Testbericht: Tomb Raider 6 - The Angel of Darkness

Testbericht: Tomb Raider 6 - The Angel of Darkness



Auch bekannt als:
  • Lara Croft: Tomb Raider - The Angel of Darkness

Systeme: PC; PlayStation 2

Genre: Action-Adventure

Erschienen: 02. Juli 2003

Entwickler: Spiele dieses Entwicklers Core Design

Verleger: Spiele dieses Verlegers Eidos Interactive

Sehr gut

Cover von Tomb Raider 6 - The Angel of Darkness
Nach dem unerwarteten Erfolg von "Tomb Raider" gossen die Tüiftler von Core Design Jahr für Jahr neue Levels in immer das gleiche Spielgerüst. Bis es denn gar zu betagt war und die Serie überlebt schien. Nur ein kompletter Neuanfang mit zeitgemäßer Präsentation konnte Lara Croft retten. Drei Jahre hat es gedauert, bis der sechste Teil vorlag.

Die Entwickler ersonnen eine spannende, düstere Story, die über weite Teile direkt mit dem Geschehen verankert ist. Vor allem in den ersten Abschnitten von "The Angel of Darkness" wurden die erzählerischen Elemente gut eingebracht. Des Mordes verdächtigt, flüchtet Lara vor der Polizei - und ist zugleich auf der Suche nach dem eigentlichen Täter. Der Ausbau der Handlung macht das Spiel nicht nur interessanter, sondern auch leichter zugänglich. Lara wird auf ihren ersten Schritten sogar von einem Moderator begleitet, der den Spieler anweist, was als nächstes zu tun ist - und mit welchen Tasten.

Obwohl nur an zwei Orten handelnd, sind die Levels sehr abwechslungsreich gestaltet: Von den Hinterhöfen und Dächern von Paris arbeitet sich die Archäologin in die Hallen des Louvre, wo sie über eine Ausgrabungsstätte in unterirdischen Gewölbe gerät. Vor allem dort sahen sich die Designer in ihrem Element: Gefährliche Kletterpartien in Höhlen, geheimnisvolle Mechanismen, Suchen nach verschollenen Artefakten, gezielte Sprünge von Plattform zu Plattform, während unten die Lava blubbert. In Prag gewinnt das Spiel nach einem drögen Einstieg durch graue Lagerhallen wieder an Fahrt, wenn riesige Gewächshäuser und Wasserbecken mit gefräßigen Monsterfischen erobert werden müssen.

Doch die Hochglanzmagazine, die Lara Croft nach Pac-Man und Super Mario als dritte Ikone des Videospielzeitalters auf ihre Cover platzierten, trügen: Das alles ist kein Zuckerschlecken. Wohl wurde die Herausforderung an die Fingerfertigkeit bereits im fünften Teil der Serie spürbar gesenkt. Doch Laras Abenteuer sind ein Kletterparcours für Spieler mit viel Geduld. Core Design ließ es sich wieder nicht nehmen, einige besonders knifflige Stellen einzubauen, Kombinationen aus Läufen und Sprüngen, die unter äußerstem Zeitdruck absolviert werden müssen. Profi-Spieler lösen solche Aufgaben mit drei oder vier Versuchen. Wer weniger geübt ist, wird auch beim dreißigsten Anlauf scheitern. Diagnose: Aufgeben oder sich einen Spielstand aus dem Internet laden. Anstatt den Abenteurer ins offene Messer laufen zu lassen, hätten die Entwickler der wachsenden Zielgruppe Rechnung tragen müssen. Längst sitzen nicht nur Freaks vor dem Bildschirm, deren Hände mit dem Joystick verwachsen sind. Sondern Gelegenheitsspieler, die sich vergnügen wollen, anstatt frustiert aufzugeben.

Im Gegenzug wartet Versöhnlicheres: Eine hübsche Idee ist es, Lara einen Partner an die Seite zu stellen, der sogar für einige Abschnitte gesteuert wird. Die Klanguntermalung ist tadellos; die Melodien werden dargeboten vom London Symphony Orchestra. Das Spiel wurde sorgfältig synchronisiert; Lara wird gesprochen von Marion von Stengel, die auch den "Tomb Raider"-Spielfilmen ihre Stimme lieh.

Von der unausgewogenen Spiel-Balance abgesehen, hätte "Tomb Raider 6" ein sehr gutes Spiel werden können, wäre es nicht unfertig auf den Markt gekommen. Trotz der langen Entwicklungszeit kamen die Programmierer nicht zum Ende, und der Verleger Eidos drängte, den Abschluß des Geschäftsjahres im Auge. Die typischen Bugs sind nicht einmal das größte Ärgernis, zumal mehrere Patches angeboten werden und manche Fehler nur unter bestimmten PC-Konfigurationen auftreten. Was man beim Durchspielen nur erahnt, wird beim Durchstöbern der Programmdateien Gewißheit: Um schneller fertigzuwerden, wurde kräftig gekürzt. Orte, Dialoge und selbst Fähigkeiten der Helden fielen der Schere zum Opfer.

Doch erst die mißlungene Steuerung läßt das Spielen zur Qual werden. Es bereitet schon Mühe, die Figur an eine bestimmte Position zu setzen, von fließenden Bewegungsabläufen ganz zu schweigen.

Erschwerend kommt die eigenwillige Kamera hinzu: Das Spiel ändert automatisch die Perspektive. Nicht immer ist das zum Wohl des Spielers. Und eine gehässige Ader scheint dafür verantwortlich zu sein, daß das manuelle Umblicken immer dann nicht funktioniert, wenn es wirklich nötig wäre. Wenn Lara mit beiden Händen an einer Stange hängt und nicht weiß, wohin sie hangeln soll, weil der Bildschirm nur ihren schönen Kopf und die Decke zeigt.

Liebhaber der früheren Teile werden über die Schwächen hinwegsehen und trotzdem ihren Spaß haben. Gelegenheitsspieler sollten nicht blind kaufen, sondern ausprobieren, ob ihnen Lara liegt.