meinen ganzen Körper übersäten, waren schon seit einiger Zeit versiegt und mit einer Kruste überzogen, und auch der Schmerz hatte nachgelassen, auch wenn er nicht gänzlich verschwunden war. Was übrig geblieben war, stellte aber mehr ein Kribbeln denn eine grosse Qual dar, als würden meine Glieder verheilen wollen. Was vollkommen unmöglich war, bedachte ich, da sich das Virus fortwährend in meinem Körper einnistete, mit jeder Minute ein wenig mehr, ein wenig tiefer. Ich betrachtete mutwillig in flüchtiger Weise, nur einige Sekunden lang, den Arm, um festzustellen, dass neben dem ersten Fleck ein zweiter aufgetaucht war. Länger wollte ich mich nicht mit meinem ohnehin schon glasklar ersichtlichen Verderben beschäftigen. Und auch auf Jonathan blickte ich nicht. Ich wollte nicht daran denken, dass er das Schicksal mit mir teilte, welches ich bis anhin nur für mich allein ertragen hatte. Ich wollte nicht daran denken, dass auch er umkommen würde. Johns Stimme...
Eine Woche.
In dieser Zeit gedachte ich...irgendwie...einen Sinn zu finden. Zumindest hatte ich dessen gedacht. Nun, da ich in kühl erloschenen Gefühlen meine Situation in Betracht zog, wusste ich freilich nicht, ob ich jemals wieder so viel Enthusiasmus aufbringen konnte. Meine Augen huschten umher, streiften Strassen, Hochhäuser, Geschäfte, Abfälle, nichts. Nichts. Ja...diese verhasste, erdrückende Leere, die sich niedergelegt hatte wie eine schwere Decke, welche alles mitsamt der Hoffnung zu ersticken drohte. Über meine vergangenen, inneren Worte konnte ich nur noch müde lächeln. Dennoch waren sie nicht vergessen. Ich hatte mir eine Aufgabe gegeben, und ich würde sie erfüllen, so sinnlos dieses Unterfangen auch schien. Da...vor meinen Augen tauchte es wieder auf, dieses kleine Stück Papier und die Lettern, die ich darauf erspäht hatte.
GFL.
Was dies wohl zu bedeuten hatte?
Eine Woche.
Ich begann, mir im Kopf zusammenzubasteln, für was diese Abkürzung, sofern es überhaupt eine war, hätte stehen können, vielleicht aus Langweile, vielleicht aus Verzweiflung. Bald erkannte ich ob meinen unsinnigen wie lächerlichen Ausschweifungen, dass mir dieses Unterfangen nichts erbrachte. Dann beschäftigte ich damit, weshalb dieses Stück Papier den Weg in meine Tasche gefunden hatte. Und wie hatte es den Weg dorthin gefunden? Absichtlich? Versehentlich? Wenn es absichtlich gewesen war, folgerte ich, so war der Grund vielleicht darin zu suchen, dass mich jemand oder etwas daran teilhaben oder erinnern lassen wollte. Dass mir eine Erinnerung gegeben worden war, mit der ich nichts mehr anfangen konnte. Aber immerhin war es eine Erinnerung...nur eine verschlüsselte.
Eine Woche.
wow, das wird immer besser^^
Das du keine Rückmeldungen zum vorletzten Abschnitt gehört hast, kommt vermutlich davon, dass ich ihn übersehen habe... deswegen kommt das Lob jetzt.
Ich wusste doch, dass sie den Jungen nicht einfach zurücklassen kann! Wirklich gut gemeistert.
Hm... zum letzten Teil: Den finde ich genauso gut, wie den Rest! Besonders deine kursiven Einschübe (oder wie du sie auch immer nennen willst) machen das ganze noch einmal interessanter und den Leser neugieriger! Wirklich großes Lob!^^
Ja eben diese kursiven Abschnitte heben die Spannung immer um einiges!
Irgendwei wenn man diesen Abschnitt liest. Dann kommt man in eine seltsame Stimmung... ich denke, das ist die Stimmung die diese Tina/Evelyn in diesem Moment auch hat. Daran sieht man, wie gut du schreibst :-)
Weiter!

Ach, und ein Fehler hab ich gefunden:
Meine eigenen Schritte hallten erschreckend laut
Sie würden vielleicht hallen, wenn Tina Schuhe anhätte. Aber barfuß hört man doch höchstens ein Tapsen...
*Hand vor den Kopf schlag*
Argh, du hast mich wahrlich ertappt! lol, wie hatte mir das nur passieren können?^^ Haha, stimmt, da gibt es wirklich einen leichten Logikfehler (hatte glaub vergessen, dass sie gar keine Schuhe mehr anhat).
Na ja, danke, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast, sowas schätze ich immer^^
Und übrigens danke auch für all die Lobe, die ich von euch bekomme *rotwerd*:)
Hier kommt noch ein Stück:

Während ich so meinen Gedanken nachhing, merkte ich gar nicht, dass Jonathan stehen geblieben war. Ich realisierte es erst, als er auf einmal das Wort an mich richtete.
„Ich höre etwas“, hauchte er so leise, dass ich kaum verstand.
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um.
„Was hörst du?“, fragte ich mit unguter Vorahnung.
Da riss er die Augen auf und starrte mir voller Angst entgegen. Er schnappte nach Luft und rief warnend: „Ich...es...es ist ein...Knirschen.“
Mit einem erstickten Aufschrei wollte ich sofort, in einer instinktiven Bewegung, der ich gar nicht richtig gewahr wurde, seine Hand packen. Noch während ich mich fragte, weshalb ich das tat, wich er abneigend vor mir zurück und beugte sich von mir weg.
„Lass mich“, herrschte er mich erstaunlich barsch an, und ich blieb zitternd auf der Stelle stehen. Meine Nackenhaare stellten sich zu Berge und ich drängte ihn verständnislos mit bebendem Atem:
„Jonathan...komm schnell. Wir müssen hier weg! Sofort!“ Erneut versuchte ich ihn zu ergreifen, doch er wich mir abermals aus.
„Nein...ich...fass mich nicht an! Ich kann alleine rennen!“, beteuerte er und wandte sich in alle Richtungen. Als er sich über die Schulter blickte, erstarrte er, doch ich wusste, es durfte kein weiterer Augenblick verschwendet werden. Ohne auf seine Reaktion Rücksicht zu nehmen packte ich ihn mit aller Kraft, riss ihn herum und zerrte ihn mit mir mit. Unter wütendem Zischen entschlüpfte er schon bald meinem Griff, doch er rannte mir trotzdem nach, wie ich feststellte, als ich meinen Kopf hastig nach hinten drehte. Da hörte ich es auch. Knirschen. Dort, am Ende der Strasse, ein Wirbel aus Staub, als ein Auto mit einem gewaltigen Knall zur Seite gestossen wurde. Es wirbelte nahezu durch die Luft. Im dunsterfüllten Sonnenlicht blitzte es auf. Ein Anschein von...Metall. Ich presste einen angsterfüllten, gurgelnden Laut hervor und begann, noch schneller zu rennen. Hinter mir hörte ich die schnellen Schritte von Jonathan und seinen keuchenden Atem, aber ich verlangsamte mein Tempo nicht. Auch nicht, als meine Füsse messerscharf beinahe von Scherben aufgeschlitzt worden wären, hätte ich ihnen nicht im letzten Moment mit einem Sprung entgehen können. Immer noch war es hinter uns her. Gaben diese Maschinen denn nie auf? Häuserreihen huschten an mir vorbei und verschwammen zu trüben Farbklecksen in den Augenwinkeln. Der Asphalt brannte. Mein Atem brannte. Meine Glieder brannten. Ich verlor mich in feuriger, hetzender Angst. Fort, nur noch fort von hier, das war mein einziger Gedanke.
Ich wusste nicht, welche Umstände es waren, die mich dies erleben liessen. Ich wusste nicht, weshalb ich meinen Blick gerade in diesem Augenblick hob. Und ich wusste nicht, weshalb ich gerade in diesem Augenblick jenen Hubschrauber sah.
Einzig und allein war mir klar, dass ich ihn sah. Dass ich sah, wie mehrere Gestalten in dessen Transportraum stiegen, Frauen, Kinder zuerst, dann in Grau vermummte Gestalten, in eine Art Schutzanzügen. Dass ich sah, wie die Rotoren langsam zu drehen begannen. Direkt vor dem stählernen, scharfen Gitter der Absperrung. Stacheldraht. Mein Mund formte sich zu einem Schrei. Doch es war zu spät. Der Hubschrauber flog in die Luft, dem blauen Nichts des Himmels entgegen. Und in diesem Moment, da sah ich es. Es stand in grossen, gelben Buchstaben auf dem verwischenden Metall, hinter den schattenhaften Verschweifungen der rasenden Rotoren.
G. F. L.
„HALT!“, schrie ich. Doch mein Schrei verklang, traf gegen eine graue Gitterwand. Ich schluchzte auf und warf mich ohne Rücksicht auf mich selbst gegen die Absperrung. Rüttelte an ihr, krallte die Finger in die Zwischenräume des rauen Maschendrahts, brüllte aus Leibeskräften. Es half nichts. Weit aufgerissene Augen...schwerer Atem...Jonathans Stimme, die eine Regenwand der Enttäuschung, des unverstandenen Schmerzes durchriss.
„Tina!“, warnte er mich. Ich wirbelte herum und durchbohrte seine Augen in der Hast des Schreckens. Als ich seinem Blick folgte, fiel meiniger auf eine neue, unbegreifliche Erscheinung. Dort oben, an der Spitze eines antennenartigen Gebildes am Rande der Absperrung, sass eine Eisenkugel. Ein rötlicher Schimmer ging von ihr aus...nein, sie glühte! Das Licht wurde immer heller, je länger ich es anstarrte. Irgendetwas...irgendetwas in meinem Innern schlug Alarm. Ein Nerven zerfetzendes Rauschen war zu hören. Was geschah hier nur? Ein kreischendes Geräusch. Die Maschine war schon ganz nah. Mir war, als hörte ich sie wieder, jene Schmerzensschreie vergangener Nacht. Sie wurden immer lauter, immer unerträglicher. Mit einem Wimmern presste ich die Hände über die Ohren, doch es nützte nichts. Nasse Haarsträhnen streiften meine zitternden Finger. Nein! Du stirbst! Du stirbst! Meine eigene Stimme hallte in mir wieder, wie ein klagender, verlassener Geist. Etwas Furchtbares...etwas Furchtbares würde geschehen!
„TINA!“, befreite mich Jonathan endlich aus der Starre, „komm da weg!“
Ich leistete ihm Folge. Nicht, weil ich es wirklich erdacht hätte. Nein, es war vollkommen ergeben, ergeben einer Angst, die mich nicht mehr denken liess, mich des Atems beraubte und mich zu zerreissen drohte. Ich rannte ihm hinterher. Rannte, weg von der Maschine, weg von der Kugel. Alles, was ich noch sah, waren die Füsse meines Gefährten. Ich musste ihnen nach, musste ihnen folgen, wohin auch immer. Er stürzte sich in eine enge Seitengasse. Ich tat es ihm gleich und fiel zu Boden. Den Aufprall spürte ich nicht, zu nahe war ich dem Tode gekommen. Ein letzter Gedankenfunke, der mir noch übrig geblieben war, beschäftigte sich damit, wieso ich mir eigentlich so sicher gewesen war, dass ich sterben würde.
Da ergab sich der Grund.
Direkt vor meinen Augen sah ich die Maschine. Sie raste wie in Tollwut an uns vorbei, wie ein Tier, das sich bewegte aber doch nicht lebte. Und genau in diesem Augenblick traf ein roter, sirrender Strahl den Roboter. Dann ging alles sehr schnell. Der Roboter wurde zurückgeworfen. Das Kreischen der Gelenke erschütterte Mark und Bein, erklang wie ein quälender, kalter Todesgesang. Dann explodierte er. Ein unglaublich helles, weisses Licht blendete mich. Das letzte, was ich noch hörte, war ein ohrenbetäubendes Geräusch, wie ein Donnern.
Dann verlor ich das Bewusstsein.

PS: Das ist der Teil, den ich bisher am wenigsten mag.

PPS: Auch, wenn das mit der Kugel sinnlos erscheint, es wird später dann schon noch einen Sinn haben...um einiges später.
und auch ich hab's wieder ganz brav durchgelesen.
wobei sich mir nur eine Frage auftut: warum magst du den Abschnitt bisher am wenigsten? Mir gefällt er sehr gut^^
Besonders die Kugel macht das Ganze noch interessanter, obwohl man vielleicht wirklich noch über den genauen Sinn nachdenken muss. Hm... der Hubschraber (hab ich das auch richtig verstanden) hat Menschen aus dieser abgesperrten Zone herausgeholt, weg von dieser Stadt?
Übrigens sehr gut gelungen, der Hubschrauber mit dem G.F.L. ...^^
Weiter so.
Ja, du hast richtig verstanden:)
Und den Teil mag ich nicht, weil es so hektisch wirkt, und dann muss ich so kurze Sätze schreiben. Und aus irgendeinem Grund mag ich es auch nicht, etwas explodieren zu lassen, das wirkt für mich dann so nach billiger Action XD.
hihi, etwas explodieren lassen? Na und? sollte er denn einfach so verschwinden? das wäre ja noch unrealistischer.
Ohman ich hab selber den Atem angehalten als ich das gelesen habe. Du schaffst immer, was ich nicht schaffe. Richtig Spannung aufzubauen!
Dickes Dickes Lob!

PS: keine Fehler gefunden
Es folgt wieder ein etwas längerer, seltsamer Traum-Abschnitt:

„Was...was meinen Sie damit?“, hauchte ich von einer plötzlichen Furcht durchdrungen. Obwohl ich es nicht glauben konnte, nicht glauben wollte, wusste ich, dass er nicht log. Er sprach die Wahrheit. Dessen war ich mir ganz sicher...und doch...allein sein Anblick ergriff mich mit solch einer tiefgreifenden Abscheu, dass ich es mir selbst nicht erklären konnte. Ja...ich sah es in seinem Blick. Er kannte mich, vielleicht sogar besser als ich mich selbst. Und ich...ich sah mich einem Fremden gegenüber, nicht erahnend, was für eine verachtenswerte Rolle er in den schattenhaften Abgründen, Ängsten meiner Seele spielen sollte, die selbst ich verbarg. Mein Rücken straffte sich, meine Hände ballten sich. Meine Augen schlugen regelrecht von Wut erfasst in sein Antlitz. Ich beobachtete sein Gesicht, wie es langsam, ganz langsam zu einer fratzenhaften Grimasse verzerrt wurde, beobachtete, wie sich seine Mundwinkel verformten, zu einem Ausdruck der selbstsicheren, schon siegesartigen Überlegenheit. Laute verliessen seinen Mund, langsam, tief dröhnend und beklemmend. Die Worte, die ich wahrnahm, bildeten kalten Einklang mit dem grellen Neonlicht, dem Tisch, dem Raum und dessen Schatten, sogar mit meiner eigenen Furcht.
„Sie wissen genau was ich meine. Sie können sich nicht ewig vor mir drücken, wie oft muss ich Ihnen das noch sagen? Sie sind so widerspenstig, das grenzt beinahe schon an Dummheit. Ja, langsam glaube ich wirklich, dass es Dummheit ist.“
Er seufzte tief, bevor er fortfuhr.
„Dabei habe ich Sie immer für eine sehr kluge Frau gehalten, meine Liebe. Doch ich muss sagen, Sie haben mein Vertrauen, dass ich in Sie gesetzt habe, schwer enttäuscht. Und das zum zweiten Mal. Leider auch nach den zweifelhaften Gründen für ihr Auftauchen, die Sie mir dargelegt haben. Ihr Verhalten lässt sich einfach nicht erklären. Wieso sind Sie hier? Was suchen Sie ausser leeren Versprechungen?“
Ich schwieg.
„Sie verschwenden so meine Zeit“, giftete er und stöhnte verärgert auf.
Ich schwieg.
„Nun sagen Sie schon! Es kann doch nicht sein, dass Sie uns direkt in die Arme laufen wollten! Oder fühlten Sie sich schuldig? Ist es das? Fühlten Sie sich Schuldig, dem Tod entronnen zu sein? Fühlten Sie sich schuldig, zu wissen, was sie zu wissen glaubten?“
Ich hob meinen Blick und richtete ihn direkt in das grelle Licht. Dann schweifte ich ab, verharrte an der Trennwand, dann glitt er wieder in sein Gesicht. So kalt wie dieser Raum war, so kalt erhob ich nun meine Stimme.
„Ich glaube nicht zu wissen. Ich weiss“, gab ich Antwort. Und obwohl meine Worte alsbald von der Stille verschluckt wurden, hatten sie doch eine Wirkung. Mein Gegenüber zeigte, wenn auch nur für einen kurzen Moment, einen Hauch von Verunsicherung. Mr. Carter beugte sich mit einem krampfartig zu unterdrücken versuchten Schlucken in seinen Stuhl und umklammerte flüchtig deren Lehnen, nur um sie im nächsten Moment wieder loszulassen. In seinen Augen spiegelte sich eine gewisse Verunsicherung wider und der Siegesglanz verlor sich, während er seine Lippen schürzte.
Doch auf einmal sah ich regelrecht, wie eine Idee seine Gedanken durchhuschte, wie ein unaufhaltbarer Blitz, der mir höhnend entgegen springen würde. Und das geschah auch.
„Die betreffenden Subjekte wurden aus dem Weg geschafft. Falls ihr Ziel das selbige wie letztes Mal sein sollte, dann muss ich Sie leider enttäuschen!“, rief er aus, und seine Stimme überschlug sich beinahe. Seine übliche, geschäftliche Emotionslosigkeit war einem Kampf gewichen. Einem Kampf zwischen ihm und mir. Und auch, wenn ich ahnte, dass er einer der Verantwortlichen war – vielleicht sogar der einzige – so wusste ich nicht, wie lange dieser Kampf anhalten würde.
„Egal, was Sie tun, es gibt keinen Ausweg mehr. Sie sind jetzt in meinen Händen, in meinigen alleine! Und dieses Mal werde ich den gleichen Fehler nicht wieder begehen, oh nein“, sprach er schrill, „Sie wissen schon, ihr helfender Freund. Wie hiess er nochmals? Quain? Vielleicht hilft es ihnen zu erfahren, dass er tot ist.“
Ich regte mich nicht.
Quain...
„Welch traurige Nachricht, nicht wahr?“, höhnte er.
Ich regte mich immer noch nicht.
„Stimmt es Sie denn nicht traurig, zu wissen, dass ihr langjähriger Freund gestorben ist? Fühlen Sie denn gar nichts?“, bohrte er nach, fast schon aufgebracht.
„Sie sind es, der fühlen sollte“, brach ich bitter hervor und funkelte ihn an. Doch er wich nicht zurück. Zu sicher war er geworden durch all die vermeintlichen Erfolge, die er errungen hatte. Stattdessen fuhr er unerbittlich fort, immer hämischer, immer bösartiger.
„Sagen Sie mir, junge Frau, woran haben Sie geglaubt? Glaubten Sie...an Wahrheit? An Freundschaft? Liebe? Wie töricht.“
Ein kalter Schauer strich mir über den Rücken, als ich dieses Wort vernahm...Liebe.
„Ich hasse Sie“, erwiderte ich in verzweifelnder Wut, „ich HASSE Sie!“ Mit einem Aufschrei rüttelte ich abermals an den Handschellen und bäumte mich auf. Als ich die Augen schloss bemerkte ich, wie eine Träne über meine Wange lief. Ich hätte Sie auch nicht abgewischt, wenn ich gekonnt hätte.
„Ja...jetzt, da wir Ihnen genommen haben, was Ihnen lieb und teuer war, zeigt sich endlich Ihr wahres Gesicht. Nur zu, lassen Sie Ihrer Wut nur freien Lauf. Dann werden Sie vielleicht verstehen können, was mich zu meinen Taten getrieben hat.“
Ohne ein weiteres Wort stand Mr. Carter auf und verliess den Raum gemeinsam mit den zwei schweigsamen Wachen. Einige Schritte, ein Schloss, das gedreht wurde, dann herrschte Stille. Das einzige, was ich noch hörte, waren meine eigenen, leisen Schluchzer, die ich nicht mehr zu unterdrücken vermocht hatte. Es war einfach so aus mir herausgebrochen, wie ein Wasserfall aus hartem Stein. Ich konnte es nicht aufhalten. Ich wollte es auch nicht aufhalten, die Trauer, in der ich versank.
Wieso...wieso nur hatte es so weit kommen müssen? Das Bild der Zelle kam in mir auf und damit die Angst. Nein! Ich wollte nicht dorthin zurück!
Es musste doch einen Ausweg geben, irgendwie!
Ein Schrei entlockte sich meiner Kehle, lauter als alle zuvor. Ein Schrei der Furcht, der Wut, der Trauer. Mit all meiner Kraft riss ich an den Handschellen. Alles, einfach alles an mir sträubte sich gegen dieses Werkzeug, das mich festhielt, mich meiner Freiheit beraubte. Ich tobte, riss und zerrte...
Da geschah es.
Mit einem Ruck, der mich beinahe das Gleichgewicht verlieren liess, konnte ich mich endlich befreien. Meine Hände, schmerzend vor dem Hindurchschlüpfen, schnellten vor mein Gesicht. Die Knöchel wiesen quälende, gerötete Stellen auf, die mich bei jeder Bewegung mit Pein durchfahren liessen. Und doch...ich war frei! Ich sprang hastig auf, wobei der Stuhl mit einem lauten Knall zu Boden fiel. Sowie dieses Geräusch ertönte, begann mein Herz zu rasen und ich wirbelte um meine eigene Achse. Was, wenn sie wiederkamen? Viel Zeit hatte ich nicht. Flach atmend liess ich meine Augen durch den Raum huschen und erhaschte die abgedunkelte Glasscheibe. Vielleicht konnte ich sie durchbrechen. Ohne jegliche weitere Überlegungen nahm ich den Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, zur Hand. Das Metall war rutschig und das Gewicht schwer, weshalb ich ihn mit beiden Händen über den Kopf hob.
Dann, mit einem wütenden Kreischen, schwang ich den Stuhl und warf ihn mit aller Wucht gegen die Scheibe.
Ohhhh so ein Mist dass ich ausgerechnet jetzt aur Musicalprobenwochenende fahre! Dann kann ich die Fortsetzung erst lesen wenn ich zurückkomme :-(
Ich hoffe mal, sie ist dann auch da!!

Achja... irgendwie klingt... "mit Pein durchfahren" etwas altmodisch, aber kann auch sein dass ich mir das nur einbilde.

Also bis Montag... oder Sonntag... wer weiß...^^
*winke*
hm... ich kann gerade mal einige Minuten abzwängen und lande schon wieder hier^^
naj...zum abschnitt: ich finde ihn genial! er erklärt einiges, das ich mich zuvor gefragt hatte und zum teil sogar die Lage. Wie's weitergehtr bleibt natürlich abzuwarten, aber das kommt schon noch.^^


P.S. @LAmproly: viel spaß, wenn du das noch liest und auch wenn nicht..:)
Weiter gehts wieder mit der "üblichen" Geschichte, wenn auch wieder etwas verwirrend. Na ja, hier ein Abschnitt, bei dem ich versuchte, eine sanfte Beziehung zwischen Tina und Jonathan aufzuzeigen. (Das ist hoffentlich nicht irgendwie kitschig?). Aber auch diese hat einen Grund, glaubt mir:). Gleichzeitig wollte ich aber auch zeigen:
-ihre Verzweiflung/Todesangst
-wie sie allmählich den Verstand zu verlieren glaubt
-dass sie sich selber nicht versteht
-allgemein ihr ruckartiges Denken in dieser unbegreiflichen Situation (kursive Abschnitte)
-so ganz nebenbei noch gewisse Spannung bewahren

Falls einer der Punkte nicht erfüllt wird, so lasst es mich ruhig wissen:)
Und Lamproly wünsche ich ebenfalls viel Spass.

„Jonathan?“
Ich stöhnte auf und fasste mir an den Kopf. Alles verschwamm vor meinem Blick, während ich versuchte, zu der gekrümmten Gestalt, die ich kaum wahrnahm, vorzudringen. Tausende, undefinierbare Bilder blitzten vor mir auf, nur um im nächsten Moment wieder zu verschwinden, der Realität Platz zu machen. Ja, das war er ganz bestimmt.
„Jonathan!“, brach ich hervor, diesmal unter Krächzen ein wenig lauter. Dort, an der gegenüberliegenden Wand sass er. Wand. Erst jetzt spürte ich eine schauerliche Kälte, die meinen Hinterkopf erreichte. Hinter mir. Etwas Hartes. Ich drehte die Handflächen um, presste sie blind gegen das Hindernis, gegen das ich angelehnt dasass und erschrak. Nackter, zersprungener Beton zwischen meinen Fingern. Spitze, hervorstehende Steine stachen in das Fleisch. Ich zuckte vor, krümmte mich und riss die Hände bebend weg, auf meine Hüfte. Sie schmerzte. Als ich meinen Arm erblickte, hätte ich vor Entsetzen am liebsten laut aufgeschrien. Er war übersät von schwarzen Flecken. Wand. Ein Wimmern, so leise wie der hauchende Wind, erstarb hier...in diesem Raum. Raum. Mein Herz begann zu rasen, unaufhörlich immer schneller zu pochen. Ich hörte es. Ich hörte es und es durchfuhr mich mit Angst. Ein weiteres, furchterfülltes Wimmern. Nein...wie?
Wie?
Vier kahle, raue Betonwände. Eine Tür. Licht, das durch ein kleines Loch in der Wand hindurch schien. Es war mit rostigen Eisenstäben bestückt. Was ist geschehen? Mein eigenes Unverständnis liess Übelkeit in mir aufkommen. Das letzte, woran ich mich erinnern konnte, war dieses laute Geräusch, dieser Knall. Der Boden war übersät mit zerstückelten Gegenständen. Zu meinen Füssen eine zerbrochene CD. Holzspäne. Dürftige, morsche Bretter an der Wand, neben etwas, das wie eine Zelltür aussah. Wir waren doch nicht etwa...
„Hallo?“, erklang eine Stimme. Es war meine eigene, und ich hätte sie, so erstickt und kläglich hoch in der Angst sie schrillte, beinahe nicht als solche wahrgenommen. Mehr glich sie unförmigen Lauten, die so willkürlich, stockend meinen Mund verliessen, dass sie meine Angst noch mehr schürten. Ohne wirklich zu wissen, was ich tat, erhob ich mich. Beine, es hätten fremde sein können, so ausgemergelt und dünn sie auf einmal erschienen, trugen mich schleppend zur Tür. Nach wenigen Metern verlor ich den Halt, ich knickte ein und schlug mit der Schulter donnernd gegen das Metall. Metall. Kalt. Schauer. Immer wiederkehrend. Bedrohlich. Ich stöhnte auf und presste meine Hand dagegen, um nicht zu Boden zu fallen. Was zum Teufel war hier los? Selbst meine innerlichen Flüche wurden zu schwachen Windstössen, die einfach so beschämend abprallten, als wäre nichts geschehen. Alles drehte sich, und ich musste mich mit all meiner Kraft sammeln, um gegen die Tür zu hämmern. Donnern.
„Ist da jemand!?“, schrie ich, den Griff niederreissend. Es war verschlossen.
Niemand antwortete, und in der grässlichen Stille nahm der Nebel vor meinen Augen noch mehr zu.
„Hilfe!“, versuchte ich es erneut, leise, klagend, in Verbitterung vorausahnend, dass mir niemand antworten würde. Nie antwortete mir jemand. Und es würde auch keine Hilfe kommen. Ich lauschte schon gar nicht mehr, als ich mich umdrehte und auf Jonathan herabblickte. Es ergab keinen Sinn. Schwindel, mein Magen drohte zu kippen. Es ergab keinen Sinn. Ich presste die Augen zusammen und strich mir vorsichtig mit den Fingern über den von Flecken übersäten Arm. Ein unausgestossener Schrei des Schreckens, des Ekels wuchs in mir heran, als ich sie spürte, all diese...Buckel. Warzenartig, hart. Schwarz. Ich öffnete den Mund. Verzerrte ihn. Spannte die Kiefermuskeln an. Speichel bildete sich im Rachen. Ich schluckte ihn mit einem hörbaren Geräusch, das in die Stille hinausgetragen wurde, wie ein Mahnbote des hässlichen, verabscheuungswerten Verderbens, hinunter. Virus. Selbst dieses Wort liess mich erbeben.
Virus.
Erbrechen.
Du stirbst.
Tot.
Ich riss die Augen in leeren, kreisenden Gedanken auf. Sie erfassten nicht einmal mehr richtig, was vor ihnen lag. Nicht die Umgebung. Nicht den Raum. Nur Jonathan, wie er zusammengekauert dalag, einem Häufchen Elend gleichend. Wissend, dass er mich nicht hören würde, wenn ich zu ihm sprach, kauerte ich mich zu ihm hernieder. Vielleicht, weil er das einzige war, das sich mir in diesem toten Raum noch als lebendig ergab. Vielleicht, weil ich Angst um ihn hatte. Vielleicht, weil ich fühlte, wie etwas in mir vonstatten ging, das ich nicht verstand. Mein Gesicht verzerrte sich. Nichts verstand ich, einfach nichts in diesem lähmenden Augenblick, der mir beinahe die Sinne raubte. Vielleicht wollte ich auch, dass sie mir geraubt wurden. Vielleicht liess ich es auch einfach nur kraftlos zu. Vielleicht. Keine Gedanken mehr, sagte ich mir. Nur noch Gefühle.
Und so kam es, dass ich etwas tat, worüber ich mir keine Gedanken machte. Das ferne, aber doch so nahe Bild des Teddybären vor Augen. Eine Hand, die ich hob.
Eine Wange, über die ich zärtlich strich.
Nur noch Gefühle.
Ein Lächeln auf meinem Gesicht.
Nur noch Gefühle.
Freude?
Nur noch Gefühle.
Glück? Erleichterung? Bestätigung in der ungetanen Reaktion? Ja...er reagierte nicht. Ich fühlte etwas...etwas in dieser Tatsache, das ich mir nicht erklären konnte. Ich brauchte es mir auch nicht zu erklären, sagte ich mir. Ich wusste nicht, was ich fühlte, genauso wenig, wie ich wusste, warum ich fühlte, was ich fühlte. Doch ich fühlte. Ich fühlte einfach. Einfach so, als wäre es das leichteste der Welt. Einer Welt, die unter wüstem Antlitz verbarg, was schon lange für tot, verschwunden gehalten wurde. Einer Welt, die mir nichts gab und mir alles abverlangte. Aberverlangte von einem Leben, das im Dunkeln lag, verzweifelt gesucht, auf Unbestimmung verdammt.
„Jonathan...wach auf“, flüsterte ich. Wie erwartet regte er sich immer noch nicht. Vorsichtig tastete ich seine Stirn ab. Sie fühlte sich kühl an...er musste ebenfalls bewusstlos geworden sein. Sein Herz schlug noch, stellte ich aufatmend fest, zwar schwach, aber es schlug. Vorsichtig nahm ich die Hand von seiner Brust und blickte dem Licht entgegen, das enthüllend in den düsteren Raum fiel. Mit jedem Atemstoss, mit jeder Bewegung, die ich tätigte, wirbelten die im Schein sichtbaren Staubpartikel durch die Luft. Zu kraftlos, um mich wieder aufrichten zu können, kroch ich auf den geröteten Knien zu dieser fensterartigen Öffnung hin, krallte mich an den Stäben fest und zog mich stöhnend daran hoch. Das unförmige Fenster sah aus, als ob es eigenhändig aus dem Beton gemeisselt worden wäre. Ich warf einen Blick durch die Öffnung und wurde von einem leichten Windhauch begrüsst. Die Sonne stand am Zenit und liess ein grünes, gepflegtes Grasmeer erstrahlen, peinlichst kurzgeschnitten. Wo waren wir hier bloss gelandet? Ich spähte weiter hinaus, nach links und nach rechts. Dabei entdeckte ich einige Bäume, die eine kleine Strasse alleeartig säumten. Weiter in der Ferne liessen sich noch mehr Häuser entdecken. Im Gegensatz zu den Wolkenkratzern der Stadt waren sie nicht sehr hoch und wiesen reiche Ziegeldächer, Balkone, Terrassen und Vorgärten auf. Vor meinen Augen zeigte sich noch tatsächlich ein Kinderspielplatz. Doch obwohl helllichter Tag war, liess sich niemand darauf blicken, stattdessen war es nur der leise Wind, der die Schaukel leicht hin und her schwingen liess.
Ich traute meinen Augen nicht.
Dort...mit dem Rücken an die Rutsche gelehnt, sass...ein Teddybär. So zerzaust er auch war, hatte er beinahe das gleiche Aussehen wie derjenige von Jonathan. Ganz gewöhnlich...weiches, braunes Fell, schwarze Knollnase. Schon wollte sich ein Lächeln auf meinem Gesicht abzeichnen. Doch...etwas stimmte nicht mit seinen Augen. Seine Augen...nein, sein Auge. Eines war...ausgerissen. Ein kalter Schauer strich mir den Rücken hinab. Es mochte zwar lächerlich klingen, doch...ich fragte mich ernsthaft, was dies zu bedeuten hatte. Klar, es war ein einfaches, kaputtes Kinderspielzeug auf einem verlassenen Kinderspielplatz, doch irgendwie war mir dabei nicht geheuer. Da...mir war, als hätte ich eine Stimme gehört. Eine Stimme eines kleinen Mädchens, das sang. Verängstigt lauschte ich der Stimme, während sich mein Puls allmählich beschleunigte. Ich drehte meinen Kopf ruckartig in alle Richtungen, lugte zitternd zwischen den kalten Stäben hindurch, doch der Ursprung der säuselnden Laute war nicht zu sehen. Meine Augen hefteten sich wieder auf den Teddybär, und mehr und mehr durchfloss mich eine ungeahnte Angst, die ich mir selbst nicht erklären konnte.
Entsetzt schrie ich auf, als eine Hand mein Fussgelenk umschloss. Ich wirbelte am ganzen Körper angespannt herum – und starrte direkt auf Jonathan hinab.
„Jonathan!“, stiess ich halb in Panik, halb in Erleichterung aus und sah zu, wie er sich mühselig aufrappelte. Ohne mir zunächst eine Antwort zu geben, rieb er sich die Stirn und musterte mich.
„Deine Augen...sie sehen seltsam aus“, meinte er schliesslich und liess seine Hand sinken.
„Wie...wie bitte?“, presste ich nervös hervor und warf noch einmal einen flüchtigen Blick auf den Spielplatz. Das Stofftier – es war weg! Völlig überrumpelt riss ich den Mund auf und einige gurgelnde Laute entschlüpften ihm.
„Bist du nervös, Tina?“, lenkte Jonathan meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Was? Ich...nein“, sprudelte ich hervor und strich mir über die Haare. Nachdem er mich noch einmal betrachtet hatte, lachte er leise auf und wandte seinen Blick ebenfalls dem Fenster zu.
„Wo sind wir hier?“, wollte er mit erstaunlicher Ruhe wissen, als wäre es ihm gleichgültig.
„Nun...in irgendeinem Vorstadtquartier...keine Ahnung“, gab ich ihm Antwort und atmete tief durch, um mich wieder zu beruhigen. „Frag mich nicht, wie wir hergelangt sind“, fügte ich hinzu und blinzelte, um den leichten Schleier vor meinen Augen zu vertreiben. Wohl hatten mir die Sinne tatsächlich nur einen Streich gespielt. Es war auch keine singende Stimme mehr zu hören, was meine Annahme noch mehr bestätigte. Kaum merklich, aber merklich für Jonathan schüttelte ich den Kopf.
„Was ist?“, wollte er wissen.
„Nichts“, gab ich möglichst lässig wirkend zurück und versuchte, ihn mit einem lockeren Zuzwinkern davon zu überzeugen, was auch halbwegs gelang, zumindest, wenn man den etwas verunsichert wirkenden Gesichtsausdruck so zu deuten mochte. Ich wusste nicht recht, aber...irgendetwas Weiteres schien dieses Blinzeln in ihm ausgelöst zu haben, was ich mir nicht erklären konnte. Seine Mundwinkel zuckten leicht, als ob er sich nicht entscheiden konnte, ob er mich anlächeln sollte oder nicht. Aus welchem Grund auch immer entschied er sich für letztere Variante und drehte sich leicht von mir ab. Gerade, als ich den Mund öffnen wollte, um ihm zuzureden, erklang ein quietschendes Geräusch.
Die Tür schwang auf, und an den Rahmen lehnte sich ein Arm. Zunächst irritiert nur auf dieses Körperteil blickend, brauchte ich eine Weile, um mich davon loszulösen und in ein breit grinsendes Gesicht eines Mannes zu blicken. Er war hochgewachsen und überragte mich bei Weitem, dennoch machte er nicht einen sehr kräftigen Eindruck. Seine Haltung war leicht gebeugt, er trug eine schwarze Lederjacke und wollige Handschuhe. Er hielt einen Teller in der Hand, aus dem es dampfte und der einen Essensgeruch verströmte.
ich muss ja wohl kaum sagen, dass du dich mal wieder selbst übertroffen hast?^^
Allerdings!
also 1. vielen dank ich hatte viel spaß ;)
2. Ähm... die Punkte, die du vorhin angesprochen hast, sind dir wunderbar gelungen!! Und von wegen Spannung... bei deinen Abschnitten sitze ich immer mit riesengroßen Augen vor dem Bildschirm und blinzle nicht ein einziges Mal^^

Was mir als Einziges aufgefallen ist, war das "der einen Essensgeruch verströmte". Irgendwie klingt das holprig. Ich weiß nicht wie, aber das würde ich noch umändern.
Sonst super, es wird immer spannender. Ich find das immer gut von dir, da kommt man nie in die Versuchung, aufzuhören zu lesen, man will immer wissen, was jetzt als nächstes kommt und warum es so gekommen ist wie es ist... ähh... verstehs, was ich meine? ;)
Danke, Lamproly, ich werds mir mal anschauen... *sich ständig vor dem Überarbeiten drück* *seufz*, ich brauche mehr Disziplin XD
Wieder ein Stück:)

„Sie müssen Tina sein?“, wandte er sein Wort direkt an mich, worauf ich überrascht zurückwich.
„Was...wollen Sie von uns? Und woher kennen Sie meinen Namen?“, wollte ich forsch wissen. Beinahe instinktiv war ich in die Nähe von Jonathan getreten und streckte die Hand vor ihn hin.
„Nun, der Kleine da“, erwiderte er mit einem Nicken zu Jonathan, „hat im Schlaf manchmal nach Ihnen gerufen.“
Nach einem kurzen Blick zu ihm wandte ich mich wieder dem Unbekannten zu. „Weshalb haben Sie uns hierher gebracht?“, fragte ich und versuchte, einen drohenden Unterton mit einfliessen zu lassen. Er winkte lässig ab und meinte: „Keine Hast, alles hat seine Zeit.“ Er sprach so Ruhe heischend, dass es geradezu nach Freundlichkeit schrie. Ich schluckte stumm und beäugte ihn nichtsdestotrotz mit unverhohlenem Misstrauen.
„Ich will es jetzt wissen“, drängte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. Er bewegte sich nicht vom Fleck, stattdessen bot er mir ausgestreckt den Suppenteller dar. Ich machte keine Anstalten, ihn anzunehmen.
„Nehmen Sie“, wich er aus und hielt mir die bräunliche Flüssigkeit geradezu unter die Nase. Ich reagierte nicht, sondern durchbohrte ihn weiterhin mit meinen starrenden Augen. Mein Handeln zeigte schliesslich Wirkung. Mit einem resignierten Seufzen erklärte er mir:
„Hören Sie, ich will Ihnen und Ihrem Sohn nichts Böses, aber...“
„Er ist nicht mein Sohn“, blaffte ich ihn an, „und nun reden Sie nicht um den heissen Brei herum!“ Angriffslustig funkelte ich ihn an, worauf er tatsächlich einen Schritt zurückwich. Bevor er mit seinen Ausführungen fortfuhr, vergass er nicht, mich mit einem höchst gekränkten Blick zu messen.
„Ich will euch nur helfen, und das ist der Dank dafür?“, warf er mir verärgert vor und schüttelte den Kopf.
„Ach ja, und deshalb sperren Sie uns hier ein?!“, rief ich aus.
„Sachte, sachte, lassen Sie mich doch erklären“, knurrte er sichtlich vor den Kopf gestossen, „ich habe euch bloss hier eingesperrt, weil ich euch schützen wollte.“
„Schützen? Wovor?“, hakte ich höhnend nach. Als ob mich jetzt noch jemand vor etwas schützen könnte, dachte ich bitter, während ich über seine Schulter spähte, auf eine Fluchtmöglichkeit hoffend. Jeden Muskel anspannend winkte ich Jonathan kaum merklich zu. Er sollte sich bereit machen.
„Vor den Maschinen, was den sonst? Sie wären garantiert gestorben, hätte ich Sie nicht gerettet.“
„Gerettet? Das sieht für mich eher nach einer Gefangennahme aus, wenn Sie mich fragen. Und auch wenn es wahr sein sollte, was Sie mir da vormachen: Woher bitteschön sollte diese ach so selbstlose Geste rühren?“, giftete ich.
„Lassen Sie mich doch ausreden!“, gab er mit hörbar ärgerlichem Aufstöhnen zurück, „Sie sind nicht alleine hier. In der Tiefgarage sind noch einige andere Überlebende, darunter einige Nicht-Infizierte. Leute aus dem Quartier, Leute aus dem Stadtzentrum. Sie alle habe ich gebeten, bei mir Unterschlupf zu suchen. Manche habe ich gefunden, manche sind von alleine zu mir gekommen. Die Suppe hat meine Frau gekocht, falls dies Ihr Vertrauen stärkt. Hier sind Sie sicher, das verspreche ich Ihnen. Ich habe Sie nur aus Sicherheitsgründen hier...“, er zeichnete ein Anführungszeichen in die Luft und betonte theatralisch, „eingesperrt.“
Ich schwieg daraufhin eine Weile. Das, was dieser Typ hier sagte, mochte tatsächlich stimmen. Dennoch...
„Ich konnte nicht zulassen, dass Sie vielleicht die gesunden Menschen gefährden“, fügte er hinzu.
„Ja, ja, schon gut, mehr brauchen Sie uns dazu nicht zu erklären“, zischte ich gereizt. „Und Sie haben mir meine Frage immer noch nicht beantwortet.“
„Was denn?“, fragte er fromm unwissentlich spielend zurück. „Weshalb ich Ihnen geholfen habe?“
Ich wartete...wartete...es kamen keine weiteren Worte. Unruhig huschte mein Blick im Raum umher. Streifte trübes Licht, die morschen Bretter, Bruchstücke. Es gab nur eine Chance, zu fliehen. Ich musste ihn überrumpeln. Und zwar jetzt. Meine Augen hefteten sich direkt auf den Mann. Sein Mund öffnete und schloss sich, kein Laut verliess ihn. Er rang regelrecht um eine Antwort, folgerte ich kühl. Von plötzlicher Wut durchströmt. Sich steigender Hass im Atem, in der Luft. Hass auf Unverstandenes, Hass auf nie dagewesenes in jedem Pulsschlag meines unerfüllten, von Missständen geleiteten Herzens. Eis durch Kälte, Schmutz und Staub. Die einzige Möglichkeit war, ihn mit einer unerwarteten Aktion zu überraschen. Das Schweigen wurde immer unerträglicher und ich begann, mich auf den Sprung vorzubereiten. Leicht, um ihn ja nicht Verdacht schöpfen zu lassen, sank ich in die Knie.
„Sagen Sie mir...wieso wollen Sie uns helfen?“, wiederholte ich meine Frage halblaut, fast schon mahnend. Meine Stimme glich fauchend einer Raubkatze, der Raserei verfallen. Ohne die Antwort abzuwarten handelte ich.
Ein erster Schritt, und ich stand nur noch wenige Zentimeter vor dem Unbekannten. Hob die Hände, um sie um seinen ungeschützten Hals zu legen, um mich auf ihn zu stürzen. Doch noch ehe ich dies tun konnte, durchriss ein Klicken die Luft und eine Waffe wurde auf mich gerichtet.
„Hey! Sind Sie von Sinnen?!“, herrschte er mich halb in Wut, halb in Überraschung an und drängte mich zurück. „Bleiben Sie, wo Sie sind! Ich will Ihnen nichts antun, okay?“ Demonstrativ liess er die Pistole von seinem Finger baumeln.
„Ja, deshalb haben Sie auch dieses Ding auf mich gerichtet“, schnaubte ich. Mit einem spöttischen Kopfschütteln entgegnete er:
„Pah, nun werden Sie nicht albern. Na, was ist, soll ich darum betteln, Ihnen helfen zu dürfen? Kommen Sie, nehmen Sie die Suppe schon, bevor Sie kalt wird.“
Eine Zeit lang stand ich still da und rührte mich nicht. Das Gewissen prasselte in tausend Peitschenhieben auf mich ein und ein Schauer nach dem anderen jagte meinen Rücken hinab. Es...es war immer noch da...immer noch...da...ich setzte einen Fuss vor den anderen, wie in Trance. Innerlich schien etwas zu zerschellen. Wand. Hände voll Schweiss, zitternd. Augen, stumm starrend, verloren jeglichen Ausdruck. Beine, schwach und kaum tragend. Da brach es aus mir heraus.
In einer blitzschnellen Bewegung griff ich an den Rand des Suppentellers, sodass ich mit den Fingerspitzen den Handschuh meines Gegenübers berührte. Der Inhalt schwappte über und der Mann schnappte nach Luft, als er die Hand wie von der Tarantel gestochen zurückzog. Ein leiser Aufschrei. Flüssigkeit, die auf den Boden klatschte. Eine zischende Stimme, die zwischen den Wänden erschallte, so kalt, so gefühllos.
„Verraten Sie mir eins, mein Herr...haben Sie Angst? Ja? Haben Sie Angst? Angst vor dem Tod? Angst vor mir? Vor einer Infektion? Ist es das, weshalb Sie uns hier verrotten lassen? Ist es das? Ist es das?“ Mit jedem Wort wurde ich lauter, schneidender. Den letzten Satz schrie ich aus meiner Seele, lauschte ihm, wie er langsam verklang, zwischen Feuchtigkeit, Schimmel und Staub. Lauschte Schritten, die ihn von mir entfernten, zur Tür hinaus. Lauschte Worten, die zurück schwangen, voller Unverständnis und Bitterkeit, tief, zitternd, unkenntlich verwischendem Licht gleichend, das sich vor meinen Augen mit den düsteren Schatten rang.
„Was ist bloss in Sie gefahren? Sie...Sie wollen sich ja gar nicht helfen lassen!“ Augen, die mich rastlos mit Befremdung musterten.
„Ich geh mal in die Garage. Kommen Sie nach, wenn Sie sich wieder beruhigt haben. Sehen Sie, Vertrauen ist es, worauf es ankommt. Ach, und bevor ich es vergesse: Nehmen Sie nicht die Treppe nach oben ins Haus, sondern die Tür daneben. Sie würden meiner Frau gehörig einen Schrecken einjagen.“
Dann drehte er sich um und verschwand aus meinem Blickfeld, die Tür offen stehen lassend. Ich glaubte noch zu hören, wie er murmelte:
„Die ist erstaunlich wild.“
Daraufhin herrschte Stille.
In atemloser, leer aufkeimender Schrecknis, von mir selbst überrollt lehnte ich mich mit einem Keuchen an die Wand und presste meine Hand gegen die Stirn, fühlte überraschend den Schweiss, wie er zwischen meinen Fingern zerrann. Ein Schnappen nach Luft, hörbar pulsierend durch die Kehle. Mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus, bevor es unaufhaltbar in Verderbnis zu rasen begann. Ein Gefühl, schrecklich wie die Angst, ereilte meinen Körper erneut. Etwas, das zerschellte...zerschellte an der Mauer. Ein Tropfen, der in die heisse Flüssigkeit fiel, die im Teller, dessen Rand ich zwischen meinen dünnen Fingern hielt, auf und ab schwappte. Es begann über meine Wange zu laufen, auf meine Hände aufzutreffen, in meinen schluchzenden Lauten widerzuhallen. Tränen. Ausgelöst durch die Beherrschung, die ich verloren hatte.
Der Raum begann noch mehr zu verschwimmen, sich aufzulösen in gräulichen Farben, als ich mich auf die Knie fallen liess, den Teller absetzte. Mein Mund verformte sich, als ich meine Emotionen alsbald mehr und mehr verliess, willkürlich, unterbewusst. Ich verbarg ihn mit beiden flach darauf gepressten Handflächen. Nur noch spärlich nahm ich Jonathan wahr, wie er sich mir gegenüber niederliess und mein Gesicht musterte.
„Tina...?“, hauchte er fragend, suchte meinen Blick.
Ich schwieg.
„Tina...vielleicht hättest du...“, wollte er mir vorwerfen, verstummte aber schlagartig, als ich mit einem blitzartigen Ruck, ausdruckslos stierend seine Augen wiederfand. In diesem Moment, das wusste ich, fühlte ich nichts. Nichts, so wenig ich es auch wahrhaben wollte. Eine Art...Selbstverlassenheit hatte jeden Winkel meiner rastlosen Seele erschlossen.
„Nimm“, befahl ich leise, emotionslos und schob ihm den Suppenteller zu. Er kratzte über den rauen Boden, über zerbrochene Plastikteile und hinterliess weisse Spuren. Jonathan machte keine Anstalten, Folge zu leisten. Stattdessen beliess er den Teller, beschienen vom rechteckigen Lichtfeld, das sich durch die Tür auf den Boden geheftet hatte. Es flackerte leicht, wie die grellweisse Deckenlampe, die meine Wahrnehmung umrandete.
„Nimm“, wiederholte ich. „Ich habe keinen Hunger.“
Worte, die letztlich zwar erhört, aber wiederum in Schweigen ertränkt wurden. Ohne etwas zu sagen nahm Jonathan den Teller zur Hand und setzte ihn an die Lippen. Ich sah zu, wie er ihn langsam kippte und schliesslich zu schlürfen begann. Es säumte die Stille laut, dennoch unberührt belauscht. So lange, bis er den Teller wieder von den Lippen nahm und ihn mir entgegen streckte.
„Du musst doch auch Hunger haben“, meinte er und wagte ein befremdetes Stirnrunzeln.
Ich schüttelte ablehnend den Kopf. Der Teller blieb.
„Weißt du“, begann Jonathan schliesslich vorsichtig, „ich glaube, wir können dem Mann vertrauen. Am Anfang klang seine Stimme jedenfalls...“
„Ich vertraue Stimmen nicht“, unterbrach ich ihn barsch. Doch kaum hatte ich das letzte Wort zu Ende gesprochen, brach ich zerrüttet hervor:
„Ach, es tut mir ja so Leid, Jonathan! Ich...ich...habe einfach die Beherrschung verloren! Ich hätte...ihn nicht so angreifen dürfen...Entschuldigung.“
„Ist...ist...schon gut“, stotterte er und wich zurück, als ich seine Hand ergreifen wollte. Erschrocken sog er die Luft ein und legte sie an seinen Körper, als wollte er sie schützen.
„Jonathan...weshalb...“, wollte ich wissen, konnte mich in diesem Moment mit der Frage nicht mehr zurückhalten. Doch ich beendete sie nicht aufgrund des Blickes, den er mir zuwarf. Es lag etwas...Furchtsames, ja, Leidvolles darin. Leidvoll wofür?
„Bitte...fass mich nicht an...ich...“, murmelte er verstört.
„Ich doch auch, Jonathan. Ich doch auch...“, betonte ich mit einem Blick auf den von Flecken heimgesuchten Arm. Es klang zwar absurd, doch in meiner Stimme hatte sich für einen kurzen Moment schon fast so etwas wie...Zärtlichkeit erhoben.
„Nein...es ist nicht deswegen...“, erklärte er, meinem Blick folgend.
„Ja...aber was ist es dann?“, fragte ich, während ich noch ein Stück näher zu ihm hinrückte. Vielleicht tat ich das, weil ich ihn meine Reue spüren lassen wollte, vielleicht auch, weil...ich dachte den Gedanken nicht zu Ende. Zu...seltsam, absurd erschien mir schon nur eine Vorstellung davon.
„Es ist...ich weiss es nicht“, antwortete er stockend, mich im Dunkeln lassend.
„Hattest du in der Schule...“, wollte ich fragen, doch Jonathan unterbrach mich sogleich.
„Nein!“, rief er mit weit aufgerissenen Augen, „sprich nicht von der Schule! Was hat das jetzt noch für einen Sinn? Wir sind hier ganz woanders. Die Schule gibt es nicht mehr!“
Es folgte wieder Schweigen.
Ich beobachtete, wie Jonathans Finger leicht zitterten, während er den Suppenteller erneut hob, um ihn auszutrinken. Mit gutem Gewissen ersparte ich es mir, ihn darauf aufmerksam zu machen, im Wissen, dass er nicht weiter über seine Vergangenheit sprechen wollte. Vielleicht war Jonathans Auffassung ja auch tatsächlich richtig. Ja, die Vergangenheit zählte nicht mehr. Doch sowie ich auf die Vergangenheit kam, tauchten ein weiteres Mal diese seltsamen Bilder vor meinen Augen auf, die ich mir nicht erklären konnte. Sie alle waren schattenhaft, nicht richtig erkennbar, und dennoch liessen sie mir keine Ruhe. Ich glaubte, einen etwas älteren Herrn zu sehen, der mir auf einem Stuhl gegenüber sass. In seinen Händen hielt er etwas...aber ich konnte nicht erkennen, was es war. Dann, auf einmal, verschwamm das Bild und machte einem anderen Platz. Da war er wieder, dieser...Schrottplatz. Noch ehe ich mich überhaupt fragen konnte, was er zu bedeuten hatte, wich er einem nächsten Bild. Eine schemenhafte Gestalt, die gerade im Begriffe war, sich von mir abzuwenden, davonzugehen. Als ich schon den Mund öffnen wollte, um ihr nachzurufen, machte meine Wahrnehmung wieder der Realität Platz: Ein leerer Suppenteller, dahinter ein siebzehnjähriger Junge, der die Hände auf die Knie gelegt hatte, sitzend mit überkreuzten Beinen.
„Du bist fertig“, stellte ich leicht überrascht fest, schüttelte meine Haare und blinzelte. Mit einem leichten Lächeln musterte ich sein Gesicht.
„Ich sehe schrecklich aus, nicht wahr?“, fragte ich ihn belustigt, während ich die tiefen Augen betrachtete, die wie immer Dinge verrieten, die man nicht in Worte fassen konnte. Als ich schon glaubte, er würde nicht antworten, meinte er plötzlich:
„Nein, im Gegenteil.“
Es hätte mir nicht im Geringsten zu Bedenken gegeben, hätte es nicht so erstaunlich ernst geklungen. Ein leichtes, fast schon beschämtes Grinsen, das bald wieder einem unveränderten Ausdruck wich. Ich hob die Augenbrauen.
„Sag mal, Jonathan...das eben gerade war doch nicht etwa ein Kompliment?“
Er schüttelte hastig den Kopf.
Ich lachte auf. Und obwohl das Lachen befreit klang, wunderte ich mich selbst, wie nackt, bloss stehend es den kleinen Raum erfüllte. Es schien fast schon so, als ob sich die einschliessenden Wände geradezu gegen dieses Geräusch sträubten, so schroff, wie es von ihnen abprallte. Nichtsdestotrotz rappelte ich mich auf und streckte meine Glieder, während ich mich dem weissen Licht zuwandte.
mensch, das wird ja immer interessanter! Bin gespannt auf den nächsten Teil, Fehler oder Unstimmigkeiten habe ich nicht gefunden.
Noch ein kleines Stück:

„Komm“, sprach ich Jonathan liebevoll zu und tätigte erste Schritte aus dem gefängnisgleichen Ort, der wohl bis anhin den Zweck einer einfachen Abstellkammer erfüllt hatte. Ich sog die Luft ein, worauf sich mir ein schwacher Geruch nach altem Holz ergab, und kniff die Augen zusammen. Musste wohl an den zahlreichen Möbeln liegen. Ja, der Keller war regelrecht vollgestopft davon. Sperrige Schränke, ein mit verblichenem, braunem Leder versehenes Sofa und Kommoden. In der von Staubflocken beheiligten Ecke des grosszügigen Raumes erfasste mein Blick eine alte Stehlampe, an der Spinnfäden hingen. Der unter den vielen, schweren Teppichen nur noch spärlich hervorlugende Boden reflektierte die grelle Deckenbeleuchtung in matt glänzendem Licht. Wie bereits vermutet, war am Ende des Raumes eine weitere Tür zu sehen, die wohl in die Tiefgarage des Quartiers führte. Sie war in makellosem Weiss bestrichen, dennoch zeigten sich hie und da Stellen, an denen die Farbe abblätterte. Neben jener Tür führte besagte Treppe nach oben. Sie machte einen recht unscheinbaren Eindruck, gräulich wie die backsteinbesetzten Wände des Kellers.
Ein wohliger Schauer strich über meinen Nacken, als ich bedächtig den Fuss auf einen der Teppiche setzte. Er fühlte sich weich an, und eine angenehme Wärme breitete sich kitzelnd über meine Sohle aus. Für einen kurzen Moment entfremdet ob dieses Gefühls geriet ich in Versuchung, den Fuss wieder zu heben. Dann jedoch entschied ich mich dagegen und begann, mich zwischen den Möbelstücken hindurchzuschlängeln. Manchmal musste ich mich gar richtiggehend durch bescheidene Zwischenräume zwängen, während ich mich voranbewegte. Meine Schultern streiften des Öfteren splitterndes, raues Holz und zuweilen Leder. Flüchtig warf ich einen Blick über die Schulter, um sicher zu gehen, ob Jonathan mir folgte. Natürlich tat er das, tadelte ich mich kurz daraufhin selbst, doch die kurz aufflammende Erkenntnis in meinem Herzen, dass ich mich in Sorge um ihn wiederfand, liess die überstürzte Unwissenheit schnell wieder verblassen. Mit dem Ellbogen stiess ich schmerzhaft an den schnörkellosen Griff eines altmodisch aussehenden Schranks, der bis knapp unter die Decke reichte. Es war wohl die Neugier, die mich dazu brachte, die Gelegenheit zu ergreifen und ihn zu öffnen. Was ich darin sah, gereichte einer Enttäuschung. Ausser einigen unbesetzten Ablageflächen fand sich nichts, was einen interessanten Eindruck gemacht hätte. Doch ebendiese Leere war es, die mich stutzen liess, wenn auch der Grund dafür mir selbst nicht ganz ersichtlich war.
„Für zwei Personen ist das ganz schön wenig“, bemerkte Jonathan über meine Schulter, worauf ich lächelnd mit den Achseln zuckte. Ich riss mich vom Anblick los und wandte mich endlich der Tür zu. Schon wollte ich die Klinke drücken, da hielt ich mit plötzlich pochendem Herzen Inne.
„Tina?“, fragte Jonathan sofort.
Ich antwortete ihm nicht, sondern drehte mich langsam um und musterte den Schrank erneut.
„Tina? Was ist?“, hakte er drängend nach.
Langsam öffnete ich den Mund und verzog ihn leicht, nur um ihn hastig wieder zu schliessen. In einer fast schon unbewussten Bewegung strich ich über meine Haare. Etwas...etwas gefiel mir an diesem Schrank nicht.
Tina!“, liess er mich mit einem ängstlichen Ruf zusammenfahren. Ich blinzelte und murmelte abwinkend:
„Hm? Keine Sorge, da war nur eine Spinne.“
Mit diesen Worten umschloss ich endlich mit den Fingern die Klinke und drückte sie hernieder, während ich aus den Augenwinkeln beobachtete, wie sich Jonathan erstaunlich nah an mich heranwagte, seit das Wort Spinne gefallen war. Als die Tür aufschwang, wurde ich von einem Schmunzeln begleitet, das jedoch schnell wieder verschwand, als ich die Tiefgarage erblickte.
hey, das geht ja immer schneller! Gut so^^
sorry, dass ich in letzter Zeit so wenig (hihi) Zeit hatte (zweimal Zeit... man müsste ein anderes Wort dafür suchen...naja)... den letzten Abschnitt habe ich gerade gelesen und den davor schon gestern, aber da wurde die Zeit WIRKLICH knapp... hm... du wirst immer besser. Natürlich wundert es mich, dass sie ausgerechnet einen Schrank so interessant findet, aber das klärt sich sicherlich noch. Fehler hab ich (wiedermal) keine gefunden^^
Ich werde immer besser? Naja...ich weiss ja nicht^^ Aber danke für das Lob!

Vor meinen Augen erstreckte sich eine riesige, verwinkelte, von Licht durchflutete Halle mit niedriger Decke, welche von schweren, Klötzen ähnelnden Säulen gestützt wurde, die dunkle Schatten warfen. Unzählige Autohauben auf gelb umrandeten Parkplätzen glänzten mir im Schein entgegen. Ein hallendes, wirres Gemisch von Geräuschen schallte meinen Ohren zu, und meine Nase kräuselte sich, als ich den unverkennbaren Geruch nach Benzin wahrnahm. Leises Schluchzen, verwischendes Gemurmel, Flüstern. Zahlreiche Menschen waren zu sehen, welche sassen, standen oder sich gegen eine Wand lehnten, meist versprengt in kleinen Gruppen von drei bis vier Leuten. Es schien so, als ob von unserem Eintreten niemand Notiz genommen hatte. Ihre Blicke, starr in enge, wohl vertraute Kreise gerichtet, wichen nicht von der Stelle, während ich meinigen suchend schweifen liess. Es erschien zwar vollkommen sinnlos, aber ich wähnte mich in der Hoffnung, ein vertrautes Gesicht zu erblicken. Nein, nichts. Ich hatte den Eindruck, als ob meine schnell wieder schwindende Hoffnung nur eine weitere, klägliche Verflüchtigung in diesem leeren, schwermütigen Sumpf darstellte. Ein leichter Schauer überkam mich, als ich feststellte, dass ich mit meiner Verlassenheit wohl kaum alleine dastand. Hier, das spürte ich, schien Hoffnung überhaupt ein regelrecht kostbares Gut zu sein. Und hatte ich mich nicht einmal ermahnt, das Wort aus meinem Gebrauch zu streichen? Distanziert fragte ich mich, ob die Menschen, die hier unten Unterschlupf gesucht hatten, wohl Vieles verloren hatten. Ich suchte in Blicken, Gesichtsausdrücken und liess die Frage alsbald beschämt, erschrocken fallen. Ihre Gesichter glichen steinernen, blassen Masken, und ich wusste nicht, was schlimmer war: Die bitteren, hervorbrechenden Tränen – oder jene, welche schon längst versiegt waren. Mit jedem Augenblick, der verstrich, wurde mein Herz schwerer. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich diesem trostlosen, zerstörerischen Anblick nicht entwinden, auch nicht der stetig wachsenden, unsäglichen Trauer, die allein das Bild, dem ich gegenüberstand, in mir hervorrief. Als meinen Blick schon abwenden wollte, im Glauben, es nicht mehr ertragen zu können, erstarrte ich.
Vielleicht war es der Schein, der mich trog, doch...dort, an einer der Säulen schwach niedergesunken sass...
„John?!“, rief ich verblüfft aus und rannte auf ihn zu. Kaum hatte ich das Wort ausgestossen, hatte ich schon erste, misstrauische Blicken im Nacken verspürt, doch darum kümmerte ich mich nicht. Die Augen geschlossen, sah er aus, als ob er schliefe, doch...er war es tatsächlich!
„John!“, rief ich noch einmal aus und prallte erschrocken zurück, als ich sah, wie er zugerichtet war.
Auf seiner Schulter klaffte eine tiefe Wunde.
Bevor mir ein entsetzter Aufschrei entweichen konnte, riss mich eine Hand zurück, und der Schrei blieb mir im Halse stecken. Die fein verarbeitete Wolle des Handschuhs spürend, wusste ich schon vor dem Herumwirbeln, wer mir gegenüber stehen würde: Der Mann mit der Suppe.
„Halt! Rennen Sie nicht einfach so los! Sie gehören in den Bereich für die...“, wollte er mich mahnen, als er unterbrochen wurde.
„So lass sie doch, Bill.“
Mit weit aufgerissenen Augen brauchte ich eine Weile, um zu erkennen, wem die helle Stimme gehörte, welche den Mann dazu brachte, mich widerwillig loszulassen.
Eine Frau, nicht älter als ich, war hinter ihm neben Jonathan aufgetaucht, der unsicher wirkend ein wenig Abstand einnahm. Nachdem sie dem Mann einen tadelnden Blick zugeworfen hatte, kamen ihre Augen auf mich zu ruhen. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich sogleich ein verstehendes Lächeln ab. Auch sie trug dicke Wollhandschuhe, dazu einen darunter gestopften Ärmel eines Pullovers, der peinlichst ihren gesamten Arm bedeckte. Die blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und in der Hand trug sie einen gerollten Verband. Als Bill sich nicht vom Fleck rührte, gab sie ihm beschwichtigend zu verstehen:
„Es ist schon gut. Ich werde mich um sie kümmern.“
Mit einem Grummeln machte sich dieser davon, wobei sie ihm kopfschüttelnd, wieder mit einem Lächeln auf dem Gesicht, nachsah. Dann wandte sie sich wieder mir zu und vollführte ein lockeres Winken mit dem Verband, bevor sie freundlich wissen wollte:
„Wie ist dein Name?“
„Tina“, erwiderte ich rasch, als könnte jemand daran zweifeln wollen. Nebenbei wunderte ich mich, wie offen sie mich ansprach, obwohl sie mich erst seit einigen Augenblicken kannte.
„So...Tina, also. Und das ist dein Sohn?“, sprach sie mit einem gutheissenden Nicken zu Jonathan, der, wie ich erst jetzt bemerkte, an meine Seite getreten war.
„Ich...nein...er ist nicht mein Sohn“, antwortete ich und wusste nicht, wieso ich dabei so ein seltsames Gefühl hegte, fast schon so, als würde ich ihn verleugnen. Möglichst gutherzig blickte ich ihm kurz ins Gesicht, eine leere, unausgesprochene Entschuldigung zuschickend, und verharrte unsicher, als er sie nicht erwiderte. Was eigentlich auch vollkommen verständlich erschien, da kein Wort gefallen war. Irgendwo in meinem Hinterkopf verlor ich mich in den Gedanken darüber, was wohl Jonathans Absicht darstellte, in meine Nähe getreten zu sein, wurde aber bald schon wieder aufgeschreckt.
„Hätte ja sein können“, meinte die Frau achselzuckend. „Und was ist mit dem Mann, nach dem du gerufen hast?“
„Ein...ein alter Bekannter“, gab ich stockend zurück.
„Ach, das trifft sich gut“, sagte sie mit einem Schmunzeln. „Ich wollte ihm nämlich gleich den Verband anlegen.“
„Ja“, antwortete ich unbeholfen.
„Wie heisst er noch einmal? John?“, fragte sie, während sie auf ihn zuschritt. Ich nickte und bemerkte zu spät, dass sie es gar nicht sehen konnte, da sie mir den Rücken zugewandt hatte.
„Ach, und da wir gerade bei den Namen sind“, fuhr sie fort, ohne die bereits gegebene Antwort abzuwarten, „ich bin Lynn.“
Damit setzte sie sich neben John und es dauerte nicht lange, bis sie konzentrierten Ausdrucks begann, den Verband um Johns verletzte Schulter zu wickeln. Ich zögerte, auf ihn zuzuschreiten, als er leise, stöhnende Laute von sich gab und seinen Kopf hin und her warf, als wäre er in einem Fiebertraum gefangen. Die Augen öffneten sich dabei nicht, und ich wusste nicht, ob ich nun froh oder unglücklich darüber sein sollte, dass er mich nicht bemerkte. Aus sicherer Entfernung äugte ich auf die übel aussehende Wunde. Es waren drei blutige Striemen zu sehen, die ihren Ursprung in einem Kratzer haben konnten. Doch ein Tier, welches so etwas verursacht haben könnte, fiel mir unter Schauern nicht ein.
„Mein Mann hat ihn am Rande der Stadt gefunden. Er sei halb tot am Boden gelegen und hätte unverständliche Dinge gemurmelt“, bemerkte Lynn auf einmal, und wie aus einer Trance erwacht wunderte ich mich sogar darüber, dass sie ihre Worte anscheinend immer noch an mich richtete.
„Der sieht ganz schön übel zugerichtet aus. Muss sich irgendwie im Wald herumgetrieben haben“, fuhr sie nach einer Pause fort und rückte den Verband mit flinken Bewegungen in die richtige Position, wobei sich dunkle Flecken darunter wie Tinte aus dem Nichts ausbreiteten. Ich verzog meine Mundwinkel zu einem gequälten Ausdruck, als Jonathan meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
„Du...kennst diesen Mann?“, fragte er leise.
„Ja...“, erwiderte ich matt und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie er nervös wirkend auf seine Lippen biss. Was mochte wohl...
„Ich geh euch schnell die Sachen holen“, riss mich Lynn zurück, „bleibst du so lange bei ihm, Tina? Nur für den Fall. Ach, und bevor ich es vergesse: geht möglichst nicht zu den Gesunden auf dieser Seite hinüber.“ Sie wies mit dem Finger auf die rechte Seite. „Die würden euch vor Angst den Kopf abreissen, wenn sie könnten. Nun denn, ich komme gleich wieder.“
Mit diesen Worten rauschte sie an uns vorbei, wobei Jonathan ihr still, beklemmt wirkend, aber dennoch in ihren Anblick versunken nachblickte.
„Gefällt sie dir?“, flüsterte ich ihm neckend zu, worauf er mich anstarrte, als wäre ich von den Toten auferstanden. Ich unterdrückte ein Lachen, das die ganze Tiefgarage ausgefüllt hätte, indem ich mich sofort wieder John zuwandte. Allein schon seine Anwesenheit liess Argwohn in mir aufkommen. Hatte er nicht vorgehabt, der Stadt fernzubleiben? Und was mochte es gewesen sein, das ihn so verletzt hatte? Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dies hier nicht zufällig geschehen war...
und wider einmal bin ich hier...
hab's gelesen und find's sehr gut. Ob du's glaubst oder nicht, du wirst tatsächlich immer besser. Ich habe den Abschnitt regelrecht inhaliert! Das John wieder aufgetaucht ist, wundert mich zwar, aber inzwischen hoffe ich auf Aufklärungen, die wie ich denke noch auf sich warten lassen um die Spannung noch ein wenig mehr zu erhöhen... oder ich irre dieses Mal und der nächste Teil wird ein einigermaßen aufklärendes Gespräch (besonders über die Wunde)? Ich warte, es kann weiter gehen!^^
OK:)
Fahren wir nun denn fort...und am Schluss wird es noch als Buch veröffentlicht XD. Lol, naja ich habe nicht vor damit Geld zu verdienen und auch keine Hoffnungen, von einem Verlag angenommen zu werden (Der Teil "Hobby" vom Wort "Hobbyautor" steht ja nicht umsonst da...) Tsts, was rede ich denn da? Ich sollte lieber noch weiterschreiben^^.

Die Neugier siegte schliesslich über die Skepsis und ich näherte mich ihm vorsichtig, jeden Schritt behutsam aufsetzend, als könnte er gleich erwachen. Langsam beugte ich mich zu ihm hinunter, sodass mir sein Gesicht direkt vor Augen war. Schmutzflecken und etwas, das wie verschmierte Erde aussah, zogen sich über seine Wange. Seltsam...ich hatte sie nicht so knochig, eingefallen in Erinnerung. Vielleicht schlugen mir meine eigenen Bildnisse ein Schnäppchen, vielleicht aber auch zeigte sich nun das Wahre hinter John: Ein kraftloser, von Schrecken gekennzeichneter Mann, der genauso wie ich nur auf irgendeine Art versuchte, mit seinem Schicksal fertig zu werden. So etwas wie Mitleid durchzog mein Inneres...ja...hatte er nicht lediglich krampfhaft versucht, Herr der Lage zu bleiben? Andererseits, überlegte ich grimmig, hatte sich seine unverkennbare, eigennützige Art nicht verborgen, wenn auch die Möglichkeit bestand, dass seine Erfahrungen ihn zu dem gemacht hatten, was er nun war. Mit aller Kraft entriss ich mich dem kalten Gefühl, das meine Glieder zu übermannen drohte, als ich an mich selbst dachte. Mein Atem stockte, als ich der stetigen Last gewahr wurde, die auch auf meinen Schultern ruhte: Die Last der Angst, der immerwährenden Unsicherheit. Bis jetzt hatte ich mich zumindest irgendwie noch halten können, und ich bat mich selbst, dass es so blieb. Ich fragte mich, plötzlich darauf gekommen, was eigentlich dieses Etwas war, das mich davor bewahrt hatte, dem Wahnsinn zu verfallen. Wahnsinn. Ein inneres, grimmig furchterfülltes Sträuben, Augen, dich ich ohne zu wissen weshalb zusammenkniff, und eine Stirn, die sich wie in konzentrierter Anstrengung runzelte. Mir war, als sähe ich den schmalen Grat, auf dem ich wanderte, als ich zu Boden blickte. Die rabenschwarzen Haarsträhnen, die vor mein Gesicht und am Rande meines Blickfeldes niederfielen, hätten fast schon mit der Schwärze meines Schattens verschmelzen können. Grau links von mir, Grau rechts von mir, Grau überall, Grau unter meinen nackten, kalten Füssen. Und doch ein Ringen, ein Gleichgewicht, um das ich kämpfte, um nicht in bodenlose Schwärze zu fallen.
Gefällt sie dir?
Ja...es war fast schon absurd.
Urplötzlich riss John die Augen auf.
„Habe...ich...Ihnen nicht gesagt...Sie sollen von mir fernbleiben...verdammt?“, hauchte er schwach, und es hätte wohl drohend klingen sollen, was es aber nicht tat.
„John!“, rief ich und lachte schrill auf, wobei ich mich fragte, ob es erleichtert klang, „du...wieso sind Sie hier?“
Sichtlich vor den Kopf gestossen antwortete er mir zunächst nicht, sondern stöhnte schmerzvoll auf und fasste sich an den Verband.
„Wenn...ich...das nur wüsste...“, stockte er mit rasselndem Atem und drehte seinen Kopf mühselig in alle Richtungen. Dabei veränderte sich sein Gesichtsausdruck von einer ärgerlichen Miene über Verblüffung bis hin zu einer fast schon angstvollen Grimasse.
„Ein Mann namens Bill hat Sie gefunden“, versuchte ich ihm vorsichtig, zögernd auf die Sprünge zu helfen und konnte dabei ein Beben in der Stimme nicht unterdrücken.
„Bill...?“, murmelte er verständnislos und fasste sich an den Kopf. Ich sah ihm regelrecht an, wie es hinter seiner Stirn gewaltig arbeitete und rückte sicherheitshalber ein Stück vor ihm weg, falls er ein neuerliches Mal auf die Idee kommen sollte, mich anzufahren. Als John keine weiteren Worte in den Mund nahm, fuhr ich fort:
„Ja...Bill. Er hat hier zusammen mit seiner Frau eine Art...Unterschlupf geschaffen. Wir befinden uns hier unter einem Vorstadtquartier.“
„Stadt?!“, rief er röchelnd aus und machte den Eindruck, als würde er gleich hochfahren wollen. Ich brauchte einiges an Überwindung, um kühl zu nicken, ohne vor ihm zurückzuweichen.
„Ja“, erklärte ich möglichst offen, „Lynn, Bills Frau, hat mir erzählt, dass er Sie am Rande der Stadt gefunden hat.“
Ich bemerkte, wie sich Johns Gesicht schlagartig verdüsterte und ein wenig an Farbe zu verlieren schien. Er stöhnte wieder auf und fragte dann hastig, als wollte er ausweichen:
„Wer...zum Teufel...ist dieser Knirps...hinter dir?“
„Nun ja, er ist...“, begann ich, verstummte dann aber, um John mit einem strafenden Blick zu messen.
„Er ist kein Knirps, verdammt!“, rutschte aus meiner Kehle, bevor mir überhaupt klar wurde, wie mir geschah. Mit mulmigem Gefühl wurde ich der plötzlichen Wut gewahr, die sich rasend schnell in meiner zitternden Stimme ausgebreitet hatte und sog die Luft ein. Hastig wechselte ich mit Jonathan einen Blick, bevor ich John harsch vorwarf: „Sie weichen mir aus. Was wollten Sie in der Stadt? Ich dachte, Sie wollten ihr fernbleiben?“
Die erhoffte Antwort blieb aus. Stattdessen sank John noch mehr gen Boden und erlag scheinbar der Erschöpfung. Entweder, dachte ich aufgebracht, war John ein aussergewöhnlich begabter Schauspieler, oder er war wirklich so geschwächt, dass er von einen auf den anderen Moment aufhören musste, mit mir zu sprechen.
„Was wollten Sie in der Stadt?“, wiederholte ich meine Frage und versuchte, einen beruhigten Ton anzuschlagen, was mir nur halbwegs gelang. Angespanntes Schweigen folgte, während ich argwöhnisch beobachtete, wie sich John allmählich von seiner scheinbaren Schwäche zu erholen versuchte und mit dem Rücken Stück für Stück die Säule hoch rutschte. Irgendetwas gefiel ihm an dieser Frage nicht, das erfühlte ich sofort. Nichtsdestotrotz zwang ihn der durchdringende Blick, mit dem ich ihn fixierte, zu einer Antwort.
„Ich...wollte...mir nur...neue...Vorräte beschaffen“, murmelte er gramerfüllt. Zumindest liess er es gramerfüllt klingen. Ich glaubte ihm kein Wort, doch ich ging nicht weiter darauf ein.
„Was ist geschehen? Weshalb sind Sie verletzt?“, wollte ich wissen. Es fiel ihm erstaunlich viel leichter, diese Frage zu beantworten.
„Irgend...irgend so ein...Ding...hat mich angefallen“, hustete er hervor und wurde von einem krampfartigen Anfall geschüttelt.
„Ding?“, fragte ich zurück.
Er antwortete mir nicht, sondern schloss die Augen.
„John...was für ein Ding?“, hakte ich allmählich beunruhigt nach. Wovon sprach er?
Wiederum keine Antwort.
Am liebsten hätte ich ihn aus Verzweiflung, wohl auch aus Wut, an den Schultern gepackt und geschüttelt, doch ich tat es nicht.
„Was für ein Ding, John?“, wiederholte ich, obwohl ich wusste, dass er mir nicht mehr antworten würde. Die Augenlider verharrten geschlossen und sein Atem verfiel einem regelmässigen, langsamen Rhythmus. Zunächst überlegte ich, ob ich ihn wecken sollte, seufzte dann jedoch resigniert und richtete mich wieder auf. Eine bleierne Schwere hatte sich in meinem Kopf breitgemacht, der regelrecht unter der Gedankenlast zu ächzen schien. Ja, ich fühlte mich auf einmal tatsächlich ausgelaugt, wie nach einer mehrstündigen Sitzung, obwohl ich nur einige Worte mit ihm gewechselt hatte. Wohl lag es an den Worten selbst, die ich vernommen hatte...Ding. Ich rümpfte die Nase und beschloss, mir keine weiteren Sorgen über diese ominöse Sache zu machen, zumal wir hier sicher waren. Zumindest vorerst. Fast ein wenig verstohlen blickte ich mich um, musterte all die unbeweglichen Gesichter, die mir so fern wirkten, als wären sie von Nebelschwaden umhüllt. Nein, ich hatte sicherlich nicht vor, den Rest meines Lebens hier zu verbringen. Wie gross dieser Rest war? Ich warf meine Haare energisch zurück und brachte es fertig, zumindest diesen Gedanken abzuschütteln. Gerade, als ich mich zu Jonathan umdrehte, sah ich Lynn wiederkommen.
hm... mir wird's ja langsam zu dämlich, immer wieder das Gleiche zu schreiben, aber weißt du eigentlich, wie sehr es mir hmm... sagen wir... missfällt, dass du immer an spannenden Stellen aufhörst?(natürlich hat das einen wert, aber ich will trotzdem wissen, wie`s weitergeht)^^
Hihi, das ist auch gemein! Aber es fördert auch die Spannung also ist es wieder gut...
egal, des wird auf jeden fall nen Buch und du wirst es auf jeden Fall veröffentlichen, und wenn ich dich zu nem Verlag hinzerre. Und natürlich bin ich die erste dies kauft :-)

Weiter!! (bin leider in den nächsten Tagen - und war in den letzten Tagen - so beschäftigt, dass ich überhaupt keine Zeit hatte, hier reinzuschaun. Probe,probentag,aufführung,konzert,konzert,probe,probe,probe,aufführung...)
Ja ja, bin in letzter Zeit auch ziemlich verhindert gewesen...aber nun kommt wieder ein Stück, viel Spass beim Lesen (falls ihr Zeit habt:))

Sie trug einige zerknitterte Stoffgebilde, die wie Pullover aussahen, eng an ihren Körper gepresst daher. Darauf befanden sich zwei Paar Wollhandschuhe, die, wie ich Augenblicke später feststellte, für Jonathan und mich bestimmt waren. Schweigend fand ich Zeit, in ihr markantes Gesicht zu blicken, nachdem sie mir leicht grinsend die Handschuhe zugeworfen hatte. Es zeigte sich klar und deutlich, nicht wie jene schmerzverzerrten Masken. Sie war ziemlich hübsch, dachte ich mir. In ihren tiefblauen Augen lag etwas, das in mir wie in einem angenehmen Luftzug Beruhigung zuwehte. Ich würde ihr vertrauen können, das spürte ich.
„Ist alles klar bei dir, Tina?“, fragte sie mich lächelnd, als sie mir einen der Pullover zuwarf.
„Wie? Ja...wieso?“, wollte ich ein wenig verwirrt wissen, worauf Lynn mit den Achseln zuckte.
„Wieso? Hey, man wird doch wohl mal fragen können?“, erwiderte sie mit einem freundlichen Schmunzeln. Lose hingen die Kleidungsstücke zwischen meinen Fingern, während ich mich fragte, wo ich in diesem abermals durchschimmernden Misstrauen hingedacht hatte.
„Na los, zieht die Sachen an“, drängte sie sanft mit einem wohlwollenden Nicken zu Jonathan, der sie wieder mit diesem vielsagenden Blick anstarrte, „so müssen wir einander nicht mehr aus dem Weg gehen.“
Ich tat wie geheissen und fühlte eine wohltuende Geborgenheit, als ich den Pullover – der ebenfalls aus Wolle bestand – über mein beflecktes Oberteil streifte, so, als würde ich Unterwäsche anziehen. Im Gegensatz zu mir gedachte Jonathan aber nicht, daran Gefallen zu finden, sondern lugte, den Kopf noch halb verborgen im Kragen, mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck zu mir, der zu sagen schien: Dieses Ding juckt entsetzlich!
Ich warf ihm kurz ein Lächeln zu, darauf jedoch eine nahezu mütterlich mahnende Miene. Nebenbei...ich hatte in letzter Zeit erstaunlich viel gelächelt. Während Jonathan noch beschäftigt war, erhob Lynn ihre Stimme:
„Soll ich dir vielleicht helfen?“
„Ich denke, das ist keine so gute Idee“, haspelte ich hastig hervor, als sie schon auf Jonathan zuschritt.
„Wieso denn?“, fragte sie verwundert und hielt Inne, während Jonathan auf einmal schneller fertig war, als ich eine Erklärung abgeben konnte.
„Nun...ich glaube nicht, dass er es mag, wenn...“, murmelte ich, brach stockend ab und versuchte es erneut: „Er ist ein wenig...scheu.“ Kaum hatte ich das letzte Wort ausgesprochen, fühlte ich mich, als hätte ich etwas Verbotenes getan. Bestürzt sah ich, wie Jonathans Gesicht für einen winzigen Moment wie diejenigen der anderen, verlorenen Menschen in der Garage wirkte, bevor er sich wieder fasste und mir mit einem Funkeln in den Augen verriet, dass er nicht darüber erfreut war, dass ich ihn „scheu“ genannt hatte. Ich senkte die Augen, doch für etwaige aufkommende Beschämung blieb mir keine Zeit.
„Ich verstehe“, meinte Lynn. In einem Ton, der auch tatsächlich selbiges zu verstehen gab. Am liebsten hätte ich erleichtert aufgeatmet.
„Es muss sicher schwer für dich gewesen sein. Deine Eltern? Sie sind...“, fuhr sie so behutsam wie möglich fort, traf aber dennoch auf eine abrupte, beinahe feindselige Wand des Schweigens. Ohne ein einziges Wort zu sagen drehte sich Jonathan weg, wofür ich ihn mit einem tadelnden Blick mass, den er aber wie aus Empörung nicht wahrnahm. Mein Mitleid wuchs mit jeder Silbe, als ich Lynn flüsternd erklärte:
„Sein Vater...er ist...“ Trotz meinem Verstummen wusste sie sofort, was gemeint war, sog die Luft ein und senkte die Augenlider, weckte den Eindruck von tiefer Teilnahme. Es war ein Moment, in dem ich noch ein beachtliches Stück mehr Halt in ihr fand, und ich hätte ihr am liebsten für diese Geste, obwohl sie nicht an mich gerichtet war, gedankt. Zu meinem Erstaunen war es ausgerechnet Jonathan, der nach einer Weile auf einmal wieder zu Worten kam, als hätte er sie aus den Augenwinkeln betrachtet.
„Ist schon gut, Lynn...wir alle hier haben doch etwas...verloren...“, murmelte er mit erstickter Stimme, und obwohl schwermütig, vermochte er die kalte Erstarrung zu lösen.
„Du hast Recht...“, erwiderte sie, und an meine Ohren drang ein unterdrücktes Schniefen, „bei mir war es meine kleine Tochter...“
Mein Puls schnellte in die Höhe, ohne dass ich wusste, warum. Die Erkenntnis, dass Lynn eine Tochter gehabt hatte, erfüllte mich zu meiner Befremdung aber nicht mit Trauer. Mehr war es...Aufregung, obgleich jene sich mir so sinnlos wie beschämend zeigte, sodass ich den von regelrechtem Ekel geleiteten Drang verspürte, mich so schnell wie möglich daraus zu winden. Einmal mehr begann ich an meinem Verstand zu zweifeln, und ich fragte mich, was mich nur geleitete. War es die Furcht?
Weiches, braunes Fell, schwarze Knollnase.
Nein...keine Furcht. Das konnte es nicht sein, das durfte es nicht sein. Und dennoch...sie begleitete diese stetigen, mir unerklärlichen Bildfetzen, die sich in meinen zuckenden Augenlidern wiederfanden.
„Ich hatte nie etwas, was ich hätte verlieren können“, bemerkte ich ironisch, um mich abzulenken, als ich sah, wie Lynns Blick im Begriffe war, langsam zu mir zu wandern.
„Wie meinst du das?“, wollte sie sofort wissen.
Ich zuckte möglichst gelassen und erklärte tief durchatmend: „Ich habe mein Gedächtnis verloren. Ich kann mich nicht erinnern, was passiert ist, geschweige denn, wie es zu dieser Katastrophe gekommen ist. Das einzige, was mir geblieben ist, sind die Erinnerungen an...die letzten paar Tage.“ Während ich so erzählte, bemühte ich mich, meine Stimme möglichst emotionslos zu halten, was von Lynn scheinbar als Gleichgültigkeit missverstanden wurde, denn sie starrte mich an, als wäre sie einem Geist begegnet. „Ich bin in einem verwahrlosten Hotelzimmer aufgewacht, als alles schon...geschehen war. Nicht einmal meinen Namen wusste ich mehr, also hat mir Jonathan kurzerhand einen gegeben.“ Über meine Lippen strich ein schwaches Lächeln, einem davontragenden Windhauch gleichend. „Und nun...nun bin ich hier und weiss nicht einmal, ob ich eine Familie habe.“
Es erstaunte mich selbst, wie leicht es mir gefallen war, von meinem Schicksal zu erzählen, ja, dass ich es ihr überhaupt erzählt hatte. Tja, das lag wohl an der Kürze. Trotzdem spürte ich ihn, den Stich in meinem Herzen, der aber diesmal abprallte, als schlüge er auf...Stein. Ich erschauderte, und dennoch verspürte ich ärgergleiche Reue, als mir Lynns bemitleidender Blick entgegen sprang.
„Das...“, begann sie, doch ich schnitt ihr das Wort ab.
„Ist schon gut“, fuhr ich dazwischen und winkte ab, „schliesslich kannst du nichts dafür.“
„Aber...du...du weißt wirklich nichts mehr?“, beharrte sie auf ihrem Drang, mir scheinbar helfen zu wollen.
„Nichts“, bestätigte ich mit einem langsamen Nicken.
„Unglaublich...“, murmelte sie beschämt, „ich...ich weiss jetzt nicht, ob ich dich bemitleiden oder beneiden sollte.“
Ich begann meine Geste allmählich schon zu hassen, als ich wieder mit den Achseln zuckte. „Tu, was du für richtig hältst“, gab ich zurück und richtete meine Augen ausweichend auf den Boden.
„Wahnsinn“, sagte Lynn leise, und es schien fast schon so, als spräche sie zu sich selbst, „du...hast es tatsächlich nicht miterlebt...es...es war schrecklich. Mein Mann und ich erfuhren davon im Fernsehen. Wie hätten wir nur ahnen können, dass es so ausartet? Anfänglich war da bloss vom städtischen Krankenhaus die Rede, in das so viele Patienten auf einmal eingeliefert wurden. Ja...ich weiss es noch ganz genau. Eine ganze Familie sei es gewesen, angesteckt mit diesem Virus, von dem niemand wusste, wie man es behandeln konnte. Anfänglich dachte man, man hätte es bloss mit irgendwelchen Pocken zu tun...dann tippte man auf die spanische Grippe, und am Ende gar auf die Pest. Doch egal was man tat...am Schluss starben sie alle. Innerhalb von ein, zwei Wochen. Dann gab es immer mehr Fälle...die Medien berichteten wie wild...und dann, auf einmal...war es hier.“
Glasigen Blickes richtete Lynn ihre Augen ziellos gegen die Wand. Mir war, als wäre ich von Kübeln mit eiskaltem Wasser überschüttet worden.
„Eines Abends“, fuhr sie stockend fort, „da...da kam meine Tochter nachhause. Sie...sie hatte auf dem Spielplatz mit einigen anderen Kindern gespielt.“
Mir war, als würde alle Luft aus meinen Lungen weichen, versuchte zu schlucken, was mir aber nicht gelang.
„Als ich ihre Hände waschen wollte, entdeckte ich sie...diese schwarzen...Flecken, und...“
Lynn brach ab. Sie riss ihren Blick von der Wand und heftete ihn an mein Gesicht, tränenerfüllt.
„Es war...ich wusste es...ich...“ Sie verstummte abermals, doch ich wagte es nicht, wie zu berühren, obgleich ich die Handschuhe trug. Zu fern erschien ich dem Leid, als dass ich sie zu trösten vermocht hätte. Dennoch erlag ich einem berührten Gefühl, im Wissen, dass ich vielleicht eine der wenigen Personen war, denen sie ihr Leid anvertraute. Gleichzeitig erstarkte in mir der Ärger, ihr nicht behilflich zu sein können, nein, nicht einmal einen Bruchteil von Hilfe konnte ich ihr geben, und ich fühlte mich zunehmend unnütz.
„Entschuldigung“, flüsterte sie und schniefte, „ich...habe die Beherrschung verloren.“ Sie blinzelte sich die Tränen aus den Augen und meinte wieder gefasster:
„Nun...auf jeden Fall gäbe es eine Möglichkeit, das Virus zu stoppen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob es wahr ist, doch...schon seit einiger Zeit soll es ein Gegenmittel geben.“
Ich japste nach Luft.
„Ja...es gibt einen Weg, aber...er ist gefährlich. Anscheinend hat GFL endlich die Lösung gefunden. Sie könnten die Kranken heilen, sagt man sich, aber um dort hin zu kommen, müsste man zuerst einmal die Absperrung überwinden.“
„GFL?“, fragte ich neugierig und dachte dabei unweigerlich wieder an das kleine Stück Papier, das ich in meiner Hosentasche gefunden hatte und an den Helikopter. Es musste irgendeine Bedeutung haben.
„Lynn!“, unterbrach uns abrupt eine besorgt mahnende Stimme. Sie blinzelte und atmete tief ein.
Bill war wieder aufgetaucht, im Gesicht einen bestürzten Ausdruck. „Lynn, du solltest wirklich ein wenig Abstand einhalten. Man kann nie sicher sein.“ In einer fahrigen Bewegung packte er sie am Handgelenk und zog sie von mir weg.
„Ist schon gut, meinte sie lachend, „ich habe ihnen die Kleidung ja gegeben.“ Während sie ihren Mann mit einer abwinkenden Geste zu beruhigen versuchte, sah ich mich diesem Lachen gegenübergestellt, hallend in meinem Kopf, und es stimmte mich nachdenklich. Vor kurzem über den Tod ihrer Tochter noch so betrübt, erbot sich Lynn uns auf einmal so fröhlich, so schwerelos, wie sie es in den ersten Augenblicken unseres Treffens getan hatte. Eine Mischung aus verstohlener Bewunderung und Skepsis kam in mir zur Regung, Bewunderung dieser plötzlichen, nahezu mühelos wieder heraufbeschworenen Leichtigkeit gegenüber, Skepsis dadurch, dass mir diese Wandlung auf unbehagende Weise nicht begreiflich war. Hoffend auf eine stumme Antwort durchforstete ich ihr Gesicht, während sie mit ihrem Mann sprach. Nichts, kein Anzeichen der Wut oder der Trauer mehr. Wie konnte sie sich in dieser Gelassenheit wähnen, wo doch alles verloren ging?
„Tut mir Leid, Tina, ich habe noch so einiges zu erledigen“, riss sie mich aus meinen Gedanken, „du weißt schon, verzweifelte Hausfrau und so weiter. Es war richtig nett, mit euch zweien zu plaudern. Vielleicht kann ich dir später noch alles erklären. Ich würde euch ja liebend gerne noch einmal besuchen, aber ich fürchte, bis zum Abend habe ich keine Zeit mehr. Nun gut, meine Lieben, wir sehen uns hoffentlich...“
Sie brach ab, und für einen winzigen Moment glaubte ich, einen bestürzten Gesichtsausdruck wahrzunehmen, der sich aber so schnell wieder verflüchtigte, wie er gekommen war.
„Wir sehen uns bald wieder“, beendete sie, verabschiedete sich mit einem letzten, freundlichen Lächeln und wandte sich Arm in Arm mit ihrem Mann um, der sie festhielt, als könnte er sie jeden Augenblick verlieren. Für einen Moment noch blickte ich ihnen nach, Erstarrt in einer Ungewissheit, die mir Rätsel entgegen warf, dann richtete ich meine Augen auf Jonathan, der ihr auf befremdende Weise auch nachblickte. Und wie.
„Sag mal, Jonathan“, bemerkte ich kichernd, „da schleicht sich doch nicht etwa ein warmes Gefühl in dir hoch?“ Frohen Mutes zerzauste ich sein ohnehin schon zerzaustes Haar, worauf er erschrocken nach Luft schnappte und so heftig zusammenfuhr, dass ich sofort verwundert von ihm abliess.
„Habe ich nicht gesagt, du sollst mich nicht anfassen?!“, fuhr er mich an, mir aber entging nicht, dass er dies nun unsicherer als auch schon tat, mit einem leichten Beben in der Stimme. Ein leichtes, selbstzufriedenes Lächeln ob dieser Tatsache auf meinen Lippen, das ihm zweifelsohne ins Auge springen musste, denn er warf mir einen höchst argwöhnischen Blick zu.
„Entschuldigung“, erwiderte ich in einem Ton, der nur bedingt danach klang, „ich wollte dir nicht zu nahe treten.“ Meine Stimme erhob sich in dieser Leere so vergnüglich, dass ich fürchtete, sie könnte jeden Moment von der Umgebung nieder gestampft werden, wenn nicht von mir selbst, in der Furcht, etwas zu durchdringen, das schon allmählich depressionsartige Formen angenommen hatte.
Jonathans Antwort setzte sich aus einigen murmelnden, unverständlichen Lauten zusammen, bevor er abwehrend entgegnete:
„Ich habe kein warmes Gefühl.“ Die letzten beiden Worte entwichen ihm mit gar spöttischen Zügen.
Na ja, ich poste mal weiter. Wenn ich aufhören soll, dann sagts ruhig XD. Eine kleine Rückmeldung (u.a. Kritik) wäre erwünnscht^^.

Seufzend gab ich klein bei, indem ich nicht mehr darauf einging und mich stattdessen wieder auf die Umgebung besann. John sass immer noch wie befürchtet an die Säule gelehnt da und rührte sich nicht, wobei ich nicht abstreiten konnte, das ich wünschte, er würde schnell genesen. Trotzdem nahm ich Jonathan zuliebe einige Meter abstand zu John ein, da er ihn anstarrte, als könnte er ihm jeden Moment an die Kehle springen. Verübeln konnte ich Jonathans Haltung gegenüber meinem früheren Reisegefährten jedoch freilich nicht, vor allem nach vergangenem Gespräch. Mühselig riss ich mich schliesslich von ihm los und versuchte, mich in dem verwinkelten Gewirr aus Säulen und Menschen zurecht zu finden. Lynns demonstrative Mahnung vor Augen, schweifte mein Blick über die kleinen, verteilten Grüppchen, die sich zu meiner Rechten befanden. In der Tat, es waren keine Infizierten, zumal sie keine Handschuhe oder ähnlich schützende Kleidung trugen. Dafür starrten sie umso vernichtender zu uns hinüber, und ich kam in Versuchung, eine bissige Geste zu vollführen, der ihnen diese übertrieben angstvollen, feindseligen Ausdrücke aus den Gesichtern zu wischen vermocht hätte. Ich beliess es bei einem stummen Zurückstarren und presste die Lippen zu einem schmalen Strich. Die massen mich, als wäre ich irgendein gefährliches Zootier, das gerade erkannt hatte, dass es über das Gehege springen konnte. Hie und da konnte ich in den kleinen Ansammlungen gar den einen oder anderen Geschäftsanzug samt Krawatte ausmachen. Leute, die ihrem wohl erfolgreichen, gedankenlosen Leben geradezu entrissen worden waren. Bei dem Gedanken musste ich mich beherrschen, um nicht ein grimmiges Lächeln zu zeigen. Ja, vielleicht erkannten die Menschen jetzt, was sie angerichtet hatten...und vielleicht waren fehlende Erinnerungen gar nicht mal so schlecht, wenn nicht sogar von Vorteil. Eine kalte Hand schien über meinen Rücken zu streichen, als ich gewahr wurde, wie ich dachte. Wie war ich auf diese unüberlegte Idee gekommen? Schliesslich war ich selbst ein Mensch. Es hätte mich reuen, mich schmerzen sollen, dem Leid um mich herum wieder ins Auge zu blicken, doch...nichts Verderbliches mehr regte sich in mir, als hätte jemand jene Gefühle aus meinem Denken gewischt. Ich kannte all diese Menschen nicht einmal, und doch fühlte ich mich schuldig, nichts mehr zu empfinden in Anbetracht des ganzen Ausmasses dieser Katastrophe, die einem furchteinflössenden, unbegreiflichen Ende glich. Dem Ende der Menschheit. Und in diesem Moment, ich wusste nicht wieso, konnte ich es nicht mehr unterdrücken, das grimmige Lächeln.
Und ich schämte mich dafür.
„Komm“, meinte ich mit seltsam gequälter Stimme zu Jonathan, alles mit einem Schlag nieder pressend, „wir suchen uns irgendwo ein besser geeignetes Plätzchen.“ Selbst den Atem zu schöpfen, den ich brauchte, um einige wenige Schritte zurückzulegen, fiel mir schwer.
„Ich nehme nicht an, dass du noch länger bei John verweilen willst?“, fügte ich hinzu und versuchte zu lächeln. Es gelang mir nicht.
„Nein...“, erwiderte er, und für einen schrecklichen Augenblick lang schien es mir, als wüsste Jonathan genau, was in mir vorging, als ich seinen Blick erhaschte. Starr hatte er seine Augen auf mich gerichtet, und ich wurde wiederum nicht schlau daraus, was sie mir zeigten.
„Tina“, flüsterte er dann, als könnten wir belauscht werden, „ich...ich möchte dich etwas fragen.“
Ich hob die Augenbrauen und musste all meine Kraft aufbringen, um zumindest einen Teil dessen, was mir auflastete, wieder zu vergessen.
„Nur zu, mein...“
Ich erstarrte.
Die Last, die die Schwermut mit sich gebracht hatte, wich auf einmal verblüffter Verwirrung, welche aber nicht weniger schwer lag. Mein?
„Nur zu“, wiederholte ich trocken, schluckte leer und ärgerte mich über meine eigenen, losen Lippen in beabsichtigter Oberflächlichkeit, die mir noch mehr Verwirrung ersparte.
„Warst du schon einmal...verliebt?“
Ich zuckte beinahe schreckartig zusammen.
„Wie bitte?!“, rief ich aus. So ziemlich alles hatte ich von Jonathan erwartet, nur nicht, dass er in einem Augenblick wie diesem über Liebe sprechen würde. Er nickte und wiederholte seine Frage beharrlich:
„Warst du schon einmal verliebt?“
Ich brauchte zunächst eine Weile, um mich zu einer Antwort durchzuringen, welche ich schlussendlich abgehakt gab:
„Nun...ich frage mich, weshalb du das wissen willst, aber...wenn...wenn ich es wüsste, dann würde ich...es dir sagen. Aber ich weiss es nicht.“
Noch während ich sprach, spürte ich, dass das, was ich sagte, nicht ganz die Wahrheit war. Ich konnte mir nicht erklären, woher dieses Gefühl kam, doch es war da.
„Wieso willst du das wissen?“, fragte ich ihn mindestens genauso interessiert wie er, um mich abzulenken. Ohne mir eine Antwort zu geben, stierte er auf den grauen Betonboden, der anscheinend auf einmal sehr interessant für ihn war. Da zeichnete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ab.
„Ist es etwa wegen Lynn?“, neckte ich schelmisch und hätte ihm am liebsten einen leichten Stoss versetzt, doch das war gar nicht nötig, da er von selbst beinahe strauchelte.
„Nein!“, wehrte er schnell ab, meiner Ansicht nach ein wenig zu schnell.
„Oh doch, ist es“, stichelte ich grinsend weiter, „du fragst nun mich um Rat, damit ich dich in die Geheimnisse der Liebe einführe, was zur Folge hat, dass du durch mich ihr Herz zu erobern vermagst.“
„Das stimmt nicht!“, blockte er bestürzt ab, doch seine Stimme ging in meinem fröhlich hervorgebrochenen Lachen unter, welches mich zeitgleich endgültig von der Unbehaglichkeit, die sich in mir mehr und mehr breitgemacht hatte, zu befreien vermochte.
Wieder voll Luft schöpfend setzte ich mich abermals in Bewegung und steuerte auf eine Ecke zu, die in einigem Abstand zu anderen, diesmal infizierten Menschen lag. Aufseufzend lehnte ich mich an die Wand und sank hernieder, bis ich den Boden berührte. Die Kälte, die auf ihm lag, spürte ich schon gar nicht mehr, zu sehr hatte ich mich an sie gewöhnt. Ich warf Jonathan in einer sanft auffordernden Geste einen warmen Blick zu, um ihn dazu zu bewegen, dass er sich ebenfalls niederliess, was jedoch nicht sofort geschah. Immer noch stand er steif da und beäugte mich mit höchstmassendem Misstrauen, doch ich glaubte, eine Spur von Unsicherheit, wenn nicht sogar Scham in seinem Blick zu erkennen. Es lagen mir in diesem Moment mehr als ein halbes Dutzend Bemerkungen auf der Zunge, wovon ich eine aussprach:
„Weißt du, ich glaube, du wärest durchaus in der Lage, ihr zu schmeicheln.“
„Wen meinst du?“, fragte er sich regelrecht windend.
„Na wen wohl“, erwiderte ich amüsiert, „Lynn natürlich. Meinst du nicht auch, dass sie einen so wunderbar klingenden Namen hat? Ich denke, da könntest du als wandelndes Mikrofon einiges herausholen.“
Jonathan weitete seine Augen, doch ich fuhr gleichwohl fort:
„Nun sieh mich doch nicht so an, Jonathan. Ich spreche einzig und allein aus Erfahrung, habe ich deine Künste doch in Aktion erlebt. Oder worauf bezog sich dieses ‚Nein, im Gegenteil’ von vorhin?“
In einem solchen Unbehagen, in dem sich Jonathan jetzt befand, hatte ich ihn noch nie erlebt. Von Nervosität nur so getrieben stand er von einem Bein aufs andere und biss sich auf die Unterlippe, als hätte sie den Zweck eines Nahrungsmittels erfüllt. Schmunzelnd musterte ich ihn so eine Weile, bevor ich mich aus aufkommendem Mitleid erbarmte und beschwichtigend hinzufügte:
„Schon gut...war nur ein Scherz.“
Ich runzelte kurz daraufhin die Stirn. Seit wann machte ich Scherze? Nebenbei...da lag noch eine Bemerkung auf der Zunge. Denn wenn ich ehrlich mit mir war, wähnte ich mich nämlich doch auf befremdende Weise froh darüber, dass sich Jonathan im Bezug auf Lynn so verhalten gab und sich stattdessen meiner Gesellschaft ergiebig zeigte, so, als würde er sich langsam, aber sicher an mich gewöhnen. Und dies in einer schwer zu beschreibenden, längerfristigen Art.
Dennoch: Die Bemerkung sollte nie den Weg über meine Lippen finden, denn ich schluckte sie wortlos hinunter...worauf sie eine angenehme Wärme im Magen verursachte, als sich Jonathan endlich zögerlich neben mich setzte.
Hm....
Nur weil keine Rückmeldungen kommen, heißt das nicht, dass niemand den Text leist. Es zeigt nur, wie gebannt wir auf den nächsten Teil warten, der (natürlich) die unbeantworteten Fragen (die immer zahlreicher werden) beantwortet. Und dass wir keine Fehler finden. Seltsam aber wahr.

(Zum letzten Punkt: Heißt es ziemlich weit oben nicht:
Trotzdem nahm ich Jonathan zuliebe einige Meter Abstand zu John[...]?
Oder hab ich da jetzt etwas Falsches im Kopf ;)?)
@ira: Ne, ist nix falsch da oben^^
Wie wäre es, wenn ihr mal alle diese unbeantworteten Fragen, die ihr habt, aufschreiben würdet? Denn es kann gut sein, dass ich vielleicht was übersehe und am Schluss etwas unlogisch/offen bleibt, und so wäre es mir möglich, alles irgendwie besser zu überdenken:)
öhm.....Du willst also wirklich alle unsere Fragen?
Na gut....;)

1. Die Sache mit dem Schrank. Besondere Gründe/ähnliches.....
2. Die Amnesie (war ja logisch)
3. John. Alles über ihn. Was ihn konkret angegriffen hat (hab ich viell. überlesen) und wieso "Tina" ihm immer wieder begegnet (Schlüsselrolle etc.)
4. Die Roboter (Herkunft/Entstehung)
5. "Tinas" Erinnerungen--> Beduetung und Auflösung der geheimnisvollen Personen
6. Jonathan (nicht unbedingt mehr über ihn persönlich, aber naja...irgendwie weiß ich auch nicht so genau WAS ich noch wissen möchte ;) )
7. Der Virus-> Die Lösung natürlich
8. G.F.L. -> das muss noch aufgelöstz werden. Und wenn du nur schreibst, für was das Kürzel steht, und das nichts mit dem Rest zu tun hat (eher unwahrscheinlich) werde ich dir ewig böse sein! ;)
9. (Die Bedeutung der) Kugel.
10. weiß ich nicht. Aber ich wollte unbedingt den letzten Punkt auch noch Füllen.....^^


Ja. Ich weiß, das sind eine ganze Menge, aber du wolltest ja unbedingt unsere Fragen hören. Sollten einige schon beantwortet sein, dann lass mich das doch bitte wissen, denn dann habe ich irgendetwas überlesen....(ohoh...)! Ich hoffe du schaffst es auch tatsächlich noch alle Fragen zu beantworten.

P.S. Ach ja... ich flieg am Sonntag in Urlaub und falls ich keine Zeit mehr finden sollte hier rein zu schauen bin ich hab heute dann 16 Tage nicht mehr hier (mit heute^^). Das bedeutet dann wiederum, dass es in meiner Geschichte (bei der übrigens die Rückmeldungen fehlen *mit dem Zaunpfahl wink*, auch nicht mehr so richtig weitergeht (beosnders weil mein Vorsprung schmilzt....^^
PPS. Ach ja! Weiß jemand zufällig das lateinische Wort für "Auge"?
Danke, danke. Hier macht sich jemand wirklich Mühe *sich geehrt fühlt*^^
Also, zu den Fragen: Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass alle beantwortet werden. Einige davon (na gut, der ziemliche Grossteil) werden aber mit der Auflösung noch ziemlich auf sich warten lassen. Nur so als Vorwarnung^^. Die Sache mit dem Schrank wird aber nächstens kommen. Und was John wirklich konkret angegriffen hat...hm...da muss ich noch meine schöpferische Kreaturen-Fantasie walten lassen^^. Aber kommen tuts sicher noch.

PS: In Sachen Latein musst du wohl Lamproly fragen...
Hoffentlich geht's noch weiter, bevor ich wegfahr! Ich finde jetzt auch ganz sicher Zeit hier nich ein- zweimal reinzuschauen.
!!!ICH HAB JETZT FERIEN!!!

P.S. Ich bin mir ziemlich siocher, dass es oculus ist, aber nicht 100%.....^^
Also dann:

Und so verbrachten wir lange Zeit stillschweigend, nahezu regungslos nebeneinander. Während Jonatahn seinen eigenen Gedanken nachhing, fragte ich mich von tauben Gliedern geplagt, was denn der Sinn dieser ganzen Sache war. Natürlich, hier unten waren wir geschützt – oder zumindest fühlten wir uns so – vor den Gefahren, die an der Erdoberfläche auf uns lauerten. Und einige Menschen sahen so niedergeschlagen aus, dass nicht einmal mehr eine Vermutung darstellte, dass sie eine weitere Katastrophe nicht würden verkraften können. Sie mochten sich damit abgeben, hier unten vor sich hin zu vegetieren, doch ich...ich spürte diesen unbändigen Drang, etwas tun zu wollen, und sei es zwecks meiner ausgelaugten Lage nur im Geiste. Ich wühlte in mir selbst, in der Hoffnung, wieder ein Bildnis, einen Hinweis auf mein früheres Leben anzutreffen, doch es blieb mir verwehrt. Nichts als Leere war in mich übergegangen, die Leere dieses Ortes, dieser Situation, oder auch einfach nur die Leere all dieser hoffnungslosen Gesichter, die ich kaum mehr wahrnahm. Zu meinen Ohren drangen Schluchzer, leise stöhnende, qualvolle Laute, Schmerzen...doch auch sie unterlagen der Leere. Ich spürte die Zeit, die zähflüssig zwischen meinen schlaffen, kraftlosen Fingern zerrann, und ich fragte mich, ob ich sie je wiederfinden würde, wenn sie einmal verloren war. Das alles...es erschien mir so unwirklich, so falsch, und dennoch wusste ich tief in meinem Herzen, dass es nichts als die Realität war. Nie hatte ich mich vor ihr verborgen, doch bisher hatte ich das Gefühl gehabt, ihr gar nicht wirklich ausgesetzt zu sein. Bis jetzt. Jetzt erkannte ich sie, wie sie klar, so unbetastet weiter schritt, als wäre ihr Weg in keiner Weise zu bestreiten, und mit ihr die langen Augenblicke zwischen zwei meiner dumpfen Herzschläge. Ich fragte mich, ob die Betonwand, gegen die ich mich lehnte, schon immer so kalt gewesen war, ob der Boden, auf dem sich meine blossen Knöchel aufscheuerten, schon immer so rau gewesen war. Das waren sie ohne Zweifel tatsächlich, und dennoch wusste ich nicht, ob jene Dinge sich nur hämisch an meinem Leid zu ergötzen glaubten. Mir war, als würde ich in einem endlosen, blauen Ozean dahin schwimmen, so lange, so unermüdlich, wie es irgend nur ging. Und trotzdem würde ich nie Land erreichen, sei es in meiner Empfindung oder in diesem verhassten Gebilde, das sich Wirklichkeit nannte. Vielleicht war das, was wirklich war, nicht einmal wahr. Vielleicht gab es gar kein Virus, vielleicht gab es keinen John, keinen Jonathan, keine Lynn und schon gar keine Vergangenheit, geschweige denn mich, Tina. Und so verlockend, so süss diese Vorstellung eines Traumes klang, es war letztendlich doch nur ein Sinken gen Meeresgrund, als würde ich mich entscheiden, durch das Wasser sanft zu entschlafen. Doch es gab kein „sanft“. Es gab nur hier und jetzt.
Und da gab es noch irgendetwas, das mir sagte, dass ich falsch gedacht hatte, als ich auf Jonathan sah.
Mit diesem Gedanken schloss ich meine Augen, wurde mehr und mehr von Müdigkeit übermannt und schlief schliesslich ein.

Mit einem ohrenbetäubenden Klirren zerbarst die Scheibe.
Meine Ohren dröhnten und ich wurde von Schwindel ergriffen, als ich auf das zersplitterte Glasmeer zu meinen Füssen blickte, nicht richtig erfassend, was überhaupt geschehen war. Ich brauchte eine Weile, um mich aus der Lähmung zu lösen, bevor ich vorsichtig einen Schritt auf die Scheibe – oder das, was von ihr übrig geblieben war – zu machte. Kribbelnd jagten sich Schauer um Schauer über meinen Rücken und ich strich pochenden Herzens über meine Haarsträhnen, die mir tief im schweissnassen Gesicht lagen. Durch meinen gesamten Körper pulsierte das Blut und ich fröstelte unter der Kälte, die meine Beine hoch kroch, nun, da ich sie wieder benutzte. Tatsächlich...ich hatte es geschafft, die undurchdringlich erscheinende Spiegelwand zu durchbrechen. Dahinter erstreckte sich ein neuer, aber weitaus kleinerer Raum, der einem Büro glich: Ein umgefallener, in der Stille unheimlich laut surrender Monitor lag auf einem metallenen, modernen Schreibtisch in der Mitte. Sein mattes Flackern liess die Ablagefläche in unregelmässigen Abständen aufblitzen. Eine Kaffeetasse hatte ihren spärlichen Inhalt tropfend auf eine aufgeschlagene Zeitung ergossen, die sich auf dem schwarzledernen, breiten Stuhl mit Rollen befand. Nach einem Stück scherbenbedeckten, sterilen Teppichbodens türmten sich an der hinteren Wand unzählige Regale und Schubladen in die Höhe, die vor Ordnern und Blättern nur so überquollen. Das Grün einer Zimmerpflanze stach mir in die wild umher huschenden Augen, welche es aber nicht vermochte, mich aus der schier unerträglichen Anspannung zu reissen, die mich quälte. Zumindest war die Person, die hier arbeitete, im Moment nicht anwesend – doch das konnte sich bei dem Lärm, den ich verursacht hatte, schnell ändern. Möglichst lautlos glitten meine Füsse über den Boden, während ich den Scherben auswich. In einer Bewegung, die mir unendlich langsam vorkam, schwang ich mich über den scharfkantigen und immer noch von Glasstücken besetzten Rand der Scheibe und begab mich lautlos in den Raum. Zu meiner Rechten entdeckte ich die Tür, doch irgendetwas sagte mir, dass ich sie noch nicht benutzen sollte...sofern sie überhaupt offen war. Stattdessen schwenkte mein Blick auf den Bürostuhl, auf dem die befleckte Zeitung lag. Ich näherte mich ihr und beugte mich über sie, wohl aus Neugier, vielleicht aber auch aus irgendeiner verworrenen Ahnung heraus, die mir mein Gedächtnis zuschickte. Es dauerte einige geschlagene Sekunden, bis sich meine Augen an das braun durchtränkte Titelbild gewöhnten, sodass ich dessen Inhalt ergreifen konnte. Es war eine Gruppe von vielleicht zehn, fünfzehn Menschen zu sehen, die vor einem grauen Sockel standen, auf dem so etwas wie eine moderne Steinskulptur zu sehen war. Hinter ihnen, weiter in der Ferne, war der Anschein von einem Gebäude zu entdecken, das jedoch unter einem Kaffeefleck beinahe vollkommen verschwamm. Die Menschen waren allesamt in weisse Arbeitskittel gekleidet und lächelten mir starr entgegen, und sie sahen alle sehr gepflegt aus und einige trugen Brillen. Die Überschrift des Artikels lautete Stolz verkündend: „WIR MACHEN FORTSCHRITTE“.
Schlagartig wurde mir auf einmal bewusst, dass ich diese Gesichter kannte. Da...eine Frau, die...
Ein dumpfes Poltern erklang und ich schrak hoch. Zitternd lauschte ich, doch es folgten keine weiteren Geräusche. Es schien, als wäre es von der Wand hinter den Regalen gekommen. Ich liess von der Zeitung ab. An Gemächlichkeit war jetzt nicht mehr zu denken. Sie konnten jeden Augenblick wiederkommen. So schnell es ging, hastete ich zu Tür, zögerte aber, sie zu öffnen. Die Haare zur Seite streichend presste ich ein Ohr dagegen und versuchte angestrengt, etwas zu hören, doch es folgte nur Stille. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass tatsächlich niemand in der Nähe war, legte ich die Hand auf die Klinke...
Und drückte sie hernieder.


So, jetzt gibt es von mir mal ne Pause...und ich hoffe, dass Lamproly oder andere Leser (meldet euch doch mal wieder:)) auch irgendwann noch mitkommen^^. Keine Angst ich schreib im Word auch schön weiter, und wenn ich irgendwann noch weiterposten soll, dann mache ich das natürlich:).
Ja ich komme mit. Spannungsgeladen, kann ich da nur sagen. Mensch, diese Abschnitte die bringen so Abwechslung rein, man kann nie aufhören zu lesen. Also wenn das ein Buch wäre... ich glaube ich hätte es an einem Tag durch
Der Schreibstil ist wie immer super, vor allem der Vergleich mit dem blauen Ozean ist sehr gut getroffen und die Spannung wird durch so etwas wie: Da...eine Frau, die...
Ein dumpfes Poltern erklang und ich schrak hoch.

Die Lösung liegt nah doch man kann den Satz nicht zu Ende sprechen, bzw. denken und wird durch etwas anderes abgelenkt. Wirklich super wie du das machst. Und natürlich an den spannendsten Stellen aufhören, das kennen wir ja (*grr*)

@ira: Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass es oculus heißt, weil der Plural ist oculi und der Akkusativ plural oculos, also müsste es oculus heißen. äähm ja Latein ist mein schlechtestes Fach *räusper* lassen wir das Thema
also haben wir jetzt insgesamt etwa 150% Sicherheit, das ist doch schon mal was *gg*
Mensch, ich kann nicht glauben, dass ich so spät noch wach bin^^. Naja, mich hat wieder einmal bis um diese Urzeit der Schreibteufel gejagt und so musste ich einfach tun, *gähn* was er verlangte: ähm...schreiben XD. So, hier wieder ein Stück, und jetzt wirds meiner Meinung nach erst richtig spannend:) (hoffe ich)

Es war ein seltsames Gefühl, die Augen zu öffnen.
Nicht die Bewegung meiner Lider selbst war es, die meine unguten Erwartungen bloss legten, sondern das wiederkehrende Bewusstsein, dessen ich dabei gewahr wurde. In einem innerlichen, bitteren Auflachen fragte ich mich, was mir wohl als nächstes einen Schrecken einjagen würde; dass ich mich plötzlich an einem anderen Ort wiederfand? Dass plötzlich alle weg oder noch schlimmer: tot waren? Noch während ich mir all diese Möglichkeiten durch den Kopf streichen liess, bemerkte ich, dass sie alle nicht eingetroffen waren. Was jedoch meine Erleichterung so wenig schürte wie ein Wasserschwall das Feuer, zumal ich zunächst irritiert nicht wusste, was mich überhaupt aufgeweckt hatte. Ich rieb mir träge die Augen, welche von den grellen Strahlen der Deckenbeleuchtung nur nach und nach geblendet wurden. Ein Schmerz durchzuckte meinen Nacken, ich schloss die Augen wieder und atmete tief durch. Nicht, dass Schmerz etwas Ungewöhnliches mehr war. Haha, etwas völlig Normales. Normale Dinge gaben Halt. Mein stilles Lachen war trockener als Wüstensand, ja, es hatte nicht einmal eine Daseinsberechtigung. Ich hievte mich umständlich hoch und lagerte meine Schulterblätter gegen die Wand. Während ich lauschte, fragte ich mich, wie lange ich wohl geschlafen hatte. Mehr als einige Stunden konnten es nicht gewesen sein, doch ich zog es vor, meinen Annahmen nicht mehr zu trauen. Zu oft hatten mich meine Sinne getäuscht. Doch immerhin gab es etwas in mir, dass mich nie zu täuschen schien...es war dieses immerwährende Gefühl für Dinge, die geschehen mussten...eine Art von Intuition, und ich spürte, dass sich mein Verstand fast schon unterbewusst geschärft hatte, als ob er wüsste, dass etwas nicht in Ordnung war. Das musste auch der Grund sein, weshalb ich erwacht war.
Und der Gedanke wurde zu meinem Schrecken bewahrheitet.
Neben mir erklang ein gequälter Ausstoss von Keuchhusten. Ich drehte meinen Kopf und starrte Jonathan direkt ins Gesicht. Schlaff lag er da, als ob er seine letzte Kraft dazu verwendet hätte, sich mir zuzuwenden. Sein Atem ging rasselnd, und seine Brust hob und senkte sich, wie es schien, unter äusserster Anstrengung. Bestürzt riss ich die Augen auf, doch bevor ich etwas sagen konnte, erhob sich seine Stimme. Sie hätte jeden Moment sterben können, so schwach und hauchend flehentlich klang sie, und doch vermochten seine leisen Worte mir Schauer über den Rücken zu jagen.
„Tina...das Virus...es...“
Der Rest seiner Klage wurde von meinem erstickten Aufschrei übertönt, und ich sprang so rasch auf die Beine, dass mich der dabei aufkommende Schwindel beinahe wieder zusammensacken liess. Dennoch schaffte ich es, mich verbissen zu halten, indem ich die Handfläche auf die Betonwand regelrecht zustürzen liess. Ohne Hoffnung auf Erfolg erfasste ich in einem wirbelnden Blick die ganze Tiefgarage, doch wie erwartet liess sich Lynn nicht entdecken. Es blieb keine andere Möglichkeit, als...
„Schnell! Wir...wir müssen nach oben ins Haus!“, sprudelte ich mehr ängstlich als zuversichtlich hervor, wofür ich von ihm nur einen ablehnenden Blick einfing.
„Warum denn?“, erwiderte er verständnislos, „halb so wild. Ich will mir nicht helfen.“
„Aber ich will dir helfen! Und jetzt komm!“, befahl ich, „es ist möglicherweise ernst. Wie lange bist du schon mit dem Virus angesteckt?“
Als er mir nicht antwortete und auch keine Anstalten machte, sich zu rühren, schickte ich mich an, selbst die Initiative zu ergreifen, indem ich mich über ihn beugte und den Arm nach seinem Handgelenk ausstreckte.
„Hey!“, rief er verärgert aus, wobei ihn wieder ein Hustenanfall schüttelte, „ich komm schon alleine klar.“ Trotzdem zeigte mein Handeln Wirkung, denn er rappelte sich mühsam auf, wenn auch scheinbar nur dazu, um mich direkt in Augenhöhe anzufunkeln.
„Ach, und deshalb hast du mich vorhin gewarnt? Du kommst jetzt, oder ich zwinge dich dazu“, erwiderte ich und versuchte, forsch zu klingen und gleichzeitig meine Besorgnis in der Stimme zu unterdrücken. Er rührte sich wiederum nicht.
„Was willst du überhaupt im Haus?“, wollte Jonathan misstrauisch wissen, „wir dürfen dort nicht hin, das hat Bill uns doch gesagt.“
„Na und? Wir werden Lynn suchen.“
Seine Augen weiteten sich, während er sein Gesicht zu einer ungläubigen Grimasse verzerrte, und ich glaubte, eine Spur von Scham darin zu entdecken.
Lynn? Du hast doch nicht etwa...“
„Nein, es ist nicht deswegen“, schnitt ich ihm das Wort ab, woraufhin er verstummte, „ich glaube nur, dass sie dir am besten helfen könnte. Wir müssen zu ihr.“
Dass wir uns Bill widersetzen mussten, hatte noch einen anderen Grund, den ich Jonathan aber verschwieg. Ich hegte nämlich das ungute Gefühl, dass an diesem Ort etwas faul war...ich konnte nur nicht genau sagen, was. Doch ich verlor keine weiteren Gedanken darüber, sondern setzte mich mit weit ausgreifenden, aber taumelnden Schritten in Bewegung. Im Moment war mir jedoch nichts unwichtiger als meine eigene Gesundheit, und ich spiesste Jonathan über meinen Rücken demonstrativ mit drängenden Blicken auf.
„Komm schon“, zischte ich ungeduldig, als sich der Abstand zwischen uns unweigerlich vergrösserte. Aus den Augenwinkeln fing ich dabei einige Unheil heischenden Blicke auf, an denen ich mich so wenig wie möglich zu stören versuchte. Stattdessen beschleunigte ich meine Schritte noch mehr, bis ich die Tür zum Keller des Hauses erreicht hatte. Ich kam nicht umhin, trotzdem auf Jonathan zu warten, der sich mühsam voranschleppte. Vielleicht war es nur der Lampenschein, aber sein Gesicht sah auf einmal beunruhigend bleich aus. Es machte den Eindruck, als hätte es jegliche Farbe verloren, und seine Glieder zitterten. Je länger ich mich seinem Anblick aussetzte, desto beklemmender wurde das Gefühl in meinem Magen und desto schwerer der Stein auf meinem Herzen. Wie lange war er schon infiziert? In mein Bewusstsein schlich sich drohend die stille Tatsache, dass ich ihn bis jetzt danach wirklich noch nie gefragt hatte. Hätte es Schuld sein sollen, die nun in mir aufkam, versuchte ich krampfhaft, sie als unangebracht zu sehen. Wieso würde ausgerechnet dieses Gefühl auf meinem Gewissen lasten? Ich wusste es nicht. Und ich wollte es für den Moment auch gar nicht wissen, und war mehr als froh, mir keine Gedanken mehr darüber machen zu müssen, da Jonathan auf einmal wie erstarrt stehen blieb.
„Was ist?“, fragte ich sofort.
„Nichts...“, stammelte er unsicher, „...mir war nur, als...als hätte ich etwas gehört.“
„Was gehört?“, hakte ich wissbegierig nach.
„Es...es klang nach einem Fahrzeug...draussen.“
Ich zögerte, die Tür vor mir zu öffnen, und die Hand, die ich gehoben hatte, sank wieder zurück.
„Fahrzeug?“, wiederholte ich, hellhörig geworden. Etwas daran erschien mir ungewöhnlich. Jonathan liess mir ein abgehaktes Nicken zukommen und hatte sichtlich Mühe damit, weiterzusprechen.
„Ein...Auto, das davonfährt“, meinte er. Seine Stimme war zu einem Flüstern verkümmert, und es schien, als ob ihm etwas schwer zu schaffen machen würde. Die ungute Ahnung, die meinen Bauch zum Kribbeln brachte, wurde durch das Gehörte nur noch bekräftigt. Es mochte zwar irgendein Auto gewesen sein, das zufällig in der Nähe gewesen war, doch jedes Haar sträubte sich dagegen, es mir so einfach zu machen. Es musste irgendeine Bedeutung haben...
„Komm“, gab ich ihm ein weiteres Mal zu verstehen und schritt zaudernd durch den Kellereingang. Zu meinem Erstaunen leistete mir Jonathan diesmal schnell Folge, so, als hätte er gewusst, was ich sagen würde; ich spürte gar seinen Atem in meinem Nacken, so dich trat er an mich heran. Entweder fing er an, an dieser Aufforderung Gefallen zu finden, oder er fürchtete sich ganz einfach vor den Spinnen, die im Keller hausen mussten, infolgedessen er mich wohl als seine persönliche Schutzpatronin auserkoren hatte. Eine Rolle, der ich in der Tat so einige Annehmlichkeiten abgewinnen konnte.
Der Keller war noch im gleichen Zustand, in welchem wir ihn verlassen hatten, mit Ausnahme der nicht mehr vorhandenen Beleuchtung. Ich nahm mir keine Zeit, nach einem Lichtschalter zu suchen und steuerte stattdessen direkt auf die Treppe zu, deren Fuss nur wenige Schritte entfernt lag. Trotzdem konnte ich den schattenhaften Anschein des Schrankes in der Dunkelheit aus machen, der mir Unbehagen bereitet hatte. Wieder dachte ich die Überlegung, die dahinter stand, nicht zu Ende, in der Angst, mir unnötig Misstrauen einzujagen. Die Treppe bestand aus einigen wenigen, breiten Stufen, und am oberen Ende schien mir ein schmaler Streifen Licht durch den Türspalt entgegen. Das Licht prallte auf die Wand hinter mir, nur, um sich bald wieder in der Dunkelheit zu verlieren. Es war auf sonderbare Weise bleich und schimmernd, und nicht so kräftig, als würde es von einer Lampe stammen. Auch der goldene, unverkennbare Schimmer von Sonnenlicht spiegelte sich nicht wider, und fragte mich, was das wohl zu bedeuten hatte. Jonathan, der hinter mir herschlich, machte den Eindruck, als würde er sich herzlich wenig Gedanken über diese Erscheinung machen. Das einzige, was ihn zu interessieren vermochte, war der Absatz der jeweils nächsten Stufe, während er die Treppe Schritt für Schritt erklomm. Natürlich ein perfekter Vorwand, mir nicht in die Augen schauen zu müssen. Nebenbei hatte er ebendies in letzter Zeit um einiges häufiger getan als auch schon, wenn auch nur dann jeweils, wenn er sich in Unsicherheit wähnte. Doch selbst diese nicht sehr weltbewegende Erkenntnis liess etwas Warmes in mir auflodern, im Wissen, dass er mich doch irgendwie zu brauchen schien. Und ich – das konnte ich unmöglich abstreiten – brauchte ihn. Wenn auch aus einem Grund, der genauso ersichtlich war wie der ganze Keller. Es kostete mich einiges an Überwindung, mich von ihm loszureissen und mich wieder der Tür zuzuwenden, die nur noch wenige Schritte vor mir lag. Kurz noch kamen Zweifel in mir auf, ob das, was ich tat, wohl wirklich klug war, dann erloschen sie jedoch wieder und machten stummer Entschlossenheit Platz. Schliesslich ging es hier um weit mehr als Ruhestörung.
Ein Knarren, das meine Nackenhaare buchstäblich in die Höhe schnellen liess, erklang.
Es dauerte eine Weile, bis ich griff, dass ich dafür verantwortlich war – die Tür war lediglich angelehnt gewesen, und nur eine leichte Berührung mit der Zehenspitze hatte ausgereicht, um sie um einige Zentimeter aufschwingen zu lassen. Noch ergab sich meinem Blickwinkel kein Teil der Wohnung, dafür aber nahm der unheimliche Lichtschein zu und erhellte die nahe liegende Wand wie einen matten Teppich aus seidenem, trübweissem Stoff, der von einem wallenden Brautkleid hätte stammen können. Sekunden vergingen, bis ich es wagte, mich wieder zu rühren. Dennoch zögerte ich, die Tür weiter aufzustossen und lauschte angestrengt mit einem flüchtigen, fragenden Blick zu Jonathan. Dieser schüttelte kaum merklich den Kopf, woraus ich mit vermehrter Sicherheit schloss, dass uns niemand aus Argwohn auflauerte. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich die Tür ganz aufschwingen liess...
Und vom Mond begrüsst wurde.
Wie eine helle, leicht unförmige Scheibe hing er am pechschwarzen Himmel, den nur wenige Sterne erhellten. Klein, gar kümmerlich sprang mir sein Antlitz entgegen, dennoch hatte ich das Gefühl, von seinem Anblick ungewollt überwältigt zu werden, in einen zunächst erschrockenen, bald aber still äugenden Zustand, der nicht den kleinsten Hauch von Atem zuliess. Es war, als hätte jemand mit einem von dunkler Farbe durchtünchten Pinsel ein grobes Loch in die Tapete gepinselt, an dessen Rand die lichten Gardinen in die Wohnung gerissen wurden. Wie in Trance begab ich mich zum offenen Fenster hin, und nur eine Stehlampe in der Ecke erhellte meine zögerlich gleitenden Schritte über den kargen, nackten Boden. Schon fast ehrfürchtig ergötzte ich mich am Anblick des Mondes, und ich hätte noch ewig so weiterstarren können, wäre Jonathan nicht in mein Bewusstsein gedrungen.
„Tina“, flüsterte er nervös, und die Botschaft war klar. Ich riss mich vom Fenster, von dem aus mir die kühle Nachtluft zuwehte, los und nahm die Wohnung in Augenschein. Das erste, was mir bei der unzureichenden, aber dennoch frostkalten Beleuchtung auffiel, war die blosse Fläche des Wohnraums. Sie war so gross, dass sich deren hinteren Ecken mit dem Dunkel verschlangen. Das Erdgeschoss bildete demnach zu meinem Erstaunen nur einen einzigen Raum, der von zerbrechlich aussehenden, hölzernen Balken gestützt wurde. Grosszügig voneinander entfernt lagen ein modern aussehendes Sofa, mehrere Tische, ein Flachbildschirm, eine geräumige Küche samt allen möglichen, schimmernden Gerätschaften, Stühle und gar ein Hocker, der neben einer kleinen Hausbar weilte. Von unserem Standpunkt aus kaum mehr zu erkennende Treppe führte wohl in den ersten Stock, und an den Wänden, in breiten Streifen beschienen vom Mondlicht, hingen Bilder, deren Wert ich nicht einzuschätzen wagte. Neben die Erkenntnis, dass ich bis in die Nacht hinein geschlafen hatte, gesellte sich eine weitere dazu, die mir sagte, dass Lynn und Bill ziemlich vermögend waren. Nicht, dass ich mir noch gross Gedanken um irgendwelchen, in dieser Zeit sowieso verwerflichen Reichtum gemacht hätte...aber dennoch konnte ich ein Gefühl der Verblüffung nicht abstreiten, die mich bei diesem Gedanken begleitete. Auf einem etwas grösseren Tisch aus edel geschliffenem Holz in der Mitte des Raumes stand eine Blumenvase. Für einen völlig unsinnigen, aber schrecklichen Moment glaubte ich zu erkennen, dass die Blumen darin völlig verwelkt waren, als ich aber näher herantrat, erkannte ich erleichtert, dass dem nicht so war – soweit man dies bei vorherrschendem Lichteinfall angemessen beurteilen konnte. Noch einen Augenblick lang verharrte mein Blick auf den Pflanzen, dann glitt er weiter – und kam auf einem aufgefalteten Stück Papier zu ruhen. Irgendetwas stand in kleinen, ineinander verschlungenen Buchstaben darauf, doch ich hütete mich davor, sie entziffern zu wollen. Zumindest im ersten Moment. Nach einer Weile, die mir durch ihre Länge schon fast lächerlich als Zeugnis meiner Unbeholfenheit missfiel, entschied ich mich doch dazu. Mit einigen, schnellen Schritten umrundete ich das ovale Möbelstück und presste beide Handflächen darauf, sodass sie das Schriftstück einschlossen, beugte mich darüber und begann zu lesen. Es handelte sich um einen Brief, dessen Worte meine Augen mehr und mehr aufreissen liessen.

Liebling

Wenn du dies liest, werde ich schon fort sein. Es war meine Entscheidung, und ich hoffe, dass du sie verstehst. Ich wusste schon seit einiger Zeit von deinem Kontakt. Es tut mir Leid, aber ich kann einfach nicht mehr mit ansehen, was du tust. Das Geld, das du mir versprochen hast, will ich nicht annehmen. Bitte, behalte es für dich selbst, ich kann es nicht gebrauchen. Ich schätzte es an dir, dass du immerzu so ehrgeizig warst, aber das geht eindeutig zu weit. Hast du schon einmal als dem Fenster geblickt? Reichtum zählt jetzt nicht mehr. Es würde uns kein besseres Leben gewähren. Meine Sachen habe ich aus dem Keller geholt. In der Küche findest du soweit alles Nötige.
Lebewohl.

Lynn
als dem Fenster geblickt?

das ist das einzige, was mir aufgefallen ist.
Wird ja immer besser. Jetzt ist Jonathan todkrank und die die helfen könnte über alle Berge.
In zwei Wochen lese ich die nächsten Teile, die bis dahin natürlich fertiggestellt werden (hoffe ich doch) :)
ich bin wieder da und ich kann bestimmt keine zwei wochen warten!!
beeil dich besser.... ich bin wirklich gespannt und finde auch, dass der Text immer besser wird und immer spannender und irgendwie natürlich auch immer verwirrender (was würdest du nur ohne geheimnisse machen??). weiter so!
Was ich ohne Geheimnisse machen würde? Einen stinklangweiligen, stilistisch belanglosen Text schreiben.

Das Papier war an den Rändern, wie es schien, schon mehrmals zerknittert worden. Ungläubig schnappte ich nach Luft und riss die Hände vom Tisch.
„Das...das kann nicht sein“, hauchte ich matt und strich mir kopfschüttelnd über die Haare. Noch bevor Jonathan den Mund öffnen konnte, um zu fragen, erklärte ich hastig:
„Lynn...sie ist weg!“
Als hätte mein Herz auf ein Zeichen gewartet, begann es angesichts meiner eigenen Worte heftiger denn je zu pochen. Von immer wiederkehrenden Schauern begleitet, ergab nun alles einen Sinn...
„Sie...hat schon alles vorhin geplant...“, murmelte ich halblaut, immer noch nicht so recht begreifend, was geschehen war, „sie...sie hatte schon im Sinn gehabt, von hier zu verschwinden, bevor sie mit uns sprach!“
„Wie...wie meinst du das? Was soll das heissen?“, rief Jonathan mit einem Anflug von Panik in der Stimme, worauf ich ihm wortlos den Brief vor die Augen hielt. Im ersten Moment wich er erschrocken zurück, dann fasste er sich jedoch wieder und fuhr huschenden Blickes den Zeilen entlang. An einer Stelle blieb er mit einem Ruck hängen, und seine Stirn legte sich langsam, aber sicher in Falten.
„Geld?“, fragte er irritiert und musste sich regelrecht bemühen, sich im Flüsterton zu halten. Stumm vollführte ich eine Geste, die zwischen einem Achselzucken und einem Kopfschütteln anmutete, wohl war es beides zusammen.
„Hör zu, Jonathan“, meinte ich eindringlich und unterdrückte die flachen Atemstösse, in denen ich mich in aufkommender Furcht zu verlieren drohte, „was auch immer damit gemeint ist: Ich glaube, Bill führt nichts Gutes im Schilde. Wir sollten...“
Bevor ich zu Ende sprechen konnte, erklang ein helles Geräusch, das ich nicht einzuordnen vermochte. Ich sog scharf die Luft ein und war mich herum. Es war nichts zu sehen. Doch da...wieder dieses Geräusch.
„Die...Treppe...“, stiess Jonathan abgehakt hervor und begann am ganzen Leib zu zittern. Mein Blick wirbelte zu den breiten Stufen, die in Zwielicht getaucht waren. Mir war, als hätte ich einen huschenden Schatten gesehen.
„Bill?“, rief ich, und meine eigene Stimme dröhnte in meinen Ohren. Die Worte verhallten in der Dunkelheit.
„Was...was tust du da?“, flüsterte Jonathan gepresst, in sein Gesicht stand die blanke Angst geschrieben, „er wird uns...“ Weiter kam er nicht, doch ich wusste auch so, was er befürchtete.
„Ich werde ihn zur Rede stellen“, entgegnete ich und versuchte entschlossen zu klingen, was mir jedoch nicht ganz gelang. Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Mischung aus Befremdung, Angst und Erstaunen entgegen, was mich nicht davon abhielt, einen weiteren Versuch zu starten.
„Bill?“, rief ich wiederum, doch eine Antwort blieb auch dieses Mal aus. Ich wusste nicht, ob das, was ich nun tat, besonders klug oder einfach nur besonders unüberlegt war.
„Tina!“, erreichte mich Jonathans erstickter Ausruf, doch damit konnte er mich bei dem Vorhaben, tastenden Schrittes die Treppe hochzusteigen, freilich nicht hindern. Zunächst machte Jonathan den Eindruck, als wäre er hinter meinem Rücken erstarrt, dann aber mussten es irgendwelche überwindenden Kräfte gewesen sein, die ihn dazu brachten, mir schliesslich doch zu folgen. Meinem eigenen Atem lauschend hielt ich mich am hölzernen Treppengeländer fest, während ich voranschritt. Jede Stufe schien mich meiner Angst näher zu bringen, und doch versuchte ich mich davor zu bewahren, sie zu zeigen. Sie hätte Jonathan nur noch mehr beunruhigt. Und so glich mein Gesicht eher einer mit bebenden Fingern aufgesetzten, unterdrückenden Maske, als dass es Zügen nachgegeben hätte. Mehr und mehr durchzuckte mich blitzartige Reue, überhaupt einen Fuss auf die Treppe gesetzt zu haben, doch nun gab es kein Zurück mehr.
„Bill?“, rief ich ein drittes Mal, und noch bevor mich die unsägliche Stille einvernahm, hörte ich ganz deutlich, wie sich die Überzeugung im Klang meiner Stimme verflüchtigte und etwas Einzug halten liess, was man am besten mit Unsicherheit bezeichnen konnte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, ihm in die Arme laufen zu wollen. Ein Stich in der Lunge gab mir Recht, doch noch ehe ich umkehren konnte, war es bereits zu spät: Ich stand mit beiden Füssen bereits am oberen Ende der Treppe und Jonathan dicht hinter mir. Ein verhältnismässig schmaler Gang, von dem mehrere Türen abzweigten, erstreckte sich von Mondlicht durchtüncht vor meinen Augen. Eine dieser Türen war ein Spalt weit offen, wodurch gelblich etwas schien, was ich als Licht einer Nachttischlampe vermutete. Wieder erklang dieses helle Geräusch, diesmal um einiges lauter. Es kam aus ebendiesem Zimmer. Lautlos näherte ich mich der Tür bis auf wenige Zentimeter und hörte, wie Jonathan hinter mir nach Luft schnappte, als ich die Klinke mit kräftig ergreifenden Fingern umschloss. Es lag jetzt nur noch an einer einzigen Bewegung, und ich würde erfahren, was es mit alldem auf sich hatte. Das war es zumindest, was ich mir gut zuredete, um mir Mut einzuflössen. Ich schöpfte einen tiefen Atemzug, trat den ganzen Körper anspannend noch näher heran und riss die Tür in einer so heftigen Bewegung auf, dass mir ein Luftzug entgegenwehte.

Wäre ich in diesem Moment nicht von Furcht befallen gewesen, hätte ich das, was ich vorfand, wohl als enttäuschend empfunden. Von Bill war keine Spur zu sehen. Das einzige, was von seiner Anwesenheit hätte zeugen können, war ein Computer, der auf einem ausladenden Arbeitstisch stand. Die zugezogenen, weissen Vorhänge wurden vom matten Schein des Bildschirmes beleuchtet, sodass sie mitsamt dem Kunststoffboden in einem himmelbläulichen Licht erstrahlten. Mein Blick fiel gerade auf das Bett in der Ecke, als erneut dieses Geräusch ertönte, diesmal ganz nah. Es klang...nach einem Winseln. Mit einem Ruck drehte ich meinen Kopf und erstarrte, als ich den Ursprung des Geräusches entdeckte.
Es war ein grauweiss gescheckter Hund.
In sich zusammengerollt lag er auf einem von Hundehaaren übersäten, dicken Teppich, der einem Bettvorleger glich, und winselte, den Kopf auf die Pfoten gelegt, während er uns stumm musterte. Haarbedeckte, spitze Ohren, tiefblaue Augen, ein samtweich aussehender, langer Schwanz und eine lange Schnauze: er erinnerte mich fast schon an einen Wolf. Wie vom Donner gerührt stand ich da und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Eine Entscheidung wurde mir abgenommen, als der Wolfshund sich mit einem Male erhob und, wie es schien, in einer fast schon neugierigen Art und Weise zu mir hintrottete. Wieder gab er ein Winseln von sich und zog den Schwanz ein, als er mit einem hörbaren Geräusch in der Luft schnupperte. Als er mir nahe kam, merkte ich, wie Jonathan hinter mir ein Stück zurückwich. In meiner Verwirrung brachte ich es nicht einmal zu Stande, zu überlegen, was ich tun sollte. Alles hatte ich erwartet, Bill, eine Leiche, tiefste Abgründe – jedoch nicht einen einsam zurückgelassenen Hund. Ein Wort, das im Begriffe war, mir zu entweichen, verkümmerte auf halbem Weg zu einem einzigen, tonlos hauchenden Laut, während ich feststellte, dass er mir bis zu den Knien reichte. Jonathan wich noch ein Stück zurück und warnte mich ängstlich:
„Tina...geh...geh weg von ihm!“
In diesem Moment spürte ich etwas Raues, Widerspenstiges an meinem Handschuh entlangfahren und wollte die Hand bereits zurückziehen, da stellte ich erleichtert fest, dass es lediglich die Zunge meines Gegenübers war. Ich lächelte, liess mich auf die Knie sinken und strich dem Hund in einer langsamen, bedächtigen Bewegung über das Fell, worauf ich einen Blick erntete, der schon fast etwas...Flehendes an sich hatte, obwohl der eigentliche Ausdruck in den Augen unverändert blieb. Die grossen, schwarzen Pupillen liessen einen leichten, weissen Schleier erkennen.
„Er tut uns doch nichts, Jonathan“, erwiderte ich beschwichtigend und warf einen Blick über die Schulter, um ihn zu beruhigen. Nach wie vor aber weigerte er sich, auch nur einen Schritt in die Nähe des Tieres zu machen. Achselzuckend, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, wandte ich mich wieder dem Hund zu, worauf dieser mit dem Schwanz zu wedeln begann und weitere, winselnde Laute ausstiess. Das Lächeln wurde zu einem leisen Lachen, das sich als Zeugnis einer plötzlichen Welle der leichten Fröhlichkeit, die in mir aufkam, im spärlich erhellten Raum ausbreitete.
„Siehst du?“, fügte ich murmelnd hinzu, „er beisst nicht“
Ich konnte den immer mehr aufkeimenden Unmut in Jonathan regelrecht spüren.
„Was ist mit Bill?“, flüsterte er nervös, „was, wenn er wiederkommt? Ich meine...“
Die letzten paar Worte drückte er mit hilflosem Armringen in Richtung des Computers aus. Er war tatsächlich noch eingeschaltet, wie ich aus dem leisen Brummen und dem Leuchten schloss. Fast schon schweren Herzens löste ich mich vom Hund und stand wieder auf die Beine, worauf dieser erwartungsvoll zu mir hinaufblickte. Kurz noch verweilte ich im Anblick seiner Augen, dann riss ich mich endgültig von ihm los und betrachtete den Bildschirm mit unaufhaltbarem Misstrauen von hinten. Ich wusste nicht weshalb, aber irgendwie hatte ich das Gefühl...
Ich zuckte vor Schreck zusammen, als plötzlich ein Rauschen erklang, aus dem so etwas wie abgehakte Wortfetzen drangen. Mit einem Ruck wirbelte ich herum und starrte direkt auf ein kleines Radiogerät, das mitsamt einigen eingerahmten Schwarzweissfotos auf einer hölzernen Kommode stand. Mit einem flüchtigen Blick auf die Fotos, auf denen meist Lynn und ihr Mann abgebildet waren, näherte ich mich dem Gerät. Auf beunruhigende Weise verzerrt tönte eine Stimme aus den Lautsprechern.
„Kommen...Absperrung...Strasse...evakuiert...einzige...Weg.“
Ein kalter Schauer überkam mich, als die unverständliche Botschaft aus dem neumodischen, aus schwarz glänzendem Kunststoff bestehenden Radio hörte. Schnell warf ich Jonathan einen fragenden Blick zu, der aber genauso wenig verstand wie ich.
„Wir...Lösung...kommen...Virus...“
Die Stimme war, obwohl bis ins Furchteinflössende verzerrt, ohne Zweifel als die eines Mannes zu erkennen. Sie klang tief, auf eine unmissverständliche Art mahnend, wenn nicht sogar drohend. Was hatte das zu bedeuten? Und wie hatte sich das Radio von selbst eingeschaltet? Wiederum mass ich Jonathan mit einem verständnislosen Blick, den er abermals auf dieselbe Art quittierte. Diesmal jedoch war es zweifellos die Angst, die in seinen Augen aufflackerte. Erneut erklang dieselbe Nachricht, und diesmal klang sie noch beängstigender.
„Kommen...Absperrung...Strasse...evakuiert...einzige...Weg.“
Ich spürte, wie der Schwanz des Hundes gegen meine Beine schlug. Der zweite Teil der Nachricht wurde neben dem Rauschen immer wieder von den winselnden Lauten des Tieres durchbrochen, während Donnergrollen erklang, und für einen Moment glaubte ich ein Blitzlicht zu sehen, das die Wände draussen im kleinen Treppenhaus in gespenstisch grellweisses Licht tauchte.
„Wir...Lösung...kommen...Virus...“
In der Stille, die folgte, drang zu meinen Ohren das angsterfüllte Keuchen von Jonathan. Er schluckte hörbar, und als ich zu ihm blickte, sah ich zu meinem Schrecken den Schweiss an seiner bleichen Stirn entlanglaufen. Regen, der begann, gegen die Scheiben zu trommeln. Wind, der in gedämpftem, heulendem Klang am Fenster rüttelte. Wieder Donnergrollen, diesmal lauter. Der Hund winselte.
„Kommen...Absperrung...Strasse...evakuiert...einzige...Weg.“
Die Nachricht wiederholte sich zum dritten Mal. Es schien eine Art Dauerschleife zu sein, die gesendet wurde...von irgendwo, wo man eine „Lösung“ vermutete. Verwirrt blieb ich für eine Weile mitten im Raum stehen, bis ich mich endlich wieder zu bewegen vermochte und langsam um den Schreibtisch herumging. Irgendetwas in mir sträubte sich, dem Bildschirm auch nur nahe zu kommen, doch die unweigerliche Neugier zerrte regelrecht an meinen Beinen, liess sie vorwärts stolpern. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, die ich brauchte, um den Arbeitsplatz zu umrunden. Mein Blick fiel dabei auf zahlreiche, lose verstreute, teilweise auch zusammengeknüllte Blätter, die neben der Tastatur, zuweilen auch im Papierkorb zu meinen Füssen lagen – oder auch daneben. Als würde ich krampfhaft versuchen wollen, irgendwie Zeit zu schinden, bückte ich mich und hob eines dieser Blätter auf, bevor ich mich dem Bildschirm zuwandte. Ich entfaltete es und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf wirre Notizen.
„Wir...Lösung...kommen...Virus...“
Sie waren unleserlich. Wiederum Blitzlicht. Donnergrollen. Der Regen nahm unerbittlich zu und peitschte nunmehr regelrecht gegen das geschlossene Fenster. Das Winseln des Hundes erfüllte mich mehr und mehr mit Beunruhigung...als ob er wüsste, dass etwas Ungutes im Gange war. Oder vielleicht...vielleicht spürte er auch das Herannahen von Bill? In einer fahrigen Bewegung knüllte ich das Papier wieder zusammen, warf es in den Papierkorb und mass Jonathan mit einem weiteren, nervösen Blick. Ich wollte es nicht wahrhaben, doch...das Virus verlangte von ihm langsam, aber sicher seinen Tribut. Sein Gesicht war noch bleicher geworden, und er sah aus, als ob er jeden Moment zusammenbrechen würde.
„Jonathan...geht es?“, fragte ich besorgt, obwohl ich mir die Antwort selbst hätte geben können. Er nickte mit dem Kopf, in einer so bitter bemühten Geste, dass es das Gegenteil seiner stummen Antwort nur noch unterstrich.
Und dann starrte ich auf den Bildschirm.
Wie es schien, war eine Art E-Mal-Programm geöffnet, in dem sich unzählige Nachrichten befanden. Mit zitternder Hand begrub ich die Maus unter meinen Fingern und scrollte der Liste entlang. Die ältesten noch vorhandenen Nachrichten stammten vom 11.7.2050.
wow.
wird richtig spannend. Eigentlich hab ich's ja nicht so mit dieser Art aber das hier fesselt mich so, dass ich gar nich mehr aufhören kann zu lesen!
übrigens hast du E-Mal geschrieben und nicht E-Mail...^^ aber mir ist nichts anderes aufgefallen, selbst wenn noch mehr Fehler drin sind, ich wollte einfach nur wissen, wie es weiter geht und hab nichtsa mehr gefunden. Vielleicht ist Lamproly ja ein bisschen gründlicher (falls sie nicht schon im Urlaub ist °-°)
Danke für die Fehlersuche, wie immer *g*. Nun, hier ein weiterer Abschnitt. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis das nächste Mal wieder etwas kommt. Ausserdem muss ich noch irgendwann mal wieder meiner Verpflichtung als unprofessioneller Hobby-Lektor nachkommen. *auf iras story schiel*

„Kommen...Absperrung...Strasse...einziger...Weg.“
Ich wusste nicht, ob es lediglich meiner Wahrnehmung zugrunde lag, doch die Worte klangen in meinen Ohren immer unwirklicher, immer verzerrter. Fassungslos schüttelte ich den Kopf und liess mir die Jahreszahl immer und immer wieder durch den Kopf streichen. Seltsam...ich konnte mit ihr überhaupt nichts anfangen. So, als wäre die Zeit in Jahren für mich keiner Relevanz untergeben. Sie prangte vor mir, stach mir ins Auge, doch...sie löste nichts in mir aus. Es war eine Zahl, nichts weiter. Irgendein unsinniger Teil von mir wollte daraus mein Geburtsdatum erschliessen. Wie lächerlich es war, überhaupt auf diese Überlegung gekommen zu sein. Ich schüttelte den Kopf und blinzelte, bevor ich weitersuchte. Irgendwie hoffte ich auf etwas zu stossen, nur hatte ich keine Ahnung, auf was. Als hätte ich vergessen, wozu ich überhaupt tat, was ich tat. Zu allem hinzu drang da plötzlich auch noch eine Verzweiflung in mir auf, von der ich weder wusste, worauf sie beruhte, noch, was sie zu bedeuten hatte. Mehr und mehr verwischten die Buchstaben in meinem Blick zu formlosen Schatten, während ich mich bemühte, gegen die Tränen der Erschöpfung in meinen Augen zu kämpfen und den Wörtern einen Sinn zu geben. Ich öffnete keine einzige Nachricht, stierte aber auf die betreffenden Überschriften, die bald in rasender Geschwindigkeit an mir vorbeihuschten.
Sicherheitsprotokoll
Absprache Sitzung
Hallo Schatz
Geldanlage
Grillparty Samstag

Sobald ich zur Besinnung kam, mir diese sinnlosen Aneinanderreihungen von flüchtigen Bruchstücken aus dem Alltag zu ersparen, stürzte ich mich auf die Absender. Mit derselben, enttäuschenden Bilanz: Name reihte sich an Name, ohne dass ich daraus irgendwie eine spezielle Bedeutung herausahnen konnte. Doch da, in diesem Augenblick, sprang etwas meinem Auge entgegen. Ein Absender trug einen höchst ungewöhnlichen Namen:
Genetic Future Labours
Ich runzelte die Stirn. Das musste irgendeine Firma sein, vermutete ich. Das Donnern hielt an, ebenso wie das Prasseln des mittlerweile sturmartig peitschenden Regens.
„Wir...Lösung...kommen...Virus...“
Noch während die immer wiederkehrenden Laute aus dem Radio klangen, fiel es mir die Schuppen vor die Augen. Der Name dieser Firma war es, der sich hinter dem seltsamen Akronym verbarg, das mich so beschäftigt hatte!
GFL
Genetic Future Labours

Ich hätte mich nun vielleicht in einem scheinbaren Erfolgsgefühl wähnen sollen...was aber nicht der Fall war. Ein geringes Zucken im Mundwinkel, das war aber auch schon der letzte Ausdruck den ich dieser neuen Erkenntnis entgegenbringen konnte. Wieso, wusste ich selbst nicht so recht. Ja, wieso sprang ich nicht einfach in die Lüfte und freute mich? Noch während mir dieser Gedanke durch den Kopf strich, schüttelte ich ihn energisch. Vielleicht, weil die Zusammenhänge, die dies mit sich bringen sollte, noch völlig im Dunkeln lagen? Oder vielleicht auch nur, weil ich das Gefühl hatte, der Regen würde durch die Scheibe kalt auf mich einschlagen? Ich strich mit dem Finger über die Tastatur und fröstelte. Ja...für so etwas Undenkbares wie Erfolg hatte ich keine Zeit.
„Jonathan, ich habe...“, begann ich stattdessen nüchtern, brach aber sofort ab, als ich sah, wie er sich wirbelnd umdrehte und zur Zimmertür hinaus starrte.
„Was hast du?“, wollte ich stockend wissen.
Für einen Augenblick verharrte Jonathan schweigend, und ich beobachtete, wie sich seine Hände zu Fäusten verkrampften. Da flüsterte er nur ein einziges Wort:
„Bill.“
Von unten erklangen das Zuschlagen der Wohnungstür und das Klirren eines Schlüssels.
Ich sprang auf. Zu Boden wirbelnde Blätter. Der Stuhl, der über den Boden kratzte. Das leise, erschrockene Aufknurren des Hundes. Eine Stimme klang gedämpft zu mir hoch.
„Lynn, Schatz, bist du da?“
Ich hielt den Atem an. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde auch er den Brief entdecken. Hallende, langsame Schritte im Parterre. Von draussen erklang etwas, das nach dem Rattern von mehreren Motoren tönte. Einige raschelnde Laute, die ich nicht einzuordnen vermochte. Wieder Schritte, diesmal noch langsamer...es schien, als würde Bill zögern. Dann herrschte auf einmal Stille.
Gebannt lauschte ich.
Immer noch Stille...sie gab mir die Möglichkeit, zu handeln. Hastig suchend strich mein Blick durch das Zimmer. Regen...das Radio. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Bill es bemerken würde. Mit pochendem Herzen schlich ich hin zur Kommode, hielt den Atem an und stierte angestrengt auf die vielen schwarzen Knöpfe und Tasten. Mehr mit blinder Angst als mit Verstand drehte ich an einem der Regler und fuhr zusammen, als ein lautes Rauschen erschallte. Neuerliches Knurren. Jonathan schnappte nach Luft. Es war zu spät.
Ein lautes Fluchen drang mir zu Ohren und das Geräusch eines Stuhls, der weggerückt wurde. Schritte, rasend schnell, flogen regelrecht die Treppe hoch. Uns blieben nur noch wenige Sekunden Zeit. In meinen von Furcht durchdrungenen Erwartungen sah ich schon Bill vor mir, wie er im Türrahmen stehen würde. In purer Verzweiflung raste mein Blick von Gegenstand zu Gegenstand, bis er schliesslich auf das Bett fiel.
Noch eher darunter.
Ohne auch nur einen weiteren Augenblick verlierend hastete ich zu Jonathan und packte ihn am Arm. Noch ehe dieser wusste, wie ihm geschah, riss ich ihn mit meiner ganzen Körperkraft zu Boden und warf mich neben ihn. Keinen Moment zu früh gelang es mir, ihn mit mir unter das Bett zu zerren. Schon im nächsten erklang Bills Stimme erneut.
„Verdammt, Lynn, wo bist du? Was soll das?“
Obwohl sie wütend klang, konnte ich ein Zittern in ihr ausmachen. Und vor allem war sie schon ganz nah, nur noch wenige Schritte entfernt. Als der Hund einen lauten Kläffer von sich gab, blieb mein Herz mit meinem Atem beinahe stehen. Bill musste den Brief gelesen haben. Ich drehte meinen Kopf und sah direkt in das Gesicht von Jonathan, der gerade dabei war, den Mund zu öffnen. In einer energischen Bewegung, die schon fast einem Schlag hätte beikommen können, presste ich die Hand auf seinen Mund. Ein entsetztes Schnaufen entrann unter meinen eng zusammengepressten Fingern und er weitete die Augen, doch ich dachte nicht daran, von ihm abzulassen. Stattdessen wagte ich es, den Kopf gequält in die andere Richtung zu drehen, sodass ich den gesamten Zimmerboden im Blick hatte.
Zwei Füsse waren darauf erschienen.
„Verdammt noch mal, was ist hier los?“, rief Bill, nunmehr verzweifelt als wütend, „wer hat das Radio angeschaltet?“.
Das Rauschen endete abrupt.
Alles, was nun noch zu hören war, war der immerwährende Regen und Bill, wie er rastlos das Zimmer durchquerte. Unter jedem seiner schweren Schritte spürte ich den Boden unter meiner Wange erzittern. Er war nass, in Schweiss überdeckt von meinen Haarsträhnen. Mein Arm weilte auf Jonathans Brust, sodass ich unter meinen eigenen, flachen Atemstössen spürte, wie sie sich immer schneller hob und senkte, spürte, wie seine Finger verkrampft, aber kraftlos sträubend meinem Arm entlangfuhren. Er riss an meinem Handgelenk und gab einige gurgelnde Laute von sich, worauf ich meinen Griff nur noch verstärkte. Doch es war bereits geschehen.
„Was war das?“
Bill hatte uns bemerkt. Ein Knurren erklang, und just in diesem Moment wurde ich von meiner eigenen Dummheit erschlagen. Ich schloss die Augen. Nein, wie konnte ich nur so einfältig gewesen sein? Unser Untertauchen war dem Hund natürlich nicht unbemerkt geblieben, wie sich nun erschreckend herausstellte. Ich hörte das Knurren, und mir schien, als wäre es direkt neben meinem Ohr. Sicherlich starrte er uns nun aus seinen aufmerksamen Augen direkt an. Wieder erklang das Knurren, und ich presste mich in einer sinnlosen Verzweiflungstat noch mehr gegen den Boden, während sich Bills Schritte dem Bett näherten.
„Dich verfluchten Köter hat sie also hier gelassen?!“, rief er erbost, und ich hörte, wie er sich auf die Knie niederliess. Gleich würde er uns entdeckt haben.
„Was tust du da bei dem Bett, verdammt noch...“
Doch weiter kam er nicht. Ein nahezu hasserfülltes Bellen dröhnte in meinen Ohren, zeitgleich mit einem wütenden Aufschrei. Als ich die Augen aufriss, sah ich gerade noch, wie Bill auf die Füsse sprang und der Hund vom Ärmel seines Pullovers abliess.
„Was ist in denn dich gefahren? Du verdammtes Biest hast mich gebissen!“, brüllte Bill, stöhnte wütend auf und versetzte dem Hund einen heftigen Tritt in den Bauch, woraufhin dieser laut aufjaulte. Von Ungläubigkeit überwältigt vergass ich beinahe, zu atmen. Weshalb hatte...
Weiter kam ich mit dem Gedanken nicht, da Bill erneut einen Fluch ausstiess. Wahrscheinlich hatte er gerade einen Blick auf den Computerbildschirm erhascht. Donnergrollen, so nah, als würde er direkt über das Dach gleiten.
„Nein...nein...das...das darf nicht sein! Sie hat...“, murmelte Bill stockend. Seine Füsse waren hinter dem Schreibtisch verschwunden, und dennoch konnte ich seinen mittlerweile rasselnden Atem vernehmen. Der Hund winselte, wie es schien, unter immer noch anhaltendem Schmerz. Ein Regenschauer schlug gegen das Fenster und der Wind rüttelte im Sturm an der Fassade.
„Ich habe es ihr doch erklärt, verflucht! Ich habe es ihr erklärt!“, schrie Bill. Seine Stimme überschlug sich, bevor sie sich in einigen verzweifelten Lauten verlor und schliesslich erstickte. Ein bedrohliches Brüllen zerfetzte meine Nerven und ich krümmte mich vor Angst zusammen. Mit einem lauten Knall flog die Computertastatur direkt vor meinen Augen zu Boden und gab ein ungesundes, schepperndes Geräusch von sich. Mit Schritten, nein, mehr waren es Stampfer, die mich noch mehr erbleichen liessen, stapfte er schliesslich energisch aus dem Zimmer...
...und blieb im Türrahmen stehen. Seine Füsse drehten sich noch einmal um, und es schien, als ob er seinen Blick auf etwas haften würde. Und zu unserem Verderben stellte sich auch sofort heraus, auf was. Langsam kam er noch einmal auf das Bett zu.
Die vier Beine des Hundes verschwanden huschend aus meinem Blickfeld. Nur noch wenige Schritte, und Bill würde uns erreicht haben. Ich bebte am ganzen Körper. Schon sank er in die Hocke. Beugte sich hernieder.
Und erstarrte mitten in der Bewegung.
Ein entferntes Geräusch erklang, so, als würde die Wohnungstür aufgerissen. Ein undurchdringliches Stimmengewirr drang zu mir hinauf. Ein zweites Mal fuhr Bill hoch, bevor er uns entdecken konnte. Er beliess es jedoch nicht nur dabei, sondern wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte mit weit ausholenden, fast schon springenden Schritten aus dem Zimmer. Und als sich seine Stimme im Treppenhaus wieder erhob, lag nur noch Verzweiflung darin:
„Halt! Ihr dürft das nicht tun! Stopp!“
Poltern, das die Treppe hinunterwallte. Mehrere energische Stimmen, die durcheinander riefen. Es klang nach...Befehlen.
„Hört verdammt noch mal auf!“, hörte ich Bill erneut, diesmal jedoch weitaus leiser, übertönt von den anderen Stimmen, die im Raum hin und her geworfen wurden.
Ich hätte nicht sagen können, wie viele Menschen sich nun auf einmal im Haus befanden. Es mussten auf jeden Fall sehr viele sein, wie ich aus dem Getrappel schloss, das mir an- und abschwellend wie das bedrohliche Summen eines Bienenschwarms zu Ohren kam. Zögernd nahm ich die Hand von Jonathans Mund und legte sie stattdessen vorsichtig auf seine Schulter, bevor mir überhaupt klar wurde, was ich tat. Und als es mir letztlich klar wurde, konnte ich es nicht mehr abwenden...sofern ich dies überhaupt gewollt hätte. Das unbegreifliche Ergebnis war zehrendes Unverständnis dem wie in Tollwut rasenden Gefühl gegenüber, das mich übermannte. Keine Freude oder Frohmut war es, die mich erlangte, sondern...Verzweiflung. Unergründlich tiefe Verzweiflung, die nur noch stärker wurde, je mehr ich versuchte, sie abzuwehren. Ein Blick in die weit aufgerissenen, kastanienbraunen Augen, deren Ergründung den seelischen Schmerz der Verwirrung entflammen liess wie die zerschnittenen Papierfetzen, denen meine Erinnerungen zu Grunde lagen.
Es war dieser eine Moment, in dem mir bewusst wurde, wie wenig ich wirklich verstand. Ich verstand es einfach nicht...nicht die Umwelt, und jetzt ein weiteres Mal nicht einmal mehr mich selbst. Dieses erstarkte Bewusstsein überrumpelte mich so heftig, dass es gar diese andere, warme, gar süsse Gewissheit verdrängte, der ich gewahr worden wäre – hätte ich sie nur bemerkt.
„Jonathan“, hauchte ich. Es klang so angsterfüllt, zitternd, aber doch so...zärtlich. Das Getrappel hielt an, ebenso wie der peitschende Regen und die Blitzlichter, die auf seinem verzerrten Gesicht flackerten. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Es geschah aus allen erdenklichen Gründen – nur nicht aus Angst...da war ich mir sicher. Er hob die Hand nicht. Er versuchte nicht, sich aus meinem Griff zu winden. Alles, was er tat, war, mich anzusehen. Und das in einer Weise, die mich in fast schon grausamer Geste mit etwas ringen liess. Vielleicht war es die Mauer, vielleicht aber auch etwas gänzlich anderes. Doch was auch immer es war...ich konnte dagegen nicht bestehen. Nach einer Weile nahm ich mich, den Kopf wie leergefegt, lediglich mit einem kleinen, restlichen Funken einer erkannten Niederlage erfüllt, nur noch der Umwelt an. Schreie durchwanderten die Luft, mit dem Licht von an den Wänden umherhuschenden Lichtkegeln zu etwas vermengt, das wie eine Unwirklichkeit, ein Traum anmutete. Doch nichts war so bedrohlich wirklicher als das, was ich gerade erlebte. Nein...was wir gerade erlebten. Noch mehr Schritte, noch mehr Schreie, die aus der Tiefe kamen. Aus der...Garage.
Mehrere Pistolenschüsse.
Kreischen.
Aufheulende Motoren.
Mehrstimmiges Brummen von Fahrzeugen.
Aufspritzende Pfützen.
Stille.
Lange, unheimliche Stille, die beinahe mehr in den Ohren schmerzte als die Feuersalven. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, erklangen Jonathans heftige Atemstösse, in irrsinniger Weise schon fast in Harmonie mit dem unaufhörlichen Pochen meines Herzens. Meine Hand streifte über die eigene Brust, ich spürte das dumpfe Hämmern, das davon ausging. Spürte, dass ich am Leben war. Erleichterung? Nein. Nein, ich war nicht erleichtert. Es hatte keinen Sinn, erleichtert zu sein. Noch nicht.
Es kostete mich mehr Kraft, unter dem Bett hervorzukriechen und mich aufzurichten, als angenommen. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich, den Rücken zu straffen und meine Glieder zu recken. Es blieb bei einem Versuch. Die Taubheit blieb, als ich mich beim nächsten leisen Geräusch, das zu mir zu Ohren kam, angstvoll duckend krümmte. Auf meinen Lungen lastete ein unsichtbares Gewicht, das mich nur schwer atmen liess, und ich wäre zusammengesunken, hätte ich mich nicht verbissen dazu gezwungen, die Haltung zu bewahren. Verzerrten Gesichtsausdrucks beobachtete ich, wie sich Jonathan ebenfalls aufrappelte. Mit besorgtem Argwohn mass ich seine immer bemühter wirkenden Bewegungen und warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Zu Boden gewirbelte, krakelig bekritzelte Notizblätter raschelten unter meinen Füssen. Schon nur die ermattete, von schwarzer Tinte durchtauchte Schrift rief Unbehagen hervor. Das Radio stand da, als wäre es nie berührt worden, stattdessen war ein Fotorahmen zu Boden gefallen und zerbrochen. Die dünnen Scherben lagen nur wenige Zentimeter vor meinen Zehenspitzen, noch mehr verknülltes Papier umsäumend, das aus dem umgeworfenen Papierkorb quoll.
„Wieso hast du mich vorhin nicht abgewimmelt, Jonathan?“, fragte ich flüsternd, ohne ihn anzublicken. Es waren die ersten zusammenhängenden Worte seit dem Vorfall, die ich sprach...sie klangen so ruhig. Zu ruhig. Einige Zeit des Schweigens folgte, die mich die Antwort nur noch begieriger erwarten liess. Zunächst sah es so aus, als ob er mir tatsächlich antworten wollte, doch dann sank er stöhnend in die Knie. Seine Hand warf sich regelrecht auf den Rand des Bettes und umklammerte ihn, als wäre es die letzte Rettung. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich zu, wie jegliches Blut von der Hand wich und die Knöchel wie weisse Pfeilspitzen unter der Haut hervortraten, als würden sie sie jeden Moment durchreissen. Und inmitten der weissen, ja gräulichen Fläche, die zwischen seinen Fingern Einzug gehalten hatte, schlugen die schwarzen Flecken meinen Augen entgegen wie Katzenkrallen. Im nächsten Augenblick wurde mir klar, dass ich nur von meinem Wahn eingenommen worden war, und anstelle der skelettartigen Knochenfinger trat wieder die dicke Wolle des Handschuhs, den er ja immer noch trug.
„Ist...ist...es vorbei?“, flüsterte er, und obwohl ich genau wusste, dass er mir auszuweichen versuchte, erbarmte ich mich seiner flehenden, nahezu sterbenden Stimme – sofern man meine Entgegnung so auffassen konnte.
„Ich fürchte nicht, Jonathan“, erwiderte ich erstickt, „ich fürchte, es ist noch lange nicht vorbei.“
Meine Stimme prallte klanglos auf die Wände, fiel hernieder und versank in der von Blitzen erhellten, stummen Dunkelheit. Ich schloss stöhnend die Augen und hob den Fuss, um einen neuen Schritt zu tätigen. Zögerte, ihn zu Ende zu führen. Irgendwo, in den tiefsten Winkeln meines Denkens, breitete sich ein unglaublich frostkaltes Gefühl aus, das mich daran hindern wollte, auch nur eine weitere Bewegung in diesen schrecklichen Sumpf zu machen. Ich konnte mir regelrecht vorstellen, darin mit einem Bein zu versinken, um Hilfe zu rufen und nicht erhört zu werden.
„Tina?“
Und da, als Jonathans ängstliches Flehen wiederum erklang, wurde ich mir einer Sache bewusst: Ich versank nicht mit einem Bein in einem Sumpf. Ich steckte schon hüftweit darin.
„Komm“, murmelte ich, „wir werden der Sache jetzt auf den Grund gehen.“
Mein Fuss setzte endgültig auf den Boden auf, und seinem Beispiel folgten zwei, drei, noch mehr Schritte.
„Warte!“, stiess Jonathan hervor und hastete mir nach, „was, wenn diese Leute immer noch hier sind?“
„Dann sind sie es“, antwortete ich und trat ins Treppenhaus. Er schnappte hörbar nach Luft und musste sich regelrecht beherrschen, lediglich im Flüsterton zu fragen: „Hast...hast du denn gar keine Angst?“
Ich hielt inne, drehte mich langsam zu ihm um und blinzelte.
„Darüber...“, seufzte ich unsicher, „darüber denke ich wohl schon gar nicht mehr nach.“
alsoo... du wirst immer besser. Kommt mir zumindest so vor. Hm... du schneidest das GFL-Geheimnis an, aber du löst es nicht auf und ich denke einfach einmal, dass das auch noch auf sich warten lässt. Schließlich lebst du praktisch von deinen Geheimnissen und ehrlich gesagt wird die Geschiochte dadurch immer spannender und noch vielschichtiger durch die ganzen Zusammenhänge, die man bis jetzt nur erahnen kann...
Schlussendlich (falls man das wirklich so schreibt) kann man nur sagen:

WEITER SO!


P.S. Zaubertinte: [Und ich freu mich schon auf Kritik, jetzt wo Lamproly weg ist, wird das wohl wirklich jemand anders übernehmen müssen °-° [/]
Es war vielleicht die seltsamste und vor allem unnötigste aller Befürchtungen, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, die Stufen könnten jeden Moment unter meinen Füssen nachgeben, als ich sie hinunter schlich. Der Mond verbarg sich. Trüber Schein, einzig der Ecke entspringend, an der die Stehlampe ihr Dasein fristete. Ein Bild hing schief. Der Wind strich den Wänden im Flur entlang, der in der offen stehenden Haustür mündete. Der ferne Anschein eines Gartens, rauschende Bäume. Blätter, die über den Boden kratzten. Ein Gartentor, das mit seinen Scharnieren rang und jeden Moment davon loszukommen drohte. Die Blumenvase auf dem Tisch war umgeworfen und erbreitete den Inhalt in Schemen von roten Rosenblättern. Weiss bestrichenes Holz, das an einer der Säulen leicht abgesplittert war. Zwei, drei Späne auf dem Kunststoffgrund. Überall staubige Fussabdrücke, die sich in der mondbeschienenen Dunkelheit verborgen geglaubt hatten. Auf dem Barhocker lag eine Taschenlampe, die, noch ein letztes, schwaches Flackern ausschickend, schliesslich ganz erlosch und sich der Düsternis preis gab. Regentropfen, die wie Speere durch das Fenster hindurch eine Lache bildeten, unsichtbar durch das Schwarz des Bodens wie blutige Tränen. Feines Rieseln, durchrungen von Donner und schweren Tropfen, die hin und wieder auf ein gläsernes Vordach aufschlugen, zerspritzten und sich in einem Regenfilm verloren, der wie ein auf ewig geschlossener Vorhang nach der letzten Theateraufführung niederfiel, auf dass er abgerissen würde. Kurze, graue Grasflächen einige Meter vom Hauseingang entfernt, nass und geknickt durch eine Schwere, die auch von mir Besitz ergriffen hatte. Das alles schien so...unwirklich, so unecht, als wäre ich in einem dunklen Bild gefangen. Farben ohne Geschehnisse. Eindrücke ohne Bewegung. Realität, Wirklichkeit...nur ohne Leben. Ich konnte nicht sagen, was unbegreiflicher war...das, was passiert war...oder das danach. Etwas, so schien mir, hatte sich an diesem Ort ausgebreitet, das eigentlich gar nicht hätte hier sein dürfen. Etwas, das keine Angst schürte, sondern Befremdung, die so tief in mir lag, dass sie direkt in meinem Herzen begann, ihre Finger nach meinem gesamten Körper auszustrecken. Etwas, das jederzeit so schnell da war, dass man schon mitten darin steckte, wenn man es endlich bemerkte.
Dieses Etwas war die Ruhe.
Mein Herzschlag. Er ging, nicht zu schnell, nicht zu langsam, und doch war es ebendiese Tatsache, die mir so unsäglich erschien. Es war beinahe so, als wollte mein Puls diese schwer ruhende Gleichgültigkeit, Stille nahezu heischen, vortäuschen, gewaltsam heraufbeschwören. Und doch war er da, gemeinsam mit meinem Atem, der ebendiesem Muster verfiel. Es dauerte eine geraume Weile, bis mir klar wurde, dass mein Entsagen der Angst dafür verantwortlich war. Es war das erste Mal, dass ich verstand, wie unnatürlich es war, keine Angst zu haben. Es verzerrte das sonst klare Bild vor meinen Augen, aber nicht so, wie es die Furcht getan hätte. Nein, es beugte sich mir zu, verschluckte mich, sodass ich mich direkt in dessen unbeweglichen Farben wiederfand. So, als hätte jemand die Zeit angehalten, als würde jemand die Zeiger mit Armen umschlingen und auf Leben und Tod festhalten wollen. Und dieser Jemand...das war...ich selbst?
Ich schüttelte den Kopf, die Schwärze flog mir ins Gesicht, bewegte sich. Ein Blick zu Jonathan, und da war sie wieder, die Normalität. Sofern man sie überhaupt irgendwie in diesem Augenblick definieren konnte. Ich öffnete den Mund, wohl, um etwas zu sagen – und hatte es einen Augenblick später wieder vergessen. Nicht, dass es weiter schlimm war; was hätte ich schon sagen können? Stattdessen streckte ich langsam die Hand nach ihm aus. Berührte seine Fingerspitzen. Spürte die Wärme, die in ihnen lag. Und da begannen sich meine Finger zu rühren. Wie eine stille Spinne krabbelten sie über seine Handfläche, ihre Beine um seinen Handrücken windend, ihn in einem umgarnenden, sanften Griff umschlingend. Meine Augen hefteten sich auf sein Gesicht.
Jonathan...hast du Angst vor Spinnen?
Ich konnte nicht sagen, ob es ich war, die er glasigen Ausdrucks wahrnahm, als er mich stumm ansah. Vielleicht sah er auch nur das Ungeheuer, das sich in einer Hülle zu regen begann, die das Aussehen einer schwarzhaarigen Frau hatte. Vielleicht sah er das, was hinter mir lag...Schwärze. Unerfindliche Schwärze, die er verzweifelt zu durchdringen versuchte. Meine Vergangenheit? Mochte sein. Was auch immer es war, es veranlasste ihn dazu, etwas zu tun, das ich am wenigsten von ihm erwartet hätte: nämlich nichts. Nichts tat er, um sich aus meinem Griff zu winden. Wiederum sah er mich einfach nur an, so, als wäre ich das einzige, was sein Denken ausfüllte, es sogar zu sprengen schien. Es erfolgte keine Reaktion, er schrie nicht, er wurde nicht wütend, er zeigte keine Scheu, keinen Hass. Alles, was sich mir stellte, war dieses Flackern in den Augen, das so schnell wieder verschwand, wie es aufgetaucht war. Und da war noch etwas. Sein Arm...er fühlte sich plötzlich so schwer an, nein, er wurde schwerer. Es schien zwar unsinnig, aber...er machte den Eindruck, als wollte er sich gehen lassen, sich mir auf irgendeine Art...hingeben. Und je mehr die Kraft von ihm wich, desto heftiger spürte ich, wie sie in mir erstarkte, sich wie ein Feuer entfachte. Mein Griff wurde stärker, sicherer. Ich hatte ihn in der Hand, liess ihn nicht los.
„Ich...lasse dich nicht fallen, hörst du? Wir werden es schaffen.“
Ich lächelte. Der Bann brach. Er blinzelte mir dankbar zu, stand so zittrig auf den Beinen, dass er jeden Moment zusammenzubrechen drohte, doch er würde nicht fallen.
Denn ich hielt ihn.
„Versprochen.“, fügte ich hinzu, versuchte so viel Kraft in meine Stimme zu geben wie nur irgend möglich, sei es auch nur darum, damit die Schwärze ein bisschen erhellt würde.
Und so bugsierte ich ihn zur Kellertür, indem ich ihm stützend den Arm um die Hüfte legte, worauf er nach Luft schnappte.
„Du...du willst sicher hier rein, Tina?“, fragte er verängstigt.
„Ich will“, gab ich ihm mit ruhiger Stimme Antwort und musste still lächeln, als ich dabei unwillkürlich an das berühmte Ja-Wort erinnert wurde. Vielleicht hatte ich es im Verlauf meines Lebens sogar wirklich gegeben, ohne dass ich mich jetzt noch daran erinnern konnte. Es war ausnahmsweise mal ein Gedanke, den ich nur widerwillig abschüttelte, um mich wieder ernsteren Dingen zuzuwenden. Als ob die ganze Sache hier schon nicht genug ernst wäre, bedauerte ich mich selbst und öffnete in einer schnellen Bewegung die Tür. Wie erwartet hätte der trübe Lichtschein der Stehlampe die Treppenstufen des Kellers erhellt, wäre er nicht dem grellen Licht der wieder angeschalteten Kellerbeleuchtung zum Opfer gefallen.
Der Keller glich einem einzigen Chaos. Tatsächlich war schon vorher nur schwerlich Ordnung in diesem Möbelgewirr zu finden gewesen, nun aber war auch ihr letzter Hauch verflogen. Man hatte den Eindruck, ein Gewitter sei durch den Raum gefegt: Stehlampen und alte Garderobenständer, einst zumindest noch an einem mehr oder weniger ersichtlichen Ort weilend, waren umgeworfen worden und raubten noch mehr vom kaum vorhandenen Platz, den man beschreiten konnte. Schwere Schränke oder auch jene Dinge, die sich nicht leicht bewegen liessen, waren von Schusslöchern durchbohrt, genauso wie die Tür, die zur Tiefgarage führte. Einige schmutzige, zweifellos zertretene Leintuchfetzen am Boden, die ausgefransten Teppiche bedeckend. Das Licht flackerte noch heftiger als zuvor, tauchte den Keller mitunter in sekundenlange Finsternis, bevor es wieder von schwingenden Spinnennetzen umgarnt aufleuchtete. Die Schatten der fein gesponnenen Netze prangten bei jedem Aufflackern an die Wand, an der die achtbeinigen Krabbeltiere aufgeschreckt hin und her huschten, als dunkle Selbstabbilder wie albtraumhafte Monster wirkend. Mein Griff um Jonathans Hand verstärkte sich. Leise Laute und Knistern raunten durch den Sicherungskasten, die alten Rohre hoch, verschwanden in der Decke. Es klang wie ein Wimmern vor dem Tod, wie ein sterbender Wind, der in einem Sturm aus Blitzen seine letzten Klagelieder sang, bevor er erliegen würde. Es klang so laut...oder vielleicht wurden meine Ohren davon nur so in Anspruch genommen, da es einfach nichts anderes gab, dessen sie sich hätten annehmen können. Ruhe...Ruhe...sprach auch dieses Bild zu mir und wollte mein Herz am Rasen hindern. Doch ich wollte es nicht zulassen, schluckte, lauschte Jonathans Atem in gezwungenem Bann, als wäre er ein dem unweigerlichen Finale entgegenrasendes Crescendo aus tonlosen Stössen. Etwas Furchtbares ist mit den Menschen geschehen. Fürchte...Fürchte...Fürchte!, hauchte ich mir im Innern zu.
Doch ich fürchtete immer noch nicht.
Es war wohl die vorteilhafteste und harmloseste Verdeutlichung der Veränderung, die ihre Klauenhände nach meinem Herzen ausstreckte, aber es war auch die offensichtlichste. Und gerade jene Offensichtlichkeit war es, die mich mit ungeheuerlicherer Wucht traf als jegliche Melancholie und Trauer zuvor. Trauer...ich wusste, es war nicht einmal lange her, seit ich das letzte Mal getrauert hatte, und dennoch schien mir dieser Zeitpunkt nun so schrecklich weit entfernt, dass ich glaubte, ihn schon im Nebel des Vergessens zu verlieren. Im selben Nebel, den auch all die fremden Gesichter umhüllt hatte...
„Lass uns gehen. Und bleib dicht hinter mir“, befahl ich Jonathan und erschrak an meiner eigenen, rauen Stimme. Selbst die Worte, die ich sprach, stärkten das Bewusstsein, das ich nur so schwerlich entgegennehmen konnte.
„Als ob was anderes möglich wäre“, antwortete er murmelnd, als ich ihn zur Tür hinstrebend hinter mir her zerrte.
Ich schaffte es nicht, zu lachen.
Zu sehr vereinnahmt war ich vom plötzlich aufkommenden Gefühl, etwas nicht zu sehen, das mir direkt vor Augen lag. Ich warf Jonathan einen ungewissen Blick zu. Vielleicht sah er es, ohne es jedoch zu wissen. Was für ein seltsamer Gedanke...Einmal mehr strich ich mir über die Haare. Ich tat dies, sofern sich darüber in meinem bisherigen, kümmerlichen Leben Schüsse ziehen liessen, meist aus zwei Gründen: entweder, wenn mich etwas in meiner Umgebung beunruhigte, oder wenn ich verwirrt war. Diesmal war letzteres der Fall. Ich seufzte leise auf. Zumindest darüber vermochte ich zu urteilen. Schön, wirklich toll machst du das, meine Liebe Tina, bestichelte ich mich selbst mit verzerrten Mundwinkeln, während ich auf ein Schussloch in der Tür starrte, das sich genau in Augenhöhe befand. Wäre ich zu einem anderen Zeitpunkt hier gestanden, wäre ich vielleicht schon tot. Kein schöner Gedanke, wurde mir alsbald klar, und es gab auch keine schöne Erwartung, was ich hinter dieser Tür antreffen würde. Überhaupt gab es wohl nichts Schönes mehr, nein, es hatte nie etwas Schönes gegeben.
Ich dachte darüber nicht mehr nach, als ich die Tür öffnete. Holte keine Luft. Schloss die Augen nicht. Ich tat es einfach.

Ein erster Showdown folgt bald...^^
Und er hört einfach auf!
DAs war genial, spannend, unbeschreiblich und ich liebe diesen Teil.

P.s: ich hab keine Fehler gefunden.
PPS: Mir ist doch grade einer aufgefallen:

Ich tat dies, sofern sich darüber in meinem bisherigen, kümmerlichen Leben Schlüsse ziehen ließen[...]

Hähä... ich hab was gefunden, ich hab was gefunden! (das musste sein. 'tschuldigung)
Schüsse habe ich geschrieben?!

LOL, ich lach' mich kaputt XD.

Danke für das Lob, ich habe schon gedacht, dass dieser Teil vielleicht etwas zu langatmig wäre...aber in dem Fall wohl doch nicht XD.

PS: Sorry, aber irgendwo muss ich ja aufhören:). Hätte ich den nächsten Teil auch noch in diesen Post verpackt, wäre er eindeutig zu lang geworden^^. Mal sehen...vielleicht muss ich die nächste Szene sogar wieder in zwei Teile zerhacken (bitte erwürg mich nicht) XD.

PPS: Jaaaaa, 100:)
Das Letzte Bündnis erreichte fast 300 Posts XD :P XD
Ja, aber da gab es auch viel mehr Kundschaft:).
Ja, wahrhaftig. xD Mögen die alten Zeiten wieder aufleben...
Jawohl^^. Vorallem neue, frische, unverbrauchte, motivierte und kluge Kritiker sollte es geben:). Und ein paar Leser mehr könnten auch nicht schaden XD. Und wenn wir schon dabei sind, neue Autoren^^.
Mais oui, nouvelle Autoren benötischt das Landö.
Länder, mon ami, Länder. Wir sind hier eine Multikulti-Organisation XD. Aber genug geschwafelt, ich glaube wir geraten langsam off-Topic^^.
Irgendwann mal folgt dann der nächste Teil der Geschichte:)
Eher die alten Autoren zurück. (Wenn das überhaupt machbar ist)
Ansonsten nehm ich mir mal ein bisschen davon vor. (Ich weiss, wie das mir der Leserschaft ist *g*) Das Wochenende sollte eigentlich dafür reichen.
Ja, die alten Hasen sollten sich natürlich auch wieder einmal melden. *snif* Niemand hat mehr Zeit (?), dabei könnte es doch hier eine so schöne Community geben.
Und vielleicht werde ich dank Schule in nächster Zeit ebenfalls keine Zeit haben (letztes Jahr, Abschlussarbeiten usw.)...
Leider, leider verabschiede ich mich von den Ferien mit einem letzten Abschnitt, bevor es wieder ans Lernen geht *seufz*. Über Kommentare würde ich mich (mal wieder) freuen. Evtl. gibts hier zuviel spannungsbremsendes Gelaber, aber darüber lasse ich jetzt mal die Leser urteilen XD.

Vielleicht wurde ich eines Tages zu einer kalten, gefühllosen...

Die Tiefgarage bot ein völlig anderes Bild als jenes, welches ich beim ersten Eintritt vorgefunden hatte. Dieselben Säulen, dieselben Wagen, dasselbe, blässliche Licht an der niedrigen Decke, nur...sie war leer. Keine Menschen standen mehr da, welche sich zuflüsterten, verstohlene Blicke zu uns warfen oder uns krampfhaft gänzlich ignorierten. Es war, als hätte sich die bedrückende, nagende Leere, die ich an diesem Ort verspürt hatte, nach aussen gewandt, als wäre sie wahr geworden; mit dem Blick tastete ich über etwas, das wie ein Spiegel meiner Seele anmutete. Und sowie ich mich dessen gegenüber sah, peitschte die Schuld über meinen Rücken wie eine schreckliche Geissel, unaufhörlich und unerbittlich. Über den Boden zog sich eine dunkelrote Blutspur, der sich wie ein Rinnsal ergossen hatte. Und unter das Nerven zerfetzende Schrillen einer Autoalarmanlage mischten sich kaum zu hörende, schwach stöhnende Laute. Im Herzen nichts als Eis, folgte ich den Lauten und fand auch bald deren Uhrsprung:
Es war John.
Zunächst blieb ich wie erstarrt stehen, nicht wissend, wie ich reagieren sollte. Obwohl ich ihn nur aus der Ferne beobachtete, konnte ich deutlich sehen, wie er zugerichtet war. Den Kopf hin und her werfend vor Schmerz hatte er beide Handflächen auf seinen Bauch gelegt, worunter zweifellos Blut hervorquoll. Immer und immer wieder heulte er auf vor Schmerz. Wie es schien, hatte ihn eine Kugel getroffen. Immer noch war er gegen dieselbe Säule gesunken, bot aber einen erbärmlicheren Anblick als je zuvor. Schwach, hilflos erschien er mir, und ich wusste nicht, ob es jene Tatsache war, die mich dazu brachte, langsamen Schrittes auf ihn zuzugehen. Vielleicht war es auch nur eine Neugier, eine ekelhafte Belustigung an diesem unbegreiflichen Schauspiel, die in meinem Magen rumorte. Am liebsten wollte ich mich übergeben. Mit den Augen weit aufgerissen, starr durch diesen mehr und mehr aufkeimenden Selbstekel, kniete ich mich zu ihm hernieder, hob die Hand, liess sie beschämt wieder sinken. Wozu hatte ich sie überhaupt erhoben?
„John...John! Sag mir, was ist geschehen?“, flüsterte ich ihm vorsichtig zu und erhaschte dabei seine Pistole, die lose in seiner erschlafften Hand hing.
„Seit...seit wann verdammt noch mal duzen Sie mich, Miss Namenlos?“
Ich wunderte mich, wie er es jetzt noch schaffte, mich anzugiften.
„Tina“, erwiderte ich stockend, „Mein Name...ist Tina.“
„Was für ein hässlicher Name“, dröhnte er überraschend, „Na ja, wie auch immer. Ich denke, aus uns wäre sowieso nichts geworden, Süsse. Du bist mir zu wild.“ Er hustete und stöhnte auf, bevor er abgehakt fortfuhr: „Wie...ich sehe...hast du dir aber einen netten Junggesellen aufgegabelt...der...wird mit sich machen lassen...was...du willst...“
„Was...was meinst du damit?“, wollte ich kopfschüttelnd wissen, „John, bitte sag mir, was hier geschehen ist!“
„Haha, du...bist...so grantig wie immer, meine...liebe Tina.“, meinte er, ohne mir direkt zu Antworten, „oh nein, hinter...einem netten ‚bitte’ kannst du dich...nicht...verstecken.“
Ich schloss die Augen, atmete tief durch, was mir aber nicht half, die Beherrschung nicht zu verlieren.
„Antworte mir endlich, John!“, fuhr ich ihn an und beugte mich drohend noch näher zu ihm hin, sodass ich direkt von oben auf sein Gesicht nieder blickte. Es verzog sich zu einem gequälten Grinsen.
„Hab ich es mir doch gedacht...nein...unzähmbare Amazone...ist definitiv nicht mein Typ...“
„John!“, rief ich aufgebracht, „ich bin nicht...nun sag schon!“
Er stiess einige Laute aus, die sich irgendwo zwischen einem Lachen und einem Husten ansiedelten und meinte dann: „Schon gut, schon gut...na...da waren auf einmal diese komischen Typen in voller Montur...haben all diese verdammten Leute mitgeschleppt...und...wie es sich für einen richtigen Mann gehört, konnte ich doch nicht...einfach tatenlos zusehen...nur...haben mir da die Typen einen Strich...durch die Rechnung gemacht, wie du siehst...dachten, ich sei schon...tot...die anderen...haben sie alle mitgenommen...“
„Wer waren diese Leute? Und was war mit Bill?“, bohrte ich nach.
„Den anderen Idioten, meinst du? Den...habe ich nicht gesehen...aber einer dieser Typen in den albernen Schutzanzügen hat was von einer Übergabe gebrabbelt...keine Ahnung, was er meinte...hat dabei diesen Schwachkopf erwähnt.“
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. „Wo haben sie sie hingebracht?“
„Woher soll ich das wissen?“, grunzte John, „Haben die wie Schäfchen in den Lastwagen gepfercht...und weißt du, was das Schlimmste war? Diese verdammten...Kinder! Haben geschrien wie am Spiess...verdammt...wie ich dieses Geplärr hasste. Hab es dir doch schon mal gesagt, Kinder nerv...“
„John!“, unterbrach ich ihn aufgebracht.
„Schon gut, schon gut, Miss...verdammt, Tina. Unglaublich, ich glaube, du bist die erste Frau, von der ich mir was...sagen...lasse. Na ja, auf jeden Fall immer noch besser, als...bei den Typen...in irgendeinem...Versuchslabor...zu enden.“
„Versuchslabor?“, fragte ich zurück, und meine Nackenhaare stellten sich kaum merklich auf.
„Herrgott, war doch nur...ein Scherz. Musst du denn immer so ernst sein? Ein bisschen Humor...muss sein...selbst in dieser...verdammten...Welt, in der kein Platz mehr...“
„...für Nächstenliebe und Mitleid ist, ja, ja, ich weiss“, fiel ich ihm allmählich genervt ins Wort.
„Mit dir lässt sich wunderbar streiten.“
„Weißt du noch etwas über die Männer?“, ignorierte ich den letzten Satz.
„Na ja...waren vielleicht die Typen von diesem idiotischen...Pharmazeugs.“
„Pharmazeugs?“
„Diese Firma, natürlich! Genetic wassweissich. Mann...dir muss man auch alles...erklären...“
Ich funkelte ihn an und versuchte, mich zumindest ein Stück weit vor ihm aufzubauen, als ich spitzzüngig bemerkte: „Ich sage dir jetzt, wo es lang geht, verstanden? Und du wirst mir alles erklären, oder ich werde ungemütlich! Was weißt du über diese Firma?“
„Du bist schon ungemütlich“, entgegnete er grinsend, stöhnte darauf aber ein neuerliches Mal auf. „Mann, und für so eine wie dich bin ich wieder...ach, was soll’s. Das ist wirklich unfair. Kaum lässt man...das süsse Miezekätzchen für eine Weile allein...wird es ehe man es sich versieht zum Tiger. Und dabei hast du doch so süss und hilflos ausgesehen, als ich dich zum ersten Mal...“
„John! Hör...hör sofort auf, über solche Sachen zu sprechen!“, fuhr ich nunmehr beschämt dazwischen. Ein unsicheres Beben hatte sich in meiner Stimme breit gemacht, und meine Knie begannen zu zittern. Ich warf einen kurzen Blick zu Jonathan, der reglos in einigem Abstand zu John dastand und ihn musterte. Als er bemerkte, wie mein Blick auf ihm ruhte, drehte er den Kopf in meine Richtung und sah mich fast schon hilfesuchend an, und da wurde ich von dem seltsamen Gefühl zerrissen, dass in meinem tiefsten Innern etwas aus Leibeskräften zu schreien schien, so, als würde es ausbrechen wollen. Doch der Schrei verstummte alsbald, und zurück blieb nichts als Unverständnis und tiefer Kummer. Ich begann wirklich den Verstand zu verlieren. Es war so ein resignierender Gedanke, der so unbarmherzig auf mich einpreschte, sodass ich nichts mehr gegen die Tränen tun konnte, die meine Augen wässerig machten und meinen Blick verschwimmen liessen.
Hör sofort auf, über solche Sachen zu sprechen.
Beinahe instinktiv schloss ich die Augen. Ich wollte nicht, dass John meine Tränen sah, meine Schwäche. Und weshalb verbarg ich sie überhaupt? Eine Frau verbarg ihre Schwäche nicht, das war die Sache von Männern.
Hör sofort auf, über solche Sachen zu sprechen.
Hör auf, John, über Fröhliches, Unbeschwertes zu sprechen.
Hör sofort auf, über Sachen zu sprechen, die ich nicht verstehe.
Hör auf zu sprechen!

Ich schluchzte leise auf und vergrub mein Gesicht unter den Handschuhen. Noch bevor ich die Augen aufmachte, wusste ich, dass er tot sein würde, und dass ich mir seinen Tod erwünscht hatte. Ich wusste, dass ich an nichts anderes denken konnte als Probleme, Kälte, Missgunst, Neid. Ich wusste, dass ich eine Mörderin war. Ich wusste, dass ich John nicht gemocht hatte, und dass dies meine Schuld war. Ich wusste, dass ich die Augen nicht öffnen wollte. Ich wusste, dass er tot war. Ich wusste, dass er tot war. Ich wusste, dass er tot war!
„Die Tigermama weint doch nicht etwa? Ach, wie herzzerreissend!“, spottete John.
„Lass mich in Ruhe!“, kreischte ich auf, riss die Augen auf und sprang auf die Füsse, „Lass mich in Ruhe!“
Wirbelnd drehte ich mich um die eigene Achse. Farben verschwammen und verschmolzen zu einem Strom eisig grauer Kälte. Ich drohte das Gleichgewicht zu verlieren, umzufallen, mich zu übergeben. Ich hätte wohl tatsächlich den Boden unter den Füssen verloren, hätte mich nicht plötzlich eine Hand am Arm gepackt und festgehalten. Da starrte ich direkt in Jonathans Gesicht, seine Augenlider zuckten unter dem heissen, bebenden Atem, den ich ausstiess. In einer unaufhaltsamen Verzweiflung packte ich ihn an der Schulter und wimmerte.
„Tina...was...was hast du?“, fragte er vorsichtig und musterte mich argwöhnisch. Ich schüttelte den Kopf und antwortete: „Geh...geh weg von mir, Jonathan. Ich bin bloss eine Gefahr für dich.“
„Aber warum denn?“, erwiderte er verständnislos, „du hast mir doch geholfen.“ Mein Atem stockte für einen Moment. „Nein. Ich habe dir nicht geholfen“, beharrte ich und schüttelte den Kopf noch heftiger. Wieder flogen mir die schwarzen Haarsträhnen ins Gesicht und erinnerten mich an das Unglück, das ich über ihn gebracht hatte. Wäre ich nicht gewesen, wären wir nun nicht hier unten, zusammen mit John, der wieder zusammengesunken war. Lange würde er wohl nicht mehr durchhalten, genauso wie Jonathan.
„Hier bist du nicht mehr sicher. Bill könnte jeden Moment hier aufkreuzen. Sie...sie werden dich auch mitnehmen. Es wäre besser, wenn du verschwindest“, meinte ich und schniefte, „und ausserdem...hast du mich nicht verdient.“
Er senkte seinen Blick, liess seine Hand langsam sinken und murmelte: „Stimmt. Eigentlich hast du Recht. Ich...ich habe...“ Er verstummte, nur um mir direkt ins Gesicht starrend, mit aller Gewalt seiner Seele hervorbrechend, in solch bitterer Ironie weiterzusprechen, dass mir das Herz entzweigerissen wurde: „Ich habe ja nie jemanden verdient, der mir hilft, nicht wahr? Ja, dann gehe ich wieder, setze mich an mein Klavier, kapsle mich vor allen ab und verrotte in meiner ewigen Einsamkeit!“
Er riss sich von meinem Griff los und wandte sich ab. So heftig, wie ich von seiner Reaktion überrumpelt worden war, brauchte ich eine ganze Weile, um überhaupt zu begreifen, was für einen Schmerz er in sich trug, den er mir, sich fälschlicherweise angegriffen fühlend, dargelegt hatte.
„Nein! So...so...war das nicht gemeint.“, hauchte ich flehend und wollte die Hand auf seine Schulter legen, doch er wich zurück und mass mich fast schon feindseligen Blickes.
„Ich verstehe dich nicht.“, meinte er traurig und schüttelte den Kopf, „ich...ich verstehe dich nicht.“
„Jonathan...bitte...ich...es tut mir Leid! Ich habe es nicht so gemeint!“, bettelte ich und trat einen Schritt an ihn heran. Er wich nicht mehr zurück, sondern murmelte stattdessen: „Ja, ja, das haben sie früher auch immer gesagt.“
„Ich meine es ernst!“ Meine Stimme steigerte sich in ein regelrechtes Fauchen. Ohne Vorwarnung schossen beide meiner Hände hoch und packten seine Schultern. Ich hätte ihn am liebsten vor Schmerz geschüttelt.
„Ich lüge nicht, hörst du?“, drang ich auf ihn ein, „ich lüge nicht! Ich bin es, die es nicht wert ist, nicht du!“
„Ach was“, meinte er ungläubig abwinkend, „das kann doch nicht dein Ernst sein. Schau mich doch nur einmal an. Ich bin...“
„Wenn du noch weiter sprichst, packe ich so fest zu, dass es wehtut“, drohte ich und beugte mich ihm noch näher zu, „komm zur Vernunft, Jonathan. Was soll der Unsinn? Du bist mehr Wert als alle anderen Menschen, die...“
„...du in Erinnerung hast, schon verstanden. Wie viele das wohl sind?“, meinte er sarkastisch und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. Ich war näher denn je dran, ihn zu schütteln, begnügte mich aber stattdessen mit einem mitleidigen Seufzen und liess von ihm ab. Kurz daraufhin jedoch umspielte ein seltenes Lächeln meine Mundwinkel.
„Die Schule gibt es nicht mehr, schon vergessen? Das hast du doch selbst gesagt. Na denn, lass uns mal sehen. Es gibt noch dich...und mich.“
Amüsiert beobachtete ich, wie Jonathans Blick zu John wanderte.
„Den lassen wir mal beiseite.“ Seine Augen suchten wieder meinige. Vielleicht war ich noch nicht völlig durchgedreht, dachte ich mir tief durchatmend. Da ergänzte er schrill:
„Und dann gibt es noch einen Haufen durchgeknallter Maschinen, eine Organisation aus Kapuzenmännchen und eine alberne Krankheit, die die Menschheit dahinrafft. Habe ich noch was vergessen?“
Ich blinzelte überrascht.
„Nun...nein“, konnte ich mich schliesslich zu einer zögerlichen Antwort durchringen. Entweder besass ich tatsächlich keinen ausgereiften Humor, oder die Sache war einfach zu ernst, um darüber Witze reissen zu können. Nun, Jonathan schien diese Kunst auf jeden Fall zu beherrschen. Er war wohl immer wieder für eine Überraschung gut. Da passierte es.
„Ich mag dich“, sprudelte es aus mir hervor, bevor ich dagegen irgendetwas unternehmen konnte. Einmal mehr von mir selbst überrumpelt strich ich mir über die Haare und kam mir dabei höchst beschämend vor. Jonathan erwiderte nichts, sondern starrte mich an, als wäre die, welche er vor sich hatte, nicht mehr ich, sondern eine völlig andere, ihm fremde Person.
„Jetzt fehlt nur noch die Schmalzmusik, verdammt“, dröhnte in diesem Moment Johns Stimme zu mir hoch. Es schien zwar bizarr, aber...irgendwie war ich ihm für diese unsinnige Bemerkung dankbar, zumal sie mir half, mich aus Jonathans schwer zu ertragenden Blick zu winden.
„Sei doch still, John“, wies ich ihn zurecht, es klang aber mehr matt, erleichtert als wirklich drohend. Ich sollte solche unüberlegten Dinge nicht von mir geben, mahnte ich mich ärgerlich, und noch während ich dies tat, erschauerte ich unter dem kleinen Fünkchen Hoffnung, das in mir aufkam. Vielleicht war ich ja doch nicht so kalt und gefühllos, wie ich mir die ganze Zeit über vormachte. Gleichzeitig jedoch bezweifelte ich, dass meine Gedanken samt der Verwirrung lediglich Ergebnis irgendeines Hirngespinstes war. Es mochte purer Egoismus sein, doch an meinen Gedanken musste einfach etwas Wahres haften, sonst wären sie die ganze Zeit über genauso unsinnig wie lächerlich gewesen. Ja...einen gewissen Hang zur Grobheit hatte ich tatsächlich in Kauf genommen, das liess sich nicht abstreiten. Vielleicht hatte ich all dies jedoch einfach ein bisschen zu ernst genommen, hatte mich in meine Ängste hineingesteigert und mir gar Dinge gepredigt, die wie selbsterfüllende Prophezeiungen anmuteten.
So schlimm konnte es doch nicht um mich bestellt sein...oder?
hihi.... ich hab noch laange ferien. bis zum 31.

so. zwei gute nachrichten.

1. ich hab (höchstwahrscheinlich) eine neue Kritikerin gefunden (sie hat zwar keine ahnung von der geschichte, will sie bare lesen und dann mal wieter sehen)
2. ich mag diesen teil (wieder mal) und ich habe keine Fehler gefunden.... noch nicht einmal einen vergessenen Buchstaben.

3.(und das ist keine gute Nachricht, sondern eine Frage) wie alt waren Tina und Jonathan noch mal ungefähr? ich weiß, dass du zumindest jonathans Alter irgendwo beschrieben oder geschrieben hattest, aber ich bin im Moment zu faul zum Suchen^^ und du als Auto müsstest das ja eigentlich wissen....

4. weiter so (motivatio kann nicht schaden)
Tinas Alter ist weitgehend unbekannt, sie schätzt sich so zwischen 20-30. Aber erwachsen ist sie allemal.
Jonathan ist gerade mal 17:)

Zwischen den zwei wird es also kaum eine typische Liebesschnulze geben, mehr eine Art Mutter-Sohn-Beziehung. Aber lass dich überraschen:)

Und neue KritikerInnen sind mir natürlich willkommen :D
Lass mal ^^°°

Die Hälfte hab ich jetzt.
Ok, ok, ich lass mal *zuckende Finger bekommt*
Oh! Ah! Nein! Hilfe! Sie...sie leben!

:P
Gut, die Hälfte ist besser als nix XD.
Aehm, also, nachdem ich ja sooo lange nicht da war... versuch ich mich jetzt selber mal am Kritisieren.

und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf wirre Notizen.
„Wir...Lösung...kommen...Virus...“

Das klingt, als stände das auf dem Zettel, aber ich glaube es kommt aus dem Radio...

fiel es mir die Schuppen vor die Augen.
ähm... wie bitte??

Er war nass, in Schweiss überdeckt von meinen Haarsträhnen.
in Schweiß überdeckt?? das kapier ich nicht so wirklich...

Ein Blick in die weit aufgerissenen, kastanienbraunen Augen, deren Ergründung den seelischen Schmerz der Verwirrung entflammen liess wie die zerschnittenen Papierfetzen, denen meine Erinnerungen zu Grunde lagen.
Und diesen Satz kapiere ich trotz dreimal durchlesen auch nicht so ganz... vielleicht war das etwas zu viel des Guten ^^

„Darüber...“, seufzte ich unsicher, „darüber denke ich wohl schon gar nicht mehr nach.“
ich weiß nicht, aber irgendwie finde ich, dass das "seufzte" hier nicht so gut passt. weil etwas unsicher seufzen? passt doch irgendwie nicht zusammen.

erbreitete den Inhalt
Ein Blumenstrauß erbreitet seinen Inhalt?? Noch nie gehört, diese Formulierung (nicht kapierO.o)

Regentropfen, die wie Speere durch das Fenster hindurch eine Lache bildeten, unsichtbar durch das Schwarz des Bodens wie blutige Tränen.
DAS, finde ich, ist auch ein wenig zu viel des Guten. Kann ich irgendwie überhaupt nicht mehr nachvollziehen...

Die Beschreibung des Zimmers (du weißt bestimmt, was ich meine) fällt vielleicht etwas zu langatmig und zu verworren aus, manche Sätze muss ich auch zweimal lesen um sie zu kapieren (das gilt übrigens für sehr viele Sätze in deiner Geschichte^^) also ein wenig kürzere oder einfachere Sätze könnten auch nicht schaden ;)


Joa, mehr Kritik hab ich nicht und diese kleinen Buchstaben-ausgelassen fällt mir auch nie auf, das überlass ich dann ira^^

Also sonst... Von Spannung her bist du glaub ich einer der wenigen Autoren, die es schaffen, mich wirklich mitfiebern zu lassen und zu fesseln bis zum letzten Augenblick, einzig ein klein wenig gestört durch die komplizierten Sätze.
Also ein DICKES LOB von meiner Seite!

PS: @Hihaho und Naruu: Ich freu mich euch auch mal wieder zu sehen ähm... zu lesen^^
Hier kannst du mich lesen und wäre es mir momentan nicht plötzlich so übel geworden, würde ich deine Story lesen. XD
Ah, Lamproly, du kannst ja super kritisieren:)
Nun, einige Sachen kann ich hier schon erklären, allerdings hast du mit den etwas komplizierten Sätzen im letzten Teil Recht. Aber sei unbesorgt, ich glaube, ich habe es nachher wieder einfacherer gehalten, ich war bei diesem Teil gerade in einer wirren, experimentiellen Phase XD.

und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf wirre Notizen.
„Wir...Lösung...kommen...Virus...“


Ja, da hast du Recht, man könnte meinen, es seien die Notizen. Gut, ich werde es durch irgendeinen Satz wie: "Das Radio lief immer noch im Hintergrund" ersetzen. Obwohl es ihn dann eigentlich nicht unbedingt braucht^^ ich könnte es auch einfach ein paar mal löschen. Und da es gerade Kritik hagelt, fällt mir auf, dass ich irgendwie zu häufig den Regen und das Donnern beschrieben habe. Auch löschen XD.

fiel es mir die Schuppen vor die Augen.

Da bin ich jetzt ebenso verwirrt wie du XD. Also, es sollte doch so eine Redewendung geben, wenn einem plötzlich etwas klar wird? Anscheinend habe ich die demnach völlig falsch im Kopf XD. Ich weiss auch nicht, wie das passieren konnte^^. Könnte mir ein Sprachexperte da bitte weiterhelfen?
(Da sieht man wieder einmal, welche Nachteile das Schweizer Bürgertum mit sich bringt XD)

Er war nass, in Schweiss überdeckt von meinen Haarsträhnen.

*heul* Wahnsinnig unglücklich formuliert, das Ganze. Sorry:(
Also der Sinn dahinter sollte sein, dass der Boden mit Schweiss überdeckt ist, und ihre Haare berühren ebendiesen Boden. (Asche auf mein Haupt!)

Ein Blick in die weit aufgerissenen, kastanienbraunen Augen, deren Ergründung den seelischen Schmerz der Verwirrung entflammen liess wie die zerschnittenen Papierfetzen, denen meine Erinnerungen zu Grunde lagen.

Also, zunächst einmal kann man "seelisch" weglassen. Sinngemäss würde es dann also heissen, dass Tina hoffnungslos verwirrt ist, als sie versucht, Jonathans Blick (-> und damit, was er in jenem Moment (über sie) denkt) zu verstehen. Und diese "flammende" Verwirrung ist auch dieselbe, die diese unbegreiflichen Erinnerungen begleitet, die sie hat. (Diese seltsamen Gestalten, der Schrottplatz, die Gesichter usw.)
->Verwirrung, die flammt, und Papierfetzen verbrennt. Die Papierfetzen stehen eben für ihre unbekannte Vergangenheit^^.
Kurzum: Tina ist genauso verwirrt wegen Jonathans Blick wie wegen ihrer Vergangenheit/ihren Erinnerungen.
Es sind also sozusagen 2 Metapher in einem Satz, die verbunden werden.

Naja, ich weiss, meine Erklärungen rechtfertigen keineswegs den komplizierten Ausrutscher. Und falls noch mehr Leser damit Probleme haben, sollen sie es ruhig sagen, dann werde ich es definitiv umschreiben.

Ja, den seufzenden Satz habe ich bereits umgeschrieben. In der neuen Version steht:
„Nun ja...“ Ich seufzte unsicher. „Im Moment wohl...irgendwie nicht, nein...“
Das passt auch besser zum weiteren Text, da Tina ja nachher sehr wohl über ihre Angst nachdenkt. Und sie wird sich auch weiterhin fürchten.

Ein Blumenstrauß erbreitet seinen Inhalt??

Gut, gut, du hast gewonnen. Natürlich breitet die Vase ihren Inhalt auf den Tisch aus. *in die Ecke steh*

Und den Teilsatz mit den blutigen Tränen wird einfach gestrichen. Ihn zu erklären, wäre für mich die gleiche Herausforderung wie den Mount Everest zu besteigen. Also: ich bin der Dumme, habe etwas gedacht, das ich jetzt selber nicht so recht nachvollziehen kann *am Kopf kratz*. Kam wohl davon, dass ich zu jenem Zeitpunkt ein Lied namens "Bloody Tears" gehört habe XD.

Kürzere und einfachere Sätze? Ja, du hast wohl Recht :S

Naja, Trotz aller Kritik freue ich mich über das dicke Lob!
Vidi
*sich erstmal auskotz* Latein!

Ich habe fertig und ich muss sagen, es ist einfach super spannend. Selten konnte ich mich so in die Geschichte hineinfühlen, die ich zu kritisieren habe...

Also ich hab soviel verpasst, dass ich alles nur kurz und nicht zu prägnant ausführen kann.
Als erstes will ich mich einfach mal zur Sprache äussern:
Dein Sprachstil ist überraschend altmodisch und ich habe auch eine gewisse Vorahnung woher das rühren könnte.(Ja, ich hab mir schon etwas gedacht als ich dich nach deinen literarischen einflüssen gefragt habe;D) Fantasy macht auf altmodisch, in seinem Inhalt handelt es sich oft, viel zu oft um städte mittelalterlicher Zustände. Wohl aus einem ähnlichen Grund, wie Spieleproduzenten immer wieder auf das Egoshooterprinzip zurückgreifen: Es ist strukturell einfacher.
Und weil sich alles dem Mittelalter anpasst, haben moderne Redewendungen keinen Platz mehr. Seien wir ehrlich: Das klänge auch beschissen.
Gleichsam musst du dir jetzt vorstellen, wie die altmodische Fantasysprache in einer Sci-Fi-Story aus dem Jahre 2050 klingen muss. Genau: wieder irgendwie fehl am Platz. Stil und Inhalt sollten sich ergänzen, vorallem bei einer spannungsgeladenen Geschichte wie Evelyn. Deshalb schlag ich dir mit Nachdruck vor, moderne Sci-Fi Bücher zu lesen, wie Stanislaw Lem oder Moloch.

Weiter zum Sprachstil muss ich sagen, dass du eine wunderbare Vielfalt an Redewendungen an den Tag legst, aber du darfst dich nicht übernehmen, wie das Lamproly schon bemerkt hat.
Ausserdem solltest du, wie schon gesagt, darauf achten, dass du viele Worte wie "zuschliessen" oder "nervenzerfetzend" zusammenschreiben solltest. Und glaub' um Himmels Willen nicht Word. Es will dir nur Böses. Ich hab mir für 10 CHF einen Dudenkorrektor am Kiosk gekauft, der um einiges zverlässiger agiert und nicht so nervt.
Ausserdem, etwas, dass mich konkret wirklich genervt hat: Schreib nicht "hernieder"! xDDD Schreib lieber "nieder", das gehört auch zu diesen altmodischen Floskeln und klingt in diesem Falle eigentlich falsch, aber nichtsdestotrotz etwas trashig.

Übrigens: Es heisst "Es fiel mir wie Schuppen von den Augen"
Aber hierzu will ich gleich noch etwas anmerken. Bitte benutz' nicht so oft Dauerfloskeln wie "Wie Schuppen von den Augen fallen", "Schauer über den Rücken", usw.
Diese Sachen sind irgendwie öde, weil sie nicht prickelnd, nicht neu genug sind. Du solltest dir eine eigene Umschreibung ausdenken, etwas, das für den Leser den Nagel auf den Kopf trifft. Das macht den originellen Autor aus, der geflügelte Worte in die Welt setzt.


Inhaltlich muss ich den einen schon recht gewichtigen Punkt nocheinmal erwähnen.
Deine Geschichte ist eine geschichte der Spannung. Sie trägt sich mithilfe von geschickten Spannungsbögen, Geheimnissen und einem laufenden Lesefluss. DAS ist dein Gewicht, und das sollte es auch sein und du solltest dir auch dessen bewusst sein. Deshalb hast du an manchen stellen vllt. zu lange Selbstreflexionen durchgeführt, manchmal etwas übertrieben reagiert und den Leser mit etwas quälenden Fragen über Einsamkeit, Gedanken- und Gefühlslosigkeit aufgehalten, auch wenn ihn die spannung viel lieber zur Handlung getrieben hätte. Versteh mich nicht falsch, die Selbstreflexionen sind witzig und wichtig. Aber du solltest höchstens drei Sätze daran verschwenden bevor du weiterfährst in der Handlung.
Die Handlung unterstützt deine Geschichte in "Zeiten der Not", in langatmigen Strecken. Das ist übrigens bei fast allen Geschichten der Fall...

Ich habe es schon einmal angemerkt, aber du hast auch ein anderes Problem: Klischees und Archetypen. Es gibt deiner GEschichte etwas Hollywoodmässiges, etwas Lasches, etwas, das den Leser nicht berauscht, weil er es kennt. Er mag die Geschichte, aber die Charaktere überzeugen, begeistern ihn nicht. Das mit der Explosion ist nur ein kleiner, kaum beachtenswerter Teil davon. Eine Explosion darf sich jeder einmal erlauben :D Aber die Personen: Du solltest sie kantiger irgendwie untypischer machen. Sie sollen widersprüchlich sein und einen richtigen, eigenen, einzigartigen Charakter haben.
Daraus folgt auch, das mir die Beziehung zwischen Tina und Jonathan nicht besonders gut gefällt. Du solltest die Anzeichen von mütterlicher Verantwortung vereinzelter und spärlicher einbauen, so wirkt das so offensichtlich und nicht im Zaun gehalten - alles in allem, irgendwie übertrieben. Es wirkt ein wenig kitschig und typisch, irgendwie fast ein wenig selbstverständlich. Allerdings muss ich gerade hier noch ein Lob verteilen: Dass man nie wirklich weiss, ob das eine Liebschaft wird, oder eine Mutter-Sohn-Beziehung, ist interessant nachzuverfolgen.

Ich hör mal hier auf und nehm das später wieder auf...
Grüsse Quappe

PS: Und für die 37 Seiten Vorsprung werde ich dich wohl für immer hassen -.-°
Hm...ich weiss ja nicht. Typisch wäre für mich gewesen, wenn John, der grosse starke Held und sie zusammengekommen wären^^. Aber hier liesse sich wohl noch streiten:). Ich für meinen Teil finde eine Mutter-Sohn-Beziehung untypischer. Nicht, dass sie gänzlich klischeefrei ist. Aber sie ist auch nicht ganz Hollywood.
Die sich fast (zugegeben) schon unnatürlich schnell und grossen Schritten entfaltende Beziehung als solche hat tatsächlich einen Grund, den man gegen Schluss erfährt.
Und klar, diese Story wurde sozusagen von Hollywood inspiriert XD (28 days later lässt grüssen). Mein Gedanke dabei war, eine eigene Fassung "Weltuntergang" zu erschaffen. Natürlich gab es fast all das auch in Filmen. Aber irgendwie...naja...ich wollte das alles irgendwie "nachleben" und bin mir auch bewusst, dass ich mit diesem Gedankenkonstrukt das Rad nicht neu erfinde.
Naja, ich streite schon nicht ab, dass es "verbraucht" ist.
Das lässt sich auch so sehen: ich bin mit dem Gedanken "Ich liebe dieses ganze Weltuntergangs-Spektakel und möchte etwas dazu schreiben" an die Story herangegangen. Und nicht mit dem Vorsatz "Ich will endlich mal etwas vollkommen anderes schaffen als der übliche, öde Weltuntergangs-Brei"
Und genau da liegt demfall das Problem. Da waren die Charaktere im Kopf. Szenen. Und sie alle glichen dem schon Gesehenen, Gehörten, Aufgeschnapptem.
Fazit: Nichts weiter als Einfallslosigkeit, Faulheit? Scheint so...:(

Bei John hast du Recht, er ist z.T. eine Klischeefigur, der Macho halt. Gibts in solchen Horrorstreifen immer. Hm, muss ich irgendwie vielleicht doch ändern (aber wie?)

Aber Jonathan? Hm, also ich finde ihn jetzt nicht unbedingt "gewöhnlich", aber auch hier gibt es wohl noch Sachen zu klären. Was macht ihn für dich so typisch?
Braucht es andere/neue Ecken und Kanten?

Zu den Gedanken u. Reflexionen: da gibts halt dann noch einen Haufen Löscharbeit, ich weiss. Ist bei mir (leider) wohl immer so XD.

Und wegen dem altmodischen Schreibstil: hab ichs doch gewusst, dass die ganze Story am Ende doch in die Tonne geschmissen werden muss XD. Argh, alles andere lässt sich von der Sprache her löschen/locker überarbeiten, aber der ganze Schreibstil...neinnn, muss ich jetzt von vorne anfangen? :(
Zwar. Ich könnte mich da wieder listig herausschleichen. Die Story ist ja in der Ich-Form geschrieben. Und wer weiss, vielleicht kommt Evelyn aus dem Mittelalter? XD. Nein, nein, da hab ich wirklich ein Problem *seufz*

Und auch ich werde wohl noch mehr dazu sagen XD. Freuen wir uns also auf eine schöne Diskussionsrunde^^.
Also ich habe jetzt endlich auch mal was gelessen (Schande über mich, ich französicher Hasenbraten xD) und muss sagen, dass mir die Story sehr gefällt. ^^ Die Atmsphäre find ich faszinierend und spannend ist es auch. ^^

Und wegem dem Schreibstil find ich das nur halb so dramatisch. Im Gegenteil.. ;-)
Ach ja (Mist, der obere Beitrag lässt sich nicht mehr editieren), und was ist demnach mit Evelyn? Wirkt sie auch langweilig, typisch? Ein "ja" wäre meine Horrorvision schlechthin...aber ich würde es verkraften können.
Und zu Lynn kann ich nichts gross sagen, ich weiss auch nicht, ob ich sie so stehen lassen soll oder nicht^^.
Okay, okay, ich versuchs jetzt einmal anders zu formulieren. Die Beziehungen der Charaktere entwickeln sich oft bei dir, das ist schonmal super, allerdings kann der Leser vorraussehen, in welche Richtung sich die Beziehung wandelt. Und genau das ist Hollywood. New Hollywood hat sich verbessert und bemerkt, dass die alten Klischees nicht mehr taugen. Damit hat es Klischees umgedreht, Antihelden, Asynchronisationen und Unvorhersehbarkeit geschaffen und Archetypen und Hollywoodtypen der Beziehungen entfernt. Das bedeutet, Hollywood machte einen Schritt vorwärts. Nur ist dieser Schritt so vorhersehbar, die Rollenverteilung, trotz den Versuchen sie zu verstricken, erkennbar.
Und deine Geschichte hat ein ähnliches Problem. Vielleicht solltest du einfach, wie ich schon erwähnt hatte, offensichtliche Elemente der Anzeichen ener Mutter-Sohn-Beziehung einbringen, anstatt sie in Selbstreflexion zu behandeln.
Kurz, auch dir, Show don't tell.
Es ist verständlich, dass sich Evelyn im Innern überlegt, wie sie sich gegenüber Jonathan verhält. Aber das nimmt den Leser nicht sehr mit. Wenn du die Show-don't-tell-Regel auf die Beziehung anwendest, merkst du bald, dass du das "show" eigentlich nur mit Dialogen bringen kannst. Also solltest du dein Gewicht auf die Dialoge legen, die du wiederum nicht zu übertrieben, eher vorsichtig zeigen solltest. Okay, wenn du einen Grund hast, warum sich die Beziehung so überhastet entwickelt, dann mein ich dazu auch gar nichts mehr.

Ja, ich kann (ein wenig) verstehen, dass du das Rad nicht neu erfinden willst. Allerdings bin ich der Kritiker und als Kritiker ist es nunmal meine Pflicht zu verlangen, dass du das Rad neu erfindest. Smiley
Und zu all den Charakterentwicklungen, zum Hollywoodmässeigen: Deine Geschichte ist, wie schon einmal gesagt, eine Geschichte der Handlung. Alles andere ist einigermassen nebensächlich. (Ausser man will das Rad neu erfinden Smiley )

John gefällt mir von allen Figuren ehrlich gesagt am Besten. Er hält seinen Charakter, seinen Stil und seine Frische durch und ändert sich kaum. Und eben weil er so grantig und kantig ist, lässt er sich gar nicht so einfach einordnen. Evelyn und Jonathan kann man bis jetzt eigentlich sehr leicht und mit wenig Aufwand charakterisieren; John eben nicht. Nimm dir ein Beispiel an ihm Smiley

Aber Jonathan? Hm, also ich finde ihn jetzt nicht unbedingt "gewöhnlich", aber auch hier gibt es wohl noch Sachen zu klären. Was macht ihn für dich so typisch?
Braucht es andere/neue Ecken und Kanten?


Ja, genau! Es braucht mehr Hintergründigkeit, er braucht etwas mehr einen eigenen, fehlerhaften und einzigartigen Charakter. Bis jetzt ist er irgendwie neutral, er ist keine feste Perönlichkeit. Ich sehe keine schlechten Seiten an ihm... Das ist schade^^
Jonathan ist einfach gestrickt(so scheint es bis jetzt; ich sage sowieso nur, wie es BIS JETZT scheint^^). Jonathan ist scheu und stur, er ist hilflos und auf Evelyn angewiesen, er ist manchmal ein ganz klein wenig streitsüchtig und agiert hintergründig, nimmt selten(bis auf die Entschuldigung bei Evelyn und bei deren Flucht vor der Maschine) wirklich selber die Initiative in die Hand.
Vielleicht hilft dir das etwas.

Zum altmodischen Schreibstil: Nimm es nicht zu schwer. Es ist nunmal, wie wir alle, glaube ich, aufgewachsen sind. Du hast einen unheimlichen Wortschatz, der nach Fantasyliteratur klingt; tut meiner auch.
Ich will dir nur ans Herz legen, je nachdem wie ernst du es mit der Geschichte meinst, modernere Bücher zu lesen. Am Besten Sci-Fi. Anders kannst du wohl nichts daran ändern(ausser "hernieder" xD).
Und Stilbrüche können auch ein Kunstmittel sein. Auch wenn es mir nicht so aufgefallen ist.
Ich hab da schon ein paar Sci-Fi-Bücher gelesen. Z.B. "Gelöscht" von Marco(Markus?) Kunst. Wohl eher unbekannt. Und ich fand den Schreibstil irgendwie...grässlich XD. Ebenso wie bei "Das letzte Buch des Universums"(lol). Und auch da war es einfach irgendwie...unnagenehm. Da wurden Kunstwörter kreiert, Bezeichnungen für technischen Krimskrams. Galaxie XII-Alpha-XCDR. Kurze Sätze (Er schmiss den Motor an). Es hörte sich irgendwie lächerlich an, obwohl es auf eine Art schon authentisch war.
Und ich finde die moderne Sprache einfach nicht gut, aber das ist wohl mein Problem XD. Aber gleichzeitig ist mir Fantasy über den Kopf gewachsen...*verwirrt sei*^^

Zu den Charas werde ich mir noch etwas überlegen. Bei Jonathan muss ich mir wirklich etwas einfallen lassen...wobei...wie mache ich ihn "fehlerhaft", auf eine Art "schlecht", ohne ihn unsymphatisch wirken zu lassen? Und in einem Buch dürfen auf jeden Fall keine unsymphatischen Figuren vorkommen, sonst mag der Leser sie nicht und nervt sich nur über sie.
Da liesse sich natürlich wieder John in Betracht ziehen. Er ist ja eigentlich "fies", "egoistisch", aber es haftet gleichzeitig etwas Lachhaftes an ihm, etwas, worüber man lachen kann (seine Ironie?). Das macht ihn nicht unsymphatisch, ja, ich kann ihn gar irgendwie verstehen. Aber wenn man von diesem ironischen Mittel absieht, wie ich es bei Jonathan vorsehe, wie liesse er sich dann um unangenehme Charakterzüge erweitern, ohne ihn nervig wirken zu lassen?
Muss er denn dunkle Seiten haben?
Er sollte. Jeder vielschichtige Charakter hat dunkle Seiten. In Realität also jeder. Jonathan "schlecht" zu machen, ohne dass er unsyphatisch, gar böse wirkt, liegt in deiner Macht. Und ich weiss, dass du es kannst. Schau dich mal bei Freunden, bei Familien, bei dir selber um. Jeder hat auch seine "schlechten" Seiten, die ihn mitunter zu dem machen, was er ist. Jonathan braucht etwas mehr Fleisch, etwas mehr Vielschichtigkeit und das machst du am Besten in Elementen des Charakters, die er stur durchhält. Dass John fies ist, hat zwei Auswirkungen. Die schlechte, wie auch die gute Seite von "fies". Ein fieser Charakter ist für den Leser unterhaltend und obwohl er nicht korrekt, gut und neutral ist, kann sich der Leser mit ihm identifizieren - ja, er kann es beinahe besser.
So, hier kommt wieder ein nächster Teil. Und es kann natürlich sein, dass die gleichen Fehler wieder vorkommen, ich habe es nämlich nicht überarbeitet (Schande über mich XD)^^. Es ist nicht sonderlich viel, aber dafür dürften alle mitkommen^^.
Aber ich werde es schon noch überarbeiten, versprochen:). Gleich das Ganze. Und Quappe wird leider enttäuscht sein^^

Wieder zu Jonathan gewandt drängte ich: „Wir sollten wirklich langsam von hier verschwinden. Wer weiss, wann...“ Ich stockte. „Jonathan?“
Sein Gesicht wurde von einem Moment zum anderen aschfahl und er zuckte zusammen.
„Jonathan!“, wiederholte ich rufend, als mir klar wurde, woher seine Reaktion rührte. Mit einem Satz sprang ich direkt vor ihn, riss ihn herum und drängte ihn zurück, als das Quietschen des grossen Garagentors erklang.
Das leise Rieseln des Regens schwoll heran, und einige Meter vor unseren Füssen warf sich ein Lichtstreifen auf den Boden, der sich stetig vergrösserte. Regentropfen fielen vom Wind getrieben auf den trockenen Betonboden, und wie eine Meeresbrandung schäumte sich die Nässe und die Kälte von draussen heran. Der Geräuscheschwall drohte mich unter seinem Donnern in die Knie zu zwingen. Zuerst war er lediglich als schwarze Silhouette zu erkennen, als er aber langsam näher heran schritt, lichtete sich der Schleier um seine Konturen und ich starrte flach atmend in ein durchnässtes Gesicht, das von tiefen Sorgenfalten durchfurcht war. Sein dicker Pullover war einem schwarzen, frisch gebügelten Geschäftsanzug samt Krawatte und Hemd gewichen, und in einer Hand trug er einen grauen, kleinen Koffer. Seine Schritte waren weit ausgreifend, und er fuhr sich mit der freien Hand immer wieder durch die Haare. Seine Stirn war ungewöhnlich bleich, und das, was daran hinab rann, mochte Wasser sein, vielleicht aber auch Schweiss. Als er uns bemerkte, war seine Reaktion wider Erwarten sehr ruhig; er öffnete in leichter Überraschung den Mund, hatte sich aber schneller wieder gefasst, als ich es mir versah und schüttelte in einer bedauernd wirkenden Geste langsam den Kopf.
„Das habe ich mir fast schon gedacht“, meinte er und seufzte. Voller Argwohn stierte ich auf den Koffer, der nun begann, leicht in seiner Hand hin und her zu schwenken, doch ich merkte genau, dass die scheinbare Beschwingtheit, die Bill wohl dadurch auszudrücken versuchte, nur vorgespielt war.
„Was ist da drin?“, fragte ich geradeheraus, worauf mir die Antwort sofort von selbst klar wurde. Es musste das Geld sein, von dem in Lynns Brief die Rede gewesen war. Jonathan wich hinter mir noch ein Stück zurück, doch noch ehe er sich aus meiner Reichweite bewegen konnte, nahm ich ihn bei der Hand. Bill seufzte erneut, und diesmal klang es zutiefst resigniert.
„Ach, Tina“, sagte er mit säuselnder Stimme, „ich hatte gehofft, mir dies ersparen zu können.“
Und zog seine Pistole hervor.
Jonathan stiess ein erschrockenes Wimmern aus und ich packte ihn noch fester.
„Was wollen Sie von uns?“, keuchte ich und starrte auf den schwarz glänzenden Lauf.
„Von euch?“ Bill lachte trocken auf. „Von euch will ich gar nichts. Was nützt ihr mir schon?“ Mit einem boshaften Grinsen meinte er direkt an mich gewandt: „Ich würde Ihnen lediglich raten, diesmal die Finger von mir zu lassen. Das Spielzeug, das ich in der Hand habe, kann unter Umständen sehr...“, er genoss selbstgefallend eine Kunstpause, in dessen Stille das Klicken der Waffe erschallte, „...verletzend wirken.“
Ich rang nach Luft und bemühte mich krampfhaft, mich nicht zu bewegen. Wie gelähmt durchschoss mich nur noch ein einziger Gedanke. Ich konnte jeden Moment sterben, vielleicht auch nur aus einer simplen Laune heraus.
„Wollen Sie uns...erschiessen?“, schaffte ich es schliesslich, grimmig zu fragen. Als stünde er vor einem alltäglichen, kleinen Problem, liess er mir ein provozierend bedächtiges Nicken zukommen, sodass ich mich am liebsten wie eine Furie sofort auf ihn gestürzt hätte, und erwiderte in gespielter Gelassenheit:
„Ich fürchte, mir bleibt keine andere Wahl.“
Noch während das verzweifelte Aufschluchzen von Jonathan erklang, drängte ich ihn noch mehr zurück und funkelte Bill hasserfüllt an. Noch ehe ich etwas sagen konnte, spottete er lachend: „Ach, wie rührend. Seht, seht, was haben wir denn da? Die Selbstlosigkeit in Person? Oder einfach nur eine dumme Frau, die glaubt, ihren Sohn verteidigen zu können?“
„Er ist nicht mein Sohn!“, fuhr ich ihn schneidend an, wobei mir die Waffe gefährlich nahe kam. Bills Lippen formten sich zu einem gehässigen Lächeln, als er antwortete: „Ach herrje, wie konnte ich das nur vergessen? Wie peinlich, ich entschuldige mich aufrichtig.“
„Ihre Entschuldigungen können Sie sich für Lynn aufsparen!“, entgegnete ich harsch, im Bewusstsein, mit jedem ausgesprochenen Wort dem Tod ein Stück näher zu kommen. Doch auch ihn fürchtete ich nicht mehr in meinen jetzt schon toten, abgestumpften Gedanken. Alles, was zählte, war, dass zumindest Jonathan irgendwie aus dieser Sache heil herauskam.
„Woher...Sie verdammtes Weibsstück halten sich da raus, ist das klar?!“, brüllte er, klang dabei aber hörbar verunsichert. Und genau in diesem Moment schlug ich in katzenartigem Instinkt mit aller Kraft meine Krallen in Richtung Gegenoffensive.
„Ihre Gier hat sie also nur ins Verderben getrieben“, fauchte ich und zwang meine Mundwinkel zu einem schadenfrohen, überlegenen Lächeln, „na, was wollen Sie nun mit all diesem Geld anfangen? Sich schöne Ferien leisten?“ Ich warf einen unübersehbaren, abwertenden Blick auf den Koffer und liess ein kaltes Lachen erklingen, das mich selbst mit Furcht durchdrang. Und ebendieses Lachen war es, welches alle Alarmglocken in mir schellen liess, ohne dass mir gänzlich klar wurde, wieso. Nichtsdestotrotz fuhr ich fort: „Wissen Sie, was ich fürchte? Dass sie die falsche Wahl getroffen haben.“
„Seien Sie Still!“, schrie er mir direkt ins Gesicht. Er begann zweifellos die Fassung zu verlieren, folgerte ich kühl, während mein Blick unruhig durch die Tiefgarage huschte. Es musste doch irgendeinen Ausweg geben!
„Na los, erschiessen Sie mich doch“, versuchte ich verzweifelt, ihn noch eine Weile auf Trab zu halten, wissend, dass ich gerade eben womöglich mein Todesurteil ausgesprochen hatte. „Oder haben Sie Angst?“, fügte ich hinzu. Es waren die letzten Worte, bevor mich mein Kampfesmut erschreckend schnell wieder verliess. Mein Herz pochte bis zum Zerspringen und ich keuchte, als ich nunmehr hilflos zusah, wie er endgültig erzürnt auf mich zuschritt und mir die Pistole direkt gegen die Stirn presste. Noch eine kleine Bewegung seinerseits, und es war um mich geschehen, sinnierte ich bitter. Ein grässlicher Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus und ein Kloss schnürte meine Kehle zu. Innerlich schon tausend Tode gestorben, nahm ich kaum noch wahr, wie Jonathan meine Hand so fest drückte, dass es wehtat. Sein Keuchen in Todesangst klang mehr und mehr nur noch nach einem fernen Meeresrauschen und mein Blick verschwamm wieder, versank in einer trüben, gräulich verzerrten Welt. Diesmal war ich eindeutig zu weit gegangen, doch ich war zu erschlafft, um mich darüber noch gross zu ärgern. Es war nur noch stille Resignation, die mich durchströmte, als ich in Bills Gesicht blickte. Ich konnte nicht sagen, dass der letzte Anblick in meinem Leben der Schönste war; und überhaupt – ich hatte sowieso nicht viel Schönes in diesen paar Tagen erlebt, wenn überhaupt. Doch sein Gesicht, wie es sich so verzerrt, so voller Wut und Hass vor meinen Augen zeigte, rief dennoch keine Abneigung hervor. Mehr war es Trauer. Tiefe Trauer, letztlich nicht so zu sterben, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich starb, ohne zu wissen, wer ich war. Ohne zu wissen, wie mein richtiger Name war. Ohne zu wissen, wo meine Erinnerungen waren. Vielleicht wunderte ich mich auch deshalb nicht sehr darüber, dass mein Leben nicht wie ein Film an mir vorüber zog. Schlichtweg deswegen, weil ich kein Leben hatte. Ich würde einfach nur von etwas erlöst werden, das sich nicht Leben nannte, sondern Qual, tröstete ich mich in einer letzten Eingebung. Ich schloss die Augen. Spürte das kalte Metall. Spürte den Druck auf meiner Stirn. Spürte Jonathans Hand.
Und dann spürte ich den Schuss...
...wie er an mir vorbeiraste.
Ein Brüllen riss meine Nerven in Stücke. Ich riss die Augen auf, und was sie sahen, erschlug mich mit ungläubigem Verblüffen. Scheinbar ohne Vorwarnung hatte sich John auf Bill gestürzt und ihn am Bein gepackt. Und noch während ich mich wunderte, dass ich nicht tot war, bahnte sich schon die nächste Katastrophe an. Mit einem wütenden Knurren befreite sich Bill aus Johns Griff und schüttelte ihn ab, nur um die Waffe statt auf mich auf ihn zu richten.
Und erneut abzudrücken.
Mein fassungsloser Aufschrei ertönte zeitgleich mit dem ohrenbetäubenden Pistolenschuss. Jonathans Fingernägel gruben sich tief in meinen Arm. Ein Loch in Johns Kopf. In einer zerstreuenden Fontäne dahin gespritztes Blut an der Säule. Fluchen. Dröhnende Ohren. Ausdruckslose Augen. Arme, die dumpf auf dem Boden aufkamen. Finger, die erschlafften. Ein Kopf, der sich zur Seite neigte. Gewissheit. Unbegreifliche, quälende, plötzliche Gewissheit.
John war tot.
Ich war nicht traurig darüber. Nicht, weil ich kein Mitleid mit ihm gehabt hätte. Sondern, weil der Augenblick, in dem ich seinen Tod feststellte, viel zu kurz war, um überhaupt darüber nachzudenken. Um überhaupt etwas zu fühlen. Und doch war es ein Augenblick, den ich lange unbeweglich, schweigend verbrachte. Es hätten tausend Fragen, tausende Wellen des Schmerzes über mich hereinbrechen können, doch...das taten sie nicht. Die Zeit schien still zu stehen, und doch wusste ich ohne Zweifel, dass sie trotzdem verging, während ich ihn vor mir langsam zu Boden sinken sah. Nein, die Zeit konnte nicht still stehen. Und je mehr ich dessen gewahr wurde, desto weniger begreiflich war mir das, was mit mir geschah. Man hätte es vielleicht als eine Art Schockzustand bezeichnen können. Anders liess sich dieses völlige Nichtsdenken, in das ich fiel, nicht erklären. Ich fühlte nichts. Ich dachte nichts. Ich begriff nichts. Die wenigen Sekunden, die mit so unzählig vielen Gedanken, Gefühlen hätten gefüllt sein können, begnügten sich nur mit einer einzigen Tatsache, die mir in rasender Geschwindigkeit immer und immer wieder durch den Kopf schoss.
John war tot.
Eine Tatsache. Einfach so. Ein Ergebnis. Eine Folge. Ein Umstand, der einer war, aber keiner hätte sein sollen. Nicht mehr und nicht weniger, gleichzeitig aber war da auch nicht diese Leere, vor der ich mich so fürchtete.
Ich wusste nicht, ob es Jonathans Schluchzen war, das mich letztlich erwachen liess. Vielleicht war es auch das trockene Lachen von Bill. Auf jeden Fall waren dies die ersten Geräusche, die ich, wie mir schien, endlich wieder von der Umgebung wahrnahm. Das Bild der Situation sprang mir entgegen, zwar verschwommen, aber es war da. Es zeigte Bill, wie er in einer siegessicheren Haltung die Pistole wieder auf mich richtete. Es zeigte Jonathan, wie er eng an mich geschmiegt dastand und mich in letzter Verzweiflung umklammerte, jegliche Hoffnung auf ein gutes Ende verloren. Es zeigte den reglosen Körper von John, unter seinem Kopf eine sich schnell ausbreitende Blutlache.
Es zeigte Johns Pistole.
Sie lag wenige Zentimeter neben seiner erbleichten Hand.
Genial wie immer! Und diesmal komm ich sogar mit ;)
Also ich muss sagen: "Es lief mir kalt den Rücken hinunter", als ich diesen Abschnitt gelesen habe. Das mag zwar abgegriffen klingen, aber es war wirklich so^^
Respekt! Fehler habe ich kein gefunden
(meine Augen!<.<) Ich weiss nicht, ob ich dich für deine Produktivität loben, oder einsperren soll, damit ich mehr Zeit habe, um mir über das Gelesene klar zu werden.
Ich bin völlig fertig. Q.o ^o^

Ansonsten erst mal Respekt.. man findet selten so gut geplante Stories. Deine Art zu Erzählen finde ich super, vor allem, wie du es schaffst, Gedanken deiner Figur und Handlung ineinander über gehen zu lassen.

Die Reaktionen deiner Charaktere sind außerdem meistens authentisch, auch wenn Tina emotional sehr "schwankend" erscheint.

Nur ein paar winzige Anmerkungen, neben dem, was die anderen schon kritisiert haben:

Ich versuchte ihn möglichst zu verdrängen, zumal ich ihn mir nicht erklären konnte, und stierte angestrengt auf die Schuttwand, als könnte ich sie mit meinem Blick zum Einstürzen bringen. Lächerlich, zu hoffen, dass dadurch etwas geschah.

Quappi hat das, was ich meine teilweise schon erwähnt. Deine Figur lässt dem Leser manchmal kaum Möglichkeit, selbst Schlüsse zu ziehen. Hin und wieder ist es schon in Ordnung, andererseits musst du nicht jeden ihrer Gedanken ausformulieren. Wenn du gewisse Gedankengänge weglässt, machst du das Lesen interessanter. Aber 1. ist das vielleicht nur meine Meinung und 2. weiss ich, dass mein Keo das gleiche Problem hat.
Auch so wie es ist, finde ich es sehr gelungen.

Es war fast schon zu etwas Gewöhnlichem geworden, das ich nicht missen wollte, stellte ich mit Beunruhigung fest.
Nur eine Kleinigkeit.. sie muss nicht erwähnen, dass sie es festgestellt hat. ;) Das ist ja der Vorteil der Ego-Perspektive. So verlängerst du meiner Meinung nach nur unnötig die Sätze, vor allem, weil du solche Phrasen relativ häufig benutzt.

In diesem Abschnitt sind für meinen Geschmack zu viele Wiederholungen. Stilmittel hin oder her, zu oft verwendet, verlieren die irgendwie ihren Effekt. Ich finde, du solltest sie gezielter einsetzen.

Wie auch immer.. ich bin auf jeden Fall dabei. ^^
@Naruu: Alles gelesen? Oo XD :P

Naja, auf jeden Fall, ähm...freut mich!^^
Und das mit dem feststellen habe ich auch schon festgestellt^^. Gut, deine Kritik schluck ich jetzt mal einfach so:). Auf jeden Fall danke für die Mühe des Lesens, und deinen Augen wünsche ich gute Besserung.
Und insgeheim hoffe ich ja immer noch auf eine Fortsetzung von Keo^^.
Sorry für den Doppelpost, aber dass Tina emotional schwankt, ist natürlich weniger gut :S
Meinst du damit, dass ihre Reaktionen unglaubwürdig wirken?

O_o übel XD
Meinst du damit, dass ihre Reaktionen unglaubwürdig wirken?

Nicht immer, oder vielmehr... so sind die Helden meistens. Edle Gedanken, und plötzlicher Optimismus. Das passiert im wahren Leben natürlich auch, "Höhenflüge" eben, aber bei ihr sind sie manchmal etwas krass. So seltsam es klingt, man kann sich auf ihre Reaktionen "nicht verlassen". Aufgrund der Umstände ist das manchmal natürlich auch gerechtfertigt und "emotional schwanken" ganz nteressant.

Vielleicht habe ich es dramatischer ausgedrückt als es ist. (Kommt bei mir vor ^^°) :'D Also keine Angst.:P

Was Keo betrifft... von dem wird es hier in nächster Zeit wohl nichts mehr geben, Planänderung. ^^° Aber das heisst ja nicht, dass ich nicht schreibe. ;)
So, ich würde das, was jetzt kommt, mal als einen ersten "Showdown" bezeichnen. Nachher geht es wieder ein bisschen ruhiger zu und her^^

Ohne einen weiteren Augenblick zu verlieren stürzte ich mit einem Aufschrei auf die Pistole zu, packte sie mit beiden Händen und riss sie herum, zielte direkt auf Bill. Das Lächeln auf seinem Gesicht erstarb sofort und er wich überrascht zurück. Seine Hand sank, und er stand mir hilflos gegenüber, bis zu dem Moment, in dem er sich wieder unter Kontrolle hatte. In einer theatralischen Geste breitete er beide Arme aus und ein hämisches Grinsen umspielte seine Mundwinkel.
„Oh nein“, sprach er, „das würden Sie doch nicht tun. Sie würden mich nicht erschiessen.“
„Sie haben John umgebracht!“, rief ich schrill. Mit zitternden Händen zielte ich direkt auf seine Brust.
„Na und?“, traf mich seine Antwort wie ein Schlag ins Gesicht, „er war sowieso schon halb tot.“
Ein kalter Schauer jagte über meinen Rücken, der nichts als blanken Hass mit sich trug. Ein heftiger Atemstoss entwich meinen Lippen und der trockene Gaumen schmerzte. Ich versuchte zu schlucken, doch es gelang mir nicht.
„Weshalb...weshalb haben Sie das getan?“ meine Stimme überschlug sich, ich war halb wahnsinnig vor Verzweiflung. Ohne mir zunächst zu antworten machte Bill einen langsamen Schritt auf mich zu, worauf ich zurückwich.
„Bleiben Sie...wo sie sind!“, presste ich hinter zusammengepressten Zähnen hervor und umschloss die Waffe noch stärker, weniger aus Entschlossenheit als aus der Hoffnung, sich an irgendetwas klammern zu können. Bill schien dies zu bemerken, denn er liess wieder ein spöttisches Lachen erklingen und meinte beschwörend:
„Ich sehe schon. Sie wollen doch nicht mehr Schaden anrichten? Kommen Sie, seien Sie ein gutes Mädchen, legen Sie die Waffe nieder.“
„Weshalb haben Sie das getan?“, wiederholte ich stur und machte keine Anstalten, ihm Folge zu leisten. Erneut lachte Bill, und je länger ich diesem Lachen ausgesetzt war, desto mehr Hass baute sich in mir auf. Es war ein so schreckliches Gefühl, dass ich am liebsten zu Boden gesunken wäre. Hass. Wenn es noch etwas gab, wovor ich mich fürchtete, dann war es mein eigener Hass. Rasender denn je erfüllte er mein Bewusstsein und liess mich erzittern. Mir wurde heiss, und der Schweiss brach aus. Doch ich musste standhalten, und sei es nur Jonathan zuliebe.
„Weshalb?“, fragte Bill langsam zurück und wurde wieder ernst, „mal ehrlich: Haben Sie sich nie überlegt, wie anstrengend es sein kann, sich um einen Menschen zu kümmern? Würden Sie tatsächlich ihr Leben opfern wollen, nur um jemandem zu helfen? Würden Sie alles aufgeben wollen, um jemandem etwas zu schenken? Nein, das würden Sie nicht tun. Genauso erging es mir, verstehen Sie?“ Während er sprach, kam er Schritt für Schritt näher und beäugte die Pistole in meinen Händen. „Ich muss zugeben, ich bin doch ziemlich beeindruckt von Ihnen. Es gibt nicht viele Menschen, die so töricht ihr Leben aufs Spiel setzen. Aber mal ehrlich: Würden Sie wirklich sterben wollen? Sehen Sie es doch ein: Sie würden ihr Leben vergeuden. Für einen Menschen, den Sie nicht einmal richtig kennen.“
„Ich glaube, Sie sind momentan nicht in der Lage, über Leben und Tod zu urteilen“, antwortete ich kühl und umklammerte die Pistole noch mehr, doch Bill fuhr unbeirrt fort:
„Sehen Sie sich ihn doch einmal an“, er warf Jonathan einen abwertenden Blick zu, „hat es wirklich einen Wert, für ihn zu sterben?“
„Ja“, erwiderte ich knapp, „und ich weiss nicht worauf Sie hinaus wollen.“ Bill lachte wieder, doch diesmal klang es eher nach einer Drohgebärde.
„Ich hätte Sie wirklich für klüger gehalten. Es gibt...“
„Worauf wollen Sie hinaus?“, fuhr ich ihn an, obwohl ich ahnte, was er im Schilde führte. Er versuchte mit mir zu spielen, mich einzuschüchtern, mich durch verunsichernde Worte zum Nachgeben zu bringen. Wobei er vielmehr das Gegenteil erreichte.
„Na gut.“ Er verdrehte die Augen und knurrte ärgerlich auf. „Ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen. Sie lassen ihre Waffe sinken und kommen dafür garantiert davon – mit dem Geld.“
„Sie glauben doch nicht wirklich allen Ernstes, dass ich ihr Köfferchen annehmen werde?“, spottete ich und hakte nach: „und was ist mit Jonathan?“
„Jonathan hier, Jonathan da“, höhnte er, „Merken Sie es denn nicht, meine Liebe? Sie klammern sich an einen sinkenden Stein.“
„Immer noch besser, als sich an einen Haufen wertloser Scheine zu klammern“, schlug ich zurück und beobachtete, wie sich sein Gesicht zu einer Grimasse verzerrte. Ich sah den richtigen Zeitpunkt gekommen und atmete noch einmal tief durch.
„Und nun verschwinden Sie“, drohte ich wütend. Schon wollte er erneut den Mund öffnen, wohl um irgendeine spöttische Bemerkung fallen zu lassen, doch ich liess ihm keine Zeit dazu. „Sie haben mich gehört. Verschwinden Sie. Und nehmen Sie ihr Geld mit.“
Zu meinem Erstaunen schien Bill meiner Aufforderung tatsächlich nachkommen zu wollen. Resigniert liess er die Schultern hängen, seufzte tief und wandte sich ab. Erleichtert atmete ich auf, drückte Jonathans Hand und warf einen Blick in sein Gesicht. Es war noch bleicher geworden und er zitterte am ganzen Körper. Als ich besorgt in seine Augen schaute, sah ich darin verblüfft so etwas wie...Bewunderung widerspiegeln. Irritiert blinzelte ich, doch dieser Ausdruck...er war immer noch da. Am liebsten hätte ich unsicher aufgelacht. Alles hätte Jonathan in diesem Moment für mich empfinden sollen, nur nicht Bewunderung. Nervös wandte ich mich wieder Bill zu und sah ihm argwöhnisch nach. Er hatte uns inzwischen vollständig den Rücken zugewandt und sich bereits einige Schritte von uns entfernt. Ich zwang mich, noch einmal tief durchzuatmen. Dies war wohl das erste Mal, dass ich wirklich das Gefühl hatte, eine Sache überstanden zu haben.
Urplötzlich drehte sich Bill um und raste brüllend auf mich zu.
Ehe ich noch einen klaren Gedanken fassen konnte, war es bereits geschehen. Mit einem Aufschrei drückte ich den Abzug.
Der Schuss traf ihn mitten in der Brust.
Er schrie nicht. Er stöhnte nicht. Er sackte einfach nur zu Boden und blieb regungslos liegen.
Er war tot – und ich hatte ihn erschossen.
Ich heulte auf. Die Pistole fiel mir aus der Hand, schlug knallend auf dem Boden auf und schwand aus meinem verschwimmenden Blickfeld. Schwindel ergriff mich und ich fasste mir qualvoll stöhnend an den Kopf, fiel auf die Knie. Meine Kniescheibe durchfuhr Schmerz, doch ich spürte ihn nicht mehr. Ich konnte nicht mehr atmen, stiess leere Luft aus, die wehtat und mich beinahe ersticken liess. Für einen schrecklichen Moment war ich mir sicher, dass mein Herz einfach aufhören würde, zu schlagen. Doch es schlug weiter. Und mit jedem Schlag versetzte es mir einen Messerstich in die Brust hinein. Meine Augen waren offen, weit aufgerissen, doch ich sah nicht. Ich sah nicht, wie Bill tot vor meinen Knien lag. Ich sah den blutüberströmten Boden nicht. Die Decke, das grelle Licht, die Wände, alles verschmolz zu einem einzigen, tiefen, blind machenden Schwarz. Mein Magen rebellierte und ich drohte mich endgültig zu übergeben. Ich wusste nicht einmal mehr, ob ich stand, lag oder hockte, obwohl ich die Kälte unter meinen Knien spürte. Beinahe hätte ich vergessen, wo ich war, sah nur das Schwarz, wie es allmählich von wabernden Wolken aus purer Kälte durchbrochen wurde, die mich einhüllten. Jetzt war sie überall, an meinem ganzen Körper, und sie liess mich endgültig jedes Gefühl verlieren. Gedanken? Ich wusste nicht, ob ich dachte. Alles, was blieb, war der Schmerz, wie er stetig zunahm und alles verdrängte, als gäbe es nichts anderes mehr in dieser Welt.
In dieser Welt, in der kein Platz mehr für Nächstenliebe und Mitleid war.
Ich hatte ihn erschossen. Mörderin. Tot. Schmerz. Gefühllos. Leere. Nichts. Albtraum. Wahr geworden.
Vielleicht liessen mich meine eigenen Tränen, die die Wange hinab liefen, deshalb in die Realität zurückkehren, weil sie warm waren. Nein. Sie waren heiss. Heisse Tränen. Verbrennt mich. Auf einmal war alles wieder da. Bills Leiche, die Garage, das Licht, der Boden und der körperliche Schmerz, der mit dem inneren Schmerz um seine Gunst balzte. Am ganzen Körper geschüttelt schaffte ich es schliesslich irgendwie, aufzustehen. Meine Fussknöchel wollten jeden Moment zersplittern. Ausdruckslos wanderte mein Blick zur geöffneten Handfläche. Der Handschuh war voller Schmutz und verklebtem Blut, das wie eine weitere Haut an mir haftete. Es war hässlich. Ich hasste es. Wollte es abstreifen, hatte keine Kraft dazu. Es war unmöglich, mich jetzt noch reinzuwaschen. Erneut strich ich mir durch das Haar, fuhr mit Krallen hindurch, die über die Kopfhaut kratzten. Weshalb ich das tat, wusste ich selbst nicht. Vielleicht wollte ich ja selbst sterben. Vielleicht war ich schon tot. Vielleicht hatte ich einen Teil von mir selbst getötet und verlangte wie eine gierige Schlange nach mehr, um meine Mordlust zu stillen.
Ohne, dass es mir recht bewusst geworden war, hatte ich mich einige Schritte auf das Garagentor zu bewegt. Es war immer noch offen, der Regen strömte herein. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, so, als wäre er ein alter, langjähriger Freund, den ich endlich wieder einmal traf. Ich trat hinaus, das Wasser traf mich mit voller Wucht ins Gesicht und peitschte in meine Augen. Es durchnässte die Haare, die Kleidung, die Handschuhe. Doch das Blut klebte immer noch daran, es hatte sich tief in die Wolle gesogen und prangte mir entgegen wie ein schreckliches Mahnmal. Mit jedem Schritt, den ich weiter die Auffahrt hinauf tätigte, bewegte ich mich ein Stück weiter gen Abgrund hinab. Wie töricht ich doch im Glauben gewesen war, das schlimmste, was mir passieren könnte, sei der Tod. Nein, es war nicht der Tod, der mich erwartete; es war etwas viel Schlimmeres. Ich wünschte gar, nur dem Tod in die Arme springen zu können...als wäre er etwas Barmherziges, das mich von weiteren Qualen erlösen würde. Seltsam...das Begehren, welches ich bis anhin verspürt hatte, hatte sich vollkommen in Luft aufgelöst. Es war mir nun egal, wie ich starb. Ob unwissend oder wissend, es war mir vollkommen egal. Wie viel Zeit blieb mir noch? Ich brachte es nicht fertig, darüber nachzudenken. Die Trauer hüllte mich ein und liess mir keinen Platz für weitere Gedanken. Bäume wogten im orkanartigen Wind. Verrostete Autos standen auf Parkplätzen vor Gärten, die allmählich zu verwildern begannen. Plätschernde, schmutzige Pfützen auf den Strassen. Eine Allee, gesäumt von Buchen, die ihre Kronen dunkel zur Seite neigten, streckte sich in die Ferne. Knorrige Äste, die überall verteilt lagen. Auch hier war keine Menschenseele zu sehen. Gut so, ich mochte es, wenn es so kalt und unwirtlich war. Ich mochte den Regen.
Und deshalb weinte ich.
Zunächst nahm ich gar nicht wahr, wie Jonathan vorsichtig seine Hand auf meine Schulter legte. Erst, als er seine Stimme zittrig erhob, wurde mir bewusst, dass er überhaupt noch da war.
„Danke“, murmelte er, fast schon beschämt.
Ich wirbelte herum und wollte ihn anbrüllen, anschreien, er solle verschwinden, doch als ich in sein Gesicht sah, da wusste ich, dass er dem niemals nachkommen würde. Er würde nicht loslassen wollen...genauso wie ich. Niemals.
Und da...da war es das erste Mal, dass wir uns umarmten.
Aufschluchzend vor unerträglichem Schmerz schlang ich die Arme um seinen Hals und schmiegte meine Wange an seine. Meine Tränen berührten ihn und seine kalte Haut berührte mich. Und doch spürte ich ihn, diesen Hauch von Wärme, an den ich mich so verzweifelt zu klammern versuchte. Völlig überrumpelt liess er mich über sich ergehen und drückte dann nach einer geraumen Weile in einer schwachen Erwiderung meine Schulter noch fester.
„Tina...weshalb...“, hauchte er, doch ich brachte ihn mit einem abgehakten Kopfschütteln zum Schweigen. Es war eine letzte, verzweifelte Geste, bevor mir alles entglitt. Es regnete immer noch in Strömen, doch die Wolken schienen ihrer Dunkelheit beraubt.
Denn sie war nun in mir.
Sehr schön geschrieben. Und ich hab sonst keine Kritik. ;)
Kompliment! Du hast wirlich experimentiert und es bleibt flüssig wie eh und je.
Ersteinmal muss ich aber zwei kritische Dinge anmerken:

Du hast "gen" statt "gegen" benutzt. Das ist wie "hernieder" und "nieder", mit solchen Wörter, kann man die Sprache schon um einiges "moderner" gestalten. Falls ich weitere entdecke, werde ich sie dir sagen, denn so ist es einfach die betreffenden Worte "aufzupolieren".

Der andere Kritikpunkt betrifft etwas, das du mir nur über Chat mitgeteilt hast, deshalb bin ich mir auch ein bisschen unsicher, das hier gleich öffentlich so aufzubauschen... Du hast versucht die Mauer in Tinas Psyche so aufzubauen, dass sie langsam immer gefühlloser wird. Gerade bei diesem Abschnitt kann man nichts davon erkennen. Er ist eigentlich der emotionalste aller Abschnitte, denke ich.

Der Teil mit Tinas sofortiger Schuldbewältigung finde ich aber sehr toll. Es gibt einige Dinge, die sind vielleicht etwas zu simpel und zu dramatisch, aber im Grossen und Ganzen war es gut. Vorallem gegen Ende hat das zugenommen.

Gut so, ich mochte es, wenn es so kalt und unwirtlich war. Ich mochte den Regen.
Und deshalb weinte ich.


Klar, jeder hat seinen eigenen Geschmack. Für meinen allerdings hast du genau mit einem solchen Satz das "Rad neu erfunden" Smiley
wow... das war wirklich gewaltig. Wortgewaltig vor allem. Und dass sie geschossen hat, war wirklich gut^^. Das hat einen ihr näher gebracht, genauso, wie sie versucht hat, ihren Hass zu bezähmen- wirklich gelungen. Vielleicht fällt mir später noch ein wenig Kritik ein ;) aber im moment muss ich den Teil erst einmal verdauen^^
@ira: Danke für das Lob^^

@Kualquappe: Der Regen peitschte gen Boden hernieder :P

Also, mit Tinas Psyche ist es so...ich habe tatsächlich bemerkt, wie sie in ihrem Denken einen Fehler begeht. Mal schauen, machen wir eine Exposition^^.
Also, gegeben ist erst einmal der Fakt, dass Tina sich emotional zu der Menschenmasse in der Garage tatsächlich nicht hingezogen fühlt. (Oder vllt. habe ich doch noch einen verdächtigen Satz, den würde ich aber herauslöschen). Mehr noch, sie verachtet die Leute. Für sie sind sie nichts weiter als irgendwelchen fernen "Nebelschwaden" (das steht irgendwo...).
Das ist erst einmal die 1. Tatsache. Daraus lässt sich so etwas wie "Kälte" schliessen.
Und nun zur 2. Begebenheit: Sie hat einen Mord begangen^^. Und jemandem auf dem Gewissen zu haben, bedeutet für sie ebendiese "Kälte", dieses "Herzlose", wenn man so sagen will. Sie fühlt sich davon bedroht.

ABER, und hier kommt ihr Denkfehler, setzt sie diese Anzeichen der "Kälte" mit dem Zustand "Gefühllosigkeit" gleich. Und wir alle wissen wohl, was darunter vorzustellen ist. Gefühllos ist jemand...sagen wir mal, so wie der einsame Cowboy oder Gefängnisinsasse. Wir verstehen unter "Gefühllosigkeit" eine völlige "Abstumpfung". Ein Gefühlloser fühlt keine Liebe, keine Zuneigung, aber auch keine negativen Gefühle wie Hass und Trauer ->und ebendiese Gefühle besitzt sie ja noch. Das heisst, sie interpretiert zu viel in ihre Gefühle hinein. Wenn man mal kein Mitleid für jemanden empfindet, ist man noch lange nicht gefühllos. Die "Mauer" ist demnach, wie sagt man so schön, ein reines Hirngespinst ihrerseits.

Jetzt fragt man sich, ob das plausibel ist. Ich meine, der Leser wird durch ihre Sicht ja eigentlich "angelogen". Und eben das ist das Kritische. Darf Tina die Leser anlügen?
Und ich will dazu nichts definitiv sagen, aber irgendwo habe ich glaub mal gelesen (lol), dass das in der Ich-Perspektive möglich sei. Aber auch nur in der Ich-Perspektive.
Ich persönlich möchte mich da einmal heraushalten, ein Urteil müssen ja die Leser bilden. Fakt ist, dass es rein theoretisch möglich ist. Aber ob es auch gut ist? Weiss nicht :P

Sonst auch danke für das Lob:)
Nach meinem Gefühl ist die Ego ein wenig anders... du musst daran denken, dass Tina ihre Geschichte nicht irgendwem erzählt, sondern sich selbst vor Augen hält. Würde sie zurückblicken wäre das etwas anderes, aber Tina durchlebt die Story, wie du sie beschreibst, ja noch.
Also wenn Tina die Leser belügt, belügt sich im Grunde nur sich.(klingt sogar für mich logisch xD) Eigentlich kann ein Erzähler, ob Ego- oder Personal- nur Dinge verschweigen, in deinem Fall eben falsch interpretieren, aber nicht Dinge bewusst verändern.
Na, wenn du meinst...:)
Ich hoffe einfach, dass diese charakterlichen Verwirrungen nicht problematisch sind XD. Sonst habe ich selbst ein ziemliches Problem^^.
Also ich finde das nicht halb so dramatisch... xD
Das heisst, sie interpretiert zu viel in ihre Gefühle hinein.

Gut, naja, gut. Jetzt bin ich ein bisschen verwirrt.
Wenn sie sich bedroht fühlt, von Gefühllosigkeit, dann sollte der Leser auch etwas davon mitbekommen. Du musst nicht sagen "Ich fürchtete die Mauer, die sich in mir aufbaute", es ist eine Möglichkeit, aber die Hauptsache ist, der Leser kann Tina nachvollziehen.

Diese Hypothese eröffnet die Perspektive, dass Tina sich selber bzw. den Leser belügen könnte. Wenn es denn für den Leser nachvollziehbar bleibt. Der Leser muss Tina verstehen, wenn er ihre Wandlung verfolgen soll. Ich frage mich deshalb, ob ein Belügen nicht zu stark abschreckend ist für den Leser.

Womit wir eigentlich etwas abstrahiert wieder bei der Frage landen: Wie mache ich meine Figur authentisch, wie lasse ich den Leser die Figur leben.
Ich glaube, im Moment kann ich die Frage nicht beantworten, ich werde mich aber damit auseinandersetzen.

Nun ja, frei nach Jemand, der Ahnung hat:
Rock on.
Du bist immer ein bisschen verwirrt. ;D

Und ich auch, weil ich dachte, er/Tina hat seine/ihre Sache bisher gut gemacht.

Wenn ich noch mal überlege, verstehe ich nicht mal mehr das Problem. Warum sollte Tina überhaupt lügen? :'D Du redest dir doch selbst auch nicht ein, dass der Himmel rot ist.
Sie irrt sich eben. Was du beschreibst ist ein Irrtum. Ist doch ganz einfach.
Doch du redest es dir ein. Denn vermutlich hast du irgendwann schonmal den Himmel gesehen?

Und selbst bei Irrtümern muss es der Leser nachvollziehen können.
Das ist ein "Problem", finde ich -.-
Ja und grade weil ich schon mal in den Himmel gesehen habe, wäre es seltsam, so offensichtliche Dinge zu vertuschen. Möglich, dass ich es nicht wahrhaben will, aber dann beschreib ich doch auch diesen Umstand.
Du musst dir einfach klar machen, wie viel wir bisjetzt an Tinas Gedanken teilhaben durften. Und man kann ihr geradewegs in den Kopf gucken. Wenn Tina lügen will, müssten wir das ja mitbekommen. Und wären folglich darauf gefasst. Das heisst, sie kann gar nicht lügen, oder vielmehr, die Begebenheiten verschweigen. Ihr sprecht von Verdrängen, means, Tina weiss es selbst nicht besser, oder wüsste es, will es aber nicht wahrhaben. Das ist ein Unterschied und gehört für mich nicht mehr in den Bereich "Lüge".
*lufthol*

-Ich schlage vor, du machst erstmal weiter, wie du es für richtig hälst, ich kann so nicht viel dazu sagen, höchstens eingreifen, wenn etwas unstimmig ist. Das ist zwar anstrengend, aber ich glaube, dass es das einzige ist, was du machen kannst. Aber ich bin mir sowieso sicher, dass du das Problem überwindest.

Dieser Beitrag wurde übrigens an die tausend Mal editiert, also nicht wundern. v,v
Öh...ja...ich schreibe dann mal weiter.
Bin jetzt aber ehrlich gesagt voll verwirrt. Jeder sagt etwas anderes usw. XD
Und manchmal kann ich Tina selbst nicht nachvollziehen, dann erscheint es mir wieder vollkommen logisch XD.
*confused*
Naja, ich wedrde dann voraussichtlich nächste Woche wieder etwas bringen.
Wenn ich dir einen Tipp geben kann: Ich finde meins logisch - also hör auf Quappe. xD
Nein, nein, es ist ja nicht so falsch. Also "nicht wahrhaben" wäre eindeutig besser formuliert...

Allerdings glaube ich, das spielt gar keine grosse Rolle. Geht es jetzt nicht darum, dass Tina einfach in einem Apekt ein ganz klein wenig unglaubwürdig wirkt? X_x
Sehen wir ja, wenn er schreibt. Oo
Höh XD

Also, ich habe mir die Sache noch einmal genau durch den Kopf gehen lassen und ich denke jetzt, das Bild der Mauer ist einfach ein leicht falscher...Metapher sozusagen. Beispielsweise machte sich Tina auch über die Mauer Gedanken, als sie diesen Zornesausbruch hatte, als sie das erste Mal auf Bill traf. Konkret:

Ein Gefühl, schrecklich wie die Angst, ereilte meinen Körper erneut. Etwas, das zerschellte...zerschellte an der Mauer.

Und kurz daraufhin:

„Ach, es tut mir ja so Leid, Jonathan! Ich...ich...habe einfach die Beherrschung verloren! Ich hätte...ihn nicht so angreifen dürfen...Entschuldigung.“

Sie verlor also nur die Beherrschung über ihre Gefühle (Wutausbruch), nicht ihre Gefühle selbst. Und deshalb ist die Mauer ja paradox, denn sie symbolisiert ja eine "Verschliessung" vor ihrer Gefühlswelt.
Und dass sie sich dieses Paradoxe fest vormacht, ist es tatsächlich ein wenig...seltsam XD. Ich meine, so wie der obige Satz dort steht, ist sie völlig Überzeugt davon, dass es diese Mauer in ihr gibt. Und deshalb ist es vielleicht eben doch unglaubwürdig. Denn hallo, wer würde schon so blöd sein, daran zu denken, dass man alle Gefühle verliert, wenn man gerade einen Wutausbruch hatte?^^
Ihre Sensibilität verliert sie (wenn überhaupt), nicht ihre Gefühle.

Jetzt gibt es nur noch ein einziges Problem: ich habe keine Ahnung, wie ich das ausbessern soll:(

PS: und irgendwie habe ich mir im Vergleich zu meinen letzten Posts widersprochen XD

PPS: Ja, ja, ich poste dann schon noch weiter...*verwirrt grummel*
Na, was habe ich gesagt?^^ (Übler Doppelpost, ich weiss...)
Naja, hier habt ihr auf jeden Fall wieder etwas (wie immer Unüberarbeitetes) zum streiten, und das sogar früher als angenommen:

Es war ein seltsames Gefühl. Ich fragte mich, ob das, was ich in jenem Moment verspürte, so etwas wie Glück war, und konnte die Frage einfach nicht beantworten. Zumindest nicht auf Anhieb. Allmählich erkannte ich, dass ich nicht glücklich war. Ich konnte unmöglich glücklich sein. Das war einfach nicht möglich, einfach unsinnig. Und trotzdem dachte ich darüber nach. Trotzdem nahm ich das Wort Glück in meine Gedanken auf, jonglierte damit emotionslos wie mit einer Glaskugel, die jeden Moment zu Boden fallen und zerbrechen konnte. Und allmählich begann ich mich zu fragen, wieso ich überhaupt auf die Idee kam, darüber nachzudenken. Ja, was wollte ich damit bezwecken? Was hatte es für einen Sinn, über etwas zu sinnieren, von dem man nicht einmal recht wusste, wie es sich anfühlte? Es war, als sähe ich diese unendliche Schwärze in mir, die alles verschluckte, direkt vor meinen Augen. Ich spürte die Tränen, die über meine Wangen flossen, doch nicht einmal mehr sie berührten mich wirklich, verkamen zu einem simplen...Ausstoss von Körperflüssigkeit ohne jegliche Bedeutung. Ich war so in diesen unwirklichen Zustand versunken, dass ich mir auch nicht die Mühe machte, mich über diesen obskuren Gedanken zu ärgern. Was hatte es schon für einen Sinn, sich zu ärgern? Was hatte es schon für einen Sinn, überhaupt Gefühle zu haben? Waren es denn nicht letztlich Gefühle gewesen, die so viel Leid, Schmerz über mich gebracht hatten? Waren es denn nicht letztlich Gefühle gewesen, menschliche Gier und Hass, die all dieses Unglück verursacht hatten? Ja...wieso war ich nicht schon früher auf diese Überlegung gekommen? Allein schon der Gedanke war schrecklich, doch...waren Gefühle denn nicht...falsch? Mein eigener, irrsinniger Gedankengang liess mich zusammenzucken. Was für eine Schande es gewesen wäre, hätte Jonathan erfahren, was in diesem Moment in mir vorging. Was hatte das Ganze eben für einen Zweck verfolgt? Ja...nichts weiter als eine ekelhafte Rechtfertigung gegenüber dem mordlustigen Biest in mir. Mit jedem Herzschlag schien es mir, als hämmerte es mit aller Gewalt gegen meine Brust, als wollte es erneut aus mir ausbrechen. Es würde damit nie aufhören. Es würde nie mehr schlummern. Es würde immer weitermachen, nur um einen Moment der Unachtsamkeit gnadenlos auszunutzen und sich mir erneut zu bemächtigen. Und tief in mir wusste ich, dass ich bereits das Biest selbst war. Ich, Tina, hatte die Kontrolle verloren und sie gleichzeitig jemandem übergeben, welche nicht mehr die war, für die ich mich hielt. Die neue Tina war bereit zu töten. Und ich wusste genau, dass ich es wieder tun würde. Und dabei würde ich nichts empfinden. Nichts. Ich war zu dem geworden, wovor ich mich die ganze Zeit über gefürchtet hatte.
Auf einmal spürte ich, wie Jonathans Griff schwächer wurde. Besorgt legte ich ihm die Hand auf die Stirn und hätte sie beinahe mit einem Aufschrei zurückgezogen. Sie war brandheiss!
Ich sog die Luft ein, als er noch einige letzte, stöhnende Laute von sich gab und auf der Stelle zusammenbrach. Er wäre hart auf dem Boden aufgeschlagen, hätte ich ihn nicht instinktiv noch heftiger umschlungen. Langsam liess ich ihn zu Boden gleiten, fiel selbst auf die Knie und legte ihn vorsichtig in meine Arme.
„Jonathan“, flüsterte ich so schwach, dass meine Stimme vom Regen verschluckt wurde, während zunehmend Beunruhigung in mir aufkeimte. Es musste das Virus sein.
„Jonathan“, sagte ich, diesmal lauter, aber zugleich verzweifelter. Was, wenn er unter meinen Händen wegstarb? Nein, unmöglich, so weit durfte es nicht kommen, flehte ich innerlich. Er durfte nicht sterben, jetzt, da ich ihn so sehr brauchte! In krampfhafter Bemühung versuchte ich, meinen Atem irgendwie unter Kontrolle zu halten, als ich ihn sanft schüttelte. Wieso antwortete er mir nicht? Panik begann sich in mir breitzumachen. Antworte, bettelte ich, antworte schon!
Doch er antwortete nicht. Seine Augen waren geschlossen, er musste bewusstlos geworden sein. Zumindest meiner strapazierten, bis zum Zerreissen gespannter Auffassung nach. Nicht der kleinste Hauch mehr wich von seinen Lippen. Keine Regung im Gesicht.
„Jonathan!“, schrie ich alarmiert, als mich plötzlich ein greller Lichtschein blendete. Ich wandte den Kopf und starrte direkt in ein Paar kreisrunder Lampen, die Kegel über den Boden warfen. Ein Brummen war zu hören, die Regentropfen wurden im Licht wie Schnee sichtbar, und das lange, dunkle Gebilde meines eigenen Schattens warf sich die Auffahrt hinab, bis in die Tiefgarage hinein. Scheibenwischer vor überströmter Scheibe, Trommeln auf Metall, eine Handbremse, die hörbar gezogen wurde. Stille. Bis jemand das Autofenster hinunterkurbelte, den Kopf in den Regen streckte und rief:
„Tina? Bist du das? Mein Gott, schnell, kommt ins Auto!“
Ohne irgendeinen weiteren Gedanken zu verschwenden stand ich auf und versuchte mühselig, Jonathan aufzurichten, was mir nicht gelang. Ich packte ihn an beiden Armen und zerrte ihn hoch, doch er entglitt mir immer wieder. Ein erstickter Laut entwich mir, es war vielleicht ein Schluchzen, da wurde die Autotür aufgerissen und Lynn sprang aus dem Wagen, um mir zu Hilfe zu eilen. Es bereitete mir beinahe körperlichen Schmerz, ihr gegenüber zu stehen. Ihr Ehemann war durch meine Hand...
„Komm schnell, wir müssen ihn ins Auto schaffen. Wer weiss, ob diese elenden Kerle noch hier sind.“
„Lynn, ich...“
„Zeit für Plaudereien haben wir später. Los, hilf mir!“
Ehe ich noch irgendetwas erwidern konnte, hatte sie Jonathan bereits an den Beinen gepackt und war daran, ihn hochzuheben. Obwohl ich am ganzen Körper bebte und mich zwingen musste, ihren fordernden Blick nicht mit fassungslos weit aufgerissenen Augen zu erwidern, tat ich wie geheissen und packte ihn an den Armen. Gemeinsam schafften wir es, ihn auf den Rücksitz zu legen, bevor mich Lynn sanft drängend zur Beifahrertür bugsierte.
„Steig ein“, meinte sie, und wiederum fehlten mir jegliche Worte, die ich ihr entgegenbringen konnte. Mit einem rastlosen Aufstöhnen liess ich mich auf den Sitz fallen und lauschte, in der Unfähigkeit, irgendetwas anderes tun zu können, dem abrupt endenden Geräusch des Regens, als sie die Wagentür mit einem lauten Knall zuschlug. Die Geräuschlosigkeit, die darauf folgte, war nur von kurzer Dauer, dennoch kam sie mir vor wie eine alles lähmende Ewigkeit, die mich endgültig um den Verstand zu bringen drohte. Ich zitterte am ganzen Leib. Meine eigenen, nassen Haarsträhnen verursachten eine Kälte im Nacken, die mich zusammenkrümmen liess. Meine Hand hatte, wie es schien, selbstständig am Griff der Fensterkurbel Halt gefunden, und die andere tief vergraben im Sitzpolster, das unter meinen Fingern zu zerreissen drohte. Der Schatten von Lynn, der um das Auto streifte wie derjenige eines Ungeheuers, um zur Fahrertür zu gelangen, bereitete mir mehr Angst, als dies Bill jemals erreicht hätte. Instinktiv drängte ich mich noch mehr gegen die Tür auf meiner Seite, als sie ebenfalls einstieg, presste meine Schulter regelrecht gegen die kalte Scheibe und drehte meinen Kopf ruckartig Richtung Aussenwelt. Sie bot ein so trostloses Bild, dass mich allein schon bei deren Anblick ein Trauerschwall hätte überkommen können – doch das einzige, was ich verspürte, war blanke Furcht. Lynns Stimme schlug wie eine Keule auf mein Gewissen ein.
„Tut mir Leid, Tina. Ich hätte es dir sagen müssen. Wie seid ihr dem Abtransport entkommen? Habt ihr meinen Mann gesehen?“
Ich antwortete nicht, sondern konzentrierte mich krampfhaft auf das Wasser einer kleinen Pfütze, das tausende kleine Wellen schlug.
Nach einer Weile des so vergangenen Schweigens fuhr sie fort:
„Wie auch immer. Ihr seid wohl die einzigen, die nicht abgeschleppt worden sind. Gott sei dank! Ich fürchtete schon, niemanden mehr vorzufinden. Nun ja, ich habe da all diese Lastwagen gesehen, diesen Lärm gehört, und...da bekam ich ein schlechtes Gewissen. Schon als sie mir in entgegen gesetzter Richtung entgegen fuhren, wusste ich, was ihr Ziel war.“
Ich konnte Lynns Blick nicht sehen. Ich konnte nur spüren, wie sie ihn mir zuwarf.
„Ich kann es immer noch nicht fassen“, meinte sie weiter, „er hat es wirklich getan! Hat all die Menschen wie Vieh behandeln lassen, für Geld. Für Geld! Und dabei hat er mir die ganze Zeit über beteuert, dass er sie aus Mitleid aufnimmt. Ha, und ich habe ihm das auch noch abgekauft! Nun, zumindest, bis ich seine E-Mails gelesen habe. Ja, da hat sich weibliche Neugier wieder einmal bezahlt gemacht. Wie hätte ich je ahnen können, dass er mit diesen GFL-Typen hinter meinem Rücken Geschäfte treibt? Ach, hätte ich es doch nur früher erkannt, dann wäre es nie so weit gekommen! Was habe ich aber getan? Bin weggerannt und habe euch im Stich gelassen. Ich könnte mich schlagen dafür!“ Sie trommelte erregt auf das Lenkrad. „Verdammt, jetzt aber kann dieses Drecksschwein ohne mich klarkommen. Die liebe Lynn ist jetzt nicht mehr da und kocht für ihn Süppchen!“ Da liess sie ein bitteres Lachen erklingen, das mich bis in die Knochen erschaudern liess. „Ich frage mich, wie viel Geld er wohl dafür einkassiert hat, dass er den albernen Schutzmasken die Arbeit abgenommen hat. Ja, weshalb alle Leute mühselig zusammenlesen, wenn einer diese Drecksarbeit erledigt? So braucht man sie nur noch einzuladen, und hopp! Sie in ach so gütiger Geste mit dem Gegenmittel vollzupumpen, und voilà, da haben wir ein weiteres hübsches Sümmchen, das früher oder später bezahlt werden muss. Haha, unglaublich...man hätte meinen können, diese Katastrophe löse eine gewisse menschliche Solidarität, gewisses Verständnis füreinander aus. Wäre ja logisch, nicht? Aber was passiert stattdessen? Es dreht sich nach wie vor alles ums Geld. Und das sogar noch schlimmer wie bisher. Männer, sag ich da nur...“
Mitten in ihrem grimmigen, ironischen Redeschwall hielt sie inne und fragte dann plötzlich:
„Geht es dir gut, Tina?“
Ich wusste im Nachhinein selbst nicht, wie ich es nur geschafft hatte, in jenem Moment ein „Ja“ aus mir zu pressen. So dünn es auch klang, es schien Lynn zu meiner Erleichterung zu genügen, wie ich aus ihrem Schweigen schloss. In einer gequälten Bewegung warf ich ihr einen raschen Blick zu und war froh, als sie ihn nicht erwiderte, sondern ihre Aufmerksamkeit wieder der Strasse schenkte. Da warf sie auf einmal die Hände in die Höhe.
„Hey! das ist doch...“
Ich fuhr zusammen, als würde sie mit dem Messer auf mich losgehen. Ein gedämpftes Winseln erklang.
„Tina, mach mal bitte mal die Beifahrertür auf.“
Ich tat völlig irritiert wie geheissen und schrie erschrocken auf, als mir ein nasses, fellbedecktes Etwas vor die Füsse sprang. Freudig tätschelte Lynn den Kopf des Hundes. „Ich habe schon gedacht, ich sehe dich nie wieder!“ Sie nickte mir beiläufig zu und ich schloss die Tür wieder, während ich versuchte, zumindest den Anschein zu erwecken, als sei ich entspannt. Mein Rücken näherte sich wieder dem Sitz, als wäre er ein Nagelbrett. Ein Blick in den Rückspiegel verriet, dass sich Jonathan immer noch nicht rührte.
Der Motor heulte auf, ein Ruck ging durch das Fahrzeug und wir setzten uns in Bewegung.
Und die morschen Äste streckten ihre Klauenfinger nach uns aus.
Hui des Rätsels Lösung kommt langsam aber sicher immer näher... wie dumm dass meine eines Auge grade unscharf sieht *grrr*
Jetzt bin ich noch gespannter auf die Fortsetzung!
Hurra, 150:) (und irgendwie kommts mir so vor, als hätte ich erst gestern 100 geschrieben XD)

Kapitel 8 – Enthüllungen


Der Regen erschöpfte sich langsam, aber sicher gänzlich.
Sterne glimmten auf und der Mond trat hinter den schweren Wolkenfetzen hervor. Das Trommeln hörte auf, zu hören war nur noch das Brummen des Motors, manchmal ein Husten, dann ein Räusper. Eine einfache, aus Holz gefertigte Kette hing vom Rückspiegel, die in unregelmässigen Abständen gegen die Frontscheibe klopfte. Die Sitze knarrten bei der kleinsten Bewegung, der Hund gab ab und zu ein Wimmern von sich. Meine Zehenspitzen berührten sein weiches Fell, und der kleine Teppich, der unter meinen Sohlen lag, rutschte hin und her. Stützmöglichkeiten an der Wagentür gab es keine, mein Arm suchte Schutz an meinem eigenen Körper. Der längliche Knopf, der zur Verriegelung der Tür diente, war niedergedrückt. Die Scheibe, an die ich meinen Kopf zu legen versuchte, zitterte unentwegt. Lynns Hände schlossen sich fest um das schlichte, schwarze Lenkrad. Hinter der Gangschaltung befand sich eine offene Box, in der wild zerstreute CDs neben zusammengeknüllten Papiertaschentüchern lagen. Die Zeiger auf dem beleuchteten Armaturenbrett, das die einzige Lichtquelle darstellte, verharrten in stoisch anmutender Ruhe. Das Geräusch des wehenden Windes ging im Brummen des Motors unter, doch waren die Bäume zu sehen, wie sie ihre Blätter wogen liessen. Der Lichtkegel, der vor uns über den nassen Asphalt flitzte, wurde nach wenigen Metern von der Dunkelheit verschluckt. Häuser und Gärten rauschten in Schemen an uns vorbei. Manchmal ging ein Ruck durch das Fahrzeug und das Geräusch einer aufspritzenden Pfütze ertönte. Verkehr gab es nicht, wir fuhren vollkommen allein durch die Nacht. Im Auto war es kühl, und doch war mir, als atmete ich abgestandene, stickige Luft. Die Kurbel für die Scheibe an meiner Seite klemmte. Die Scheibenwischer kratzten immer noch im Gleichtakt hin und her und wischten die letzten, herab perlenden Regentropfen weg, als wollten sie so Stück für Stück zu mir hinein dringen.
Warum hatte John mir geholfen?

Wieder derselbe, grellweisse Farbton im Licht. Hörte das denn nie auf? Mehr und mehr verabscheute ich die Kälte dieser Deckenbeleuchtung, die sich über die ganze Länge des Ganges erstreckte, an dessen Ende ich stand. Der Boden – natürlich aus Kunststoff – grinste mir hässlich entgegen, wie ein alter, unliebsamer Bekannter. Am anderen Ende der leeren, krankenhausähnlichen Räumlichkeit befand sich eine breite, aus zwei Flügeln bestehende Tür, auf dem auf grünem Grund ein weisses „B“ prangte. Damit beschäftigt, meinen Atem zu beruhigen, tastete ich äugend die Wände ab. An der linken unterbrach nach wenigen Metern eine Tür die betonierte Fläche, die grau so nahtlos darin eingefügt war, dass ich sie beinahe übersehen hätte. Sie führte wohl in den Verhörraum, folgerte ich schaudernd und schlang die Arme um meine Schultern. Direkt gegenüber, auf der rechten Seite, kamen meine hektisch huschenden Augen auf einer weiteren Tür zu ruhen. Auch sie war breit und schien ungewöhnlich massiv zu sein. Daneben war eine Schalttafel zu sehen, die...es war ein Lift! Am liebsten hätte ich halb wahnsinnig in Angst aufgelacht. Wenn es etwas gab, was mir in einer Situation wie dieser noch beschert war, dann Glück.
Obwohl das Geräusch meiner eigenen Schritte verräterisch laut durch all meine Poren drang, rannte ich zur Lifttür und liess alle Vorsichtigkeit ausser Acht. Verstecken konnte ich mich ja schlecht. Was nun zählte, war Schnelligkeit. Ich musste von hier verschwinden, und zwar sofort! Es war zwar nur eine kurze zurückgelegte Strecke gewesen, aber dennoch war ich ausser Atem, als ich den rundlichen Lichtknopf mit zitternden Fingern betätigte. Schnelle Blicke nach links und nach rechts wähnten den Gang in Verlassenheit, doch ich wollte nicht herausfinden, wie lange dieser Zustand anhalten würde. Energisch hämmerte ich mehrmals auf den Knopf ein und verzog das Gesicht zur Grimasse. Komm schon! Komm schon! In der Zeit, in der ich wohl oder übel damit verbringen musste, zu warten, wirbelten meine Gedanken umher wie Herbstblätter im Sturm. Mit ziemlicher Sicherheit würde Mr. Carter nicht lange auf sich warten lassen – und, sobald er meine Absenz registriert hatte, auch nicht die Suchmannschaft. Was ihn selbst anbelangte, stand ich vor einem Rätsel. Ich konnte mir zwar vorstellen, dass er nicht erfreut über mein Auftauchen war, und das schon zum „zweiten Mal“, aber was hatte ihn dazu gebracht, mir all die Fragen zu stellen? Etwas von enormer Wichtigkeit musste sich hier abgespielt haben, und, daran hegte ich nicht den geringsten Zweifel mehr, dieses Etwas hatte mit mir zu tun. Mr. Carter wusste alles über mein Leben. Dies mochte zwei Gründe haben: entweder verfügte er über Unmengen von Kontakten, was bei seiner hohen Position durchaus möglich sein mochte, oder aber er wähnte sich bereits schon seit längerer Zeit in Bekanntschaft mit mir, ohne dass es mir bewusst geworden wäre. Beide Möglichkeiten waren offen; und beide jagten mir Angst ein. Wer er war, das konnte ich mittlerweile erahnen, doch...was wollte er ausgerechnet von mir? Wusste ich vielleicht von etwas, das er unbedingt haben wollte? Nein, so einfach konnte es nicht sein. Es war etwas anderes, das mich zu einer Gefahr für ihn werden liess. Ich hatte sie noch genau in Erinnerung, die Verblüffung, ja, Verunsicherung, die er sich bei meinem Anblick hatte anmerken lassen, als er in den Verhörraum getreten war. Er hatte mich wiedererkannt...ebenso wie die Wachen, die mich aus der fürchterlich nach Chemikalien stinkenden Putzkammer dorthin gebracht hatten, nachdem ich niedergeschlagen worden war. Sie alle spielten verrückt, und an alldem war das Virus Schuld. Da half auch kein Status als Reporterin aus dem Schlamassel, in den ich hier geraten war.
Ein hell klingendes Geräusch ertönte und die Lifttür öffnete sich. Ohne ein erleichtertes Aufatmen zu unterdrücken zwängte ich mich sofort in die enge Kabine, suchte den Knopf, der die Tür wieder schliessen würde, und drückte ihn. Mit einem innerlichen, triumphierenden Aufschrei beobachtete ich, wie sich der elektronisch gesteuerte Schliessmechanismus regte und schliesslich die Sicht auf die grässliche Wand gegenüber verdeckte. Gut, die erste Hürde war geschafft. Konzentriert analysierte ich daraufhin die Schalttafel. Es gab insgesamt sieben Stockwerke, darin inbegriffen waren zwei Kellergeschosse. Schon wollte mein kreisender Finger auf den Knopf für das Erdgeschoss zuschiessen, doch dann besann ich mich des Besseren. Es wäre töricht, die Flucht durch den Haupteingang zu versuchen, dort würde man mich am ehesten erwarten. Stattdessen wanderte mein Blick zum untersten Knopf der Tafel. Er würde mich wahrscheinlich direkt zu einem unterirdischen Parkhaus bringen. Natürlich würde auch dieses nicht unbewacht bleiben, sobald sie von meinem Verschwinden bemerkten – was mittlerweile der Fall sein durfte –, aber immerhin bot es die Aussicht auf mehrere Versteckmöglichkeiten. Vielleicht würde ich unter Umständen einige Zeit versteckt ausharren müssen, doch diese Gefahr war es Wert, in Kauf genommen zu werden, wenn ich mich Mr. Carter in Zukunft nicht beugen wollte. Und...irgendwie dachte ich ja erstaunlich rational. Ich verzog die Mundwinkel, meine Hand wanderte zum Knopf...
Da öffnete sich die Lifttür.
Ich schrie entsetzt auf.
Ein junger Mann starrte mir mit geöffnetem Mund entgegen und stupste sich in einer hastigen Bewegung die Brille zurecht. Seine Hand, die eben noch auf einem unter dem Arm eingeklemmten Stapel Ordner gelegen hatte, senkte sich langsam hernieder, während er mitten im Rahmen wie angewurzelt stehen blieb. Auch ich wagte es nicht, mich zu rühren, geschweige denn zu atmen. Jetzt war es aus. Er würde die Wachen alarmieren und man würde mich wieder gefangen nehmen. Verächtlich musterte ich mit einem knappen Blick meinen Zukünftigen Verräter. Seine blonden, geschniegelten Haare waren mit Gelee überdeckt, das im kahlen Licht glänzte, ebenso wie die Lederschuhe. Der schwarze Anzug, den er trug, sass ohne einen einzigen Knittel auf seinen Schultern und der schmale Mund verformte sich zu einem unnatürlichen Lächeln.
„Tut mir Leid, wenn ich Sie erschreckt haben sollte. Bin neu hier, wissen Sie? Ach, und...“ Sein Blick streifte flüchtig seine Armbanduhr. „Können Sie mir sagen, wo ich das Konferenzzimmer D12 finde?“
Ich schaffte es nicht einmal, den Kopf zu schütteln. Nach einigen Sekunden des Starrens, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, schürzte er die Lippen und runzelte sichtlich verärgert die Stirn. Nach einem Räuspern meinte er:
„Nun, dann werde ich eben an der Rezeption fragen müssen.“
Ungelenk bemächtigte er sich der Schalttafel, trat anschliessend an meine linke Seite und seufzte tief. Ich erhaschte einen Blick auf den nun leuchtenden Knopf und hätte am liebsten vor Verzweiflung aufgestöhnt.
EG.
Wow... meeensch du schaffst es immer, nur kleine Stücke preiszugeben, dass man immer noch gespannter auf die Fortsetzung wird! Na, wenigstens weiß man jetzt, dass sie Reporterin war und dass sie von dem Virus weiß.

Also, nen bisschen hab ich noch gefunden *stolz auf mich sei*
Das Trommeln hörte auf, zu hören war nur noch
hört^^ sich an wie ne Wiederholung

tastete ich äugend die Wände ab
äugend hört sich an der Stelle irgendwie komisch an und ich stells mir auch seehr komisch vor^^

Obwohl das Geräusch meiner eigenen Schritte verräterisch laut durch all meine Poren drang
wie können Geräusche durch Poren dringen?? und noch dazu verräterisch laut???
Sorry, wir sind gerade umgezogen und haben zuhause keinen Internetanschluss, also könnte es eine Weile dauern, bis wieder etwas gepostet wird.
Aber ich lass so bald wie möglich wieder von mir hören^^
TZtzttz so viel zum Thema China, als ob ich dir das geglaubt hätte XD (Ein Souvenier kaufst du mir trotzdem, basta XD ) Seit ihr jetzt an die Aare-Stadt gezogen die mit A beginnt? ^^
Nicht ganz, aber fast XD
Wenigstens wohne ich jetzt ein wenig näher am Bahnhof^^
Und als Souvenier bringe ich dir selbstverständlich ein japanisches Killerspiel mit, das in China produziert und in Transsilvanien getestet wurde:)
Yeah, nett wie ich bin komme ich es dann in die Aarestadt abholen. :)
loool anspielung auf "Killerspiele"? Ihr kennt euch persönlich? Bemerkenswert! Hier hat doch kaum jemand den anderen gesehen oder?^^
Wann gehts denn wieder weiter? *ungeduldig sei*
Es geht dann weiter, wenn ich zuhause endlich wieder Internet habe XD. Hm...also ich glaube, am Dienstag sollte es so weit sein^^.

Und ja, wir kennen uns persönlich...so mehr oder weniger^^.
Très bien, da ich sogar ne Woche Ferien habe. ^^
Ja, wir kennen uns so halbwegs. ^^ Ich ging ihn mal besuchen. ^^ *ja in der ganzen Schweiz gratis Zugfahren kann wegen seinem sauteuren Abo*
Der Rabe putzte sein Gefieder. Sich sorgfältig absuchend fuhr er mit dem Schnabel durch seine tiefschwarzen Federn, verrenkte den Kopf, stand dabei von einem Bein aufs andere. Seine krallenbewehrten Füsse klammerten sich um den leicht schaukelnden Draht in der Nähe des Telefonmastes, der schlaff durchhängend von seiner Befestigung hing. Erste Sonnenstrahlen tasteten sich an ihn heran, liessen seine Flügel matt schimmern. Es sah aus, als ob silberne Fäden seine Gestalt durchstreiften, wie gesprenkeltes, blasses Mondlicht. Der Rabe sah hinab, äugte den Mast hinunter, der schon morsch war und vom vergangenen Wetter gebeutelt wie ein schief im Boden steckendes Holzkreuz aussah, das auf einem ausgestorbenen Friedhof stand. Efeuranken schlangen sich daran hoch und verbargen das Holz fast vollständig. Das Brummen des Fahrzeuges schien den Vogel zu beunruhigen. Seine Bewegungen wurden immer ruckartiger, er spreizte die Flügel, flatterte. Die kleine Brust streckte sich vor, der Schnabel öffnete sich. Mir war, als hörte ich das Krächzen durch die Autoscheibe hindurch, als er sich kräftig abstiess und wie ein Bote dem rötlichen Morgenhimmel entgegen flog. In das Rot ragten längst erschöpfte Schornsteine, Zähnen in einem klaffenden Maul gleichend, das von lichten Wolkenfetzen umspielt wurde. Je ferner dem Horizont, desto mehr ging das Wärme bringende Sonnenfeuer in ein dunkles Blau über, das letzte neblig wabernde Überbleibsel der regnerischen Nacht. Hie und da war noch eine sich türmende Gewitterwolke zu sehen, welche ihren Schrecken eingebüsst hatte und sich langsam aufzulösen begann. Der über den Häusern schwebende Nebel drohte den Streifen Sonne zu verschlucken, der einen neuen, toten Tag verkündete und die Vergänglichkeit zu beleuchten versuchte, der wir anheim gefallen waren. Es schien, als wolle sich die Zeit aufbäumen, sich befreien von dem Glauben, sie würde nicht mehr existieren, nachdem die Welt untergegangen war. Tage wie dieser würden kommen und gehen, immer und immer wieder, und wenn sich ihnen auch kein einziger Mensch mehr erfreuen konnte.
„Diese Dinger sehe ich in letzter Zeit erstaunlich häufig. Ich frage mich, wie es hier in zwanzig Jahren aussieht, wenn das hier so weiter geht.“
Lynn hatte sich an mich gewandt, nachdem sie dem Raben ebenfalls nachgeblickt hatte. Er war mittlerweile fast nicht mehr zu sehen, sein Schatten verschmolz allmählich mit der Trübheit einer Wolke. In ihrer Stimme lag zu meiner Erleichterung etwas Nachdenkliches. Ich betete, dass sie nicht mehr auf ihren Mann zu sprechen kommen würde, während ich über mein Haar streichend auf ein völlig verfallendes Haus am Strassenrand blickte. Zufällig beobachtete ich, wie eine Katze auf einen der Fenstersimse sprang und im offenen Fenster verschwand. Ihre Rippen waren hervorstechend zu sehen gewesen.
„Ich...weiss auch nicht“, antwortete ich mit Verspätung und sah zu, wie ihre Lippen von einem spitzbübischen Lächeln umspielt wurden. Schnell wandte ich meinen Blick wieder von ihr ab und konzentrierte mich angestrengt auf die Strasse, und während ich das tat, fühlte ich mich immer schlechter. Die Schuld schrie in meinem Innern tobte, riss und zerrte je länger desto heftiger. Selbst in der Frontscheibe glaubte ich ihr Gesicht widerspiegeln sehen, die Lippen, wie sie ein Lächeln formten, mein Herz mit bitterlicher, verbotener Freude durchtränkten, es dann in einer eiskalten, verklumpenden Masse fast stehenbleiben liessen. Sie durfte sich nicht freuen! Sie konnte sich nicht freuen! Und als ich der blutdurchtränkten Handschuhe ein weiteres Mal gewahr wurde, musste ich einen Würgereiz unterdrücken.

Beim nächsten Teil habe ich noch einige Probleme...aber das wird schon...hoffentlich...
Französisch, wohin man blickt. =_= Lass es nach (würden wir jetzt sagen), Hihaho. :D

Mir gefällt der Vergleich mit dem Telefonmast und dem Friedhofskreuz.

Diese Freude, die sie mitunter empfindet (am Ende) kann ich noch nicht ganz nachvollziehen, aber...
Schön weiter machen ^^
Nun ja, ich habe beim Lächeln eher gedacht, dass Lynn einfach leicht belustigt reagiert, weil Tina so verspätet antwortet^^. Nicht, dass sie jetzt gleich eine Party feiern würde XD.
Falls das nicht zum Ausdruck gekommen ist, werde ich es natürlich noch ändern.
Es hörte sich grade so an, als ob sie in ihr eigenes Spiegelbild sieht.. hab ich falsch aufgefasst. ^^
Macht nix^^.
Also ich muss sagen, der folgende Teil ist der vielleicht fragwürdigste der Geschichte seit der Explosion (lol). Irgendwie hat Tina sich selbstständig gemacht...
Also ruhig meckern, ich lösche ihn am Schluss wohl eh raus, wenn die negativen Rückmeldungen es bestätigen.

Da war es wieder, das Rasen meines Herzens, welches mich diesmal dazu trieb, wie von Sinnen von ihr wegzustarren. Die vorbei gleitenden Häuser, welche ich ihrer statt sah, waren zwar klar vor meinen Augen, verkamen aber trotz des Lichts zu wabernden, gestaltlosen Schatten. Nur eines dieser Spiele, die mein eigener...Wahnsinn immer wieder mit mir spielte. Es ging so: lassen wir Tina doch mal nicht den Weltuntergang sehen, sondern den Untergang ihrer Seele! Lassen wir sie durch das, was sie sieht, zappeln! Lassen wir uns doch überraschen, oder noch besser, lasst uns Wetten abschliessen, wann Sie das nächste Mal jemanden tötet. Sich selbst inbegriffen, natürlich. Haha, ein Scherz! Ein Scherz! Ein Scherz! Ein Scherz!
„Tina? Alles in Ordnung mit dir?“
Ich rührte mich nicht, sondern starrte weiterhin auf die Schatten, die sich immer tollkühner zu verbiegen begannen, sich im Kreise drehten und manchmal umkippten wie Pappkulissen, wenn man sie am Ende des Theaters niederriss. Das ganze ist ein Theater, redete ich mir gut zu, lediglich ein einziges Theater. Die Schornsteine wanden sich wie Würmer dem Himmel entgegen, der einen gelblichen Farbton angenommen hatte. Langsam nahm das seltsamste Schauspiel seinen Lauf: Der Himmel ergoss sich über die Häuserschatten, tropfte daran hernieder wie ein ekliger Schleim. Die Würmer öffneten ihre Münder, das kreischen eines Kindes war zu hören, und der Schleim ergoss sich in ihre Rachen. Dabei wanden sie sich immer schneller. Alles frassen sie auf, Wolken, Telefonmasten, Vögel, sogar sich gegenseitig.
Bis mich eine Hand heftig an der Schulter packte und ich herumgerissen wurde.
„Hey, Tina! Sag doch was, du machst mir richtig Angst! Sag schon, alles klar bei dir?“
Ich verzerrte den Mund, riss die Augen auf und stiess einen Schluchzer aus, bevor ich erwiderte: „Ja.“
„Klingt aber nicht danach“, erwiderte sie grimmig, „sag mir, was ist geschehen? Haben sie dir etwas angetan? Haben sie dich...“ Sie hielt angesichts ihrer eigenen Frage die Luft an und musste sich sichtlich zusammenreissen, um weitersprechen zu können. „Haben Sie...ich meine, haben Sie dich...“ Wiederum vermochte sie es nicht, zu Ende zu sprechen. Zu viel Grauen sprach in ihren Augen. Sie drückte meine Schulter noch fester.
Und da...da begann in meinem Kopf langsam, aber sicher eine Antwort Gestalt anzunehmen. Eine Antwort, die so falsch wie verlogen war, aber eine Antwort, die mich retten konnte. Es war ein schreckliches Gefühl, sein eigenes Gewissen wahrzunehmen, während es niedergerungen wurde, und doch...ich musste es tun. Für eine andere Wahl war ich schlicht und ergreifend zu schwach. Zunächst wagte ich nicht, die Schwäche gänzlich anzunehmen, in Worte zu fassen, weshalb ich mit einem vorsichtigen Nicken begann. Ja. Ich nickte. Die Bewegung allein, mich in Lügen zu baden, kostete mich mehr Kraft als angenommen. Doch es war bereits geschehen, ich wollte erschlaffen, mich ergeben, nur – es gab kein Zurück mehr. Lynns Augen weiteten sich und sie stiess einige gurgelnde Laute aus. Ihre Hand krampfte sich so fest um meine Schulter, dass es schmerzte. Und ich...ich bekannte mich der Schwäche, als würde mich der Teufel einholen. Nur...es war mir gleichgültig. Es war mir gleichgültig, dass ich mich vor mir selbst ekelte. Es war mir gleichgültig, dass mein ganzer Hass auf mich selbst nieder schauerte. Es war mir überhaupt gleichgültig, was mit mir geschah...nur sollte Lynn nicht erfahren, dass ich ihren Mann umgebracht hatte.
„Das kann nicht sein! Sie haben dich vergewaltigt!“, schrie sie direkt in mein Gesicht.
„Ja...“
Meine Antwort liess mich mit einer Trauer ereilen, die der Lüge Wahrheit hätte zollen können. Doch es war nicht die Lüge, die ich betrauerte, sondern die Wahrheit. Ich hatte jemanden im Stich gelassen, jemanden umgebracht...und nun hatte ich auch noch jemanden angelogen. Die Reue hatte ich hinter mir gelassen, die Angst getötet, die Schuld aus dem Weg geschafft. Was würde wohl als nächstes an die Reihe kommen? Welches Gefühl würde ich als nächstes verabschieden müssen? Ein Blick in den Rückspiegel, auf Jonathan, wie er immer noch scheinbar bewusstlos dalag. Unsinn, man konnte Gefühle nicht verabschieden! Dieses ganze...Theater machte ich mir doch bloss vor. Oder hatte ich denn keine Angst verspürt, als er zusammengebrochen war? Ja, beruhige dich doch, du steigerst dich da bloss in etwas hinein. Sicher alles nur die Folge von Selbstmitleid. Doch...als ich wieder an dieses kalte Lachen dachte, das ich ausstiess, als ich Bill mit der Waffe gegenüberstand...
„Nein...das kann nicht wahr sein! Diese elenden...“
Sie brach ab und stiess mit aller Gewalt ihre Nägel in das Steuerrad. Der Wagen vollführte einen Schlenker, Reifen quietschten und sie beschleunigte. Ein Schrei rann aus meiner Kehle und ich wurde in den Sitz gedrückt. Verstört klammerte ich mich an den Sitz. Das Auto wurde immer schneller, die Kette am Rückspiegel baumelte wild hin und her und Lynn fluchte.
„Männer!“, schrie sie immer wieder wie von Sinnen, während sie den Wagen in kontinuierlich erhöhter Geschwindigkeit über den Asphalt rasen liess. Ihre Hände rutschten wie in Tollwut über das Lenkrad und zerrten es grob hin und her. Ich musste mich regelrecht zwingen, Luft zu holen, um auf sie einreden zu können.
„Lynn, bitte beruhige dich!“
Erst, als ich schon darüber nachdachte, sie zu packen, verlangsamte sie das Tempo allmählich wieder und warf mir dabei einen Blick zu, der so voller Mitleid und Bosheit zugleich war, dass ich nicht anders konnte als mich vor ihm zurück zu beugen.
„Schon gut, es...“
„Schon gut? Schon gut? Nichts ist schon gut! Weißt du eigentlich, was das bedeutet, Tina? Das ist einfach...grauenhaft!“
Allmählich geriet ich in eine unangenehme Situation...die Trauer wurde durch fiebrige Ausfluchtversuche ersetzt. Ausflucht aus einem schmerzenden Umstand, den ich mir selbst geschaffen hatte. Ich musste nun über ein Gefühl handhaben, das ich bis vor kurzem noch besass.
„Ich möchte nicht, dass du dich darüber aufregst. Ich...ich möchte nicht darüber sprechen...“ Ich schniefte und kam mir dabei befremdlicherweise vor wie ein Roboter. Vor den Kopf geschlagen stierte ich auf meine Knie. Nein...ich konnte die abgrundtiefe Trauer, den Schmerz und den Scham, den eine Frau in einem solchen Moment empfinden würde, unmöglich nachahmen. Schon allein dieses Wort...nachahmen liess schier die Würmer wieder in meinen Augenwinkeln auftauchen, sich winden in ihrer unersättlichen Gier. Sie hätten sich an meinen ertrockneten Tränen und an meiner Ohnmacht genüsslich gelabt. Sowie mir die Kontrolle über mich entglitt, entglitt mir die Kontrolle über die Situation. Wie hatte ich nur so töricht sein können? Wie hatte ich nur glauben können, über Schmerz walten können, als sei er nichts weiter als eine Marionette, deren Fäden ich spielend in der Hand hielt, und das, wo er doch mich zur Schwäche gezwungen hatte? Und sowie ich darüber sinnierte, den Worten lauschte, die sich in meinem Kopf formten, wollte ich sie ausspeien, sie zertreten und zum erlöschen bringen. Mein Ganzes Denken brachte mich an den Rand der Erkenntnis, dass ich...kein menschliches Wesen...sein konnte? Innerlich schüttelte ich heftig den Kopf. Nein, das war nun einfach zu irrsinnig.
„Bitte bleib ruhig...“ wiederholte etwas, das nicht mehr ich war, sondern eine steinerne Statue meiner Selbst, aus deren Innern in einem kläglichen Versuch so etwas wie Resignation ausbrechen wollte. Aus dem Rückspiegel starrten graue, ausdruckslose Augen, umrandet von einem grauen Gesicht, aus dem graue, regungslose Haare gemeisselt waren.
„Es ist geschehen, und...und daran lässt sich jetzt auch nichts mehr ändern...“ Ich sprach zu Lynn, und das steinerne Gesicht sprach zu mir. Mörderin.
Es wunderte mich, dass ich überhaupt spürte, wie sie den Arm um meinen Rücken legte.
„Verfluchte Männer“, murmelte sie rastlos, „verfluchte, elende, verdammte Männer.“ Mit jedem Fluchwort wurde sie lauter, und das letzte „Männer“ stiess sie aus, als wäre es selbst ein Fluch. In das Gefühlschaos mischte sich nun noch eine weitere Empfindung: tiefe, beklemmende Ungewissheit. Irgendwann war ich schliesslich dazu imstande, das Wort zu ergreifen.
„Und...und was ist mit deinem Mann, Lynn?“, fragte ich so leise, als würde mir eine fürchterliche Bestrafung bevorstehen. In der Tat ereilte sie mich, nur in einer Form, die ich nicht erwartet hätte. Du hättest nicht fragen sollen. Wieso tust du das, wo du doch gerade eben...
„Mein Mann?“, schnaubte sie verächtlich, „jetzt ist er schon lange nicht mehr mein Mann.“
Ich konnte ein schwermütiges Seufzen nicht unterdrücken. Der ganze Himmel war nun von diesem tiefen, brennenden Rot bedeckt und die Wolken wurden immer spärlicher. Ein Vogelschwarm hob sich schwarz gegen das blutende Firmament ab, das Rauschen tausender Flügel drang in mein Bewusstsein und ich sah mich für einen Augenblick all dieser Probleme entfremdet, die sich um diesen Mikrokosmos, um mich, um mein Leben drehten. Was bedeutete schon meine Existenz? Was war es, das all diese kleinen, im Angesicht der Welt geradezu lächerlich unbedeutenden Dinge um mich herum so gross erscheinen liess? Eine Blickhascherei auf die Schornsteine. Sie bewegten sich nicht. Der Brustkorb hob sich, ich atmete wieder etwas ruhigere Luft. Mein Ziel war erreicht: ich würde ich mich zumindest vorerst nicht erklären müssen. Diese...Ruhe...ja, sie behagte mir diesmal, doch gleichzeitig wusste ich, dass sie wohl nicht von langer Dauer sein würde. Nie war sie von langer Dauer gewesen, und dies würde sich auch nicht ändern. Es wäre übertrieben, zu sagen, dass ich diese abflachende Ebbe nach der sich entfesselnden Flut „genoss“, dennoch bemerkte ich sie so, wie ich einen schlichter Sonnentag nach lang anhaltendem Regen bemerken würde. Eigentlich, sinnierte ich daraufhin trüb, eigentlich waren ja alle Tage Regentage, und dieser bildete keine Ausnahme. Und war es denn nicht der Regen, den ich insgeheim so mochte? Möglich, dass ich die sanfte Melancholie liebte, die rieselnde Tropfen ausstrahlten. Lang anhaltende Freude war mir ohnehin fremd, konnte sein, dass ich einfach nicht dazu geschaffen war, seliges Lebensglück zu geniessen, das einen leer und unwissend grinsen liess. Letztlich waren es ja auch die traurigen Seiten des Lebens, die ihren Platz hatten...oder? Zerrte man an ihrem Fundament, bröckelten somit auch die übrigen Teile, die der Glückseligkeit. Ein rundum glücklicher Mensch hätte sich nie Gedanken über solche Dinge gemacht. Vielleicht hatte dieser Umstand zu all dieser Gewalt geführt...denn aus fehlendem Glück folgte ein Erwachen, eine mit Schmerz, Hass und Trauer erfüllte neue Suche danach. Hass der eigenen Blindheit gegenüber, Hass, dass man nie gesehen hatte, was einen wirklich glücklich machte. Das Unbedachte...wenn es da war, scherte man sich nicht darum, doch wenn es weg war... der fatale Fehler der Menschheit, der Fehler, der diese Katastrophe erst ausgelöst hatte? Und ich hatte ebenfalls Fehler begangen. War ich vielleicht gerade deshalb „auch nur ein Mensch“?
ich einen schlichter Sonnentag

Hm, um deine Frage oben zu beantworten, bin ich wohl zu unerfahren im Bücherschreiben. Ich kann jetzt nur von mir aus antworten.
Also... Ich finds nicht gut, dass Tina Lynn belügt (wer würde das schon gut finden?), aber genau das zeigt, wie schwach und fehlerhaft sie ist und ganz genau das finde ich eben gut! Wenn der Protagonist gravierende Schwächen hat und schwerwiegende und folgenreiche Fehler begeht, ist das mal was anderes als sonst immer *auf eigene Geschichte schielt* und macht das Ganze um ein gutes Stück interessanter.

Mich interessiert jetzt nur noch, ob das alles ans Licht kommt, wie Lynn dann reagiert und ob Tina/Evelyn weiterhin so gut mit ihrem Gewissen umgehen kann, bzw. es verdrängen kann.

Also, warte gespannt auf den nächsten Teil!

LG
Nur eines dieser Spiele, die mein eigener...Wahnsinn immer wieder mit mir spielte. Es ging so: lassen wir Tina doch mal nicht den Weltuntergang sehen, sondern den Untergang ihrer Seele! Lassen wir sie durch das, was sie sieht, zappeln! Lassen wir uns doch überraschen, oder noch besser, lasst uns Wetten abschliessen, wann Sie das nächste Mal jemanden tötet. Sich selbst inbegriffen, natürlich. Haha, ein Scherz! Ein Scherz! Ein Scherz Ein Scherz!
Den Gedanken dabei finde ich schön und abwechslungsreich, vor allem den letzten Satz, aber ich mag dieses "Lassen wir..." nicht. Du musst zwar nicht auf jemanden hören, der einen Tunnelblick hat und unkreativ ist, wie ich, aber mir gefiele es besser, wenn du est stattdessen umfunktionierst, zum Beispiel würdest du dieselbe Wirkung auch im Konjunktiv erzielen.. you'll see.

Diese Lüge ist sehr krass aber.. ich mag Droama. ;D Ich hab mich noch gefragt, ob eine Frau dazu im Stande ist, aber du hast es dann doch gut gelöst. ;)

LG
Sooo....weiter geht's. Ich muss einen kleinen Fehler gestehen. Beim Namen der Organisation wurde Labours in Laboratories umbenannt^^. War ein kleiner Übersetzungsfehler, sorry^^. Zudem gibts in diesem Abschnitt noch übelst "Infodumping" XD. Aber ich weiss nicht, wie ich es anders machen könnte^^.

Letzte, austrocknende Pfützen bedeckten im Fleckenmuster die Strasse. Der Nebel hatte sich aufgelöst, und die Sonne kletterte Stück für Stück die Sprossendwand des Himmels hoch. Ihre Strahlen brachen sich in der Frontscheibe, beleuchteten den Schmutz darauf. Die Scheibenwischer waren längst zum erliegen gekommen und wachten wie schlafende Raubtiere über den Rand der Haube. Die Furcht, im Angesicht all dessen wie ein Geist zu verblassen, trieb mich endlich dazu, wieder Worte zu ergreifen.
„Wie lange ist das her...seit...all dies begann?“ Der Klang meiner Stimme heischte Nüchternheit, Distanz, jene Dinge, die sich als Stimmung über uns niederlegten. Ein Gespräch sollte beginnen, auf einer anderen Schiene. Das einzige Kapitel meiner Vergangenheit, das ich nicht suchte, sondern fortan in wilder Entschlossenheit verschmähte, durfte nicht mehr aufgegriffen werden. Und ich hatte mit fragwürdigem Erfolg auch restlos dafür gesorgt, dass es auch nicht mehr aufgegriffen würde.
Lynn winkte halbherzig ab und seufzte. „Wochen? Monate? Ich weiss es ehrlich gesagt nicht mehr genau. Und ich will es auch nicht wissen“ Sie schüttelte den Kopf und sah mich dann betrübt an. „Oh, Tina, ich wünschte, es wäre nie so weit gekommen.“
„Es ist schon seltsam...“, meinte ich daraufhin nachdenklich, „ich...kenne gar nichts Anderes.“ Ich sah die endlos erscheinenden Reihen aus leer stehenden Häusern teilnahmslos an mir vorbei gleiten. „Es ist“, fuhr ich fort, „als wäre ich hier...hineingeboren worden. Ich weiss nicht einmal, wie es...vorher war.“
„Ach, vorher?“ Lynn lachte bitter auf. „Glaub mir, vorher war es nicht viel anders.“
„Wie...wie meinst du das?“, wollte ich erstaunt wissen.
„Na ja...ich meine damit die Leute und all das. Eigentlich haben sich die wenigen, die noch übrig geblieben sind, ja nicht verändert. Vorher ging’s um Schikanen am Arbeitsplatz, jetzt geht’s...sagen wir mal, um grössere Schikanen.“
„Was soll das heissen?“
„Ganz einfach: die Leute hassen sich. Ich habe so einige Gespräche mitbekommen, während ich mich und diese und jene kümmerte. Sie denken immer noch gleich, Tina. Schubladendenken, das war an der Tagesordnung. Der einzige Unterschied zu früher war, dass sie es nun um einiges einfacher hatten: es gab die Infizierten und die Nicht-Infizierten. Die Infizierten sind die Bösen, oh ja, man soll ihnen ja nicht zu Nahe treten, sie sind gefährlich. Und die anderen? Tja, das waren die Könige. Ich sage dir, wie ich das nenne, Tina. Zwei-Klassen-Gesellschaft. Siehe da, Marx überlebt selbst den Weltuntergang.“
„Aber...das ist ja...sinnlos“, warf ich verwirrt ein.
„Du sagst es.“ Lynn lächelte. „Aber mal ehrlich: hast du wirklich geglaubt, die Leute besinnen sich eines Besseren, wenn sie sehen, wie der Grossteil von ihnen zugrunde geht? Und das Schlimmste kommt noch. GFL...“
„Wer sind die genau?“, unterbrach ich sie hastig.
Sie erklärte geduldig: „Genetic Future Laboratories. Einer der führenden Pharmakonzerne der Welt. Der Hauptsitz ist einige Tagesfahrten entfernt ausserhalb der Stadt. Die Leute von dort sind die einzigen, die über das Gegenmittel verfügen. Über diesen Stoff war früher ja eigentlich nie die Rede, es war eigentlich ein gewöhnliches Medikament gegen Schmerzen, hing irgendwie zusammen mit den Genversuchen an Kaninchen. Aber weiss der Teufel, was sie daran mit der Zeit noch so rumgebastelt haben. Auf jeden Fall hatten sie das Wundermittel nach dem Ausbruch des Virus’ ziemlich schnell am Start. Hilfe bieten sie an, predigten sie all den armen Menschen, die in den riesigen Verkehrsstaus sassen. Kein Wunder gab es die, wo doch alle so schnell wie möglich weg wollten. Auf jeden Fall: eigentlich haben sie lediglich einen besonders raffinierten Weg gefunden, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Alle wollen es, und sie kriegen es auch; vorausgesetzt, sie haben Geld. Ganze Länder kaufen ihr Produkt, lagern es schon mal zur Sicherheit in Bunkern und wassweissich. Die verdienen sich daran eine goldene Nase...mit so etwas wie legaler Erpressung. Es ist genau das gleiche wie mit der Vogelgrippe, nur war das damals ganze keine so ernste Angelegenheit wie jetzt. Niemand kann sich ihrer Kontrolle entziehen. Sie haben alles: Macht, Geld, Forschungslabors, das Militär stärkt den Rücken. Und es wird immer schlimmer: mittlerweile verläuft alles in überwachten Bahnen. Die Stadt und ihre Vororte sind abgesperrt, und nur eine einzige Strasse führt hinaus, nämlich die, die zu ihrem Hauptsitz führt. Quarantäne, sozusagen. Niemand kommt rein, und niemand kommt ohne ihr Zutun raus. Ich muss sagen, überlegen können die Kerle schon, denn hätten sie das Mittel nicht umgehend aus allen Apotheken entfernt, wäre es zu noch mehr Plünderungen gekommen. Nein, sie warten nur noch darauf, dass man zu ihnen kommt, sei es freiwillig oder nicht. Menschentransporte, wohl in irgendwelche Lager und weiss ich was alles. Aber was will man machen? Es bleibt keine andere Möglichkeit. Auch wir müssen uns ihnen unterwerfen, wenn wir gesund aus dieser Sache herauskommen wollen.“ Sie warf einen Blick auf Jonathan. „Und ich glaube, dass ihr das auch wollt?“
Ich antwortete nicht, sondern verbrachte zunächst schweigend einige Zeit damit, das Gehörte zu verarbeiten, schüttelte verzweifelt den Kopf, sah einen Berg aus Informationen vor mir stehen, der sich über mich hinwegzurollen drohte. Nun wurde mir einiges klar: der Helikopter, die Absperrung, die Männer in den Schutzanzügen, Lynns Brief...beinahe alles ergab endlich einen ungeahnten, schrecklichen Sinn. Den Zettel musste ich mir ganz einfach selbst in die Tasche gesteckt haben, wohl als Teil irgendeines wichtigen Zeitungsausschnittes, der die Firma betraf. Es war ja durchaus wahrscheinlich, dass sie in letzter Zeit Schlagzeilen gemacht hatte. Ja...allem Anschein nach hatte ich des Rätsels Lösung gefunden. Doch da waren immer noch die fehlenden Erinnerungen und noch einige andere Dinge, die ungeklärt blieben.
Du, ehrlich gesagt kapiere ich nicht, was diese GFL-Typen eigentlich sind. Sie haben ein Medikament gegen das Virus und verkaufen es jetzt zu horrenden Preisen oder wie? also sie verteilen es nicht einfach an die Infizierten kostenlos, obwohl das eigentlich normal gewesen wäre bei so einer Katastrophe zusammenzuhelfen. Und was machen die dann mit den ganzen Leuten da in ihren Laboratorien? Das kommt da irgendwie nicht raus, ich habe da ziemlich verwirrt geguckt glaub ich, als ich das gelesen hab. ^^

Sonst.. also ich find es echt gut, dass das Rätsel um GFL endlich gelüftet wird, länger hättest dus nicht rauszögern dürfen.

Was... naja was mir noch aufgefallen ist, ist, dass es da im Auto ziemlich durcheinander geht. Ich meine, sie kommt vom einen Gedanken auf einen völlig anderen also ich hätte sofort gefragt was GFL sei und nicht noch damit gewartet... also so kommt das irgendwie rüber... es ist immer erst ein Gedanke, der wird dann länger "besprochen", und dann der nächste, der eigentlich gar nichts mit der Gefühlslage zu tun hat oder mit dem Thema...
wenn das Absicht war hab ich nichts gesagt^^

Naja nach all der Kritik mal ein dickes Lob, du bist einer der allerbesten Schreiber die ich kenne und das will schon was heißen! :-)

Liebe Grüße, Lampy
Also, zu der GFL-Sache:
Das hast du so weit schon richtig verstanden. Bleibt die Sache mit den Laboratorien. Es ist Absicht, dass man noch nicht genau erfährt, was dort getrieben wird^^. Auf jeden Fall stimmt das mit den horrenden Preisen. Damit sie nicht die Kontrolle über all die Leute und (und somit die potenziellen Käufer) verlieren, müssen sie sie ja in diesen Lagern "zusammentreiben", und das genau wird mit all den Transporten bezweckt. Wenn es das Medikament in jeder Apotheke gäbe, würden sie bei all dem Chaos und den Einbrüchen schnell mal Verluste machen^^. Wenn sie die Menschen komplett unter ihrer Gewalt haben, fällt es ihnen auch leichter, sie sozusagen zum zahlen zu zwingen.
Um es zu verdeutlichen: die Lager und die eigentlichen Forschungslabors haben (vorläufig) nichts miteinander zu tun.

Vielleicht ist es auch verwirrend, weil John einmal einen Witz gemacht hat, dass die Leute als Versuchskaninchen missbraucht werden^^. Also: es war nur ein Witz^^.

Und das mit den Gedanken werde ich noch einmal überdenken^^.

PS: Danke für das Lob!
Ich warte^^ Wann gehts weiter??
Hm...ja...es sollte schon noch weiter gehen^^. Ich kam in letzter Zeit leider nicht dazu, zu posten^^. Aber ich versuche, nächstens wenigstens wieder einen Abschnitt reinzustellen...

Aber toll, dass hier jemand noch so lange wartet, ich habe schon langsam gedacht, die Geschichte sei wegen mir schon gestorben^^.
Ja, Lamproly scheint arbeitswütig zu sein. Oder im Lesewahn, whatever. ^^ *sich ein Beispiel nimmt*

Geduld haben hier eigentlich alle genug.(hoffe ich)
Ich reize sie ständig bis aufs Äußerste. ^^°
Aber das sag ich dir jetzt nicht. Hehe... *feix*
Lesefutter:

„Und was ist mit den Maschinen?“, fragte ich.
„Na ja...da bin ich ehrlich gesagt überfragt. Auf jeden Fall scheinen sie nicht aus den Reihen des Militärs zu stammen, sonst würden sie die nicht über den Haufen schiessen. Aber Rücksicht auf Zivilisten scheinen sie auch nicht wirklich zu nehmen. Wird wohl irgendeine niedere KI sein, die sie steuert. Aber ich kann mir vorstellen, dass da eine irgendeine Organisation dahintersteckt, die sich gegen GFL auflehnt. Rebellen?“
Spöttisch winkte sie ab, und ich schwieg. Was hätte ich schon sagen können?
„Tja, willkommen in der Gegenwart“, meinte sie mit einem Seufzer sarkastisch, „So sieht’s aus. Wir müssen uns wohl damit abfinden. Auch wenn es bei mir sauer aufstösst, dass da oben irgendwelche Männer sitzen und über unser Schicksal entscheiden. Ich wette, sässe eine Frau an der Spitze dieser Firma, sähe es ganz anders aus, oh ja.“
Zögernd liess ich ein unsicheres, schwermütiges Lächeln zu, welches so schnell wieder verschwand, wie es gekommen war. „Glaubst du wirklich?“
„Natürlich!“. Lynn nickte heftig. „Wir Frauen sind von Natur aus sensiblere Geschöpfe. Wir verlassen uns auf unsere Intuition und nicht auf unsere Habgier. Oder was meinst du, weshalb all die Verbrechen, von denen man in der Zeitung liest, hauptsächlich von Männern begangen werden? Ich sage dir, würde sich das ‚starke Geschlecht’ ab und zu zurückhalten, würde die Welt um einiges rosiger aussehen.“
Einen Moment lang schloss ich die Augen und atmete tief durch. Mehr und mehr begann mir das ganze über den Kopf zu wachsen und ich wusste beim besten Willen nicht mehr, was ich von Lynn halten sollte. Bevor ich vollständig von Verwirrung eingehüllt zu werden drohte, unternahm ich noch einen letzten Versuch, ihr zu entrinnen – der kläglich misslang.
„Sagst du...das alles, um mich...aufzumuntern?“, fragte ich bedrückt.
Sie zuckte mit den Achseln. „Ich weiss nicht.“ Unverkennbarer Hohn schwang in ihrer Stimme mit. „Ist vielleicht auch nur eine alte...Gewohnheit?“
Beinahe hätte ich ein verzweifeltes, hysterisches Lachen ausgestossen. Sie machte es mir tatsächlich nicht leicht. Wie sollte sie auch, wenn sie von dem Dilemma nichts wusste? Dilemma...der Begriff hatte schon wieder etwas Lächerliches an sich haften, das meine Missgunst nährte. Nein...wenn ich noch länger darüber nachdachte, lief ich in Gefahr...ich beendete den Gedanken nicht, im Wissen, dass ich mir über die Konsequenzen selbst nicht wirklich im Klaren war. Doch was war schon von einer kleinen, dreckigen Mörderin wie mir zu erwarten? Nicht alle Fluchwörter der Welt hätten ausgereicht, um mich in dem Masse zu schelten, das ich verdient hätte, aber dennoch bezweckte ich mich der einzigen Möglichkeit, die meine Grenzen nicht überschritt: ich dachte einfach nicht mehr daran. Lynn hegte eine ausgeprägt feministische Denkweise. Nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht sollte ich versuchen, darüber zu lachen; der Versuch endete in einer verzerrten Grimasse, die mehr ausdrückte als beabsichtigt.
Auf einen weiteren, mitleidigen Seitenblick setzte Lynn hasserfüllt: „Weißt du was? Einmal werden wir es ihnen so richtig heimzahlen.“ Obwohl das Gesagte eigentlich überhaupt nichts Lustiges an sich hatte, formten sich meine Lippen tatsächlich zu einem Grinsen. Und während meine Empfindungen verrückt spielten, dachte ich darüber nach, dass es sogar etwas ungeheuer...Befriedigendes an sich hatte, Lynns Worte zu vernehmen. So, als wären wir gerade dabei, eine Art Club zu gründen. In der Tat...eigentlich waren meine bisherigen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht – sofern man diese so bezeichnen konnte – wirklich nicht sehr angenehm gewesen. Doch so sehr diese Hin- und Hergerissenheit die eigentliche Schuld langsam untergehen liess, ganz lösen konnte ich mich von ihr nicht. Verstohlen hob ich den Blick, liess ihn an den draussen wogenden Bäumen vorbeischweifen, die vereinzelte Blätter hinunterwirbeln liessen, und heftete ihn schliesslich mit einiger Überwindungskraft an ihre Augen. Ja...sie würde immer da sein.
„Du sagst es“, erwiderte ich, und in meiner Stimme lag mehr ehrliche Überzeugung, als ich erwartet hätte. Ihr darauffolgendes, grimmiges Lachen war diesmal Balsam für die Seele.
„Und Jonathan? Was geschieht mit ihm?“, wollte ich schliesslich wissen, zwar nicht gänzlich befreit, aber immerhin in einer Erwartungshaltung, die halbwegs erträglich vor sich hin kochte.
Lynn sah prüfend in den Rückspiegel. „Er leidet eindeutig an den Folgen der Krankheit. Nun...ich weiss nicht, wie lange er noch durchhält. Es könnten Tage, vielleicht sogar noch eine Woche sein. Das entscheidet letztendlich seine verbleibende Kraft. Du hast es doch sicher auch bemerkt, die Müdigkeit, die einen in Schüben überfällt? Wir können leider nichts weiter tun, als zu warten, bis er wieder erwacht. Er braucht Ruhe, wie die anderen.“
„Seine Stirn war ganz heiss...und er bewegte sich auch ganz zittrig“, fügte ich besorgt hinzu und sah über die Schulter. In einer verrenkten Körperhaltung lag Jonathan ausgestreckt über die hinteren drei Sitze. Sein Kopf wurde durch die Fahrt leicht hin und her geschüttelt und die Arme hatte er schlaff von sich gestreckt. Sein löchriges T-Shirt fiel mir im Licht noch schmutziger auf als sonst, seine Haare waren verfilzt. Ein seltsames Gefühl ergriff mich...als ob sich seine Nähe direkt spürte, lief ein Kribbeln durch meinen Arm. Überrascht hielt ich den Atem an, wandte mich wieder ab und blinzelte. Schon wieder diese wässerigen Augen.
Da bemerkte ich, wie Lynn lächelte. „Ich mag ihn auch“, meinte sie unschuldig.
„Was...was meinst du?“, hauchte ich.
Ohne darauf einzugehen fragte sie zurück: „Du würdest dich sicher gern an deine Familie erinnern, nicht wahr?“ Ihr Blick schweifte dabei wieder zu Jonathan, und wieder war da ein Lächeln, das ihre Lippen umspielte. „Wie alt er wohl ist?“, überlegte sie laut.
„Siebzehn.“ Als hätte ich auf eine Frage in der Schule geantwortet.
„Hm...noch ein Jahr, und er dürfte wählen. Oder besser gesagt müsste. Ein Glück, das wenigstens solcher Schnickschnack nicht mehr an der Tagesordnung ist.“
Ich schnappte nach Luft. „Es gibt...also keine Regierung?“
„Haha, mal ehrlich Tina, was hast du erwartet? Na ja, ich weiss, das ganze Lästern über die reichen Politiker ist Unsinn, aber diesmal haben sie wirklich den Vogel abgeschossen. Ja, die „neuen“ Politiker sitzen jetzt in den schönen, sonnendurchfluteten Parkanlagen von GFL und geniessen einen Drink. Wo die alten geblieben sind? Tja, die haben sich mit ihren Privatjets auf dem Staub gemacht. Übrigens: soweit ich weiss, war keine einzige Frau dabei.“
Etwas irritiert schmiegte ich mich noch mehr an den Sitz und runzelte die Stirn. Es herrschte also tatsächlich ein wahrer Ausnahmezustand. Wir waren nicht nur weitgehend ausgelöscht, sondern auch im Begriffe, von einem totalitären System unterdrückt zu werden, das keine Gewalt zur Zieldurchsetzung scheute – und auch noch Kapital aus unserem Elend schlug. Eine furchterregende Realität...und mittendrin, da lebten wir, mit nichts als unseren Gedanken. Ich fühlte mich immer...unbedeutender, kleiner, ja, lächerlicher.
„Und...was geschieht nun?“, fragte ich mit matter Stimme. Ebenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben hätte sich, wer versucht hätte, darin so etwas schon längst Vergrabenes wie Hoffnung zu finden. Schon wieder dieses Wort.
„Nichts“, erwiderte Lynn. Ihr herzhaft gleichgültiges Achselzucken erntete meine Bewunderung ein neuerliches Mal, nun ohne jegliche zweifelnden Hintergedanken.
„Du...du nimmst das alles...einfach so hin?“
Die Antwort kam nicht sofort. Sie räusperte sich und fuhr mit den Händen am Lenkrad entlang, wobei ihr Blick irgendwo ins Leere zwischen Asphalt und Horizont glitt. Da öffnete sie zögerlich den Mund, es sah aus, als ob sie etwas sagen wollte, doch die Worte blieben aus. Sie drehte den Kopf, sah kurz zum Hund hinüber, dann zu mir, schloss die Augen. Das Auto verlor für einen kurzen Moment an Geschwindigkeit, doch da fasste sie sich wieder und starrte auf die Strassen. Ihre Augen verrieten nichts als Unschlüssigkeit, es war, als ringe sie mit sich selbst. Dann schüttelte sie langsam den Kopf, und als ich mich schon beschämt entschuldigen wollte, murmelte sie:
„Meine Tochter starb an einer Laune der Natur. Und die Natur...die Folgen, das alles...kann man letztendlich nicht beeinflussen, nicht wahr? Wie du schon sagtest: es ist geschehen und daran lässt sich jetzt auch nichts mehr ändern.“
Sie schürzte die Lippen und schwieg, wandte ihr Gesicht von mir weg, sodass ich nur noch ihren Hinterkopf sah. Der Pferdeschwanz baumelte leicht hin und her, hob sich über den blonden, gestrafften Haaren ab.
„Die Natur...“, wiederholte ich leise und blickte in den Himmel. Die Sonne war noch höher gestiegen und blendete mich.
„Und die...Menschen?“, rutschte aus mir heraus, bevor ich es verhindern konnte. Am liebsten hätte ich die Hände vor den Mund geschlagen. Doch: was hätte es jetzt noch für einen Nutzen gehabt?
Lynn seufzte und wandte sich mir wieder zu. „Du hast ja Recht, Tina“, meinte sie, „am Schluss sind es doch immer wir alle. Die Bösen.“ In ihren Augen war ein Schimmern zu sehen.
„Nein...ich...so meinte ich das nicht“, verteidigte ich mich unbeholfen. Sie antwortete nicht, sondern wischte sich über die Augen und begann, die Box an ihrer Seite zu durchsuchen. Energisch schob sie die Taschentücher zur Seite bevor sie allem Anschein nach fand, wonach sie suchte. Ich lauschte dem monotonen, unruhigen Rattern des Motors, bis es von etwas übertönt wurde, was ich in solcher Schönheit bisher noch nie vernommen hatte: Musik. Den Atem anhaltend legte ich den Kopf langsam auf die Lehne zurück, als die Melodie langsam begann, durch mich zu gleiten. Tiefe, lang und dunkel dröhnende Töne erklangen, darüber helle, die mit ungeheurer Wirkung meine Nackenhaare zu Berge stehen liessen. Und dazwischen, da bildete eine immer wieder abfolgende, stetig variierende Reihe von aufsteigenden Tönen einen strömenden Fluss in der Nacht. Ich schloss die Augen, sah mich hinfort schweben und aus grosser Höhe auf die Verlassenheit blickend, im Rücken die Strahlen der Sonne, Wind, der meine Haare durchkämmte. Getragen wurde ich von solch einer...Melancholie, Traurigkeit, die nicht einer über mich hereinbrechender Welle glich, sondern einem sanften Luftkissen, das mich schwerelos fühlen liess. Keine Angst, kein Zorn, kein Hass mehr auf mein Schicksal, auf die Welt...nur noch...Schönheit. Mir war, als hörte ich all die verzweifelten Stunden besungen, in einer Dunkelheit, die so schön war, dass tief in meinem Inneren eine Art...Liebe entstehen liess, die ich mir nicht erklären konnte. Ich öffnete die Augen wieder, sah hinaus, direkt in die Verwahrlosung und Zerstörung und wurde gewahr, dass ich sie niemals verabscheut hatte. Eigentlich...das wurde mir klar...hatte ich sie schon immer auf eine Art gemocht, als unabstreitbarer Teil meines Lebens. Die Musik verstärkte dieses Gefühl, liess eine ungeahnte, besänftigende Vertrautheit desjenigen aufkommen. Und noch etwas anderes war vertraut, und da wurde mir auch bewusst, was: ich hatte dieses Stück schon einmal gehört. Jonathan hatte es auf seinem Klavier gespielt.

Was die letzten paar Zeilen angeht, fragt euch nicht :P
Sowas in der Art musste ich als Musik-Fetischist einfach mal ausprobieren zu schreiben^^.
Hm, gratuliere? Im Gegensatz zum Anfang -also der war schon gut^^- hast du dich wirklich gesteigert.

Wenn das die Empfindungen sind, die du beim Musikhören hast, dann doppelt Glückwünsch. ^^

Mach weiter so, mehr fällt mir dazu nicht ein.
dass da eine irgendeine Organisation dahintersteckt
eine irgendeine^^
und die Arme hatte er schlaff von sich gestreckt.
also wenn ich meinen Arm von mir strecke, dann ist er doch gestreckt, und nicht schlaff, oder?

Soviel zur Kritik, mehr habe ich nicht zu meckern^^
Echt schön geschrieben! So ähnlich fühle ich mich auch bei mancher Musik, daher kann ich das echt gut nachfühlen.
Also weiter so und, kein Problem, ich warte so lange bis die Geschichte zu Ende ist^^
Danke für Lob & Kritik:). Jaja, die Musik...^^
Weiter gehts:

„Die Mondscheinsonate von Beethoven“, riss mich Lynn jäh aus meinen Gedanken, „die höre ich immer wieder gerne. Vor allem in letzter Zeit. Ist zwar schon alt, aber was soll’s. Und, gefällt es dir auch, oder willst du was anderes?“
Als ich den Kopf schüttelte, fuhr sie triumphierend fort: „Der Typ dürfte in Zwischenzeit nur noch Staub sein. Nun ja, stören tut’s mich nicht. Ist immerhin besser als all das neumodische Techno-Zeugs. Schon komisch...vor über zweihundert Jahren hat der gelebt, und heute noch ist etwas von ihm übrig. Und wenn ich mir das alles im Vergleich so anschaue, dann sind die wenigen Monate, die es braucht, um nichts mehr von uns übrigzulassen, doch erstaunlich wenig.“
Die Zeit wehrte sich nicht nur, sie lachte uns auch noch aus, dachte ich und erschrak, als mir wieder ein Brennen durch die Hände lief, wagte es jedoch nicht, mich von der Verschlimmerung meines Zustandes zu überzeugen. Als sähe ich durch den blutigen Stoff hindurch, wandte ich meinen Blick bald von den Handschuhen ab, wobei mich ein unangenehmer Schauer überlief. Mit ihnen war es mir nicht mehr wohl, aber ohne sie erst recht nicht. Zeit...
„Siehe da, sie scheint dich zu mögen.“
„Wie?“
Lynn nickte wohlwollend in die Richtung des Hundes, der, wie ich gerade realisierte, schon seit geraumer Zeit zu mir aufblickte. Ich blickte zurück. Und je länger ich das tat, desto mehr überkam mich das seltsame Gefühl, das Tier wüsste, was in mir vorging. Natürlich war das unsinnig, aber dennoch...aus diesen Augen sprach eine Art...Wissen.
Schau nur, sogar ich habe Gefühle.
Ich zuckte vor Schreck zusammen, als Lynn mich mit der Schulter anstupste und lachte. „Hat dir schon jemand einmal gesagt, dass du so unglaublich nachdenklich bist? Haha, sogar einen Hund starrst du an, als würde er dir die Welt erklären. Wie auch immer: der Hund ist wohlgemerkt eine Hündin, heisst Samantha und hat ein besseres Urteilsvermögen als so mancher Mann. Sie sieht bezaubernd aus, nicht wahr?“
„Ich...ja“, erwiderte ich abgehakt, immer noch völlig perplex von Lynns Stupser. Diese Nähe...sie behandelte mich wie eine langjährige Nachbarin, mehr noch, Freundin. Es brach mir beinahe das Herz. Samantha winselte und ich streckte die Hand nach ihrem Kopf aus. Sie schnupperte daran und liess sich daraufhin über den Kopf streicheln. Sofort beruhigte sich mein schneller gewordener Puls wieder, ich seufzte leise und zog die Hand wieder zurück.
„Das einzige Problem ist“, fuhr sie fort, „dass sie ziemlich unterwürfig ist. Ihr würde es nicht im Traum einfallen, jemanden zu beissen, nicht einmal den Briefträger.“
Für einen kurzen Moment strich ein Lächeln über meine Lippen, worauf ich zu Lynn sagte: „Macht doch nichts.“
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, da drang vom Rücksitz her ein schwaches Husten. Sofort drehte ich mich um und starrte mit einer Mischung aus Sorge und unendlicher Erleichterung zu Jonathan. Sein Arm suchte gerade Halt auf dem Sitzpolster, seine Finger krümmten sich und er stöhnte leise auf. Langsam öffnete er die Augenlider, starrte verständnislos an die Wagendecke und begann daraufhin, seinen Kopf panisch hin und herzuwerfen, bis sein Blick mich traf. Sofort erstarrte er und riss die Augen auf, wobei ich nicht sagen konnte, ob er nun erleichtert oder verzweifelt darüber war, mich zu sehen. Hastig rappelte er sich auf, wobei er sich an den Kopf fasste und die Haare aus seinem Gesicht strich. Verschreckt wirkend winkelte er die Beine an und umschlang seine Knie. In den durchbrechenden Sonnenstrahlen war sein Gesicht bleicher denn je, und fast wäre ich sofort über die Sitze zu ihm geklettert, hätte mich Lynn nicht an der Schulter gefasst. Seine Augen huschten wie wild ziellos im Wagen umher und er atmete flach.
„Wo...wo bin ich hier?“, stiess er schliesslich hervor, hörbar mit der Angst kämpfend.
„Keine Angst, du bist in Sicherheit“, sprudelte ich hervor und ärgerte mich im nächsten Moment über diese nichtssagende Floskel.
„Wo du bist?“, antwortete Lynn ebenfalls, ohne dabei von der Strasse wegzublicken, „nun, wenn ich mich recht entsinne, haben wir dir eine Freifahrt Richtung Weltuntergang angeboten. Ich meine, du kannst ruhig jederzeit ablehnen, wenn du...ach, du sitzt ja schon da.“
Allem Anschein nach verstand Jonathan weder die Ironie, noch hatte er bis jetzt realisiert, dass Lynn am Steuer sass, denn er starrte sie auf eine Art an, die auch mir bekannt war, wenn ich jeweils sein blosses Unverständnis erntete. Nach einiger Zeit musste ihm bewusst geworden sein, was er da gerade tat, weshalb er sich ruckartig abwandte und stattdessen mich ansah. Verunsichert wirkend verzog er die Mundwinkel und blickte verstohlen immer wieder auf Lynn, die ihn nun ihrerseits interessiert im Rückspiegel musterte.
„Wir werden...dich heilen“, versprach ich schleppend.
„Ja, indem wir zu einem gemeinen Mann fahren, der dir ein gemeines Mittelchen mit einer gemeinen Nadel injiziert. Und schon bist du wieder fit und munter. Na, klingt doch verlockend, nicht?“
„Mann?“, fragte er in höchstem Masse verwirrt zurück.
„Ach, verzeih mir“, erwiderte Lynn, „ich verschlimmbessere: Männer.“
Als nichts erwiderte, klärte sie lächelnd auf: „GFL.“
Er sog die Luft ein, und ich half nach: „Du bist zusammengebrochen, als ich...als wir...“ Meine Stimme erstarb. Es war, als würde ein Pfeil mein Herz durchbohren, der zwar nicht wehtat, aber mich erschrecken liess. Genau noch spürte ich sie, seine Wange und die Tränen auf meinem Gesicht, spürte den Regen, als würde ich den vergangenen Moment in diesem Augenblick ein erneutes Mal durchleben. Und das wohl befremdlichste war, dass ich ihn mir zurückwünschte, selbst mit all dem Schmerz, den er mit sich trug. Ich wollte mehr Zeit für ihn gewinnen können, hätte alles dafür gegeben, ihn zu verstehen. Doch das einzige, was letzten Endes davon übrig blieb, war die ungewisse Zukunft.
Ich weiss nicht, wie lange er noch durchhält. Es könnten Tage, vielleicht sogar noch eine Woche sein.
„Du...wie geht es dir?“ Mich erneut ärgernd rutschte ich auf dem Sitz umher. Wieso brachte ich keinen Satz auf die Reihe?
„Nun...es geht so“, erwiderte er schwach.
Daraufhin schwieg ich. So eine Antwort hatte ich ungefähr erwartet, dennoch befriedigte sie mich ganz und gar nicht. Natürlich, ich konnte nicht wirklich annehmen, dass er mir auf die Sekunde genau seine verbleibende Zeit verkündete, aber diese stetige kriechende Unsicherheit machte mich noch wahnsinnig, sofern ich dies nicht schon war. Alles, einfach alles war unsicher. Was aus uns werden würde, was das alles für einen Sinn hatte und wie lange wir noch leben würden. Mit einem Seufzer bemitleidete ich meine eigene, stille Hasstirade, die nichts bewirkte. Was hätte sie schon bewirken sollen? Nichts, nichts, nichts, nichts. Ein deprimierender Gedanke, der sich mit dem deprimierenden Gefühl mischte, nichts erreichen zu können, ja, selbst ein Nichts zu sein. Jonathan lange ins Gesicht starrend, suchte ich nach einer Antwort, dessen Frage ich nicht stellen konnte, in der Angst, ihr nicht wirklich bewusst zu sein. Doch ich wusste ganz genau, dass eine Frage da war. Wieder diese Stimme in meinem Kopf, diesmal aber im Flüsterton. Alle, sprach sie, alle fühlen es doch. Du weißt nur nichts damit anzufangen. Wie ein kleines Kind.
Nein, widersprach ich innerlich, ich bin doch kein Kind mehr.
Deine Mutter ist dein Verstand, der dich hier hinein gebar. Das sagtest du doch selbst.
Irrsinn, wehrte ich mich, mein Leben reicht noch viel weiter in die Vergangenheit.
Du kannst dich nicht an sie erinnern, das weißt du.
Aber wie kann ich „es“ dann verstehen?
Gefühle sind keine Erinnerungen. Überleg doch mal: sie sind nichts weiter als chemische Vorgänge im Gehirn, die dir etwas vorgaukeln.
Nein! Das kann nicht sein! Wie kannst du so etwas nur meinen?
Es ist die Wahrheit. Nur sträubst du dich dagegen, vielleicht gerade weil es nichts gibt, was es daran nicht zu verstehen gibt.
Das glaube ich nicht. Es kann nicht sein, dass ich ihnen so schutzlos ausgeliefert bin. Ich bin ein Mensch! Ich kann wissen, was mich bewegt!
Das stimmt. Aber nicht, indem du es unterdrückst. Gefühle sind da, um sie zu fühlen, Tina, und nicht, um sie verstehen zu wollen.
Aber ich will sie verstehen! Ich will sie bändigen können! Ich will nicht ihre Sklavin sein!
Öffne die Augen, Tina. Alle sind Sklaven ihrer Gefühle. Jonathan, Lynn, du, ihr alle. Alles, was wir tun, wird letzten Endes gesteuert. Ob wir jemanden hassen, jemanden lieben oder töten. Wir können uns selbst nicht beeinflussen.
Nein, so einfach kannst du es dir nicht machen. So einfach kannst du die Schuld nicht von deinen Schultern schieben.
Schuld ist auch nur ein Gefühl.
Das...das ist Irrsinn! Das kann ich nicht hinnehmen.
Das ist gerade dein Problem.
„Hat dir schon jemand einmal gesagt, dass du so unglaublich nachdenklich bist? Haha, sogar einen Hund starrst du an, als würde er dir die Welt erklären...

, gefällt mir persönlich am besten, weil ich gerade genau dasselbe gedacht habe. ;)Es hat mehr oder weniger die Situation gerettet.
Mir gefällt, wie du momentan schreibst, pass aber auf, dass die Szene nicht zu lang wird, ich meine, dass Tina sich nicht schon jetzt "ausgesprochen" haben soll, das führt hinterher zu Wiederholungen und bringt die Geschichte in dem Sinne ja auch nicht weiter.
(Gilt nicht für die Stelle in der sie Jonathan nach seinem Wohlergehen fragt, da sind ihre Gedanken ja recht speziell)

Und wenn du ansonsten in der Richtung schon geplant hast, und es doch nicht der Fall ist, dann kannst du das hier streichen, 's soll nur ein Hinweis sein.
Danke für den Hinweis, bei der "Auto-Szene" habe ich so oder so recht viele Streichkandidaten (Zitat unseres Mathelehrers *g*) ins Auge gefasst. Hm... *nachschau*...omg, die Szene dauert noch ein Weilchen^^. Ich werde vielleicht etwas überspringen, sofern es nicht bedeutend für die Handlung ist.
Nun. Ich warte.

Ich muss das Kompliment von Naruu noch einmal bestätigen. Du hast dich wirklich verbessert im Gegensatz zum Anfang. Sehr grossartig finde ich deine Syntax. In den letzten Abschnitten hast du diesbetreffend eine enorme Vielfalt an den Tag gelegt. Das mit den Gefühlen entwickelt sich langsam zu einem Clou und jetzt ist ersichtlich, wieso dass deine Geschichte sich so stark mit Tinas Emotionen auseinandersetzt.

Naja, ich warte noch ab^^
Der Thread lebt wieder. Buahaha.
*räusper*
Nun ja, eigentlich ist diese Aktion wohl eher aus Verzweiflung zustandegekommen^^. Und da ich den Thread so schnell retten musste, hatte ich natürlich keine Zeit, was zu korrigieren. Es folgt ein weiterer, laaaaangweiliger, stümperhafter Teil. Aber ich verspreche, es wird der letzte sein: nachher beginnt ein neues Kapitel und man darf wieder ein bisschen morbide Action geniessen:) (omg, war das jetzt ein Spoiler?^^)

„Mein Gott!“ Lynns Aufruf liess mich schreckartig hochfahren. „Da liegt jemand auf der Strasse!“ Der Wagen bremste quietschend ab und kam so schnell zum Stillstand, dass ich nach vorne geworfen wurde. Sofort stieg sie aus dem Auto und schlug, nachdem sie uns einen warnenden Blick zugeworfen hatte, die Fahrertür zu. Immer noch benommen von meinen kämpfenden Gedanken stierte ich mehr aus Instinkt als aus Verstand durch die Frontscheibe und konnte eine gekrümmte Gestalt ausmachen, die vor dem Auto am Boden lag. Lynn näherte sich ihr in zögerlichen Schritten, wobei sich ihr Mund bewegte. Aber statt hinauszugehen und mir das Schauspiel näher anzusehen, drehte ich mich zu Jonathan um und griff ihm an die Schulter.
„Du...du wirst doch nichts verraten, oder?“, fragte ich zittrig, meine Finger schlossen sich noch fester um ihn.
Er sah ohne Reaktion verstört an mir vorbei.
„Bitte!“
Erst jetzt löste sich sein Blick von der beunruhigenden Szenerie und suchte meinigen, schien ihn aber nicht wirklich zu finden. Seine Augen huschten zu meinen Haaren, meinem Mund, manchmal zu meinen Handschuhen. Sie waren nach wie vor weit aufgerissen.
„Was...verraten?“ Die spröden Lippen bewegten sich mühsam, als wären sie gerade erst aus einer Erstarrung erwacht.
Das leise, schrille Lachen war aus mir herausgerutscht, bevor mir bewusst wurde, weshalb ich es eigentlich ausstiess. „Ich habe ihren Mann ermordet!“ Darin versucht, möglichst leise zu sein, hatte ich die Worte flüstern wollen, doch sie schienen mir so laut, dass sie Lynn zweifellos hören musste. Schnell sah ich über meine Schulter. Sie hatte sich zu dem reglosen Körper niedergebückt. Ich wandte mich wieder um und nahm meine Hand fast schon widerwillig von seiner Schulter, um ihn umso eindringlicher anzustarren.
„Du...wirst nichts sagen, hast du gehört?“
Er erwiderte nichts.
Kopfschüttelnd stöhnte ich auf und riss am Türgriff. Die Tür sprang auf, ich stiess mich vom Sitz ab und knallte sie wieder zu, sobald ich draussen war. Als ich sicher war, dass Lynn mich nicht dabei beobachtete, warf ich Jonathan durch die Scheibe hindurch einen drohenden Blick zu – wobei ich mich wunderte, dass ich überhaupt dazu fähig war. Und im nächsten Moment setzte ich zu einem hilflosen Lächeln an, das er aber wohl kaum mehr wahrnahm, da er auf seine Knie sah. Unfähig, der totalen Verwirrung noch länger standzuhalten, trat ich in einigem Abstand neben Lynn und betrachtete mit mulmigem Gefühl den Menschen, der unser...Vorankommen behinderte.
Es war der erschreckende Anblick einer Leiche. Die zerfetzte Kleidung liess viele Stellen zu, bei denen nackte, blutig zerkratzte Haut zu sehen war. Das Blut beunruhigte mich keineswegs, mehr waren es die Kratzer selbst, die, wie ich festzustellen glaubte, Ähnlichkeiten mit Johns Verletzung aufwiesen. Als tiefe Furchen zogen sie sich über grosse Teile des Rückens, und in der Nähe der Schulter war ein tiefes Loch zu sehen. Wortlos, aber angeekelten Blickes drehte Lynn die Leiche um und nahm sofort wieder Abstand von ihr. Dort, wo sich etwa das Herz befinden musste, kam ein weiteres Loch zum Vorschein. Nein...es war dasselbe Loch. Der Mann war regelrecht durchbohrt worden.
„Was zum Teufel...“ Sie sprach nicht weiter, sondern wandte sich ruckartig ab. Ich verharrte regungslos. Ohne...Gefühle.
Beschämt tat ich es Lynn schliesslich gleich und näherte mich wieder dem Wagen, so sehr es mir auch widerstrebte.
„Es ist nicht das erste Mal, dass ich solche Verletzungen sehe“, warnte sie, während sie das Auto umrundete, „irgendetwas scheint sich hier rumzutreiben. Auf jeden Fall sollten wir vorsichtig sein.“ Prüfend sah sie über das lackierte Dach hinweg zu mir. „Alles in Ordnung?“
„Ja“, erwiderte ich monoton und schloss die Finger um den Türgriff.
Schnell bot sie an: „Du kannst auch hinten sitzen. Ich meine, nur wenn du willst.“
Achselzuckend wollte ich die Bewegung zu Ende führen, da...zögerte ich.
„Wirklich?“ Es klang matt und kraftlos.
Sie nickte bekräftigend und stieg ein. Langsam liess ich die Hand sinken und drehte den Kopf zunächst zur Leiche, dann zu Jonathan, der nach wie vor nahezu bewegungslos im Wagen sass. Sein Blick war immer noch gesenkt, aber ab und zu erhaschte ich, wie er vorsichtig zum leblosen Körper huschte, nur um im nächsten Moment wieder abzuschweifen. Mich fröstelte. Es war nicht das erste Mal, dass mich diese seltsame Empfindung erfasste, wenn ich ihn ansah. Es mochte so etwas wie Fröhlichkeit sein, oder Unbeschwertheit. Oder auch etwas ganz anderes. Auf jeden Fall, das spürte ich, beruhigte es mich irgendwie, wenn ich auch nicht sagen konnte, weshalb. Auch darum, weil es schlicht und einfach ein Gefühl war, welches sich mit schon lange währendem Erfolg gegen die Abstumpfung behaupten konnte, und wenn es noch so ein kleiner, unbedeutender Funke war. In einer Befriedigung, die vor all dem Leid und der Zerstörung zurückzuzucken drohte, stieg ich endlich ebenfalls ein und rutschte auf den Sitz neben ihn. Er hob den Kopf, beobachtete mich aus den Augenwinkeln und senkte ihn dann wieder. Erst jetzt wurde ich der Trauer gewahr, die in seinen Zügen geschrieben stand. Ich holte Luft, das Geräusch ging im Aufheulen des Motors unter, und ich fragte: „Jonathan?“
Er erwiderte immer noch nichts.
„Ich...wir werden dich retten, versprochen.“
Schon wieder gab ich ihm ein Versprechen ab, wobei ich mir zu meiner Beschämung nicht sicher war, ob ich es letztendlich einhalten konnte. Das Lied im CD-Player wich einem weiteren, klassischen Stück. Diesmal klang es unerträglich fröhlich, ja, es erfüllte mich gar mit Abneigung. Mein Herz fing aus unersichtlichen Gründen an, gegen meine Brust zu hämmern. Als ich den Rücken gegen den Sitz fallen liess und aus dem Fenster sah, sagte er plötzlich:
„Ich bin doch kein Stein, nicht wahr?“ Er klang beinahe ängstlich.
Noch während ich irritiert zu verstehen versuchte, was er genau damit meinte, brach Lynn bereits in schallendes Gelächter aus.
Stein? Wer hat dir denn diesen Humbug erzählt?“
Da erinnerte ich mich wieder.
„Das bist du nicht“, haspelte ich so schnell wie möglich hervor und mein Herz vollführte Hüpfer, während ich mich zwingen musste, Jonathan nicht warnend anzustarren. Lynn hätte es sicherlich sofort bemerkt.
„Wieso hast du dich neben mich gesetzt?“, stellte er die nächste Frage, scheinbar ohne die vorangehenden Antworten zur Kenntnis genommen zu haben. Eine ganze Flötentonleiter erklang, bevor ich mich zu einer Antwort durchringen konnte.
„Einfach so.“
Diese zwei Wörter, einfach so, hatten etwas angenehm Harmloses an sich. Sie auszusprechen, ohne dabei seine Frage beantworten zu müssen – und wohlgemerkt auch meine – behagte mir. So musste ich mich zumindest nicht mit weiteren Antwortesuchspielchen beschäftigen, hatte ich von denen doch schon genug am Hals. Das ganze Warum und Wieso war ich langsam ohnehin Leid. So kam ich zwar umso weniger auf Antworten, aber spielte das denn eine Rolle? War es denn nicht klüger, einfach zuzusehen, abzuwarten, auf dass sich alles irgendwie von selbst lösen würde? Vielleicht brauchte ich einfach Zeit, um zu verstehen...was in mir vorging. Ein alles umwälzender Strom, der sich seinen Weg vom Kopf bis in meine Zehen bahnte. Etwas ging in mir vor, das war klar. Nur was? Es war schon Armutszeugnis genug, dass ich das nicht wusste, aber nein, ich floh gar noch davor wie ein Schuljunge vor einer eingeschlagenen Fensterscheibe, liess die Frage im Stich, liess...mich selbst im Stich. Es war so fürchterlich...falsch. Und ich konnte so fürchterlich wenig dagegen tun.
„Na...immerhin war’s ein Mann.“ Lynns Stimme schwankte zwischen Verachtung und Mitleid und verebbte in einem Seufzer. Der Wagen vollführte einen Schlenker, ich erhaschte einen letzten Blick auf die Leiche, an der wir vorbeifuhren, bevor ich sie aus den Augen verlor.

Der Himmel hatte sich mittlerweile vollkommen in ein hellbläuliches Daunenkleid verwandelt. So langsam, dass man sich ihrer Bewegung kaum bewusst wurde, zogen nur noch Schlieren vorbei, die einem Produkt schlecht geführten Pinselstrichs glichen, und verschwanden hinter Birken, an deren Ästen die hängenden Blätter als Schatten im Licht tanzten wie eine ganze Fledermauskolonie. Von den schrägen Fenstern der lückenhaften Ziegeldächer spiegelte sich stechend die Sonne wider, die nun den Höchststand erreicht hatte. Die gradlinige Quartiersstrasse schien kein Ende nehmen zu wollen. Häuser, Gärten, Häuser. Zäune, spitze Holzpfähle, zwischen denen sich die Pflanzen ihren Platz ergatterten. Schon drei Hunde waren vor uns über die Strasse geschlichen, geduckt, als fürchteten sie sich vor dem Tageslicht. Bedrohlich sahen sie aus, die Laternen, die, ihrer Nutzung beraubt, mit ihren krummen Hälsen über die stille Einöde wachten. Obwohl ich es bereits aufgegeben hatte, meinem Zeitgefühl zu trauen, das irgendwo zwischen Irrwitz und Hoffnungslosigkeit hin und her pendelte, wagte ich die unzulängliche Vermutung, dass seit unserer Begegnung mit der Leiche bereits wieder mehrere Stunden verstrichen waren. Und in all diesen Stunden hatte sie uns begleitet.
Die Menschenleere.
Es war so seltsam...dieses...Angenehme, Beruhigende war wieder da. Hatte sich in mich eingeschlichen, in mir eingenistet, von mir Besitz ergriffen. Aber das war nicht einmal das Seltsamste. Noch seltsamer war, dass ich genau die gleiche Empfindung mit trug, welche ich damals gehegt hatte. Diese völlige Ruhe. Das Bild der Rosenblätter auf dem Tisch kam mir erneut vor Augen. Ich schloss sie, gab mich dem Bild noch mehr hin, versuchte zu verstehen.
Und ich verstand.
Letztendlich. Ich öffnete die Augen wieder. Letztendlich war es doch nicht der Zerfall selbst, dessen Grazie mir so erschreckend imponierte. Es war die Langsamkeit desselben, es waren die kaum merklichen Schritte, mit welchen er voranstolzierte. Ich sah auf Lynns Finger. Sie bewegten sich hektisch. Dann sah ich wieder nach draussen. Nichts. Keine Bewegung. Ich lächelte. Kein lärmender Verkehr. Keine am Strassenrand einher hastenden Menschen. Keine spielenden Kinder.
Halt? Sicherheit?
Meine Lippen kräuselten sich. Wo dachte ich nur wieder hin? War es denn nicht schrecklich, dass so viele Menschen ihres Lebens entrissen worden waren? Na? War es denn nicht schrecklich? Aufgewühlt betrachtete ich, der Kümmerlichkeit dieser Geste ganz und gar bewusst, meine Knie. Wo war ich nur hingelangt, dass ich Mitleid aufzwingen musste? Mitleid unzähligen Menschen gegenüber, die ich nie gekannt hatte und nie kennen würde? Nicht einmal ein Seufzer erlöste mich von dieser inneren Zerrissenheit. Ein Teil von mir wollte all dies vergessen, verschwinden lassen, geschehen lassen, sodass ich leichter zu leben hätte. Der andere Teil jedoch wehrte sich vehement dagegen, die Schuld abzuwerfen, weiterzuleben. Wobei ich ja nicht einmal wusste, wie lange ich noch leben würde. Hatte ich also nicht schon genug eigene Probleme?
„Tina...ich...weisst du was?“, murmelte Jonathan unangekündigt.
Kaum drehte ich mich ihm zu, zuckte er leicht zusammen und richtete seine Augen betreten von mir weg, doch mir war nicht entgangen, dass er mich die ganze Zeit über beobachtet hatte. So, wie er meinen Namen aussprach...es hatte etwas Bedachtes, ja, Behutsames an sich, stellte ich verlegen fest. Als würde er mir hohe Achtung zollen.
„Ja?“, fragte ich zurück und lächelte. Meine Hand schwebte unversehens über dem wirren, verstrubbelten Haar.
Es bereitete ihm sichtlich Mühe, weiterzusprechen, doch allem Anschein nach hing er so verbissen an der Aussprache seines Gedankens fest, dass er stockend hervorpresste:
„Weißt du...ich...ich habe noch nie...“ Er unterbrach sich für einen längeren Moment, schöpfte Luft und fuhr dann aber doch fort: „Ich meine, es ist so, dass...nun ja, ich glaube, du weißt, dass ich vorher nicht sonderlich...mit vielen Menschen zu tun hatte. Aber...plötzlich...jetzt, da alle weg sind...da bin ich trotzdem irgendwie...gar nicht mehr so einsam.“
Er warf mir ein scheues Lächeln zu und ich verfiel unerwartet einem beglückten Kichern.
„Meinst du wirklich?“ Mit den Fingern durchfuhr ich sein Haar. Es fühlte sich weich an. Er duckte den Kopf nicht vor mir weg, stattdessen sank er in den Sitz zurück, als ich meine Hand wieder zögerlich zurückzog, und warf einen Blick in den Rückspiegel. Seine Hände zitterten, und er begann, hin und her zu rutschen, wobei er immer wieder auf meine Oberschenkel lugte und auf seine Finger, die sich in deren Nähe an das Sitzpolster klammerten. Als würde er durch die deutliche Gefühlsregung von...Glück, Befreiung, die in seiner Stimme gesprochen hatte, vollkommen den Halt verlieren. Er stiess dann den Atem mit einem Male heftig aus, als ob er etwas Verbotenes erwirkt hätte. In meine immerwährende Besorgnis um seinen Gesundheitszustand warf sich jäh ein gutheissendes Lächeln. Merkwürdig, welch einfache Gedanken dem geistigen Ungemach entflohen, aber...wir hatten wohl doch etwas gemeinsam.
„Du brauchst dich nicht...“, begann ich zögerlich, „du brauchst dich nicht dafür zu schämen, Jonathan.“
Das Wort „dafür“ floss mir aus dem Mund, als wäre es zähflüssiger Brei. „Ich meine“, fuhr ich fort, „jeder darf doch glücklich sein...oder nicht?“ Man hörte ohne Zweifel eine eigentliche Frage heraus. Und obwohl ihm klar sein musste, dass ich lediglich erspüren konnte, was in ihm vorging, sah er mich daraufhin an, als hätte ich seine innersten, tiefsten Wunden mutwillig mit einem Messer traktiert.
„Jeder...will doch glücklich sein. Jeder hat doch...Gefühle.“
Das Beben in meiner Stimme schlug wie im Sturm gegen das wackelige Gerüst meiner eigenen Worte, um dessen Glaubhaftigkeit ich rang, wie ein gackernd höhnender Wind. Jede Stütze umklammernd hoffte ich auf irgendeine Antwort, auf eine Bestätigung, doch ihrer Statt drehte sich Jonathan gegen die Autoscheibe, betrachtete die drohenden Fassaden und wiederholte nur leise:
„Jeder.“
Naja, ich mach dann mal weiter:

Kapitel 9 – Der Transport


Hinter einer der seltenen Biegungen war die Absperrung aufgetaucht. Nur Schemen des metallenen, mit Drähten und Stacheln versehenen Machwerks waren zu erkennen, dennoch lösten sie einen ungeahnten Unmut aus. Ein Gefühl der Machtlosigkeit, eine Furcht im Magen begleitete den Anblick des Maschengitters, das uns davon abhalten sollte, unkontrollierte Ausflüchte zu wagen. Jetzt erst, da mir die Funktion der Absperrung bekannt war, schuf es ebendiese Abschreckung, für die sie wohl gedacht worden war. Quarantäne...das Wort spukte in meinen Gehirnwindungen umher und liess nicht ab, ehe wir nur noch wenige hundert Meter von dem Durchlass, den Lynn erwähnt hatte, entfernt waren. Es war eine Schranke zu sehen, die, von zwei wachturmartigen Gebilden flankiert, beinahe lächerlich wirkte. Ein rasendes Auto hätte ihn locker durchbrechen können. Die Strasse dahinter führte geradewegs in die Ebene hinein, die um einiges grüner wirkte als das letzte Mal. Entfernt waren wieder Landwirtschaftskulturen und Wassertürme sichtbar, und auch den Turm, der in der Nacht aufgeleuchtet hatte, glaubte ich wieder zu erkennen. Allerdings, so schätzte ich, brauchte es eine ziemliche Weile, um ihn erreichen zu können. Er lag hinter einer bewaldeten Anhöhe, weshalb nur seine Spitze zu sehen war. Der Wald zog sich auf beiden Seiten in die Breite und reichte an einigen Stellen bis an die Strasse. Zu unserer Rechten, ganz in der Nähe, befand sich ein graues, schmuckloses Gebäude, neben dem mehrere Lastwagen standen. Es erweckte den Eindruck, als stände es noch nicht lange hier. Eine Tür reihte sich neben die auf etwaiger Blickhöhe klaffenden Fenster, die dunklen Löchern glichen. Sie stand offen.
Und da erschien jemand bereits im Türrahmen. Er füllte den engen Platz auf der Schwelle beinahe komplett aus und war in eine weisse Kleidung gehüllt, die aus Gummi, Plastik oder ähnlichem zu bestehen schien. Der mit durchsichtigem Kunststoff versehene Helm wippte auf und ab, als die Gestalt uns mit weiten Schritten entgegeneilte. In den Händen hielt sie ein Gewehr. Ich konnte sie zwar nicht sehen, aber dennoch glaubte ich noch mehr neugierige Blicke zu spüren, die auf uns ruhten. Tatsächlich erschienen noch zwei weitere Menschen, die aber im Gegensatz zum anderen Militärkleidung trugen und abrupt stehen blieben, als sie uns sahen. Neben mir vernahm ich Lynns unterdrücktes Aufstöhnen. Samantha knurrte.
„Na toll“, raunte sie mir zu. Die seltsame Gestalt steuerte direkt auf die Fahrertür zu. Eine ebenfalls handschuhbedeckte Faust klopfte unsanft gegen die Autoscheibe, die zweite Hand winkte uns träge mit dem Gewehr zu. Lynns Pferdeschwanz pendelte hin und her, als sie die Scheibe mit einem „Tss“ hinunterkurbelte und den Mann mit offener Feindseligkeit anstarrte.
Eine gedämpfte, verzerrte Stimme drang aus der Schutzkleidung. Sie klang fast schon ein wenig wie die Stimme im Radio, stellte ich mit Beunruhigung fest.
„Was haben sie vor?“
Sie wurde von immer wiederkehrenden, langwierigen Atemzügen gestört. Das Ganze erinnerte mich böse an das Atemgeräusch bei Tauchern. Lynn schüttelte energisch den Kopf.
„Das sehen Sie doch“, erwiderte sie genervt. Die Ungeduld, mit der sie sich ausdrückte, überraschte mich. So ruppig kannte ich sie gar nicht. Eine Antwort blieb aus, stattdessen machte die Gestalt einen Schritt in meine Nähe und bückte sich, um die Rücksitze des Wagens erspähen zu können. Ihre Bewegungen machten einen schwerfälligen Eindruck. Durch all die Scheiben hindurch war das Gesicht nur schwerlich zu sehen, doch waren da eindeutig zwei Augen, die mich misstrauisch musterten. Ich könnte das Fenster hinunterkurbeln, dachte ich mir, rührte aber keinen Finger. Die Gestalt streckte ihren Rücken und wandte sich wieder Lynn zu, die wie versteinert im Sitz verharrte. Die schwerfälligen Bewegungen des Mannes hatten etwas Emotionsloses an sich, so, als wäre er einer täglichen Routine verfallen. Zu den zwei Soldaten im Hintergrund war jetzt noch ein dritter hinzugestossen, der kurz mit den anderen Blicke wechselte. Auch er trug ein Gewehr, womit er umherschwenkte und es schliesslich mit einem feixenden Grinsen auf den Rücken schnallte, bevor er eine ebenso steife Haltung einnahm wie seine Kameraden.
„Es sind Infizierte.“ Ein warnendes Geräusch, ähnlich einem Schauben, ertönte. Als sich Lynn aus dem Fenster zum Mann hinbeugte, bekam ich ihre Miene zu Gesicht. Sie war sichtlich erblasst, und es schien, als müsste sie sich mit aller Gewalt beherrschen.
„Das weiss ich“, antwortete sie mit einem Zähneknirschen. Er ging nicht darauf ein.
„Sie begeben sich freiwillig in akute Gefahr, ist Ihnen das bewusst?“
Wieder ein Schnauben, und der Mann wuchtete seinen Helm bemühend hin und her, was wohl ein ungläubiges Kopfschütteln andeuten sollte.
„Das brauchen Sie mir nicht zu erklären, werter Herr“, spottete sie bissig zurück, „und nun wären Sie so freundlich und würden uns durchlassen?“
Wie auf ein Zeichen riss der Mann sofort das Gewehr in die Höhe und zielte Lynn direkt auf den Kopf.
„Das kann ich leider nicht zulassen.“
Eine Spur gespielten Bedauerns mischte sich in die monotonen Klänge des Atems.
„Ach ja?“
Für einen Moment sah Lynn aus, als wolle sie tatsächlich einen Fluchtversuch wagen. Doch so schnell sich ihr ganzer Körper angespannt hatte, liess sie wieder von ihrem Vorhaben ab und ihre Schultern sanken. Geschlagen warf sie ihren Arm auf das Lenkrad und lehnte den Kopf zurück.
„So leid es mir tut, ja.“ Es tönte nunmehr herablassend. „Wir dürfen Sie nicht durchlassen. Sie wären eine Gefahr für die Umwelt. Und der Krisenstab besagt, dass...“
„Sagen Sie einfach, was Sie von uns wollen“, unterbrach sie ihn resigniert. Das war wohl zuviel des Guten gewesen, denn mit einem gehässigen Schauben zielte er mit dem Gewehr – und schoss auf einen der Reifen. Ein Zischen verriet, dass unsere Weiterfahrt wohl oder übel besiegelt war. Neben mir zuckte Jonathan wie so oft zusammen und Samantha bellte.
„Oh, toll haben Sie das gemacht!“, giftete sie mit unverborgener Wut, „zwei Sachen gleichzeitig...“
„Aussteigen!“
Der Befehl war knapp und unmissverständlich. Mit einem flauen Gefühl im Magen leistete ich ihm Folge, Jonathan tat es mir gleich, Samantha und schliesslich Lynn zuletzt mit einigem Sträuben ebenso. Ihr Mund hatte sich in kalter Wut zu einem schmalen Schlitz verengt. Es roch nach Öl und versengtem Plastik, ich atmete Staub, der unter meinen Füssen vom trockenen Kiesboden aufwirbelte, der unmittelbar an die Strasse angrenzte. Das ganze Gebäude, vor dem die Soldaten standen, glich mehr einer unfertigen, ramponierten Bauruine als einem richtigen Haus. Ich rümpfte die Nase. Die Lastwagen, es waren etwa sechs, waren unter einer gespannten, grünlichen Plane parkiert, an dessen Ecken kleine weisse Fähnchen im Wind flackerten. Die massiven Gefährte hatten starke Ähnlichkeit mit dem Lastwagen, den ich vor meinem Treffen mit John gesehen hatte. Eintönig grau, mit verstaubten, undurchsichtigen Windschutzscheiben.
„Richard, komm mal her!“
Der Soldat, der gegrinst hatte, kam schnellen Schrittes zu uns hinüber. Vor dem Mann im Schutzanzug blieb er stehen und warf einen schnellen Blick auf mich und Lynn, wobei schon wieder ein dümmliches Grinsen über sein Gesicht huschte.
„Wir haben hier einen Haufen dieser verfluchten Nachzügler. Wenn es nach mir ginge, würde ich sie gleich erschiessen, aber wie es aussieht, muss doch noch ein Transport ins Injektionslager gemacht werden.“
Der Soldat machte ein verdutztes Gesicht. „Aber Carter hat gesagt, unter vier...“
„Unter drei, du Blödmann! Und ausserdem können sie auch den Köter brauchen.“ Die aufgestaute Aggression entlud sich allem Anschein nach auf den bemitleidenswerten Untergebenen. „Die drei Stunden wirst du wohl noch für diese Weiber opfern können.“
Der Soldat grinste wieder.
„Und ihr dort hinten, vergesst nicht, nachher wieder die D-Kugeln einzuschalten, klar?“, rief der Mann im Anzug den beiden anderen zu, die sich schon auf dem Weg ins Gebäude befanden, „wir wollen hier keine verdammten Blechbüchsen!“
Wieder Richard zugewandt fügte er hinzu: „Und du machst mir keine Dummheiten, verstanden? Wenn du in vier Stunden nicht wieder zurück bist, kannst du draussen bleiben. Und nun mach schon, nimm sie mit!“
Richards Grinsen blieb nun für einen längeren Zeitraum, wobei ich mich fragte, was er damit auszudrücken versuchte. Er machte einen Schritt aus uns zu, nickte unbeholfen und gab mit übertriebener Lautstärke von sich:
„Wenn die Ladies mir folgen würden?“
Schon machte er auf dem Absatz kehrt und schritt auf einen der Lastwagen zu, wobei er sein Gewehr schwang. Ich machte keine Anstalten, ihm nachzugehen, sondern stand da, als hätte man mich an den Boden gekettet. Erst Lynns zerrender Griff liess die Kette reissen und ich stolperte los. Jonathan und Samantha folgten uns wortlos. Der Mann in Schutzkleidung begann, den Wagen zu durchsuchen, wobei er immer wieder leises, verzerrtes Lachen ertönen liess, als der die CDs geräuschvoll auf dem Boden verteilte.
„Idiot“, murmelte Lynn hasserfüllt.
„Wie bitte?“ Richard, der bereits die Fahrertür des Lastwagens geöffnet hatte, lugte blinzelnd zu uns zurück. Sein Grinsen war unergründlicher denn je.
Na hör mal, das sind aber auch mehr als zwei Seiten, es ist Weihnachten, und für mich -um es noch mal zu bemerken- fürchterlich demotivierend, weil ich selbst nichts Vergleichbares schaffe.
Du solltest auch daran denken, dass man kleine Abschnitte besser und genauer kommentieren kann.

-Aber, sozial wie ich bin, verzeihe ich dir. ;D

Es war so seltsam...dieses...Angenehme, Beruhigende war wieder da. Hatte sich in mich eingeschlichen, in mir eingenistet, von mir Besitz ergriffen. Aber das war nicht einmal das Seltsamste. Noch seltsamer war, dass ich genau die gleiche Empfindung mit trug, welche ich damals gehegt hatte. Diese völlige Ruhe. Das Bild der Rosenblätter auf dem Tisch kam mir erneut vor Augen. Ich schloss sie, gab mich dem Bild noch mehr hin, versuchte zu verstehen.
Und ich verstand.
Letztendlich. Ich öffnete die Augen wieder. Letztendlich war es doch nicht der Zerfall selbst, dessen Grazie mir so erschreckend imponierte. Es war die Langsamkeit desselben, es waren die kaum merklichen Schritte, mit welchen er voranstolzierte. Ich sah auf Lynns Finger. Sie bewegten sich hektisch. Dann sah ich wieder nach draussen. Nichts. Keine Bewegung. Ich lächelte. Kein lärmender Verkehr. Keine am Strassenrand einher hastenden Menschen. Keine spielenden Kinder.
Halt? Sicherheit?


Ist mir so grob aufgefallen. Ich kritisiere eigentlich niemandens Stil, aber das klingt irgendwie nicht nach dir. Ich will nicht direkt sagen, dass es nicht zum Rest passt. Und diesmal kann ich wirklich nicht nachvollziehen, warum die Stille Halt oder Sicherheit verspricht, bzw. dass sie sich die Frage stellt. Was ich mir vorstellen könnte, wäre... so ein Gefühl an einem Strick zu hängen, der erstmal Halt gibt aber jeden Moment reißen könnte. Also keine wirkliche Sicherheit. - Nicht die Beste Formulierung aber ich glaube man weiß was ich meine.

„Tina...ich...weisst du was?“, murmelte Jonathan unangekündigt.Besser vielleicht unvermittelt oder überraschend, er kündigt sich ja sowieso nie an, nur so am Rande. ;)

Ich bin allgemein erleichtert, wenn Jonathan sich ab und an zu Wort meldet, aber vor allem das find ich ziemlich gut, denn es wirkt irgendwie... süß und ein guter Kontrast zu Tinas düsteren Gedanken. ^^
Was er weiterhin sagt ist auch recht tiefgründig, doch, doch. :)
Ihr Kichern als Antwort ist für meinen Geschmack zwar etwas zu viel Gefühlsausbruch - müsste ich schreiben, hätte sie ein Kribbeln in der Nase und Druck auf den Schläfen, wie als wäre man den Tränen nahe. So etwas ist in meinen Augen realistischer, andererseits ist sie deine Figur. Ich weiß nichtmal, warum ich das schreibe. Meine Meinung, eben.
Mit diesen Andeutungen die darauf folgen muss ich noch klar kommen, weil ich zu naiv für sowas bin.
Ansonsten... insgesamt gelungener Teil.

--Ehm, Kapitel 9? *luftholt*--

Sie klang fast schon ein wenig wie die Stimme im Radio, stellte ich mit Beunruhigung fest.
Blabla... :P
Sowas kann ganz weg oder stattdessen Zu meiner Beunruhigung stellte ich fest, dass sie fast ein wenig klang wie die Stimme im Radio.
Ganz sauber ist das auch nicht, aber der Unterschied: Die entscheidene Information kommt erst am Ende des Satzes, man ist also gezwungen, aufmerksam zu lesen. Bei deiner Version driftet man ein bisschen ab, auch wenn es nur kurz ist. (Soll auch ein grundsätzlicher 'Tipp' sein.)
Die Aussage, das heisst den Vergleich mit dem Radiosprecher, find ich dagegen gut. Trägt zur Atmosphäre bei. ^^

Ich habe fertig. v.v Zum Inhalt: Jap, es geht weiter. =D
O_o

LOL, haha, da kommt lange Zeit nichts und nun auf einmal so ein riesiger Kommentar :P
Na, dann fröhliche Weihnachten und danke fürs Kritisieren:)
Tja, was soll ich noch gross sagen? Öhm...danke für die geopferte Zeit? :P

Was ich aber nicht verstehe: wie kann ich nicht wie ich klingen?^^
Ich finde, das mit der Ruhe, die Halt und Sicherheit verspricht, ist gerade auch so eins meiner exklusiven Gebäcke (*seufz* bitte keine Fragen zur Wortwahl). Ich weiss ja nicht, wie es dir geht, aber wenn es ruhig ist, fühl ich mich unter Umständen manchmal auch sicher und wohl^^. So einsam-aber-glücklich-durch-die-Nacht-streif-Typ-mässig

Aber na ja, lassen wir das^^.
Das ist jetzt eine philosophische Frage... ;D

Nja, es ist schon so dass man sich dem Stil anpasst, den man in einer Geschichte benutzt hat. Und wenn ich dich meine, meine ich die Story, vor der du stehst.
Kk, lassen wir das. ^^

Vielen Dank, wünsch ich dir auch und hoffe, es geht bald weiter. *wink*
So, das sind jetzt knapp 2 Seiten. Ich denke mal, zumindest die Länge dieses Abschnittes ist gut zu verdauen^^.

Als die Lifttür aufging, drückte ich in die Ecke zwischen Schalttafel und Rahmen. Zunächst sah es so aus, als ob der Geschäftsmann gedankenlos aus dem Lift treten wollte, dann aber drehte er sich noch einmal zu mir und machte ein Gesicht, als hätte er die tausend Fragen, die ihm allem Anschein nach auf der Zunge lagen, ohne Antworten zurücknehmen müssen. Langsam verengten sich seine Augen zu Schlitzen und die glatte Stirn glich schon bald einer durchfurchten Landschaft. Hallende Geräusche drangen in die Kabine. Schuhabsätze, die auf Steinboden schlugen, Telefone, die ununterbrochen klingelten, Stimmengewirr, hin und wieder ein erregter Ausruf. Das Stirnrunzeln wich einem Grinsen, als sich der Mann wieder von mir abwandte und mit steifer Haltung aus dem Lift marschierte. Das glänzende Metall, auf dem meine Handfläche lag, begann zwischen meinen Fingern durch den Schweiss rutschig zu werden. Ich wagte es nicht, einen Blick nach draussen zu werfen, sondern tastete fiebrig nach dem Knopf mit der Aufschrift UG. Was würde mir das eigentlich nützen? Sie suchten sicher schon überall. Schnell schob ich den pessimistischen Gedanken zur Seite und presste meinen Finger darauf. Er bog sich, wurde weiss, ein Knacken. Die Stimmen wurden lauter, und plötzlich ertönten Wortfetzen, die dem eben getroffenen Mann zuzuordnen waren.
„Frau...was? sucht...ja...“
Die elektronischen Flügel der Lifttür näherten sich einander wieder. Gebrüll. Es wurde lauter. Schnell trappelnde Schritte. Mehrere spitze Schreie, währenddessen immer dieses Telefon. Und da war noch etwas, das dumpf zu Boden fiel. Bald würden sie hier sein!
Ich hätte alles dafür gegeben, den Schliessvorgang zu beschleunigen, doch ich konnte nur machtlos zusehen, wie die Tür unendlich langsam zu glitt. Der Spalt war noch gross, es würde jemand hindurchpassen. Der Schrei, der aus meinem Mund weichen wollte, verwandelte sich in der Kehle zu einem drückenden Etwas, das mir die Luft zum atmen nahm. Das Blut, ich spürte, wie es durch mich raste. Die Lifttür schloss sich noch weiter. Die Schreie und das Getrappel wurden noch lauter. Schon konnte ich einzelne, tiefe Stimmen vernehmen, die sich durch die Tür pressten, als wollten sie sie auseinanderreissen.
„Dort drin!“
Der Boden zitterte. Oder waren es meine Knie? Ein quietschendes Geräusch erklang, als würde etwas über die Tür kratzen. Der Spalt verschmälerte sich. In wenigen Sekunden würde er ganz geschlossen sein. Es war, als würde die Faust, die nun gegen die Tür donnerte, den Weg geradewegs in meine Eingeweide finden. Die Tür schloss sich noch mehr, die Schreie wurden leiser. Nur noch ein winziger Spalt, durch den gerade Mal eine Hand passen würde, trennte mich vor der Rettung.
Und da pressten sich mehrere Finger hindurch.
Beinahe im selben Augenblick, in dem sie sich durch den Spalt quetschten, krümmten sie sich und suchten Halt auf der Oberfläche der Tür. Man würde sie aufpressen.
Ich zögerte nicht lange. Im Nachhinein wusste ich nicht mehr, ob es lediglich nackter Instinkt oder Wut gewesen war, die mich dazu trieb. Doch eins wusste ich noch: wie sich der hässliche Geschmack des Blutes auf meine Zunge ergoss, als ich auf die Finger biss. Der Schrei frass sich bis ins Innerste des Gehörgangs. Die rote, dicke Flüssigkeit floss über meine Lippen...Fleisch. Die Fingernägel stachen in meine Wange. Noch ein Schrei, meine Knie drohten unter mir nachzugeben, der Kloss löste sich und aus meiner Kehle drang nichts, was ich vorher gekannt hatte. Es schien mehr von einem Tier zu haben als von einem Menschen. Wie ein Röcheln klang es, aber es war dumpf verzerrt, vielleicht, weil es gegen die offene Wunde traf, in die sich meine Zähne tief vergraben hatten. Der Schrei schwoll noch mehr an, ein Tropfen auf den Boden. Ein gedämpftes Wimmern, die Finger zuckten zurück, durch den Spalt. Die Lifttür schloss sich gänzlich, ein Ruck ging durch die Kabine, und da war das einzige, das noch herrschte, die Stille.
Stille.
Druck im Magen. Ich fuhr nach unten. Mit offenem Mund, den Kopf weit in den Nacken geworfen, liess mich von der Deckenbeleuchtung blenden, dachte nichts dabei. Dachte nicht daran, was mit mir geschehen würde. Dachte nicht daran, was mich erwarten würde. Dachte nicht daran, was ich gerade getan hatte. Nur dieses Licht. Nur dieses Stechen in den Augen. Nur dieser Schmerz. Nur diese...Wut, diese Trauer, diese Freude. Dieses weisse Nichts.
Jetzt war der Lift am Ziel angelangt.
Die Tür ging wiederum auf – und ich erblickte keine Tiefgarage.
Das Stirnrunzeln wich einem Grinsen
Inwiefern steht die Stirn mit dem Mund in Verbindung? ^^
Das solltest du getrennt beschreiben, etwa:
Das Stirnrunzeln verschwand. Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen.
Natürlich nicht direkt so. ;D Nur damit du weißt, was ich meine.

Und da pressten sich mehrere Finger hindurch.
Beinahe im selben Augenblick, in dem sie sich durch den Spalt quetschten, krümmten sie sich und suchten Halt auf der Oberfläche der Tür. Man würde sie aufpressen.

Ehm... ^^ vielleicht Und da pressten sich mehrere Finger hindurch, kümmten sich und suchten Halt auf der Oberfläche der Tür. Sie würden sie aufschieben.
Würde ich zumindest schreiben, weil sich die ersten beiden Sätze im Prinzip nur wiederholen. "Sie", weil die Aufmerksamkeit die ganze Zeit nur auf die Finger gerichtet war, nicht auf die Person, zu der sie gehören.

Naja, ich warte noch ab wie es weiter geht.

Wünsch dir noch ein frohes Neues. ^^
"Der Schrei frass sich bis ins Innerste des Gehörgangs."
Da würde ich "meines Gehörgangs" schreiben.

"meine Knie drohten unter mir nachzugeben, der Kloss löste sich und aus meiner Kehle drang nichts, was ich vorher gekannt hatte."
Welcher Kloß? Den hattest du vorher nicht erwähnt.
Und es klingt etwas ungewöhnlich ich würde es andersrum machen "aus meiner Kehle drang etwas, das ich vorher nicht gekannt hatte." So liest es sich flüssiger. Aber andererseits mag es wohl dein Stil sein ...

Sonst hab ich nichts gefunden es ist saumäßig spannend und ich warte schon gebannt auf den nächsten Teil :-)
Ein quitschendes Geräusch? Von etwas kratzendem ? Ich glaub nicht das soetwas möglich ist.

Mir gefällt der letzte Satz. Nur nimm bitte das wiederum raus. Das Wort sollte man möglichst vermieden es klingt schrecklich und jeder weiß was du sagst wenn du nur vom öffnen der Tür sprichst :) ...

Bitte mehr.
@Leer: Hast du ALLES gelesen? O_o falls ja: ich hätte nicht gedacht, dass es jetzt noch Neueinsteiger gibt XD.
Beim Kratzen habe ich da an was ähnliches wie die berühmte Wandtafel gedacht. Das gibt ja auch einen unangenehm quietschenden Ton, wenn man mit den Fingernägeln darüber kratzt^^.

Neues wird (glaube ich) noch folgen...

Naja...ich weiss ja nicht, ob ich mit dieser Info wirklich rausrücken soll, aber eigentlich habe ich das "Buch" jetzt bereits fertig geschrieben^^. Es sind insgesamt 213 Word-Seiten dabei rausgekommen (gedruckt wären das etwa grob 350 Buchseiten). Der obige Abschnitt befindet sich auf Seite 157^^.
Ja, ich weiss, ich verdiene es, geschlagen zu werden, da ich mit dem Posten immer so hinterherhinke XD.
Nun frage ich mich, ob ich das hier in dieser Form noch weiterführen soll, oder ob ich es allen, die es gern lesen möchten, einfach schicken soll. Aber leider sind die Möglichkeiten begrenzt, ich habe kein ICQ (nur MSN), und ich weiss nicht, ob man 940 KB grosse Dokumente per Mail so einfach schicken kann. Mein Mail-Programm spinnt auch manchmal...
(Und da wäre noch die Gefahr eines Plagiats, was ich aber eher für unwahrscheinlich halte^^)

Mögen die LeserInnen entscheiden.
Bitte? ;D
Also mit dir hab ich gar kein Mitleid mehr. xD

Also E-Mail Programme funktionieren soweit ich weiß nie, bei irgendjemandem. oO°

Aber, doch, das geht schon, ich erinnere mich daran, was Drachenmond mir einst für Dokument-Monster schickte.
Und 940 KB? Das ist ja verhältnismäßig nichts. ;D

Ich würde dir aber auf jeden Fall empfehlen, trotzdem hier weiter zu machen, ich hab festgestellt, dass ein Forum mich mehr... motiviert, zu kommentieren. ;) Die Einrichtung ist irgendwie schöner.
...andereseits wüsste ich gern was als nächstes passiert, also wenn ich vertrauenswürdig genug bin.. o,o
Ich würde dich auch mit solchen Kritiken verschonen, ich will es ja nur lesen..! ;D
Falls Hotmail nicht lügt, sollte ich es dir nun geschickt haben :P

Und ich denke auch, dass ich hier weitermachen werde^^.

(und wieso hast du jetzt kein Mitleid mehr mit mir? Ich bin doch soooo ein armer Kerl XD)
Die Tür schloss sich weiter

geht das? Hab jetzt nicht alles gelesen aber das is mir aufgefallen als ich das letzte Ende gelesen habe.
Also für mich klingt das holprig.
Unsereins würde für deine Produktivität Morde begehen, und du scheiterst am Kopieren-Einfügen-Abschicken-Prozess, darum bist du nicht zu bemitleiden. ;D

Vielen Dank. :)
Na hör mal, Kopieren-Einfügen-Abschicken ist eine Sache für sich. Da wären die komplizierten Webseiten...ok, ich hör schon auf XD.
Manchmal bin ich eben zu faul dafür (paradox? :P)...und ausserdem würde ja niemand mehr mitkommen^^.

@NichtDeinErnst: Du hast vielleicht Recht, es klingt ein wenig seltsam.

Und wieso wird dieser Abschnitt so viel gelesen?
Blutgeilheit? XD
Ständig hatte ich das Gefühl, die Strasse würde unter unseren Rädern wegrutschen. Das Dröhnen des Motors in den Ohren schob ich die Plane wieder zurück, und die ständig polternden Holzkisten wurden wieder in graues Dämmerlicht getaucht. Es waren nur noch weisse Schaumgummistücke in ihnen, die über die Ränder zu quellen drohten. Lynn sass auf einer geschlossenen Kiste mit einer Zahlenaufschrift, Jonathan lehnte sich kauernd gegen die Wand, und ich selbst sass in der Nähe des Ausgangs.
Niemand hatte mehr ein Wort gesprochen, seit wir im Laderaum des Lastwagens festsassen.
Weder wussten wir, was uns erwarten würde, noch, ob wir die nächsten Stunden überleben würden. Wie ein kalter Mantel legte sich die Ungewissheit auf uns – wobei ich mich gar nicht so anders fühlte als sonst. Hatte mich wohl daran gewöhnt, nicht sicher zu sein, wohin der Weg führte. Neben den Kisten gab es nicht viel, das meinen Blick kreuzte. Dort ein paar dieser Anzüge, wie weisse Laken sahen sie aus. An der Wand, die an die Fahrerkabine angrenzte, war halb verborgen zwischen den Kisten ein kleines Guckloch eingelassen. Viel konnte man jedoch dahinter nicht erkennen, lediglich ein Teil der grossflächigen Frontscheibe wurde sichtbar. Hin und wieder ertönte ein Knarren, wenn Richard sich in seinem Sitz zurücklehnte. Auch er hatte nichts mehr gesagt, seit wir losgefahren waren, nicht einmal sein Grinsen hatte er uns gezeigt. Manchmal gab er ein Räuspern von sich oder hantierte an irgendwelchen unerkennbaren Gerätschaften herum, sonst war er still. Der Wind rauschte um die Plane und hob sie manchmal an, sodass ein kurzer Blick auf die weiten Felder zu erhaschen war. Sie waren teilweise noch bestellt, grösstenteils aber mit wucherndem Gras überzogen. Die Absperrung war schon längst in der Ferne verschwunden, und ich fragte mich, wo diese Strasse wohl hinführen würde. Ich hatte da zwar schon einen Verdacht – es fragte sich nur, ob er sich auch bestätigen würde. Das Ziel mochte vielleicht der Turm sein, den ich des Öfteren in der Ferne gesehen hatte. Vielleicht war es gar kein Fernsehturm, sondern der Ort, an dem sich dieses sogenannte „Injektionslager“ befand. Schon der Name allein löste ein Unwohlsein aus, so, als ob es etwas wäre, wovor man zu fürchten hatte. Ausserdem hatten die Männer von Nachzüglern gesprochen...wir mussten demnach einige der letzten sein, die dorthin gebracht wurden. Und bisher schien noch niemand von dort zurückgekehrt sein...
Unerwartet war es für einmal mehr Jonathan, der meinen düsteren Gedanken ein Ende setzte.
„Tina?“, fragte er. Es war für ihn wohl üblich, mich zuerst beim Namen zu nennen, bevor er mit mir sprach. Ich konnte es ihm freilich nicht übel nehmen. Innerlich bereitete ich mich schon auf ein höchst seltsames Gesprächsthema vor, doch er meinte nur:
„Mir ist schlecht.“
Ich hob die Augenbrauen.
„Ja?“ Ich erhob mich und ging langsamen Schrittes zu ihm hin. Meine Füsse scheuerten sich an den Rillen am Boden auf.
„Weißt du was? Vielleicht solltest du ein wenig frische Luft schnappen“, schlug ich ihm vor und bot meine Hand an. Als er zu mir aufschaute und die Stirn in Falten legte, fügte ich lächelnd hinzu: „Komm.“
Da legte er seine Hand in meine und ich zog ihn hoch, zum Ausgang hin. Da ich die Plane zurückschob und das Licht auf sein Gesicht fiel, sah ich, dass er wieder ungeheuer bleich geworden war. Seine Haut sah nicht gut aus – bis zum Hals hin war sie von schwarzen Flecken übersät. Er beäugte mich von der Seite, wahrscheinlich wartete er darauf, dass ich etwas sagte. Als er nach einiger Zeit zum Schluss kam, dass er von mir wohl keine Worte erwarten konnte, sah er wieder hinaus in die Sonne. Und als er da so nachdenklich die Umwelt in Betracht nahm, fiel mir zum ersten Mal auf, dass er eigentlich ziemlich hübsch aussah. Sein Gesicht, sein Blick strahlte Ernsthaftigkeit aus, und doch war da etwas Gutmütiges in seinen Zügen.
„Weißt du“, begann er, „In der Schule...da gab es eigentlich nur eine Lehrerin, die ich mochte. Und die hat zu mir einmal gesagt, dass ich manchmal versuchen sollte, ein bisschen von mir zu erzählen und mich bei Projekten und so weiter mehr einzubringen. Sonst bleibe ich für die anderen immer so farblos. Und naja...ich habe es trotzdem nie gemacht, weil ich dachte...die anderen seien nicht an meiner Meinung interessiert.“
Er machte eine Pause und sah mich aus den Augenwinkeln an, als ob er prüfen wollte, ob ich ihm überhaupt zuhörte. Als Bestätigung schickte ich ihm ein leichtes Lächeln. Fast schon erleichtert fuhr er fort:
„Anfangs habe ich das auch wirklich versucht. Ich habe zum Beispiel von meinen Hobbies erzählt, Dinge vorgeschlagen und so. Aber...ich wurde eigentlich immer nur ausgelacht. Da habe ich halt aufgehört.“
„Und...du hast nicht wieder angefangen?“
In einer erstaunten Geste schüttelte er den Kopf.
„Nein. Es hatte sowieso keinen Zweck. Ich meine...was nützte es schon, sich einzubringen, wenn man sowieso schon abgestempelt war? Und ja...ich habe dann halt jeweils nicht so viel gesagt.“
Als wollte er seinen Worten mehr Glaubhaftigkeit schenken, verschloss er von einem Moment auf den anderen seine Lippen und liess und tat ebendies, wovon er gerade erzählt hatte. Das Rattern des Motors drang wieder hervor, wie ein unerbittlicher Jäger, der seinen rechtmässigen Platz im Reich der Klänge wieder in Anspruch nehmen wollte – bis es von mir erneut unterbrochen wurde.
„Weshalb erzählst du mir das?“
Das Rattern folgte schon wieder auf meine Worte, da erwiderte er:
„Ich...weiss nicht.“ Seine Stimme schwankte, schwankte heftiger als sonst, aber weniger heftig, als sie dies in der Angst getan hätte. Nein, mehr war es so etwas wie Erregtheit, die von ihm Besitz ergriffen zu haben schien.
„Eigentlich wollte ich“, fuhr er stockend fort, „eigentlich wollte ich das ja gar nicht sagen, sondern etwas Anderes.“
„Etwas Anderes?“
„Ja...ich meine...eigentlich...weisst du...damals, als wir uns das erste Mal getroffen haben...“
Ich horchte auf.
„Da habe ich ja so einiges gesagt, wofür ich mich entschuldigen möchte.“
„Entschuldigen?“ Ich lachte. „Schon wieder?“
Er verzog fast schon gequält die Lippen und meinte dann seufzend: „Tut mir Leid, dass ich damals gesagt habe, du hättest eine beunruhigende Stimme. Das meinte ich ja eigentlich gar nicht so. Oder doch, ich meinte es anfangs schon so, aber mit der Zeit habe ich angefangen, sie trotzdem zu mögen, weißt du?“
Ich hatte keine Ahnung, was ich erwidern sollte.
„Ich meine...“ Er schüttelte sich leicht. „Du musst nicht meinen, ich nerve mich nur, wenn du sprichst. Im Gegenteil, es ist schön, sie zu hören. Manchmal, wenn du wütend bist, dann wird sie so...rau und kräftig, und wenn du entspannt bist, wie jetzt, dann...dann klingt sie so...besänftigend. Wenn man sie hört, überkommt einen das gleiche Gefühl, das man verspürt, wenn man einen Geigenspieler hört, der ganz langsam in einer Moll-Tonart über die Saiten streicht.“
„Ich...na ja...so entspannt bin ich momentan auch wieder nicht“, murmelte ich und lachte verlegen, aber diesmal war ich es, die von ihm wegschaute.
„Deine Stimme...sie klingt immerzu ein wenig traurig, ja, sie klingt wie die Mondscheinsonate. Sie ist so schwer und ernst, aber gleichzeitig so...“ Er stockte. „Schön.“
Langsam atmete ich tief durch. „Das...war ein grosses Lob.“ Es hätte anerkennend klingen sollen, fröhlich neckend wie sonst auch, aber das einzige, was durchschimmerte, war eine Mischung zwischen Unglauben, Nüchternheit und plötzlicher Verunsichertheit. Es war, als wäre ein Geschenk in meine Hände gelegt worden, dessen unschätzbarer Wert mir nicht annähernd zustand. Und das seltsamste war, dass Jonathan anscheinend genauso dachte – auch wenn er tatsächlich mich als dieses Geschenk ansah.
„Hör mal, du...“, begann ich, doch er schaute schon längst nicht mehr in mein Gesicht. Stattdessen wanderte sein Blick scheinbar ziellos an den Strassenrand, woran sich schon die ersten Bäume der Waldausläufer herantasteten. Bald würden wir durch das dichte Grün fahren. Die Stämme der noch jungen Nadelbäume standen immer dichter und schluckten die Sicht auf die Weiten der Grasfelder. Jetzt war es, als würden wir durch einen engen, natürlichen Tunnel fahren. Die Wipfel, die sich dem Himmel entgegenstreckten, wurden von den tiefer stehenden Ästen begleitet, die nur wenig Licht in der Nähe des Waldbodens abfingen. Je tiefer man mit dem Blick in dieses Gewirr von Stämmen und Ästen zu dringen versuchte, desto undurchdringlicher wurde es. Trotz helllichtem Tag herrschte dort nur Dämmerlicht.
„Weißt du...“, begann Jonathan plötzlich von Neuem, „ich habe mich schon oft gefragt...ob einige Menschen mehr Dinge wahrnehmen können als andere.“
Sein entrückter Blick verriet mir, dass er wohl gerade alles Mögliche, nur nicht den Wald sah.
„Ich habe mich schon oft gefragt, ob es möglich ist, dass...ein Mensch...so etwas wie...Liebe...gar nicht fühlen kann.“
Meine Finger klammerten sich unwillkürlich an die Plane. Für einen kurzen Augenblick vergass ich gar, zu atmen, zwang mich dann aber dazu, was sich als Fehler erwies: es schien, als würde mein Herz jeden neuen Atemzug dankbar in sich aufsaugen, damit es ihr rasendes Schlagtempo aufrecht erhalten konnte.
„Ich habe Angst...Angst, dass ich so ein Mensch bin“, fuhr Jonathan fort, „und ich weiss nicht, wie ich damit umgehen soll.“
„Nein. Das kann nicht wahr sein, Jonathan. Solche Menschen gibt es nicht“, versuchte ich ihn zu trösten. War ich ein Mensch?
„Ich glaube schon“, widersprach er unerwartet. „Ich glaube, dass es solche Menschen gibt.“ Ein Stich bohrte sich in meine Brust. „Ich glaube auch, dass es böse Menschen gibt. Menschen, die nur Schlechtes wollen.“
„Nun...aber ich denke nicht, dass...“ Am Horizont türmten sich die Rauchwolken der zerstörten Stadt. Ich verstummte. Wie Unrecht wir doch alle hatten.
„Ist dir immer noch schlecht?“
Er nickte, ich legte die Hand auf seinen Rücken, worauf er den Kopf fallen liess.
„Ich hatte gehofft, dass du so wie ich bist“, murmelte er bedrückt, „aber allem Anschein nach habe ich umsonst gehofft.“
„Was...meinst du damit? Dass ich so...wie du bin?“
Er schüttelte in einer langsamen Bewegung den Kopf und hob ihn wieder, starrte auf die Strasse. Als ich seinen Blick wahrnahm, atmete ich erschrocken aus.
Er war voller Wut.
„Ich hasse diese Welt.“ Jonathan fiel auf die Knie. Aus seiner Kehle rann ein gurgelndes Krächzen.
„Ich hasse diese Welt“, wiederholte er und schlug die Handflächen vor das Gesicht. Seine Stimme schwoll zu einem Schrei an. „Ich hasse sie! Ich hasse sie! Und...und...ich hasse DICH!“ Wie in Tollwut stiess er mich von sich und schluchzte auf. Hilflos der Wucht des Stosses ausgeliefert stürzte ich gegen eine der Kisten, fiel direkt auf die Kante und schürfte die Unterarme daran auf. Nicht einmal mehr ein entrüsteter Laut hatte Zeit, meinen Mund zu verlassen, da geschah es bereits.
Jonathan übergab sich.
Das, was auf die Strasse spritzte, war tiefrot gefärbt...es war...Blut.
Es war...nicht scharf. Es war...nicht wirklich. Es geschah...nicht. Er sank nicht zur Seite. Nein...nein...er starb nicht. Er konnte nicht sterben. Ein Schrei erklang. Er war nicht echt. Er war nicht da. Mein Mund hatte sich geöffnet, er hallte in meinen Ohren wider. Und dann...dann wurde mir nach einigen Augenblicken klar, dass nicht ich es gewesen war, die diesen Schrei ausgestossen hatte. Es war Lynn. Lynn hatte geschrien. Es klang so...verzerrt. So...unecht, als wäre es...ja, als wäre es nicht da. Nur mein Verstand, der mir einen Streich spielte. Sie sprang auf die Füsse, der Boden erzitterte. Alles wurde langsamer. Druck. Rollte zur Seite, Arm fiel schlaff auf den Boden, wusste nicht, wieso. Konnte mich nicht mehr bewegen, konnte nur sehen, wie die Plane voll von solchen dunklen Flecken war. Manchmal Streifen, liefen hinab. Ein Quietschen, mein Kopf neigte sich gefährlich nahe dem Boden zu. Er war auf einmal so schwer...ja...wieso ihn nicht einfach fallen lassen? Doch ich durfte nicht. Da war wieder Lynn. Sie verschwamm immer wieder, nahm wieder schärfere Konturen an...seltsam. Und da war ihr Gesicht. So bleich, Hände davor geschlagen, Augen weit aufgerissen. Worauf sah sie? Ich folgte ihrem Blick. Sah dort jemanden, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Eine Gestalt...sie rührte sich nicht. Ich kannte diese Gestalt...aber seltsamerweise konnte ich sie so, wie sie da lag, in keinerlei Verbindung mit meinen Erinnerungen setzen. Nicht einmal einen Finger rührte sie. Ihre Haare, wirr und zerzaust, bedeckten den Boden. Ein T-Shirt. Löcher...ja...Löcher. Beine überkreuzt, Arme verdreht. Ich spürte seit langem Zeitraum wieder meinen Atem. Mein Mund war so trocken. Ich ärgerte mich darüber. Und auch noch diese wässerigen Augen. Schon wieder. Ich schloss sie, öffnete sie wieder, die Gestalt lag immer noch am Boden, als hätte sie seit Jahren nichts anderes getan. Wieso musste jetzt nur Übelkeit in mir aufsteigen? Mit einem ärgerlichen Schlucken versuchte ich sie zu unterdrücken, doch es half nichts. Sie wurde immer stärker. Gleichzeitig waren da noch diese dumpfen Geräusche. Eine Tür der Fahrerkabine wurde zugeknallt. Seltsam. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir angehalten hatten. Schritte, sie schienen den Lastwagen zu umrunden. Diese Gestalt, die vor mir lag...
Jonathan.
Es war Jonathan.
Diesmal, da war ich mir sicher, kam der Schrei von mir, stiess die bleierne Last weg, die auf meinem Körper lag. Schwer wie all die Kisten. Ich sprang, sprang auf die Füsse, streckte mich, stiess alles von mir – und liess gleichzeitig alles auf mich hereinbrechen. Die Trauer, die Unfassbarkeit, die Wut...die Gefühle. Die Gefühle!
Wahnsinn. Du bist wahnsinnig, krank, abscheulich. Ich hasse dich, du elendes, abscheuliches...du abscheulicher Verstand.
Ich stand ihnen gegenüber, und ich war ihre Sklavin. Ich nahm sie wahr, und ich war ihre Sklavin. Sie schlugen sich in meine Gedanken, und ich war ihre Sklavin.
„NEIN!“
Ein, zwei Schritte, ich liess mich neben Jonathan wieder fallen. Knie schrammten auf. Egal. Meine Hände – waren es meine? – packten ihn an den Schultern, drehten ihn um. Er war aber nicht tot, da war ich mir sicher. Da war ich mir sicher! Die Schritte wurde lauter, Lynn stöhnte, ich schwieg, starrte nur in sein Gesicht. Die blutverschmierten Lippen zeigten sich halb geöffnet. Ich musste...abgehakt atmend riss ich mir in einer einzigen, energischen Bewegung die Handschuhe von den Fingern. Ich musste helfen.
„Jonathan!“ Es drängte. Noch mehr Schritte, ein Schlagen auf Metall. Das Geräusch wirkte unheimlich alarmierend, als wäre ein Feind erschienen. Richard. Ich tastete Jonathans Gesicht ab.
Kalt. Es war kalt. Ich fuhr über den Mund. Nichts. Nichts. Kein Atem, kein Hauch, keine Wärme. Nur Blut, das über meine Hände...meine...Hände. Ich hob sie augenblicklich direkt vor meine Augen, immer näher heran. Meine Hände...sie waren...
„Was ist hier los?“ Richards Stimme prasselte wie ein Steinregen gegen meine blank gelegten Nerven. Nur verärgert. Wieso war er nur verärgert? Hände. Die Ärmel meines Pullovers rutschten zurück. Da wurde es mir klar. Auch die Arme.
Die schwarzen Flecken waren allesamt verschwunden.
„Verdammt! Sie da, stehen sie sofort auf!“
Samantha gab ein Bellen von sich, Lynn zitterte am ganzen Körper. Ich kam auf die Beine, es schien, als würden sie nichts tragen. Weshalb war ich so leicht? Richard richtete sein Gewehr auf mich.
„Weg da!“
Ich rührte mich nicht.
„Weg da, habe ich gesagt!“, wiederholte er brüllend. Doch selbst wenn es mir in den Sinn gekommen wäre, ihm Folge zu leisten, hätte ich es nicht geschafft. Ich fühlte mich, als würde ich gegen die Decke schweben wollen, und das einzige, was mich daran hindern konnte, war der Boden, auf dem ich festgewachsen war. Die Welt um mich herum schwankte. Die Welt, der Lastwagen. Der Lastwagen, Richard, Lynn. Sie hatte sich gegen die Rückwand gelehnt. Das Licht, das durch das Guckloch fiel, wurde von ihr verdeckt, ihr Gesicht schien schattig, und das einzige, was sie sagte, war: „Tina.“
Es machte mir Angst, dass ich etwas erwidern konnte. Und das, was ich erwiderte, machte mir noch viel mehr Angst.
„Tina ist tot.“
Unheimlich. Es hatte irgendwie gar keinen Klang. Ja, ich war mir nicht einmal sicher, ob ich es wirklich ausgesprochen hatte...dennoch...Lynns Reaktion sprach dafür. Ihre Augen traten hervor, sie presste die Lippen zusammen. Doch sie sagte nichts, sondern drückte sich nur noch mehr gegen die Wand. Konnte es sein, dass...ich ihr Angst machte? Selbst Richard schien für einen Moment die Kontrolle zu verlieren, senkte mit offenem Mund das Gewehr, nur um es gleich wieder auf mich zu richten. Der Lauf glänzte, eine schwarze Mündung. Ich hatte keine Angst. Richard würde mir doch nichts weiter als Schmerz zufügen können. Oder töten.
Wenn ich ihn überrumpeln würde.
Es erforderte wenig Kraft, mich vom Boden abzustossen. Ich stürzte im Sprung Richard entgegen. Sah sein Gesicht, wie es immer näher kam. Zeit für eine Regung hatte er keine mehr – er war so schnell unter meinem Körper begraben, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Beinahe wäre er mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgeschlagen, hätte er sich nicht mit dem Gewehr abgestützt. Einige Schüsse lösten sich, das Donnern des Schnellfeuers explodierte direkt neben meinem Ohr. Ein rasender Schmerz schoss durch meinen Kopf, für eine kurze Weile wurde es schwarz vor meinen Augen. Das nächste, was ich sah, waren meine eigenen Füsse, wie sie sich aus Richards Griff zu schütteln versuchten. Die Strasse rauschte mir direkt entgegen. Als ich mich mit beiden Händen darauf abstützte, verstärkte sich sein Griff und er stiess einen wütenden Schrei aus – welcher sich in ein Heulen verwandelte, als ich mit dem freien Fuss mit aller Kraft nach seiner Nase trat. Er liess sofort los und drehte sich zur Seite. Meine Chance war gekommen.
Ich rannte auf den Wald zu.
Hallo...
Geht die Geschichte hier noch weiter?
Würde mich echt freuen, wüsste gern wies weiter geht.
Find`s nämlich voll interesant
Hm, OK, dann stell ich noch was rein. Ist zwar eh schon viel zu viel, wenn man alles lesen will, aber was solls:

Geduckt, um nicht von den Ästen erwischt zu werden, hechtete ich zwischen die Bäume. Dabei musste ich den Kopf in den Nacken legen, um den Weg vor mir sehen zu können; sofern man von einem Weg sprechen konnte und nicht von einem wirren Labyrinth aus Rinde, Nadeln und Harz.
Ein erneuter Aufschrei, hinter mir, diesmal wütend. Mehrere Schüsse schmetterten in die Bäume, es knallte.
Tausende Versteckmöglichkeiten.
Rennen. Rennen! Noch mehr Schüsse, Schritte. Er war hinter mir her. Es war beinahe unmöglich, sich einen Weg durch das Gehölz zu bahnen. Immer wieder stolperte ich über Wurzeln, stiess die Schultern an die Bäume, fiel beinahe hin. Doch ich musste ihn abschütteln, oder er würde mich töten. Unzählige Gedanken schossen mir durch den Kopf. Aber waren es wirklich Gedanken? Keine Zeit. Dort, eine hochgewachsene Tanne mit massivem Stamm. Dahinter würde ich mich verstecken können. Schritte, nein, mehr waren es Sprünge, mein Fuss sank in das feuchte Moos, das den Boden um den Stamm bedeckte.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Erschöpfung so gross sein würde, als ich mich endlich gegen den Stamm lehnte.
Allmählich liess das Dröhnen in meinen Ohren nach, das die Schüsse verursacht hatten.
Es war still geworden um mich herum. Ja, nicht einmal mehr mein eigener, rasender Atem war zu hören, so schien es mir. Zwischen meinen Zehen stachen Nadeln hervor, es war, als drangen sie durch meine Füsse. Die Rinde des Stamms, den ich umfasste, war von tiefen Furchen durchzogen. Ein unangenehm süsslicher Geruch lag in der Luft. Es war windstill, und doch war mir, als sei ich durch einen heulenden Orkan gerannt. Vor mir nichts als Bäume, die meisten waren dünn, nahezu zerbrechlich. Ich kniff die Augen zusammen. Zwischen den Baumstämmen...dort huschte etwas Kleines am Boden entlang. Nur ein Eichhörnchen. Mir an die Brust fassend beobachtete ich, wie es flink an einem Stamm empor kletterte und verschwand. Dann rührte sich wieder eine ganze Weile lang nichts mehr. Es schien, als hätte sich alles endlich zur Ruhe gelegt. Das Moos unter meinen Füssen begann langsam unangenehm zu werden. Bestimmt hatte ich ihn abgehängt. Doch je mehr sich die Erleichterung in mir einschlich, desto mehr begann ich, das Unfassbare zu verstehen. Nein...ich wollte es nicht verstehen. Es war einfach unmöglich. Es durfte nicht wahr sein, dass Jonathan...
Halt...ertönten da nicht Schritte?
Mein Atem schwoll wieder an, klang beinahe nach einem Hecheln. Richard. Er war immer noch hier. Er suchte mich.
„Verdammt, wo sind Sie?“
Und er war schon ganz nah.
„Ich tue Ihnen nichts, versprochen! Kommen Sie hervor, verdammt noch mal!“
Sofort presste ich meine Wange gegen das Holz. Jetzt durfte ich keinen Laut mehr von mir geben. Kleine Zweige stachen mir in die Backe. Es knirschte. Das Moos. Er war daran, den Baum zu umrunden. Bald würde er mich entdeckt haben. Sein Gewehr hatte er bestimmt angelegt, es war gut möglich, dass ich diesmal chancenlos gegen ihn war. Dennoch – dass ich ihn überraschen konnte, war von Vorteil. Ich hatte keine andere Möglichkeit. Ich musste auf mein Glück vertrauen. Davonrennen? Nein, würde nichts bringen. Kämpfen. Töten. Ich tat einen ersten Schritt, tastete mich mit den Armen vorwärts, da raschelte es ganz in meiner Nähe. Mit einem Ruck drehte ich den Kopf – doch da war nichts. Dafür hörte ich, wie sich Richard wieder entfernte.
„Hallo? Sind Sie dort?“
Es kam keine Antwort.
Aber dort im Dickicht...dort musste etwas lauern. Richards Gewehr klapperte, seine gedämpften Schritte waren zu hören. Sie bewegten sich weiter von mir weg, genau auf die Stelle zu, wo ich hinstarrte. Nun kam Richard zum Vorschein. Schnell wollte ich auf die andere Seite des Baumes wechseln, doch das schien nicht nötig. Sein Blick heftete sich nur auf diesen Ort zwischen zwei nahe stehenden Bäumen, die einander zugeneigt waren. Es war zu düster, um dahinter etwas erkennen zu können. Wieder erklang ein Rascheln, und es kam wieder von dort. Richards Augen weiteten sich schlagartig. Langsam liess er das Gewehr sinken und wirkte dabei regelrecht entgeistert. Während er einige wimmernde Laute von sich gab, sah ich es ebenfalls:
Eine Kreatur, die ich noch nie gesehen hatte, war aus dem Schatten der Bäume getreten.
Eins stand sicher – sie war ausgesprochen hässlich. Zunächst glaubte ich, ein natürliches Wesen vor mir zu haben, doch als ich genauer hinschaute, wurde ich des Besseren belehrt. Es war eine Art Roboter, mit, wenn man es so bezeichnen konnte, einem kleinen, abgeflachten Kopf und acht langen, krakenartigen, dünnen Stahlarmen, die über den Boden krabbelten wie eine Spinne. Die Schläuche hingen ihr wie Eingeweide aus dem unteren Teil ihres Kopfes, welcher sich unablässig um die eigene Achse drehte. Es stank grässlich nach etwas Undefinierbarem und verursachte bei jedem Schritt ein ekelerregendes, saugendes Geräusch, das mir das Blut in den Adern gefrieren liess. Je näher es uns kam, desto zuckender wurden die Bewegungen der Kreatur und desto tiefer sanken die Beine bei jedem Schritt in den Waldboden. Die Gelenke, die auch dieser Maschine ihren Fortgang ermöglichte, quietschten ebenfalls, und diesmal sah ich auch, warum – sie waren mit rotbraunem Rost überzogen.
Richards Reaktion war abzusehen. Kaum hatte er sich gefasst, liess er mehrere Schüsse auf den Roboter ab. Dieser taumelte und fiel nach hinten, wobei sich das Quietschen in ein kaum zu ertragendes Pfeifen steigerte. Noch ein letztes Mal durchfuhr ein Zucken den metallenen Körper, dann rührte er sich nicht mehr. Die im Boden verursachten Löcher und Kratzer sahen ein wenig aus wie die Wunden, die John und der Leiche auf der Strasse zugefügt worden waren. Rasend schnell verbreitete sich der Geruch nach...ich wusste nicht, was es war. Doch es breitete sich auf dem Boden aus, es war...wie Wasser.
Ein lautes Fluchen riss mich vom Anblick der Maschine los.
Zu meiner Überraschung hatte sich Richard wieder abgewandt und war aus meinem Blickfeld verschwunden. Erleichtert atmete ich auf. Es war regelrecht ein Wunder, dass er mich nicht entdeckt hatte. Mehr noch, seine Schritte schienen sich sogar zu entfernen.
„Verdammt. Verdammt! Sie ist abgehauen! Und erst noch ausgerechnet die Schwarzhaarige. Verdammt!“
Dann wurde es wieder still.

Ich schätzte sie etwa auf fünfzehn Minuten. Möglich, dass sie auch länger war. Vielleicht eine halbe Stunde? Aber eigentlich war es ja egal, wie lang sie war, die Zeit, die ich regungslos, immer noch an den Baumstamm gelehnt, verbrachte. Von der Maschine hatte ich mich abwenden können, nicht jedoch vom bestialischen Geruch, den sie verbreitete. Ich hätte mich zusammenreissen können, an einen anderen Ort irgendwo tiefer im Wald gehen können, doch meine Fassungslosigkeit hinderte mich daran. So langsam ich auch die vergangenen Ereignisse vor meinem geistigen Auge ablaufen liess...ganz begreifen konnte ich sie auch jetzt nicht. Wir hätten in dieses „Injektionslager“ transportiert werden sollen. Dazu war es aber nie gekommen, denn...schon verschwamm das klare Gedankenbild, zu erkennen waren nur noch Schemen. Jonathan...Jonathan hatte neben mir gestanden...und er hatte Dinge zu mir gesagt. Dinge wie...er hasse mich. Er sei nicht gleich wie ich. Die Infektion war auf unerklärliche Weise verschwunden. Und Lynn...ja, was war mit Lynn? Ich hatte sie aus den Augen verloren. Sie musste dort geblieben sein, nachdem Jonathan...ein erdrückendes Gefühl legte sich über mich. Gefühl...Gefühl...? Ich atmete tief durch, liess die Waldluft in meine Lungen strömen. Etwas...etwas hatte doch dahinter gesteckt...eine...Erkenntnis?
Ich stand ihnen gegenüber, und ich war ihre Sklavin.
Mein Kopf fing wieder an zu schmerzen. Nein...irgendwie konnte ich es nicht begreifen. Was war in mich gefahren? Kaum glaubte ich, es endlich verstehen zu können, schlüpfte es mir immer wieder durch die Finger wie Sand. Allem Anschein nach war es wichtig gewesen, sonst würde ich mich nicht so verzweifelt daran erinnern wollen. Trotzdem...ach, es hatte keinen Sinn, sich damit abzumühen. Schau lieber, wie du hier zurechtkommst, mahnte ich mich, streckte den Rücken und stand auf die Fussspitzen.
Hier gab es nur Wald, Wald...und diese merkwürdigen Maschinen. Wie gefährlich sie wirklich waren, vermochte ich nicht abzuwägen. Aber auf jeden Fall musste ich auf der Hut sein. Keine angenehme Vorstellung, ein weiteres Mal auf eine zu treffen, und dazu noch gänzlich alleine und ohne Orientierung. Ich machte keinen Hehl daraus, ich hatte sie hoffnungslos verloren. Wo ich meinen Blick auch hinwendete, überall nur Nadelbäume. Da jede Richtung so falsch wie die anderen schien, beschloss ich, ganz einfach geradeaus zu gehen. Irgendwann, so hoffte ich, würde ich wieder auf eine Strasse oder Ähnliches treffen. Hoffen? Wie lächerlich.
Schon wollte ich den ersten Schritt Richtung Verlorenheit tätigen, da ertönte ein Winseln. Es kam mir erstaunlich bekannt vor.
„Ach, du bist es!“, rief ich erleichtert und beobachtete Samantha dabei, wie sie sich mir geduckt und mit eingezogenem Schwanz näherte. Dabei winselte sie immer wieder und wurde bei jedem tapsenden Pfotenschritt langsamer, bis sie direkt vor meinen Füssen zu stehen kam. Als ich ihr die Hand auf den Kopf legte, begann sie mit dem Schwanz zu wedeln, wobei sie immer wieder zur Maschine äugte und in der Luft schnupperte. Ihr Fell fühlte sich angenehm flauschig an, jetzt, da ich es mit blossen Händen berühren konnte. Sie musste mir gefolgt sein.
„Tja...vielleicht sind sie ohne uns weitergefahren.“ Das Murmeln kam nur schwer über meine Lippen. Schon allein daran zu denken löste Unbehagen aus. Doch wenn ich ehrlich mit mir war, hätte ich es sowieso nicht übers Herz gebracht, ein weiteres Mal in den Lastwagen zu steigen, geschweige denn, mich Richard zu stellen.
„Na, wollen wir gehen?“ Es erschien mir in keiner Weise ungewöhnlich, mit einem Hund Gespräche zu führen, zumal sowieso niemand da war, der hätte lauschen können. Als hätte Samantha mich tatsächlich verstanden, drehte sie sich um und trabte in die Richtung davon, aus der sie gekommen war. Es stellte sicherlich keine schlechte Idee dar, ihr zu folgen.
So viel find ich es jetzt nicht. Naja Ansichtssache. Aufjedenfall finde ichs echt super!
Hast du denn die Geschichte von Anfang an gelesen?^^
Ja hab ich
Tatsächlich wusste die Hündin sehr genau, wohin sie wollte. Zielstrebig bahnte sie sich einen Weg durch das Unterholz, hüpfte über Dornenränke, wich dicken Wurzeln aus und warf immer wieder Blicke zurück, wenn ich abzubleiben drohte. Sie schien mit einer Art unfehlbarem Instinkt ausgestattet zu sein, der sie auf die richtige Spur führte. Es war seltsam beruhigend, ihr vertrauen zu können, und soweit ich mich erinnern konnte, war es das erste Mal, dass ich jemandem blind folgte, ohne wirklich nachzudenken, warum. Denn eigentlich hatte es doch keinen Sinn mehr, überhaupt irgendwo hinzugehen. Das Virus war verschwunden, also musste ich auch nicht im Geringsten mehr um mein Überleben fürchten...zumindest vorläufig. Aber...warum? Warum war es verschwunden? Noch einmal stierte ich auf meine Hände. Langsam, als ob ich nur getäuscht worden sein könnte, hob ich sie vor mein Gesicht. Kein Zweifel. Das Licht, das durch die Lücken des natürlichen Daches fiel, bestätigten es: die schwarzen Flecken waren nicht mehr da. Als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Ich liess sie wieder sinken, bohrte meinen Blick stattdessen in die Rinde des nächstbesten Baumes. Fragen, Fragen...überall nur Fragen.

Irgendwann einmal hatten wir die Strasse erreicht. Das Licht der Sonne schien ungehindert auf den trockenen Belag, es flirrte heiss in der Luft, und doch war mir kalt. Samantha drehte ihre Runden um mich herum und schnupperte, in einer Freude, die ich nicht auch nur ansatzweise teilen wollte. Zwei staubige, kaum zu erkennende Spurstreifen zogen vorüber, endeten irgendwo in der Ferne, wo der hoch in den Himmel ragende Turm stand. Er hatte mit einem Male etwas Drohendes, Unheilvolles an sich, und es war, als mieden selbst die Wolken seine betongraue Spitze. Die Strasse war nicht breit, vielleicht ein paar Meter, und sie grenzte schneller an ein weiteres Dutzend Kilometer Wald, als mir lieb war. Die Sonne, einst im Zenit, neigte sich langsam dem Horizont zu, die Taghelle wurde allmählich durch ein Gold getrübt, das abstossend fehl am Platz wirkte. Aber die mit Bäumen überwachsene Anhöhe, hinter der der Turm aufragte, schien ein ganzes Stück näher zu sein als das letzte Mal. Samantha hatte sich mitten auf die Strasse gelegt und hechelte.
Lynn.
Der Gedanke war mir schon vorhin durch den Kopf gegangen, aber nun, da ich die Hündin betrachtete, wurde er immer gegenwärtiger: ich musste Lynn helfen. Wer wusste, was sie alles mit ihr anstellen würden, oder ob sie sich sogar infizieren würde. Abstreiten konnte ich ja nicht, dass ich so einiges bisher falsch gemacht hatte. Aber wenn ich zumindest versuchte, ihr zu helfen...dann...konnte ich vielleicht auch einige Dinge wieder gutmachen. Ja...so war es.
Ich stiess einen Pfiff aus, und Samantha trabte sofort an meine Seite. Erstaunlich, wie gut sie mir folgte, obwohl ich eigentlich eine völlige Fremde war.
„Komm, wir gehen“, murmelte ich und setzte mich in Bewegung. Sie stiess ein aufgeregtes Bellen aus und begann, vor mir her zu springen.


Kapitel 10 – Das Lager


Es war genau wie damals, als John verschwand. Selbst die Umgebung hätte man fast austauschen können, und nicht viel hätte sich an der derzeitigen Situation verändert. Situation...nein, eigentlich klang es unsinnig, von einer blossen Situation zu sprechen. Mehr glich es einer Welle, wobei ich nicht entscheiden konnte, ob ich davon verschlungen wurde oder auf ihr schwankend dahinritt. Die Bäume am Strassenrand, der Turm...dies waren die einzigen Dinge, die mir sagten, dass ich mich doch noch irgendwo befand. Und doch schien ich mich nirgends zu befinden. Situation, das klang so nüchtern, so distanziert...aber vielleicht war es eben doch der richtige Ausdruck. Denn ernüchtert – es mochte irrwitzig sein – ja, so fühlte ich mich wirklich. Natürlich ist da ein Weg, erklärte ich mir selbst, während mein Blick dem Meter für Meter unter mir dahingleitenden Asphalt galt, nur verstehst du ihn nicht. Verstand...der hatte sich sowieso schon seit langem als untauglich erwiesen. Er war nichts weiter als ein Haufen Müll, durch den es zuerst zu waten galt, bevor man sein Ziel erreichte. Langsam war ich es leid, meine Füsse bei jedem Schritt aus dem Unrat zu ziehen. Sollte man ihn doch woanders liegen lassen, und nicht hier, wo er höchstens nützte, um das Vorankommen von jenen zu erschweren, die es verdient hatten. Beispielsweise mir. Aber das war natürlich sinnlos. Stöcke werfen, ein paar Schritte rennen, nichts hatte genützt, von der Trägheit zu befreien, die langsam von mir Besitz ergriff. Ab und zu erregte Samanthas Bellen meine Aufmerksamkeit. Doch zumeist war es mir zu anstrengend, die Stöcke, die ich ihr zugeworfen hatte, ein weiteres Mal in die Hand zu nehmen. Bewundern mochte ich die Hündin dennoch. Wie konnte sie nur so aufgestellt sein? Hier, jetzt, in dieser Situation? Ich lächelte bitter. Hätte es mich nie gegeben, wäre alles...nein. Es nützte niemandem, wenn ich anfing, über mein Schicksal zu trauern. Trauer...allmählich begann ich zu begreifen, was sich verändert hatte, ja, ich begann gar den Grund für meine Erschlagenheit zu erahnen. Gefühle...das war es doch gewesen. Nicht ihr Sinn, nicht ihre Herkunft, sondern die ganz einfache Tatsache, dass ich ihre Untergebene war. Ich war es schon immer gewesen, und so, wie meine kläglichen Schätzungen verliefen, würde ich es auch immer sein. Du hast nur nie nach oben geblickt. Und diesmal vertraute ich ihnen, den blossen, nackten Vermutungen.
Tja, so einfach war das.
Ein spitzer Kieselstein piekste in meinen Fuss. Auch wenn man in diesem Fall nicht wirklich davon sprechen konnte, Schmerz war ebenso einfach, ja, vielleicht das einfachste, das die Natur erfunden hatte, um auch den Stärksten in die Knie zu zwingen. Genauso wie das Virus. Wie boshaft sie doch war. Wieso dann, zum Teufel, musste sie Gefühle so schwierig machen? Menschen empfanden Gefühle. Menschen waren kompliziert. Vielleicht war alles von Anfang an der Plan der Natur gewesen. Eigentlich war sie sogar erstaunlich schlau: sie gab uns etwas, womit wir nicht umgehen konnten – um es dann...damit enden zu lassen. Liebe, Hass, Trauer, Glück...alles nur Inquisitoren, die darauf warteten, uns auszupeitschen. Sklaven der Liebe, Liebessklaven. Ein Lächeln wollte meine Züge wieder erhellen, erlosch aber im dunklen Bewusstsein, selbst solch eine Sklavin gewesen zu sein. Wer weiss, vielleicht würde ich als Märtyrerin sterben. Bei dem Gedanken sah ich mich schon vor mir, in Ketten gelegt, im Staub kriechend und um Gnade winselnd. Es hatte etwas Abscheuliches an sich, dass ich an dieser Vorstellung gar Gefallen fand. Aber in der Bestrafung liess sch vielleicht ein Körnchen Gewissen finden. Selbst das, was ich für Jonathan empfunden hatte, schwebte nur noch entfernter, diesmal über mir, wie eine schwarze Gewitterwolke, deren...Regen sich jeden Moment entladen konnte. Es fehlte mir der Mut, aufzuschauen, ja, es fehlte...der Regen.
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